Bahn-Verspätung auch beim Abschied vom Fahrplan?

Die Bahn wollte sich die Fahrplan-Aushänge aus Papier noch dieses Jahr sparen und rudert jetzt zurück, denn es gab Proteste. Warum ist an dieser Stelle ein kleiner Kulturkampf entbrannt? Wegen schmerzlicher Erinnerungen?

Eine kleine Vorbemerkung: Eigentlich ist der folgende Kommentar jüngst bei einer Zugfahrt entstanden, als die Nachricht die Runde machte, die Deutsche Bahn werde sich schon ab Dezember an den Bahnhöfen die Aushangfahrpläne aus Papier teilweise sparen. Die wären doch ein Anachronismus im digitalen Zeitalter. Auch wenn das wahrlich nicht das drängendste Problem ist, so sah ich doch auch einen gewissen Symbolwert in dem Thema und schrieb ein paar eher zeitlose Zeilen dazu.
Deshalb wanderte der Beitrag auch einen Freitagnachmittags-Platz. Wer konnte ahnen, dass die Bahn kurz vor Erscheinen des Textes zurückrudern würde. Jetzt, so war in den Nachrichten zu vernehmen, werde es vorerst weiter Aushangfahrpläne in gewohntem Umfang geben. Es hätte zu viele Proteste gegeben.
Nun bietet die Bahn heutzutage viele Gründe zum Protest, warum also hat es ausgerechnet wegen des Papierfahrplans einen kleinen Kulturkampf gegeben? Oder hat die Bahn jetzt einfach auch bei der Abschaffung des Papierplans einfach nur Verspätung?
Angesichts solcher Fragen ist auch der eigentlich inhaltlich überholte Text zum Teil immer noch aktuell, denn aufgeschoben ist in diesem Fall ganz sicher nicht aufgehoben:

Der gedruckte Fahrplan-Aushang wird abgeschafft. So werden die Reisenden nicht mehr mit Informationen über Züge verunsichert, die ursprünglich hätten fahren sollen.

Früher schaute der Bahnreisende am Bahnhof auf den ausgehängten Fahrplan, wenn er wissen wollte, wann genau und an welchem Bahnsteig sein Zug fährt. Heute schaut er online auf die Bahn-Seite oder am Smartphone auf die Bahn-App und hofft, in Echtzeit über die Verspätung und den Bahnsteig informiert zu werden. Insofern sind die papiernen Fahrplan-Aushänge vollkommen überholt, denn sie stammen aus einer Zeit, als es die Bahn merkwürdigerweise zumeist schaffte, auch wirklich am angegebenen Bahnsteig zur angegebenen Zeit abzufahren. Informationen über Verspätungen waren äußerst selten nötig und wurden im Falle eines Falles von vorhandenem Bahnhofspersonal angesagt. Selbiges konnte wie durch ein Wunder in vordigitaler Zeit auch kompetente Auskünfte über Anschlüsse und Ausweichverbindungen geben. Für die Jüngeren: Ja, liebe Kinder, das stimmt wirklich, auch wenn der alte Mann, der das hier schreibt, Grimm heißt, so will er Euch keine Märchen erzählen. 

Etwas Märchenhaftes hat der gedruckte Fahrplan heutzutage dennoch. Wenn der Fahrgast bislang entgeistert auf sein Telefon schaut, weil ihm dort die Bahn-App mitteilt, wie lange es noch dauern wird, bis wieder mal ein Zug in Richtung des gewünschten Zielortes fährt. Bahnfahrer, die in einem solchen Falle argwöhnen, dass das ursprünglich versprochene Verkehrsangebot zu ihren Ungunsten ausgedünnt wurde, konnten sich mit einem Blick auf den gedruckten Fahrplanaushang vergewissern, wie begründet ihr Verdacht war. Der gedruckte Fahrplan war das dokumentierte offizielle Verkehrsversprechen dieser Aktiengesellschaft in hundertprozentigem Staatseigentum. Dies ist in Gefahr. Ab 15. Dezember 2024 soll es keine Ankunftspläne mehr in gedruckter Form geben, meldete u.a. RTL.

Ist es also Zeit, sich auf einen Nachruf vorzubereiten, weil die Bahn dann höchstwahrscheinlich einen Fahrplanwechsel später auch auf die gedruckten Abfahrpläne mit den gleichen Argumenten verzichten wird? „Reisende benötigen verlässliche Informationen in Echtzeit”, begründete die Bahn den teilweisen Tod des Fahrplanaushangs jetzt, wie es in Medienmeldungen heißt. Die Ankunftszeit und das Ankunftsgleis erfahre man am Bahnhof am zuverlässigsten über die Monitore, die Live-Ankunftstafeln oder die dynamischen Anzeiger direkt am Bahnsteig. Da die Papier-Aushänge von den Reisenden kaum genutzt würden, in der Datenpflege und im Druck jedoch hohen Aufwand verursachten, werde darauf verzichtet, hieß es weiter. 

Zeichen des Bahn-Versagens

Wie hat die Bahn eigentlich die Nutzung der gedruckten Papierfahrpläne gemessen? Es ist jedenfalls kaum logisch nachvollziehbar, bei einem angeblich so hohen Aufwand die gedruckten gelben Abfahrtspläne noch beizubehalten. Wahrscheinlich wird ihnen nur eine Gnadenfrist gewährt, damit das langsame Verschwinden dieses gedruckten Verkehrsversprechens nicht so auffällig ist. 

Natürlich schauen die Menschen heutzutage seltener auf den Papierplan, wenn sie die Informationen auch aufs mitgeführte Display bekommen. Doch dass die Reisenden Informationen in Echtzeit inzwischen benötigen, ist ein Zeichen des Bahn-Versagens. Denn wenn die Bahn in der Lage wäre, sich an ihre Fahrpläne zu halten, müsste niemand ständig nachschauen, ob und wann es der erwartete Zug schafft, die Wartenden am Bahnsteig zu erreichen. Wenn man das machen kann, ist es ja gut, aber wenn man es machen muss, ist es ein Armutszeugnis der Bahn. 

Es mag ja sein, dass die einen auch in Echtzeit informiert hat, wenn man vom plötzlichen Verschwinden, also Ausfall, eines Anschlusszuges erfährt, den die Bahn-App einem eine halbe Stunde zuvor noch versprochen hat. Und keiner ist da, der einem sagen kann, wie man stattdessen an sein Ziel gelangt, so wie es in vordigitaler Zeit noch war. Würde die Deutsche Bahn in ihrem Kerngeschäft gut funktionieren, würden nur Nostalgiker melancholisch über den Schritt räsonieren, weil alte Medien nun einmal verschwinden, weil neue ihren Platz einnehmen. Aber bei einem Niedergang und immer spürbareren Versagen im Kerngeschäft fühlt es sich an, wie das Verwischen von Spuren in die Zeit, als es selbstverständlicher Anspruch war, dass die Bahn die eigenen Pläne minutiös einhält.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Magnussen, Friedrich (1914-1987) Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de, Link

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Jörg Themlitz / 29.11.2024

Kurz vor Feierabend, aber der muss noch. In der DDR war das Kursbuch (alle Fahrpläne der Bahn) wegen Papiermangel schwer zu bekommen. Egal. Der begleitende Witz. Das Kursbuch bestand aus 800 Seiten. 300 Seiten Verspätungen und Umleitungen, 500 Seiten deutsche Wanderlieder. Ergänzend, DB stand in der DDR für “Die Bahn”, DR (vormals Deutsche Reichsbahn) stand für “Der Rest”. Alles lange her und meine Kinder sagen dann immer, ahh Opa erzählt vom Krieg. Ich habe letztens eine Fahrkarte gesehen 1. Klasse Berlin Wiesbaden und zurück 620,00 Euro. Was kostet ein Privatjet?

Jochen Lindt / 29.11.2024

Digitalisierung bedeutet bei Fahrplänen nun mal Manipulation.  Der gedruckte Plan kann mit der Realität verglichen werden, insbesondere rückwirkend und vorausplanend.  Dieses “Display” kann man zum Glück nicht ändern. Also beibehalten! Und zwar so lange wie möglich.  Die Kostenersparnis durch digitale Anzeigen ist ohnehin nur ein Mythos.

R. Nicolaisen / 29.11.2024

Ich habe kein Schmartfohn und will auch keines.

R.Lichti / 29.11.2024

Selbst 1944 hatte die Bahn ein gedrucktes Kursbuch. Häufig stand drin, “Zug verkehrt bis auf weiteres nicht”, “Zug fährt eventuell nicht”, “bitte an der Auskunft nachfragen”. Auch damals war man mit der “Weltrettung” in Anspruch genommen, auch damals stand man kurz vorm “Endsieg”.

Jörg Themlitz / 29.11.2024

Da haben Sie was falsch verstanden. In der vorherrschenden Planwirtschaft gibt es wie in der DDR Papierkontingente. Jetzt kam die Wahl dazwischen, welche leider sehr spät im Jahr am 23.02.25 stattfindet. Sobald die Stimmen ausgezählt sind, bekommt die Bahn die Stimmzettel, auf dener Rückseite schon die Fahrpläne gedruckt sind und kann diese aushängen. Kein Problem. Ich fahre ein oder zweimal im Jahr mit der Bahn. Also S-Bahn Berlin. Meine empirische Erkenntnis, die nicht isländisch zu lesenden Personen setzen ein besonderes Vertrauen in alte weiße Männer, Extremisten, AfD Wähler, Nazis was auch immer und deren alte Werte, Korrektheit, klare Aussage usw. Ich (alter weißer Mann) wurde bisher jedesmal um Unterstützung gebeten. Obwohl ich das Bahnsystem nicht mehr durchschaue, konnte ich immer helfen. Zurück zum Fahrplan auf Papier. Ein Nichtisländer fuchtelte mit seinem auskunfstfreiem Handy und der Frage an mich, ob der Zug von KW nach Potsdam da und da hält. Ich nahm ihn bei der Hand [sic] ging zum Papierfahrplan und las ihm vor, das der Zug an seiner gewünschten Station hält. Wenn der schon Staatsbürger ist, wählt der jetzt AfD. Weiters Argument für Papier. Erderhitzung: Das Handy stirbt spätestens bei 70 -90°C. Die Papiervernichtung beginnt mit “Fahrenheit 451”.

Gerd Heinzelmann / 29.11.2024

“Aber bei einem Niedergang und immer spürbareren Versagen im Kerngeschäft fühlt es sich an, wie das Verwischen von Spuren in die Zeit, als es selbstverständlicher Anspruch war, dass die Bahn die eigenen Pläne minutiös einhält.” Damals funktionierte es auch ohne Genickschuß oder Sprung über die Klinge. Oder viel schlimmer: Die zwangsverordnete Einladung von woken Bolschewisten zum Gemeinschaftssuizid. Wer kann es da gegen Adolf Nazi aufnehmen? Müßte schon ein Außenseiter sein.

Wilfried Cremer / 29.11.2024

Die Bahn verrottet, weil die ganze Knete für Willkommensknäste draufgeht.

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