Rainer Bonhorst / 24.03.2025 / 14:00 / Foto: K.I / 27 / Seite ausdrucken

Der kuriose Kanada-Konflikt

Kanada gilt als Amerika mit strikten Waffengesetzen und einer allgemeinen Krankenversicherung. Mit Donald Trump herrscht jetzt dicke Luft zwischen den beiden Zwillingen. Mit manch unerwarteter Begleiterscheinung: etwa patriotischer Gegenwehr. 

Der Deutsch-Amerikaner Donald Trump handelt gerne nach dem altdeutschen Motto „viel Feind, viel Ehr“. Er ist überzeugt – mal mit mehr, mal mit weniger Grund –, dass sein Land von nahezu aller Welt ausgenutzt wird. Diese Überzeugung treibt ihn nicht nur in einen Vielfronten-Wirtschaftskrieg, sondern auch in eine Auseinandersetzung der merkwürdigsten Art: USA gegen Kanada. Ein wahrhaft tragikomischer Nachbarschaftsstreit. Zwei alte und enge Freunde verpassen sich gegenseitig blutige Nasen.

Fände so eine Rauferei auf dem Schulhof statt, so wäre die erste Frage: Wer hat angefangen? In diesem Fall ist die Antwort klar: der kraftstrotzende Raufbold in Washington. Er hat die stolzen, aber eher bedächtigen Nordländer als Erster mit Tarif-Knüppeln bedroht. Begleitet von psychologischer Kampfführung, indem er die Kanadier, vor allem ihre politische Klasse, als nasty bezeichnete. Gleichzeitig will er sich die „widerlichen“ Kanadier als 51. Bundesstaat einverleiben. Den kürzlich ausgeschiedenen kanadischen Premierminister Trudeau hat er im Vorgriff darauf immer wieder als Gouverneur bezeichnet, ein Titel, den die Chefs der bisherigen 50 Bundesstaaten der USA tragen.

Das Ganze ist eine der rätselhaftesten politischen Auseinandersetzungen der jüngeren Geschichte. Sie spaltet eine Nachbarschaft, wie man sie sich besser bis vor kurzem nicht vorstellen konnte. Es war eine vielfach persönliche Freundschaft über eine freundliche Grenze hinweg. Wirtschaftlich sind Kanada und die USA so intim verbunden, als wären sie Zwillinge. Diese exemplarisch gute Nachbarschaft wuchs und gedieh, obwohl sich der südlichere Teil revolutionär von der britischen Krone trennte und die Nordländer ihren eigenen Weg in enger Verbindung mit dem britischen Mutterland einschlugen. Das ging anfangs nicht ganz glatt, aber die freundschaftliche Verbindung ist inzwischen rund zwei Jahrhunderte alt.

Mehr rotweiße Maple-Leaf-Flaggen als je zuvor

Es ist (war) eine gute Nachbarschaft trotz unterschiedlicher Entwicklung. Anders als in den USA blieben Englands Königinnen und Könige bis heute die nominellen Staatsoberhäupter des Nordens. Auch sonst entwickelte man sich nicht wie eineiige Zwillinge: Heute nennen kanadische Politiker ihr Land das europäischste Land außerhalb Europas. Dafür gibt es durchaus Belege. Auf einen simplen Nenner gebracht: Kanada ist Amerika mit strikten Waffengesetzen und einer allgemeinen Krankenversicherung.

Dieses europäische Element würde verloren gehen, wenn Kanada sich tatsächlich vor Donald Trump verneigen und sich als 51. Bundesstaat in die USA eingliedern würde. Allerdings könnten sich die MAGA-Amerikaner bei einer solchen Einverleibung auf fatale Weise verschlucken. Schließlich würde Kanada nicht als einzelner Bundesstaat bei Trump anklopfen. Das Land ist in der Fläche ebenso groß wie die USA, und es besteht selber aus zehn Bundesstaaten und drei Territorien mit ausgeprägtem Eigenleben. Käme es zur Verschmelzung, so bestünden die Vereinigten Staaten über Nacht nicht aus 51 sondern aus 63 Bundesstaaten. Und die politische Landschaft der USA würde ebenso über Nacht auf den Kopf gestellt. 

Aber das ist nur ein Gedankenspiel. Die 40 Millionen Kanadier denken nicht im Traum daran, sich von den 340 Millionen US-Amerikanern schlucken zu lassen. Sie wehren sich wirtschaftspolitisch mit allerlei Gegenzöllen in Richtung USA. Und sie wehren sich ganz persönlich: Amerikanische Produkte verschwinden aus den Supermärkten, weil die Kanadier sie nicht mehr kaufen. Urlaubsreisen in die USA werden massenhaft abgesagt, weil man statt nach Florida jetzt lieber gleich in die Karibik oder nach Mexiko fliegt. Der nationalstolze Donald Trump hat mit seiner Kanada-Politik dort ungewollt eine Gegen-Lawine an Nationalstolz ausgelöst. Heute wehen in Amerikas hohem Norden mehr rotweiße Maple-Leaf-Flaggen als je zuvor.

Kurz und gut: Die Kanadier, die von vielen US-Bürgern bisher ein bisschen herablassend als „nett“ bezeichnet wurden, zeigen sich von einer nicht ganz so netten Seite. Sie entschuldigen sich nicht mehr, wenn sie angerempelt werden, wie US-Bürger leicht schmunzelnd über ihre allzu höflichen nördlichen Nachbarn sagen. Sondern sie rempeln zurück. Weshalb sie plötzlich nicht mehr als nett und höflich, sondern als nasty bezeichnet werden. 

Es ist ein ungleicher Kampf, aber einer, der auch den US-Amerikanern weh tut. So verlockend die Bodenschätze des Nordlandes auf die südlichen Nachbarn wirken: Sie zu schnappen, ist kein Kinderspiel. Zumal sich die Kanadier in ihrer Not nach anderen Freundschaften umschauen. Zum Beispiel in Richtung Europa. Was für das europäischste Land Amerikas ja einen gewissen Charme hat. Auch Europa ist nicht abgeneigt, Donald Trump einen ehemals guten Freund mit reichen Bodenschätzen auszuspannen.

In der Politik spricht man von unerwarteten Folgen einer Entscheidung. Der merkwürdige Kanada-Konflikt ist in doppelter Hinsicht unerwartet. Er wurde unerwartet vom Zaun gebrochen, und die Kanadier wehren sich unerwartet frech gegen den Kraftprotz im Süden. 

 

Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.

Foto: K.I

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Leserpost

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W. Renner / 24.03.2025

Und Deutschland ist das Kanada mit den noch strikteren Waffengesetzen, wo man unbesorgt, mit einer gratis Kugel Eis in der Hand, nachts durch die Bahnhofsunterführung flaniert, unbeschwerte Stunden auf dem Weihnachtsmarkt geniesst und sich einzig Sorgen um die Waffengewalt in den USA macht?

Lucius De Geer / 24.03.2025

Zitat: “Heute wehen in Amerikas hohem Norden mehr rotweiße Maple-Leaf-Flaggen als je zuvor.” - Ob Bonhorst das wirklich überprüft hat? Schätze, der liest einfach nur die Mainstreampresse und gibt die steilen Behauptungen dort hier als eigene Erkenntnis wider.  Wer aus einem Ami mit Wurzen in D’land einen “Deutsch-Amerikaner” macht, der kann die USA nicht wirklich verstanden habe.

Elias Schwarz / 24.03.2025

Quebec ist näher an New-York, als an Calgary und Edmonton. Und Vancouver ist sehr weit von Ottawa, dazu aber sehr nah an Seattle. Ich verstehe also nicht, warum 51-er Staat und nicht Nr. 51 (Quebec - Ontario), 52 (Alberta und wo die Bären leben) und Nr. 53 mit einem schönen Namen Britisch-Columbia.

MarcusCato / 24.03.2025

Canada europäisch - höchstens in der Wokeness! Canada lässt nur Immigranten rein, die ihnen nützen. Der Arbeitsmarkt ist zumindest in dem für Akademiker interessanten Bereich für Menschen mit europ. Universitätsabschlüssen abgeriegelt. Und der ehemalige Snowboarlehrer und Gouverneur war zwar immer schön woke in seinen Wortspenden, hat sich aber um die europ. Erzählung vom menschengemachten Klimawandel nicht gekümmert. Und das gesamte Parlament hat einen alten ukrainischen SS-Mann mit standing Ovations begrüßt. Ich weiß nicht, ob wir uns soooo nahe stehen.

L. Bauer / 24.03.2025

Na ja, solche komischen Berichte liest man öfter zur Zeit. Haben alle irgendwie von einem anderen abgeschrieben. Viel Wahres ist nicht dabei. Zuerst gestänkert hat Trudeau damals schon vor Trumps erster Wahl! Nett war er nie. Diese Abneigung von Trump hat er sich redlich erarbeitet. Das es viel zu viele amerikanische Produkte in den Regalen gibt, haben die verschlafen Canadiens jetzt erst mitbekommen. Beim Versuch nur noch canadische Sachen zu kaufen, upps. Ketchup zu 80% Kraft Produkte überall mit viel zu viel Zucker. Yeah, kauft Freshly, ist auch nicht so süß. Ui, auch amerikanisches Zeug. Canada produziert schon lange viele Sachen selber nicht mehr. Und da das Essen hier eher ungesund und industriell ist und in Händen von Großhandelsketten, meist amerikanisch, bin ich Donnie nur dankbar. Er hat diesen Schlafmützen hier ihnen endlich mal, wenn auch unfreiwillig, ihre Grenzen und Versäumnisse aufgezeigt. Es gibt innerhalb Canadas über die Provinzgrenzen hinweg so viele Zölle, das lähmt das Land viel mehr. Sie finden im Osten kaum Lebensmittel aus BC oder Alberta. Dafür Pfirsiche aus Californien und Florida. Und aus den Läden rausgeräumt haben nur die staatlichen Läden. Beim Privaten wären die dann halb leer und Kasse genauso. Im staatlichen Alkoholladen SAQ in Quebec gibt es keine amerikanischen Weine mehr. Was für mich kein Verlust darstellt. Das Whiskyregal ist aber halbleer. Import und Einheimische. Geht für ne Weile. Und der Quatsch vom europäischstem Land. Es ist amerikanisiert, dann britisch. Deutsche Spuren wurden beseitigt, wie die Umbenennung von New Berlin damals. Und was den neuen Bankster betrifft, den Carney. Das Muster ist dasselbe wie in NZL, Finnland etc. Der WEF tauscht einfach seine unfähigen ausgebrannten Young Leader, gegen gnadenlose Senior Leader aus. Die Presse ist auch hier gekauft und dann erscheinen Umfragen, dass die Liberals jetzt klar führen würden wegen elbows up und so. Der Canadier glaubt sowas! Könnte noch mehr schreiben…

Julian Schneider / 24.03.2025

Trump räumt mit dem verkrusteten linken Dreck in USA auf. Und er testet aus was geht: Kanada, Panama-Kanal, Grönland. So hat er seine Deals gemacht, so macht er weiter. Und er wird Deals machen. Mit Grönland. In Sachen Panamakanal. Mir missfällt bei Bonhorst immer seine latente Abneigung gegen Trump. Mir reichen schon die täglichen Hassminuten á la “1984” gegen Trump in den Mainstreammedien. Und Kanada will Trump schon deswegen nicht, weil er sich einen extrem linken Bundesstaat einverleiben würde. Es wird sich zeigen, was seine wahren Beweggründe sind.

Rudi Knoth / 24.03.2025

Nun es gab mal ein Satire-film von Michael Moore mit dem Titel “Canadien Bacon,” in dem in den USA nach dem Ende des Kalten Kriegs als neuer Feind Kanada ausgesucht wurde. Dabei kamen auch zwei US-Bürger über einen der Großen Seen nach Kanada und stellten fest, wie bieder und Sauber Kanada ist.

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