Ulrike Stockmann / 11.07.2020 / 12:00 / 15 / Seite ausdrucken

„Es ist töricht, Religion auf Moral zu reduzieren.“

Der Schriftsteller und Kommunikationsberater Giuseppe Gracia hat seinen neuen Roman „Der letzte Feind“ veröffentlicht, einen Thriller, der im Vatikan und in Rom spielt. Ausgehend von rätselhaften Morden an Geistlichen, die sich am Rande eines Konzils ereignen, versucht ein atheistischer Journalist, den düsteren Geschehnissen auf den Grund zu gehen. Dabei offenbaren sich ihm Grabenkämpfe, die innerhalb der katholischen Kirche ausgefochten werden – und tödliche Folgen haben.

Im Interview verriet Giuseppe Gracia, der auch als Pressesprecher für Bischöfe tätig ist, inwiefern er aus dem Nähkästchen geplaudert hat, welche Konflikte tatsächlich innerhalb der katholischen Kirche bestehen, wie die Institution mit Skandalen umgehen sollte – und warum er glaubt, dass die große Tragödie der christlichen Spiritualität darin besteht, dass sie unter „institutionellem Geschwätz“ verschüttet ist.

Ein zentraler Punkt seines Thrillers sind die Umtriebe einer einflussreichen NGO, die es schafft, Mitglieder der katholischen Kirche in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Gespräch sagte er dazu:

„Das ist völlig realistisch und auch in anderen Organisationen selbstverständlich der Fall. NGOs haben überall etwas zu sagen, auch bei Regierungen. Die NGO im Roman ist jedoch auch ein Symbol. Es geht ja um einen geistigen Kampf – das Erbe Europas letzten Endes. Und die Grundfrage des Textes ist ja die: Kann eine Gesellschaft ohne Gott, die nur auf Effizienz, Globalisierung und Digitalisierung beruht, frei bleiben? Kann sie ohne Christentum und Judentum die Menschenwürde behalten? Die Progressiven empfinden, dass das Christentum weg muss. Und dann gibt es die anderen, die sagen: Fällt das Christentum, fällt auch die Würde. Und ich glaube beide Positionen sind stark im Roman ausgearbeitet und das ist auch wichtig, denn innerhalb der Kirche ist es genauso.“

„Wenn man am Anspruch scheitert, heißt das nicht, dass der Anspruch falsch ist“

Zum Streit innerhalb der katholischen Kirche darüber, inwiefern die Institution modernisiert werden sollte, meint Giuseppe Gracia:

„Ironischerweise sind die Progressiven in der Kirche auf der Seite des Staates, sie wollen immer mehr Einfluss beim Staat. Die progressiven Bischöfe wollen beispielsweise das Kirchensteuergesetz beibehalten und die Institution ausbauen: Möglichst viel Steuergeld und ein möglichst großer Apparat. Die sogenannten Konservativen, die „Bösen“ wollen die Religion privatisieren und weg vom Kirchensteuersystem. Weg von den Privilegien und hin zu einer kleineren, bescheideneren Kirche.“

Giuseppe Gracia ist es in seinem Roman gelungen, mittels seiner Figuren verschiedenste Haltungen zum christlichen Glauben zur Geltung kommen zu lassen. Auch in das Seelenleben von Geistlichen gewährt er den Lesern einen tiefen und nachvollziehbaren Einblick. Zum Widerspruch zwischen dem hohen Anspruch der christlichen Ethik und den zahlreichen Skandalen der katholischen Kirche sagt Gracia:

„Die Reduktion von Religion auf Moral ist töricht. Wenn man alles mit erhobenem Zeigefinger auf Moral reduziert, dann muss man sich nicht wundern, dass man gebasht wird, wenn man selber auch Leichen im Keller hat. Es würde der Kirche gut anstehen, weniger zu moralisieren und mehr von der Kernbotschaft zu erzählen. Es geht ja da in erster Linie um Gott und das ewige Leben (...)

Wenn man an dem hohen Anspruch scheitert, heißt das eben nicht, dass der Anspruch falsch ist. Wenn die Menschen schon schwach sind – ich auch, wir alle – dann lautet die Frage, ob wir etwas gewinnen können, wenn wir das Prinzip unserem Scheitern anpassen. Das ist nun wirklich der falsche Weg (...)

Die große Tragödie der christlichen Spiritualität ist, dass sie unter institutionellem Geschwätz versteckt ist. Darunter steckt aber ein Schatz. Leider sind die Perlen dieser Religion alle unter den alten Grabenkämpfen verschüttet worden. Im Buch habe ich versucht, das Dekante, Dubiose mit dem Schönen, Poetischen und dem Göttlichen zu verbinden.“

„Der letzte Feind“ von Giuseppe Gracia, 2020, Fontis-Verlag: Basel, hier bestellbar.

Foto: Giuseppe Gracia Ulrike Stockmann Thumbnail

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Hans-Peter Dollhopf / 11.07.2020

Das Volk macht jeden langen Tag nie etwas anderes, als sich zu reproduzieren. Von früh bis spät. Von der Wiege bis zur Bahre. Die Körperoberfläche eines jeden einzelnen dieser sieben Milliarden Körper ist überzogen mit Nozizeptoren. Reproduktion erfolgt ausschließlich als Erfahrung von Schmerz. Das Volk besteht ausnahmslos aus Sapiens sapiens, darum besitzt es Möglichkeiten! Es betäubt seinen Schmerz etwa mit Religion. Religion ist immer Opium des Volkes, egal, welche philosophischen Produktvarianten Institutionen emergieren.

Rolf Lindner / 11.07.2020

Wen meint Garcia mit den Progressiven in der Kirche? Doch nicht Marx und Bedford-Strohm, die dem rotgrünen Zeitungeist hinterher hecheln und dabei Gebote ihres angeblichen Gottes wie “Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.” missachten? Deren fortdauerndes Dasein ist allein Beweis genug, dass es keinen allmächtigen Gott gibt, sonst hätte er die Wort und Taten dieser beiden Heuchler schon längst gewogen und für zu leicht befunden.

sybille eden / 11.07.2020

” ironischerweise sind die Progressiven auf der Seite des Staates…..”  Ironischerweise ??? Müsste es nicht heissen “logischerweise ?”

Angelika Meier / 11.07.2020

“Die Progressiven empfinden, dass das Christentum weg muss. “: Wer das noch fordert, ist dumm. In Europa ist das Christentum schon längst weg. Gut in Deutschland machen die noch viel Geld. Aber ihre Macht ist gleich Null.

Ulla Schneider / 11.07.2020

Kleine Korrektur Frau Stockmann, die protestantische, welche? Die lutherische, die freie, die reformierte etc ? Nein sie ist nicht die mögliche Konsequenz. Das wären die Altkatholiken, in diesem Sinne zum Ursprung zurück.

Andreas Müller / 11.07.2020

Vielen Dank für das interessante Interview. Bemerkenswert ist vor allem der Satz, daß christliche Spiritualität unter institutionellem Geschwätz versteckt ist. Das heißt, sie kann sich in einer Stille entfalten, in der Theolögelchen meist nur stören.

Dov Nesher / 11.07.2020

Das ist das Problem mit der Religion. Der Mensch versucht Gott gerecht zu werden. Was für eine Anmaßung! Die echte christliche Botschaft ist genau andersrum. Darum ist das Sytem Katholische Kirche zum Scheitern verurteilt.

Heiko Stadler / 11.07.2020

“Die schlimmsten Diktaturen, der rote und der braune Sozialismus, bekämpften die christliche Kirche.”  Das taten sie, weil der Sozialismus selbst eine Religion ist, die keine andere Religion neben sich duldet. Noch viel schlimmer als keine Kirche ist eine Kirche, die dem Sozialismus verfallen ist. Diese “Kirche”, die nur noch an den Futtertrögen des Regimes hängt, hat meiner Meinung nach jegliche Existenxberechtigung verloren.

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