Wolfgang Meins / 03.02.2020 / 06:01 / Foto: Unbekannt / 98 / Seite ausdrucken

Der letzte Schrei: Schneeflöckchen-Sprech für Ärzte

Um die seelische Gesundheit von Ärzten scheint es nicht gut bestellt zu sein. Nicht ohne Grund beschäftigte sich der letzte Deutsche Ärztetag schwerpunktmäßig mit diesem Thema. Auch das Deutsche Ärzteblatt bringt in den letzten Jahren immer wieder entsprechende Artikel: „Ärzte fühlen sich zunehmend belastet und ausgebrannt“„Burn-out schon beim Nachwuchs“ oder auch – mit einem dezenten Hinweis auf eine Ursache der Malaise – „Ärztinnen berichten häufiger über Depressivität und Burn-out als Ärzte“. Geklagt wird dabei vorrangig über wachsenden Dokumentationsaufwand und Arbeitsverdichtung. 

Vor diesem Hintergrund einer offensichtlich ausbrennenden Nachwuchsärzteschaft verwundert es, dass im Deutschen Ärzteblatt auch noch für eine Erweiterung des ärztlichen Tätigkeitsspektrums getrommelt wird. Auf Grund des ihnen entgegengebrachten Vertrauens sollen sie „eine führende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen“ und sich neuerdings einer „sensiblen Sprache“ bedienen. Um das letztgenannte Anliegen voran zu bringen, stellte das Deutsche Ärzteblatt unkommentiert der einschlägigen Bloggerin und Diabetes-Patientin Antje Thiel immerhin drei Seiten zur Verfügung. Die Aktivistin kommt zwar ausgesprochen sanft und freundlich daher, aber im Kern geht es ihr um Sprachverbote beziehungsweise -gebote. Ihr Ziel ist, dass fortan die Ärzte sowohl über als auch mit Diabetes-Patienten nur noch im sensiblen Schneeflöckchen-Sound kommunizieren. 

Hier eine kleine Auswahl der empfohlenen kommunikationsverbessernden Maßnahmen: „Diabetiker“ seien künftig als „Menschen(!) mit Diabetes“ zu titulieren. Auch sollte keinesfalls weiter von „Diabeteseinstellung“ gesprochen werden, sondern von „Diabetesmanagement“, weil die Angelegenheit in Wirklichkeit zu komplex sei, um als bloße Einstellung durchzugehen. Begriffe wie „Compliance“ oder „Therapietreue“ würden gar nicht gehen, denn es handele sich doch um „gemeinsam erarbeitete Therapieziele“. Was soll man dazu sagen? Am ehesten vielleicht noch: Diese Sorgen möcht‘ ich haben!

Aber nicht nur das Sprechen mit oder Schreiben über Diabetes-Patienten verlange nach sprachlicher Zensur, sondern auch das interkollegiale Fachgespräch. So sei es „abwertend“, von einem „schwierigen (Diabetes-)Patienten“ zu sprechen. Politisch korrekt – oder wie die Autorin allen Ernstes meint: „empathisch“ – formuliert, wäre das vielmehr ein Patient, „der eine harte Zeit mit seinem Diabetes durchmacht“. 

So geht lupenreine Diskriminierung  

Zu diesem Unsinn ist dreierlei anzumerken. Erstens, geht es Dritte – egal ob Kollege oder Patient – überhaupt nichts an, auf welche Art und Weise sich zwei Ärzte vertraulich miteinander unterhalten. Wir fordern ja auch nicht, dass Patienten untereinander sich über ihre Ärzte nach den Regeln der sensiblen Sprache austauschen. Zweitens, beschreiben die beiden Formulierungen keinesfalls denselben Sachverhalt – ob ein schwieriger Patient auch gerade eine harte Zeit mit seiner Erkrankung durchmacht, können durchaus zwei Paar Schuhe sein. Drittens, kann auf eine solche Idee nur kommen, wer glaubt oder glauben will, es gebe keine schwierigen Patienten. 

Und genau darauf zielt natürlich das ganze Theater um die sensible Sprache auch ab: Bestimmte, den Sensiblen nicht genehme Tatsachen sollen sprachlich beschönigt, relativiert oder gleich ganz geleugnet bzw. umdefiniert werden – in der geradezu kindlich anmutenden Erwartung, dass sie damit auch aus der Realität verschwinden. Wer die Wirklichkeit trotzdem weiterhin auf den zutreffenden Begriff bringt, äußert sich dann eben unsensibel, abwertend und ohne Empathie. So geht lupenreine Diskriminierung.   

Es liegt mir fern, hier die Erzählung vom immer unproblematischen und gelingenden Arzt-Patienten-Gespräch zu verbreiten. Bei etlichen Kollegen ist da sicherlich noch viel Luft nach oben: Nicht immer wird der richtige Ton getroffen oder der Patient dort abgeholt, wo er sich befindet. Erschwerend kommt häufig hinzu, dass der Arzt nicht so viel Zeit hat, wie der Patient es sich wünscht. Wie bei anderen medizinischen Fertigkeiten gilt auch in puncto kommunikativer Kompetenz: Es gibt gute und weniger gute Ärzte. Wer glaubt, dass Ärzte, die nie von schwierigen Patienten sprechen, nun besonders gut oder eben empathisch seien, kann das gerne tun, sollte es allerdings besser für sich behalten, zumindest aber nicht die Leser des Organs der deutschen Ärzteschaft mit seinen Ansichten behelligen.   

Schwerer als eine Bloggerin auf Abwegen wiegt allerdings die Entscheidung der Chefredaktion des Deutschen Ärzteblatts, einen solchen Agitprop-Artikel überhaupt zu veröffentlichen. Um eine Verbesserung der kommunikativen Kompetenz der Ärzteschaft ging es den beiden Chefredakteuren, die im übrigen Nicht-Mediziner sind, dabei allenfalls vordergründig. Nach langjähriger Lektüre dieses Blattes habe ich den Eindruck, dass dahinter vielmehr die Absicht steht, die Ärzteschaft noch tiefer in den Sumpf des Kulturkampfes um politische Korrektheit ziehen zu wollen. Und man hat offenbar auch kein Problem mit dem Bestreben der Autorin, das Virus der politischen Korrektheit sogar in die berufliche Intimsphäre von Medizinern einschleusen zu wollen. Aber alles natürlich komplett sensibel und empathisch. 

Schlimmer geht immer

Man sollte sich da keinen Illusionen hingeben: Aktivistisch gesinnte Vorkämpfer für Patienten mit anderen Erkrankungen – etwa Bluthochdruck, rheumatoide Arthritis, Adipositas oder auch solche aus dem psychiatrischen Spektrum – werden nachziehen oder sind bereits am Ball, um spezielle sensible Umgangsformen auch für ihre Interessengruppe einzufordern. 

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden solche mit dem Zeitgeist segelnden Anliegen rasch und nachhaltig von dem großen Heer der Gleichstellungsbeauftragten aufgegriffen werden. Dann kämen zu Handlungsempfehlungen über den korrekten  Umgang mit Diversität eben noch einige Handreichungen dazu, in denen die Ärzte belehrt werden, wie mit einzelnen Patientengruppen und deren Angehörigen sensibel zu kommunizieren sei.

Ergänzend werden dann verpflichtende Schulungen angesetzt, vielleicht gar Arztbriefe stichprobenartig kontrolliert und Kollegen-, Patienten- oder Angehörigenklagen über nicht-korrekten Sprachgebrauch energisch verfolgt und sanktioniert. Dass dadurch die Belastungen vorzugsweise für Krankenhausärzte weiter ansteigen – geschenkt. Schließlich herrschen doch nun allenthalben Sensibilität und Empathie.               

Foto: Unbekanntvia Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Christoph Müller / 03.02.2020

Das Ärzteblatt kommt bei mir auf direktem Wege vom Briefkasten in die Rundablage.

Dr. Phil Omanski / 03.02.2020

@U. L. Kramer: Nun ja, die Liberalisierung der Psychiatrie in der Postmoderne hat als negative, und es gibt viele positive, Konsequenz dazu geführt, daß jene in die Außenwelt verlagert wurde und ihre Objekte Forderungen an die Realität stellen. Vermutlich wäre es richtig, psychiatrisch Auffälligen wieder an ihre Plätze der Unzurechnungsfähigkeit, auch und insbesondere gesetzlich, zu verweisen.

E Ekat / 03.02.2020

Ärzte? Auch nur Menschen, die dazugehören wollen. Ärzte fallen in der öffentlichen Wahrnehmung generell nicht durch kritische Distanz auf. Strategisch richtig ist es, deren enormes Vertrauenspotential, welches sie in der Bevölkerung genießen sich zu erschließen. Unsere Gleichschaltungs-Industrie hält sich bereits den Medienarzt Ekkehard von Hirschhausen. Ich kenne zwei Ärzte (eine Frau, ein Mann), welche dem Genderismus anhängen. Völlig freiwillig. 

Klaus Klinner / 03.02.2020

Nun ja, ich bin seit > 45 Jahren Arzt, meist in verantwortlicher Position, arbeite mit > 70 noch voll, bin laut meinen Fortbildungszertifikaten fachlich auf dem Laufenden und war noch nie wegen Burn-out arbeitsunfähig, im Gegenteil. Also wird es wohl eher an den Kollegen, denn am Beruf liegen. Junge Kollegen, die sich überfordert fühlen, haben schlichtweg den falschen Beruf gewählt.

Peter Holschke / 03.02.2020

Sprachpanschereien sind offenbar des Deutschen liebstes Kind. Nach 33 gab es Bestrebungen die Fremdwörter auszumerzen. Man lese auch LTI. Das sehr hässliche Tatsachen dann verlogen umschrieben wurden, ist bekannt. Die Sprachreformer in der Nazizeit waren dermaßen unaufgefordert fanatisch, dass man annehmen könnte, sie wollten sogar den Führer und Goebbels übertreffen. Sie haben aus der dritten Reihe unglaublichen Elan entwickelt, was kaum bekannt ist. Die Rechtschreibreform 1944 hätte unglaubliche Sprachänderungen enthalten. Die Schulbücher waren gedruckt, aber Hitler hat das dann wegen anderer Probleme abgeblasen. Diese Leute haben sich 1945 nicht alle erschossen, manche schon, und sind in die Nachkriegsgesellschaften eingetaucht. Es gibt da durchaus eine Kontinuität in den Versuchen durch Sprechverbote das Denken der Menschen zu beeinflussen.  Und klar, manchmal “fehlen einem die Worte”, man wird ” sprachlos” (gemacht). Ich würde diese Sprachpanschereien nicht als Kuriosum abtun.

Bernhard Maxara / 03.02.2020

Als Nichtmediziner gehe ich dennoch gern mit gutem Beispiel voran und bin bereit, Leute, die sich in besonderer Weise politisch betätigen, nicht mehr mit dem diskriminierenden Begriff “Aktivist/in” zu bezeichnen sondern wertneutral als “Menschen mit einem an der Klatsche”.

U. L. Kramer / 03.02.2020

Und ich dachte immer, solch sensible Sprache müsse man nur bei psychiatrisch auffälligen Menschen verwenden. Es ist doch ein Klischee, dass gerade Psychiater mit ihren Patienten besonders vorsichtig umgehen um diese nicht zu verunsichern und deswegen eine besonders vorsichtige Wortwahl an den Tag legen. Wieso bekommt man inzwischen den Eindruck, dass unser gesamtes Leben darauf ausgerichtet werden soll, eine Minderheit von Schneeflöckchen nicht zu verunsichern, während auf der anderen Seite immer mehr Menschen eine besondere Rohheit an den Tag legen? Leben wir also inzwischen doch in einer riesigen Freiluftirrenanstalt in der jedes falsch gewählte Wort eines Mediziners einen Aufruhr der Patienten zur Folge haben kann?

Ilona Grimm / 03.02.2020

@Michael Hofmann: Bei meinem Zahnarzt steht auf manchen Patient****karten das Kürzel „OS“; es bedeutet Oral-Sau.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfgang Meins / 05.03.2024 / 06:15 / 75

„Vielfalt macht uns stark“ – So klingen Durchhalteparolen

Die Zuwanderung in die Sozialsysteme geht ungebremst weiter und Kritik daran wird vom "Kampf gegen rechts" und der "Verteidigung der Vielfalt" übertönt. Doch was sagen…/ mehr

Wolfgang Meins / 12.02.2024 / 06:15 / 79

Bestellte Rassismusforschung

Der von Familienministerin Lisa Paus beauftragte Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor hat gravierende methodische Schwächen. Es entsteht der Eindruck, dass ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden sollte. Im Folgenden…/ mehr

Wolfgang Meins / 11.01.2024 / 06:15 / 97

Fehltage wegen psychischer Störungen auf Allzeithoch – Warum?

Nach einer aktuellen DAK-Analyse hat die Anzahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen – pro 100 DAK-Versicherten – von 2001 bis 2022 insgesamt um etwa den…/ mehr

Wolfgang Meins / 08.01.2024 / 14:00 / 28

Die Politik und die dunkle Persönlichkeit

Sowohl Psychopathie als auch Narzissmus geht einher mit einem überdurchschnittlich hohen Interesse an Politik. So weit, so gut. Problematisch ist dabei allerdings, dass Narzissmus negativ…/ mehr

Wolfgang Meins / 19.12.2023 / 06:00 / 44

Wie die Forschung muslimischen Antisemitismus totschweigt

Selbst in einschlägigen Wissenschaftseinrichtungen ist das Thema des muslimischen Antisemitismus – egal, welche Facette davon – kaum präsent. Das Thema wird aktiv beschwiegen, die Beschäftigung…/ mehr

Wolfgang Meins / 20.11.2023 / 06:05 / 69

Die Selbstverliebten im Politbetrieb

Wie kommt es, dass sich selbst offensichtlich minderbegabte Politiker unfassbar selbstbewusst geben? Da ist zum einen der „grandiose“ Typus, vorrangig gekennzeichnet durch ein starkes Streben nach…/ mehr

Wolfgang Meins / 21.10.2023 / 12:00 / 40

Klimaschutz und Migration - ein linksgrüner Zielkonflikt

Ein Dilemma für die selbsternannten Weltretter: Die unkontrollierte Massenmigration nach Deutschland verschlechtert signifikant die globale, vor allem aber die deutsche CO2-Bilanz.  Zielkonflikte gibt es zahlreiche, sei es…/ mehr

Wolfgang Meins / 15.07.2023 / 10:00 / 68

Wie glaubhaft ist der medizinische Klimaalarm?

Die EU hat den heutigen 15. Juli zum Gedenktag für Opfer des Klimawandels erklärt. Auch etliche Mediziner sind derweil dabei, vor den Gesundheitsrisiken der Klimaerwärmung zu…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com