Seit sich das griechische Parlament nicht auf einen Staatspräsidenten einigen konnte und Neuwahlen im Ursprungsland der Demokratie anstehen, wird wieder ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone diskutiert. Diesmal jedoch nicht nur bei einigen Abweichlern und Mahnern, sondern auf höchster Regierungsebene. Man könnte meinen, Bernd Lucke und seine AfD sind an genau jenem Ziel angekommen, mit dem die AfD sich einst gegründet hatte. Der heilige Furor, den die AfD bei fast allen politischen Lagern ausgelöst hatte, scheint darauf zurückzuführen, dass das Böse das Gute zur falschen Zeit ist.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die AfD, würde sie sich nur auf das europäische Währungsthema versteifen, recht bald unattraktiv für die Wähler werden würde. Die Tatsache, am Gründungsziel halbwegs angekommen zu sein, wird dem eher wirtschaftsliberalen Flügel der AfD um Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel beim in Kürze anstehenden innerparteilichen Showdown zum Verhängnis werden. Man muss ebenfalls kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass der nationalkonservative Flügel um Konrad Adam, Alexander Gauland und Beatrix von Storch, aufgepumpt mit der Schubkraft der Pegida-Bewegung, die wirtschaftsliberalen Kräfte hinwegfegen wird. Egal ob man dafür oder dagegen ist, aus parteibildender Sicht ist es das, was man ein sinnvolles Kundenbindungsprogramm nennen könnte. Denn Wähler für eine Partei rechts der nach links gerückten CDU gibt es inzwischen zur Genüge.
Spätestens mit der Pegida-Bewegung ist deutlich geworden, dass auch in Deutschland ein nicht unerhebliches Potential existiert, das von den etablierten Parteien nicht mehr begriffen und bedient wird. Seit die FDP aus dem Bundestag gewählt wurde und sich die CDU unter Merkel der grün-urbanen Wählerschaft andient (und damit die einzig verbliebene Partei in Deutschland wurde, die noch an Wahlergebnisse einer Volkspartei herankommt), ist die nationalkonservative Flanke der Gesellschaft verwaist. Ehemalige Parteigranden wie Alfred Dregger (CDU) und Alexander von Stahl (FDP) schafften es noch, die Klientel der Nationalen, Preußenfreundlichen und Konservativen an ihre Parteien zu binden. Selbst als die Vertreter dieser Klientel in beiden Parteien nur mehr als gelittener Randflügel existierten, besaßen sie doch noch einen wählerbindenden Nimbus, über den die Parteienentwicklung und der Zeitgeist inzwischen hinweggegangen sind.
Zeiten Großer Koalitionen sind immer auch Zeiten der außerparlamentarischen Opposition. Warum also sollte die Geburtsstunde der linken APO 1966 historisch anders bewertet werden als die Geburtsstunde einer rechten APO 2013? Vor allem: so wie die linke APO eine Antwort auf die Biedermeier-Zustände der Bundesrepublik noch in den 60er Jahren war, so ist die rechte APO heute eine Antwort auf den eklatanten Linksdrift des gesamtdeutschen Establishments des letzten Jahrzehnts. Das kann man beklagen. Darüber überrascht zu sein, würde bedeuten, die Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland, aber auch bei unseren europäischen Nachbarn übersehen zu haben. Oder sitzt der Glaube an einen deutschen Sonderweg so tief, dass nur die Deutschen vor lauter Güte und Einsicht niemals nicht auf Rechtsnationales und Law-and-Order-Forderungen rekurrieren würden?
Das allenthalben kolportierte Narrativ zu Pegida lautet, dass die Männer und Frauen, die in Dresden auf die Straße gehen, zumeist Verunsicherte sind, die auf die komplizierten Verhältnisse einer globalisierten Gesellschaft einfache Antworten suchten. Das mag sogar sein. Was jedoch mindestens genauso festzuhalten ist: viele Meinungsbildner suchen auf die komplizierten Verhältnisse der Pegida-Anhänger ebenfalls einfache Antworten.
Die Inbrunst, mit der gegen Pegida vorgegangen wird, lässt auf eine tiefe Verunsicherung seitens der linken und liberalen Gesellschaftskräfte schließen. Das tradierte westdeutsche Parteiengefüge erodiert. Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass viele Reaktionen auf Pegida getragen werden von einer westdeutschen Arroganz den Ostdeutschen gegenüber. So verwundert es nicht, dass es beim Hochkochen der Pegida-Bewegung vor allem die traditionell im Osten starke Partie Die Linke war, die in ersten Reaktionen mit Verständnis und sogar Eigenkritik vor die Kameras trat. Noch am 16.12.2014, lange vor der CSU, warb Petra Pau dafür, Pegida durchaus ernster zu nehmen.
Eines sollte man trotz aller vermeintlichen Unterschiede zwischen Die Linke und Pegida nicht vergessen: die Wut der Verunsicherten und das Misstrauen gegen das Establishment vereint erhebliche Teile beider Seiten. Es ist davon auszugehen, dass, ähnlich wie beim Phänomen AfD, auch Wähler von Die Linke bei Pegida mitlaufen, allen offiziellen Beteuerungen der linken Parteispitze zum Trotz. Entfremdung der Arbeit, der Region und all der anderen individuellen Bezugspunkte sind nur das linke Pendant zu dem, was Rechte dann gerne als Überfremdung ausrufen.
Es sind große Teile der im öffentlichen Diskurs nicht-Gehörten, die offen sind für eine Abkehr vom Westen, für Russland-Sehnsucht, platten Antiamerikanismus und jegliche Form der Verschwörungstheorie, sei es die Finanzmärkte oder die Juden betreffend. Dieses Amalgam konnte man bisher bei den linken Gesellschaftskräften am deutlichsten wahrnehmen. Nun werden wir Zeuge, wie sich unter Einschluss dieses Amalgams eine neue rechte Kraft formiert.
In dem Brandbrief der national-konservativen AfD-Kräfte um Alexander Gauland an Bernd Lucke heißt es, dass die Partei geöffnet werden solle für „Menschen, die eine islamische Überfremdung fürchten“ und für solche, die über “den Einfluss amerikanischer Banken auf die Politik oder die Souveränität Deutschlands nachdächten“. Daher verfolgt ein Jürgen Elsässer Pegida und die AfD genauso mit Frohlocken wie eine Eva Herman. Das beredte Schweigen, das die Pegida auf ihren Demonstrationen walten lassen, weist dem dann doch gesprochenen Wort eine erhebliche Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund kann ein letzten Montag in Dresden auftretender Redner wie Udo Ulfkotte, der seinen Ruf als ehemaliger FAZ-Journalist mit verschwörungstheoretischem Unsinn ausschlachtet, nur als allerschlimmstes Zeichen gewertet werden.
Dennoch: als ab März 2014 eine linke Phalanx von Populisten und Verschwörungstheoretikern jeden Montag ihre Friedensmahnwachen abhielt und so illustren Persönlichkeiten wie Dieter Dehm und Xavier Naidoo mit ihren politischen Quatschansichten ein Podium bot, wurde das zumindest in der interessierten Öffentlichkeit zwar wahrgenommen, aber hinter dem behaglich-etablierten Ofen hat das keinen hervorgelockt. Und verängstigt war schon gar keiner.
Das ist bei Pegida, bei denen es durchaus inhaltliche Überschneidungen mit den Montagsmahnwachen gibt, völlig anders. Hier scheint ein wunder Punkt unserer linksliberalen Gesellschaft getroffen zu sein, ganz so als würden Welten ins Wanken geraten, wenn sich nicht nur linke Spinner und Verwirrte zusammenschließen, sondern verunsicherte Kleinbürger, die sich in ihrer Zu-kurz-Gekommenheit gerne als Opfer des Establishments gerieren. Viele scheinen zu befürchten (oder auch zu ahnen), dass die verändernde und revolutionäre Kraft des sei es noch so kleingeistigen Bürgertums erheblich größer ist als die der Berufsrevolutionäre.
Und da ist etwas dran.
Die Berufsrevolutionäre, das wissen wir inzwischen, werden nie zu einer umstürzlerischen Bewegung anwachsen. Dazu fehlt ihnen die populistische Einfachheit und die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse der Menschenmassen einzugehen. Berufsrevolutionäre lieben es, zu theoretisieren und irgendeine Utopie und abstrakte Bestimmung für wichtiger zu nehmen als die tatsächliche Beschaffenheit. Das Bürgertum in Deutschland dagegen kennt nur einen vornehmlichen Wunsch: Sicherheit.
Der Wunsch nach Sicherheit ist eine retardierende Gesellschaftskraft, die von vielen als reaktionär wahrgenommen wird. Andererseits sollte man nicht verkennen, dass der Zwang zur Offenheit oftmals als fatales Diktum zur Anwerbung ausschließlich billiger Arbeitskräfte erscheint. Noch immer vereitelt Norbert Blüms Lüge von den sicheren Renten einen Blick auf die Realität. Denn eines ist sicher: die Renten sind in akuter Gefahr, sofern Deutschland nicht gut auszubildende und ausgebildete Nachkommensgenerationen ins Land holt. Hier sind so eklatante Fehler im Einwanderungsdiskurs und in der Einwanderungspolitik geschehen, dass es an Chuzpe grenzt, dass sich noch keine politische Partei dafür öffentlich entschuldigen musste.
In Deutschland ist das Gefühl der Sicherheit die wohl wichtigste Eigenschaft, die das Gemeinwesen seinem Bürgertum vermitteln muss. Geht dieses Gefühl flöten, wackelt das System, das immanent auf dem Bürgertum als erhaltender Kraft aufbaut. Ein desertierendes Bürgertum ist in der Tat gefährlicher als irgendwelche Studierten, die vom Weltsozialismus träumen, um sich dann systemimmanent NGOs als billige Arbeitskräfte anzudienen. So schlau ist die deutsche Demokratie inzwischen geworden, auch noch ihre Gegner gefällig einzubinden. Sie muss aber aufpassen, weite Teile des Bürgertums nicht zu verprellen und zu verlieren.
Wieder muss man kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass sich die politischen Verhältnisse in Deutschland stark verschieben werden. Das Spannende daran: wir sind Zeugen dieser Umwälzung und können mit unseren begrenzten Mitteln mitlenken. Das Verunsichernde daran: ganz genau wissen wir nicht, wohin die Reise geht. Die Leerstelle, die das Fehlen der FDP hervorgerufen hat (und die man in der Verweigerung der sonst üblichen CDU-Leihstimmen Angela Merkel höchstpersönlich anlasten kann), wird in Kürze von einer national-konservativen AfD ausgefüllt werden. Zu viele zeitgeistige Phänomene spielen ihnen dabei in die Hände.
Der Liberalismus, der es in Deutschland seit jeher schwer hatte und den schon die FDP in ihrer fortgeschrittenen Regierungsabnutzung nicht mehr repräsentieren konnte, wird für Jahrzehnte von der politischen Bühne verschwunden sein. Übrig bleiben ausschließlich nach mehr Staat und Gesetzen rufende Parteien, sei es aus sozialen Gründen, aus Gründen der inneren Sicherheit oder der Ökologie.
Das ist mehr als nur bedauerlich.
Markus Vahlefeld betreibt den Blog http://www.der-gruene-wahn.de