Anna Gabriel, ehemalige Fraktionsvorsitzende der linken CUP im katalanischen Parlament, hat sich in die Schweiz abgesetzt. Damit entzog sie sich einer entsprechenden Vorladung des Tribunals Supremo in Madrid. Das Höchstgericht wollte Gabriel über ihre Rolle beim – vom Verfassungsgericht für illegal erklärten – Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 befragen. Die Verfassungsrichter stuften das Referendum auch als politische Rebellion ein. Gabriel wirft den spanischen Richtern vor, politisch zu agieren. Sie wirbt in der Schweiz für die Internationalisierung des fortdauernden Konflikts zwischen dem Zentralstaat Spanien und der Region Katalonien.
Die kritische Position von Anna Gabriel findet in der Schweiz Unterstützer. Franco Galli, Sprecher des Eidgenössischen Justizdepartements in Bern, sagte der Westschweizer Zeitung Le Temps, dass ein etwaiges Auslieferungs- oder Rechtshilfegesuch aus Spanien wohl chancenlos wäre. Da es sich „aller Wahrscheinlichkeit nach“ um ein „politisches Delikt“ handele, würde die Schweiz die spanische Justiz – im Sinne des Eidgenössischen Strafgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention – nicht unterstützen.
Eine Kampfansage an Katalanen, Basken und Galizier
Für eine weitere Verschärfung des kastilisch-katalanischen Konflikts sorgt die Parlamentsfraktion Ciudadanos. Deren jüngster gesetzlicher Vorstoß im spanischen Parlament ist eine Kampfansage an Katalanen, Basken und Galizier. Die progressiven Liberalen, so definieren sich die Ciudadanos, heizen den kastilischen Nationalismus an. Generalsekretär José Manuel Villegas legte dem Parlament in Madrid einen Gesetzesvorschlag vor, der für Spannungen zwischen dem Zentralstaat und den autonomen Regionen Katalonien, Baskenland und Galizien sorgen wird.
Villegas möchte den autonomen Regionen verbieten, die jeweilige Landessprache neben Kastilisch als Voraussetzung für die Aufnahme in den Öffentlichen Dienst vorzuschreiben. Die Nicht-Beherrschung der Landessprachen der autonomen Regionen soll künftig kein Ausschlussgrund mehr sein, die kastilische Sprache müsse aber beherrscht werden.
Die Ciudadanos wollen die Geschichte zurückdrehen und das Kastilische als einzige Amtssprache staatsweit durchsetzen, auch in den autonomen Regionen. Die Liberalen beerben die konservative Volkspartei PP. Bei den Regionalwahlen in Katalonien sind die Ciudadanos im Dezember 2017 mit dem Versprechen angetreten, das – so ihr Vorwurf – durch die Separatisten gefährdete Zusammenleben zu retten. Spitzenkandidatin Ines Arrimadas wetterte gegen den katalanischen Nationalismus, er gefährde die staatliche Einheit.
Kurzer Exkurs nach Süd-Kärnten
Arrimadas und ihre Liberalen ähneln immer mehr den slowenenfeindlichen Freiheitlichen in Österreich. Im österreichischen Bundesland Kärnten experimentieren die Freiheitlichen und ihr konservativer Partner ÖVP erfolgreich ihre Politik der Germanisierung der slowenischen Minderheit. In der kürzlich genehmigten Landesverfassung schrieben beide Parteien fest, dass die deutsche Sprache die Sprache Kärntens ist. Nach dem Ersten Weltkrieg sprachen noch 100.000 Süd-Kärntner slowenisch, heute sind es laut Volkszählung nur mehr 15.000. Tendenz fallend. Das demokratische Kärnten führt fort, was NS-Kärnten 1938 initierte: Die Zerschlagung der zweisprachigen Schulen und des slowenischen Kulturlebens. Dieser „antislowenische Geist“ lebt noch immer fort.
Ciudadanos versucht, den antikatalanischen Geist aus der Franco-Diktatur wiederzubeleben. Arrimadas und ihre Liberalen traten im Wahlkampf mit erklärten Neo-Frankisten auf, unterstützen die Rajoy-Regierung und ihre Repressionspolitik in Katalonien. Ciudadanos wetterte gegen den Selbstbestimmungskurs der abgesetzten katalanischen Regierung und überbot in ihrer Hysterie auch den PP. Das verwundert nicht, Spitzenleute der Ciudadanos wie Carina Mejias waren einst im PP aktiv.
Die Ciudadanos lehnten 2005 das reformierte Autonomiestatut ab, ausgearbeitet von den spanischen Sozialisten PSOE und den katalanischen Links-Republikanern. Gleichzeitig bekannten sie sich aber zum Ausbau der Autonomie. Trotz ihrer Bekenntnisse zur Autonomie diskreditiert die eigene Vergangenheit die Ciudadanos-Liberalen als Dialog-Partner. 2013 beteiligte sich Ciudadanos an einer Großkundgebung in Barcelona für die territoriale Einheit Spaniens, gemeinsam mit der neofaschistischen Falange Espanola sowie weiteren rechtsradikalen Gruppierungen wie Plataforma per Catalunya und Casal Tramuntana. Im Parlament in Madrid verließen Ciudadanos-Abgeordnete eine Abstimmung, die die Verurteilung der Franco-Diktatur zum Inhalt hatte. Francisco Gambarte, der Spitzenkandidat von Ciudadanos für die Wahlen in Asturien, trat 2015 wegen einer Reihe antikatalanischer Hass-Tweets zurück. Einige Ciudadanos-Politiker sind außerdem in Korruptionsfälle verwickelt.
Vorwärts in die Vergangenheit!
EU-weit wurde Ciudadanos trotzdem gefeiert, als Schutzwall gegen den katalanischen Separatismus. Im Dezember 2017 wurden die Ciutadans/Ciudadanos mit 36 von 135 Sitzen stärkste Kraft in Katalonien. Den spanischen Freiheitlichen fehlen aber Partner für eine Regierungskoalition. Mit der Gesetzesinitiative gegen die Gleichberechtigung der katalanischen, baskischen und galizischen Regionalsprachen weisen die Ciudadanos den Weg zurück in die spanische Geschichte, in die Zeit von General Franco.
Das spanische Höchstgericht (Tribunal Supremo) hat den Enthaftungsantrag von Jordi Sànchez von der katalanischen Nationalversammlung ANC abgelehnt. Der ANC-Vorsitzende sitzt seit dem vergangenen 16. Oktober in Untersuchungshaft.
Den negativen Freilassungsentscheid kritisierte Gauri van Gulik, Direktorin von Amnesty International (AI) Europa. Van Gulik spricht von einer „exzessiven und unverhältnismäßigen Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit“.
Das Höchstgericht habe, stellte van Gulik fest, dieses „Unrecht“ sogar noch verschärft. Amnesty International forderte nachdrücklich die sofortige Freilassung von Sanchez und anderen katalanischen Aktivisten. Zudem müsse die Anklage wegen Aufruhrs und Rebellion fallengelassen werden, da sie ungerechtfertigt sei.
Sànchez wurde am 21. Dezember für das Bündnis Junts per Catalunya ins katalanische Parlament gewählt.