Wolfram Weimer / 24.06.2018 / 14:00 / Foto: Harald Bischoff / 11 / Seite ausdrucken

Der Libero der Anti-Merkel-Bewegung

Im Kanzleramt hört man, dass Angela Merkel in ihrem Machtkampf mit der CSU weder Horst Seehofer noch Markus Söder am kritischsten beäugt. Sie hält Landesgruppenchef Alexander Dobrindt für ihren gefährlichsten Widersacher. Damit könnte sie richtig liegen. Denn Dobrindt verkörpert den Libero der Anti-Merkel-Bewegung in der Union.

In der CDU sind viele Widersacher in parteilicher Loyalität oder in Kabinettsdisziplin gefangen. In der Union haben sie von Volker Kauder bis Volker Bouffier, von Seehofer bis Söder einiges zu verlieren, falls die Macht- und Wahlkämpfe des Jahres 2018 missraten sollten. Alleine Dobrindt ist wirklich frei und doch mächtig in seiner Position. Er agiert aus strategischem, langfristigem Kalkül, kombiniert Machtwillen mit Intelligenz und kann kühl auf Zeit und Ziel spielen – alles bislang eine Domäne der Kanzlerin. Das wittert sie und darum hat sie ihn genau im Blick. Denn in der Politik geht es häufig darum, wer die größere Angst vor dem anderen hat. Und Merkel weiß, dass Dobrindt vor ihr einfach gar keine mehr hat.

Dobrindt hat die CSU-Landesgruppe, die unter seiner Vorgängerin Gerda Hasselfeldt als sanfter bayerischer Streichelzoo für Merkel schnurrte, zu einer widerborstigen, merkelkritischen Truppe formiert. In der Fraktion wird scherzhaft und nicht ohne Respekt von Dobrindts “schwarzem Block” gesprochen, der die Unionsfraktion zusehends aufmische.

Doch der Landesgruppenchef ist nicht nur Strippenzieher und Machtorganisator. Er ist auch zum inhaltlichen Stichwortgeber seiner Partei geworden. Mal schreibt er Grundlagentexte zum modernen Konservativismus und löst damit eine deutschlandweite Feuilletondebatte aus, dann kommentiert er unter dem Gejaule der Sozialdemokratie die SPD-Debatten als “Zwergenaufstand”, schließlich führt er Provokationsvokabeln wie die “Anti-Abschiebe-Industrie” in die Debatte ein. Er ist mächtig und deutungsmächtig zugleich. Und wenn er den akuten Machtkampf verbal weitet und nun eine “tiefe Vertrauens- und Rechtskrise” in der Bevölkerung diagnostiziert, dann kann die Republik fest damit rechnen, dass das in den kommenden Wochen politisches Gemeingut wird.

Im absolutistischen Machtgefüge der CSU ist mittlerweile ein Triumvirat entstanden. Seehofer, Söder und Dobrindt bilden das unumstrittene Machtzentrum der Partei. Und wo zwei Könige herrschen, da gibt der Dritte, Dobrindt, die Rolle, die weiland ein Kardinal Richelieu im absolutistischen Frankreich innehatte – als der Mann, bei dem im Hintergrund die Fäden der Macht zusammenlaufen.

Sie fühlen sich buchstäblich so im Recht wie nie

Im Streit mit Merkel ist das Trio derzeit ungewöhnlich einig. Alle drei sind gleich stark motiviert und entschieden, jetzt die Wende in der Asylpolitik Deutschlands wirklich herbeizuführen. Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber verwies am Montag auf der Vorstandssitzung in einer leidenschaftlichen Rede darauf, dass dieses Triumvirat derzeit bemerkenswert geschlossen und überzeugend und also sehr durchsetzungsstark sei. Vor allem wissen sie die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite. Dobrindt knüpft derweil in Berlin Hinterzimmerallianzen mit Jens Spahn und Christian Lindner, er kann sogar mit Andrea Nahles erstaunlich gut und bereitet das Terrain für neue Regierungskonstellationen der Zukunft.

Darum sollte man den Worten Dobrindts dieser Tage genau lauschen. Denn dann wird klar, dass die CSU diesmal vor der Kanzlerin nicht mehr umfallen wird, nicht mehr umfallen kann, will sie die Landtagswahlen im Herbst nicht dramatisch verlieren. Sie wird ihren Kurs durchsetzen, koste es die Kanzlerin das Amt.

Dobrindt argumentiert aus einer fundamentalen Überzeugung, dass das politische Selbstverständnis der Republik ins Wanken geraten sei. Das Recht sei durch ein willkürliches Grenzregime für alle sichtbar gebrochen, der Staat in seiner Integrität verletzt und die Stimmung im Bürgertum weiträumig verunsichert: “Nahezu jeden Tag erreichen die Bürger Nachrichten, die sie in ihrer Einschätzung bestätigen, dass wir die Lage nicht im Griff haben und teilweise eklatante Systemfehler bestehen.” Die Volksparteien verlören durch eine naive Migrationspolitik dramatisch an Respekt, wo doch schon Richelieu weiland warnte: Die Politik muss nicht geliebt, aber unbedingt respektiert werden.

Dobrindt sieht die immer weiter steigenden Umfragewerte der AfD als letzte Alarmsignale, dass die Volksparteien endlich reagieren müssten. Und so werden er und die CSU sich nicht darauf einlassen, falls Angela Merkel sie am 1. Juli mit weiteren Hinhaltungen, Europa-Beschwörungen oder einem Richtlinienentscheid ausbremsen will. Sie fühlen sich buchstäblich so im Recht wie nie. Und für die Wiederherstellung des Rechts kann es keinen Richtlinienentscheid geben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 24.06.2018

Danke für die kostenlose Veröffentlichung von Wolfram Weimers aktuellem Schnappschuss von bayerischen politischen Elementarteilchen. Aus dieser Aufnahme wird wohl erkennbar, dass Alexander Dobrindt an Franz Josef Strauß niemals heranreichen könnte. Die Nationalmannschaft dieser Republik sind wir selbst! Die Linke und die Grünen sind bereits ausgemacht fanatische Anhänger anderer Mannschaften. Wenn die CSU also tatsächlich unser Fanklub werden will, dann werden wir das ganz bestimmt gebührend zu würdigen wissen.

Ulla Smielowski / 24.06.2018

Danke für die umfassende Aufklärung. Man kann ja als Leserin, Bürgerin nicht alles selbst machen..

Joachim Lucas / 24.06.2018

Ich hoffe, Sie gehalten Recht mit Ihrem Artikel. Ich sehe kein einziges Politikfeld in D, wo nicht absolutes Versagen stattfindet. Der Zeitgeist ist frei von jeder Vernunft, Menschenkenntnis und jeglichem wirtschaftlichen Sachverstand. Der Zustand der politischen Eliten ist nicht mehr in Worten zu fassen. Wir haben verlernt, was große Krisen sind, wir werden es bald wieder lernen. Wird das alles realisiert, was diese ungelernten Fantasten planen, kann man schon mal nach Venezuela schauen. Ob die CSU daran was ändern kann, wage ich gar nicht mehr zu hoffen. Und mit der sachverständigen aber aussätzigen Paria-AfD spricht ja niemand. Das ist einfach nur Harakiri.

Karla Kuhn / 24.06.2018

“Das wittert sie und darum hat sie ihn genau im Blick. Denn in der Politik geht es häufig darum, wer die größere Angst vor dem anderen hat. Und Merkel weiß, dass Dobrindt vor ihr einfach gar keine mehr hat.!  Wahrscheinlich hatte er auch noch nie “Angst” vor dieser Frau. Gott sei Dank Er hat eben, noch die berühmten “Eier” in der Hose. Chapeau. Damit wird er es hoffentlich weit bringen. Abgesehen davon hat Merkel so viele Baustellen, daß ihre (trüben?) Augen kaum noch zur “Beobachtung” taugen.  Und eine neue Stasi ist zum Glück noch nicht in Sicht und wird es hoffentlich auch nicht.  “Er agiert aus strategischem, langfristigem Kalkül, kombiniert Machtwillen mit Intelligenz und kann kühl auf Zeit und Ziel spielen – alles bislang eine Domäne der Kanzlerin.”  Bislang eine Domäne der Kanzlerin ?? Merkel und langfristig ? Mit Intelligenz ?? Für mich nur mit Machtwillen und nur soviel Kalkül , was zur Machtuntermauerung benötigt wird.  “Sie wird ihren Kurs durchsetzen, koste es die Kanzlerin das Amt.”  Dann soll sie schnell machen, um so eher ist sie weg vom Fenster. “Und für die Wiederherstellung des Rechts kann es keinen Richtlinienentscheid geben.”  Das sagt sogar das Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4. “(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben ALLE Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.”

Rüdiger Kuth / 24.06.2018

Ich will mal hoffen, dass Herr Weimer mit seiner Einschätzung richtig liegt….

Chr. Kühn / 24.06.2018

>>Sie wird ihren Kurs durchsetzen, koste es die Kanzlerin das Amt.<< Leider habe ich nicht Ihre Zuversicht. Mir macht ein weiterer “Deus-Ex-Machina-Moment” fuer die Uckermaerkerin grosse Sorgen…

Elke Albert / 24.06.2018

Da musste erst eine bayerische Landtagswahl anstehen, damit den CSU-Granden der andauernde Rechtsbruch und Kontrollverlust “auffällt”...Warum ist das nicht bereits 2015 passiert?! - Daher: wenig glaubwürdig das Ganze! - Und nach der Wahl? Wieder Kuschelkurs mit Merkel? Alles nicht so gemeint gewesen?! Ich möchte darauf wetten…es wird sich NICHTS ändern. Man sich auf keinen Fall auf das Geschwurbel derer verlassen, die viel zu verlieren haben! Wählt meinet wegen die “Grauen Panther” oder sonstwen, aber watscht die Alt-Parteien endlich ab. ALLE MITEINANDER!

Judith Hirsch / 24.06.2018

Merkel agiert wie Kapitän Ahab. Die eigenen Dämonen zur allgemein gültigen Maxime erklären und dabei die ihr anvertrauten Schutzbefohlenen mit in den Untergang reißen.

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