Thilo Schneider / 15.11.2020 / 11:00 / Foto: Timo Raab / 33 / Seite ausdrucken

Der Liedermacher

Vorab: Wenn Sie Joost mit Doppel-O heißen und Liedermacher sind – bitte verklagen Sie mich nicht. Ich habe Ihren Namen frei erfunden, und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zwar nicht beabsichtigt, liegen aber durchaus im Bereich des Möglichen. Ich will das nur anmerken, weil „sozialkritische Liedermacher“ sehr selbstempfindlich sind, wenn sie auf Zurück-Kritik stoßen. Also, liebe Joosts dieser Republik: Lest jetzt nicht weiter, okay? Danke!

Ich war nämlich im guten Renno-Diesel unterwegs von A nach B, als sich irgendwie die Sender im Autoradio mit Rauschen und Rascheln verstellten. Und wie weiland in den 90ern, wenn nachts der Hund (den ich nie hatte) irgendwie auf die Fernbedienung kam und plötzlich „Tutti-Frutti“ statt „Hitlers heimlicher Hamster mit Guido Knopp“ lief, landete ich bei dem Kultursender „Antenne Gleiwitz“. Auf gerade verklingende Töne einer Wandergitarre folgte die sanfte Stimme eines Moderators: „Ja, das war ja wirklich ein sehr bewegendes Lied. Bei mir heute zu Gast im Studio ist der Liedermacher Joost Panneslowski aus Leipzig. Herr Panneslowski …“, „Joost bitte …“, „…ja, Herr Panneslowski, Du bist ja einer der progressiven neuen deutschen Liedermacher. Wie kam es dazu?“

Einschub: Wenn ich das Wort „Liedermacher“ schon höre, dann kräuseln sich mir die Fußnägel. „Liedermacher“ ist so ziemlich das erste Woke-Wort der deutschen Sprachgeschichte. Ich bin mir nicht sicher, ob Hannes Wader, Volker Lechtenbrink oder Reinhard Mey für sich in Anspruch nehmen können, die ersten offiziellen „Liedermacher“ Anfang der 70er Jahre gewesen zu sein.

Morgens in seiner Liedermacherwerkstatt

Ein Typ, der sich ein Lied ausdenkt, ist ein Komponist. Einer, der es mit Text versieht, ist ein Texter. Und der, der es singt, ist der Sänger oder, wie es so schön hochtrabend heißt, der „Interpret“. Auf Schallplatten stand früher: „Musik: XY, Text: YZ.“ Niemals, wirklich niemals stand da „Gemacht von XY.“ Und genau hier kommt der Liedermacher ins Spiel. Der Liedermacher ist sozusagen der Allrounder in der Unterhaltungsbranche. Nicht nur, dass er nicht komponieren kann, er kann auch sehr selten mit Worten umgehen und singen kann er schon gar nicht. Er redet eher so über die handgeklöppelte Musik drüber. Aber, wichtig, es muss irgendwie „sozialkritisch“ sein. Sonst gilt es nicht.

Außerdem habe ich bei dem Wort „Liedermacher“ diese Vorstellung, wie der Liedermacher morgens in seine Liedermacherwerkstatt geht. Da hat er dann einzelne Töne und Akkorde und Wortfetzen herumliegen und steht dann so erst einmal ratlos vor seiner Wandergitarre:

„Hmmm, ich hatte doch gestern noch so ein paar hübsche Worte herumliegen … Wo hab´ ich denn … Ah, da: 'Rassist', 'Willi', 'Ausländer'… Wenn ich jetzt hierzu noch diese beiden hübschen A-Moll-Akkorde … Ah, passt nicht … Nehmen wir noch 'Blumen' dazu und 'Umwelt'… Mist. Reimt sich nicht. Aber muss ja auch nicht. Vielleicht hier noch den E-Dur … Doch, ja, es wird, es wird …“

Und zum Schluss hat er dann ein Lied gemacht, der Liedermacher. Und dann „homs den Willi derschlogn“… Zu recht!

Es ging garantiert nicht um die Schönheit des Kapitalismus

Aber zurück zu Joost. Eigentlich hätte ich wieder den Sender wechseln sollen, denn wenn das schon so losging, dann konnte auch nichts Besseres nachkommen. Aber es war wie bei einem Streit in der Nachbarschaft: Man will nicht hinhören, tut es aber dann doch. Deswegen lauschte ich dann Joost mit Doppel-O, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte:

„Ja, also, das Singen und Liedermachen ist mir ja eigentlich schon in die Wiege gelegt worden (wo es besser geblieben wäre), mein Vater war Minnesänger im Arbeiter-Chor des Maschinenbaukombinats Ernst-Thälmann-und-Rosa-Luxemburg-und-Wilhelm-Pieck-und-außerdem-Otto-Grotewohl und meine Mutter wollte unbedingt, dass ich im Thomaner-Chor singe …“ „Was dann aber nicht geklappt hat…“, ergänzte der sanftstimmige Moderator und hakte nach: „Hatte das politische Gründe?“ „Nein“, entgegnete der Joost erschreckend ehrlich, „ich hatte keine schöne Stimme. Ich aber beschloss, Liedermacher zu werden.“

Es gibt Dinge, die sind unverzeihlich. Ich schwor mir, „die schönsten Weihnachtslieder des Thomanerchores“ nie wieder anzuhören. „Eine gute, eine prägende Entscheidung“, bemerkte der Sanftstimmenmoderator, „denn das ermöglichte Dir ja das Sich-Selbst-Entdecken und führte schließlich zu Deiner Karriere …“ „Oh ja“, ohjate der Joost, „… vor allem konnte ich Gesellschaftskritik ohne die Einschränkungen durch Arbeit- oder Auftraggeber üben!“

Ich sah durch die Lachtränen nichts mehr

„… und ohne die Einschränkung durch Verkaufszahlen“, ergänzte ich laut im Auto. Ich war neugierig, worüber der Joost denn so schröcklich gesellschaftskritisch Lieder machen würde, obwohl ich es mir denken konnte. Es ging garantiert nicht um die Schönheit des Kapitalismus. Und ich hatte Glück! „Wir hören mal in Dein mit der Christian-Klar-Gedächtnismuffe ausgezeichnetes Miststück 'Wenn ich in die Sonne seh...'“, drohte der Moderator. Und ehe der Joost oder ich ihn hindern konnte, erklangen zwei schätzungsweise E-Moll-Akkorde und Joost hob an zu knödeln:

„Wenn ich in die Sonne seh, und wenn ich auf dem Radweg geh, dann frag ich mich auf Wald und Wiesel, warum fahren alle Diesel“ oder so. Der zweite Vers, ähnlich subversiv und knackig gereimt: „Wo sind alle Blumen hin, im Westen und in Ostberlin, wir wollten Freiheit, keine Deppen, jetzt stehen sie auf Reichstagstreppen“, leitete dann über zu einem schmissigen Refrain in Marschtempo. „Es tut so weh. So weh wie Schnee, sie wählen heute CDU („Na klar hast Du da den Reim verkackt, Du Null!“, brüllte ich dazwischen), die, die damals mit uns sangen und um den Sozialismus rangen...“ und dann musste ich anhalten, weil ich durch die Lachtränen nichts mehr sah. Joost konnte tatsächlich nicht singen und ich werde es den Thomanern nie verzeihen, dass sie den Joost lediglich abgelehnt und nicht auf der Stelle gelyncht haben.

Ich habe dann umgeschaltet, in der Hoffnung, auf irgendeinem Sender einen Nachbarschaftsstreit zu empfangen, weil ich das gegenseitige Anbiedern der beiden schwer intellektuellen Weihrauchfass-Schwenker nicht mehr mitanhören konnte. Drüben, auf der Kulturwelle, lief Bachs „Italienisches Konzert“ in der Version des Schreckenskammerorchesters Wildeshausen, umgeschrieben für zwei Panflöten, drei Arschgeigen und ein Schifferklavier unter der Leitung von Erwine Hoppenstedt-Halmackenreuther nach dem fünften Korn. Allemal besser als das, was Joost je geliedermacht hat.

Von Thilo Schneider erschien soeben in der Achgut-Edition eine Satire für dunkle Zeiten: The Dark Side of the Mittelschicht.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Ellen Vincent / 15.11.2020

Einfach nur herrlich! Danke, Herr Schneider! Tränen gelacht, Gott sei Dank nicht im Auto.

Mathias Rudek / 15.11.2020

Seien sie bitte ganz ehrlich verehrter Herr Schneider, lag die Initialzündung beim Hören von Deutschland Kultur. Der Sender hatte mal soviel Potenzial, heute sucht die Redaktion Nazis und Rassismus in jedem Winkel, GEZ finanziert, versteht sich.

Hans-Peter Dollhopf / 15.11.2020

“Wenn ich das Wort „Liedermacher“ schon höre, dann kräuseln sich mir die Fußnägel.” Herr Schneider, der westdeutsche Liedermacher als eine der vielen kulturellen Missgeburten der 68er-Bewegung ist räumlich wie zeitlich ein begrenztes Phänomen, das fast immer assoziiert ist mit der DKP. Der Liedermacher Wolf Biermann entzog sich diesem Schicksal, indem er 1953 noch rechtzeitig, Monate vor Horst Kasner, sang- und klangvoll von Hamburg in die SBZ abtrieb, um dort anschließend scharfe Kritik zu verliedermachen. “Biermann erzählt den Besuchern in der Schlange, was er von Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt hält, nämlich nicht viel”, schreibt profipress(.)de anlässlich einer Veranstaltung der Lit.Eifel 2017 im Zinkhütter Hof in Stolberg. Der stasiaffinen westdeutschen Liedermacherei fehlte immer der Zugang zum Savoir-vivre des französischen Chansons, also die Öffnung zur Welt. Sie war immer etwas Vertrocknetes. Einsamer Cowboy von der letzten Seite eines Comics. Sag mir, wo die zwischen Buchseiten gepressten Blumen sind, wo sind sie geblieben?

C. Kunz / 15.11.2020

Ich empfehle FALKliedermachers „Biomarkt“. Zu bewundern auf YouTube und wenn ich zufällig in die Nachrichten gerate schießt mir sofort der Refrain durchs vermuselte Hirn.

Wiebke Ruschewski / 15.11.2020

An Herrn Wecker musste ich auch denken. Und jawoll, ich bin auch kein Freund von “Liedermachern”. Wobei es Ausnahmen gibt. “Heute hier, morgen dort” von Hannes Wader finde ich noch ganz nett. Was den Nachbarschaftsstreit angeht, muss ich Ihnen zustimmen. In einem Hochhaus, in dem ich bis vor ein paar Monaten Flure und Treppenhaus gewischt habe, hat sich ein Paar regelmäßig und gut vernehmbar verbale Messerstechereien geliefert. Ich huschte immer mucksmäuschenstill und so schnell es ging an der Türe vorbei. Aber immer mit gespitzten Ohren, was die sich da so gegenseitig an den Kopp hauen. Da schwankte ich immer zwischen “weg hier” und einem gewissen Voyeurismus (wenn man das beim Hören auch so nennen kann). Mittlerweile sind die Beiden übrigens endlich getrennt.

Stefan Riedel / 15.11.2020

...„Es tut so weh. So weh wie Schnee, sie wählen heute CDU („Na klar hast Du da den Reim verkackt, Du Null!“, brüllte ich dazwischen).... Also einer der Oberliedermacher, Hannes Wader, wählt immer noch DKP (heute auch genannt die Linke( Arschbacke )) , so oberliedermachermäßig eben.

sybille eden / 15.11.2020

Danke Herr SCHNEIDER, also zumindest in Deutschland haben die Liedermacher eine tiefrote,kultur- marxistische Herkunft. Mir fallen da die Namen Dieter Süverkrup und Franz-Joseph Degenhart ein. Angeblich hat das alles seine Wurzeln in der “Arbeiterkultur”, aber nur in der Linken. Die christlichen Arbeiter sangen meistens in der Kirche, oder besoffen in der Kneipe. Halt, Moment,- nach linker Geschichtsschreibung gab es diese ja garnicht ! Es gab ja nur revolutionäres Proletariat. Alles in allem war das eine Propagandamasche der Linksparteien und Gewerkschaften, und von denen wurden die Troubadure auch bezahlt. In der DDR kopierte man dann schon in den 50er Jahren diese Masche mit kräftiger Anleitung der Partei. Man holte sich dann z.B. gescheiterte Existenzen wie den banjozupfenden,kommunistischen “Beute-Ami” Perry Friedmann ins Land, um den “Proletarischen Internationalismus” zu besingen und ähnlich unverdauliches. Wie gesagt ,alles ein Kunstprodukt sozialistischer Kulturbonzen mit einem erfundenen “Narrativ”. Hat zumindest in meinen damaligen Kreisen in der DDR keine Sau interessiert.

Hans-Ullrich Hendriks / 15.11.2020

Leider alles nicht mehr zeitgemäß, Herr Schneider! Der Liedermacher heißt doch neudeutsch längst SingerSongwriter. Und wer kennt noch Christian Klar, geschweige denn die Muffe, mit der heute so viele gebufft sind? Trotzdem köstlich amüsiert.

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