Der Ukrainekrieg wird längst auch wirtschaftlich entschieden. Das neue Rohstoffabkommen zwischen USA und Ukraine markiert eine Zäsur. Entsteht eine Friedensdynamik oder eine noch tiefere Eskalationsspirale?
Obwohl Russland an mehreren Frontabschnitten weiter vorrückt, wird der Ukrainekrieg längst nicht mehr primär auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern zunehmend am Verhandlungstisch, auf den Rohstoffmärkten und durch gezielte Gebietssicherungen im Grenzraum. Es ist ein geopolitisches Katz-und-Maus-Spiel, geprägt von taktischen Offerten, widersprüchlichen Signalen und wachsendem Misstrauen.
Exemplarisch zeigt sich das am jüngsten Vorstoß des Kremls: Während Moskau vorgibt, an Friedensgesprächen interessiert zu sein und seine Angriffe auf militärische Ziele zu beschränken, halten die Luftschläge gegen zivile Infrastruktur unvermindert an. Wladimir Putin schlug anlässlich des 9. Mai, des russischen Gedenktags zum Ende des Zweiten Weltkriegs, eine dreitägige Feuerpause vor – laut Außenminister Sergej Lawrow als möglichen „Beginn direkter Verhandlungen ohne Vorbedingungen“.
In Kiew und Washington stieß das Angebot auf klare Ablehnung. Für den ukrainischen Präsidenten kann nur ein „vollständiges, sofortiges und bedingungsloses“ Waffenstillstandsangebot über mindestens 30 Tage als glaubwürdig gelten. Er bezeichnete Putins Vorschlag als „große Theaterinszenierung“ mit dem Ziel, internationale Normalität zu simulieren: „Damit Putin am 9. Mai aus der Isolation herauskommt und sich die Gäste auf dem Roten Platz sicher fühlen – dabei wird ihm niemand helfen.“ Die Verantwortung für die Sicherheit ausländischer Delegationen liege allein bei Russland, betonte Selenskyj.
Trumps Russland-Politik bleibt widersprüchlich
Parallel zu den diplomatischen Manövern intensiviert Moskau seine Operationen im Nordosten der Ukraine. In der an Russland angrenzenden Region Sumy versuchen russische Einheiten, eine militärische Pufferzone aufzubauen. „Der Feind versucht weiterhin, in unserer Region eine Pufferzone zu schaffen, erzielt jedoch keine nennenswerten Fortschritte“, erklärte Oleh Hryhorow, Leiter der Militärverwaltung. Die Angriffe konzentrieren sich auf Dörfer in den Gemeinden Khotin und Junakiwka – sogenannte „Grauzonen“, die umkämpft, aber nicht dauerhaft besetzt sind. Zivile Infrastruktur wurde gezielt zerstört, die Bevölkerung vollständig evakuiert.
In Washington wächst indes der Verdacht, dass Russland die Verhandlungen bewusst in die Länge zieht, um Zeit zu gewinnen und Fakten zu schaffen. Zwar ist die US-Regierung Moskau in zentralen Punkten entgegengekommen – etwa mit der faktischen Anerkennung der Krim und der Kontrolle über besetzte Gebiete –, doch Donald Trump machte zuletzt deutlich, dass er nun konkrete Ergebnisse erwartet.
Trumps Russland-Politik bleibt widersprüchlich. Auf seiner Plattform „Truth Social“ hat er sich lange positiv zu Wladimir Putin geäußert und harsche Kritik an Präsident Selenskyj geäußert. Eine konsistente außenpolitische Linie ist dennoch kaum erkennbar – seine Aussagen wirken erratisch und verpuffen oft wirkungslos. Auch jüngste Kehrtwenden lassen Fragen offen: In Rom richtete Trump nach einem persönlichen Gespräch mit Präsident Selenskyj plötzlich scharfe Warnungen an Russland – ob aus Überzeugung oder Kalkül, bleibt unklar.
US-Hilfe muss nicht zurückgezahlt werden
Ebenso fraglich ist, ob das am 30. April in Washington unterzeichnete Wirtschaftsabkommen zwischen den USA und der Ukraine als Bruch mit Russland zu deuten ist. Unstrittig ist: Es verschafft den Vereinigten Staaten weitreichende Vorteile. Der Vertrag etabliert einen paritätisch geführten Investitionsfonds für den Wiederaufbau der Ukraine und gewährt amerikanischen Unternehmen bevorzugten Zugang zu Projekten in den Bereichen Rohstoffabbau, Energie und Infrastruktur.
Das Abkommen zwischen den USA und der Ukraine umfasst 57 kritische Rohstoffe – darunter seltene Erden, Öl und Gas. Ein zentrales Zugeständnis an Kiew: Die bislang geleistete US-Hilfe – laut Trump 350 Milliarden, laut Experten eher 175 Milliarden Dollar – muss nicht zurückgezahlt werden. Premierminister Denys Schmyhal bestätigte, dass diese Mittel nicht als Schulden verbucht werden.
Brisant ist vor allem: Die USA sichern sich ein Erstzugriffsrecht auf die Gewinne des Fonds. Militärische Unterstützung kann zudem als Kapitalbeitrag angerechnet werden. Zwar bleibt die formelle Kontrolle über Ressourcen bei der Ukraine, operative Entscheidungen sollen jedoch gemeinsam getroffen werden. Die Einnahmen der ersten zehn Jahre sind laut Vertrag vollständig für den Wiederaufbau vorgesehen. Das Abkommen erkennt die EU-Perspektive der Ukraine ausdrücklich an und verpflichtet beide Seiten zu „wohlwollenden Verhandlungen“, sollten im Zuge des EU-Beitritts rechtliche Anpassungen erforderlich werden.
Parallel zum offiziellen Vertrag mehren sich Hinweise auf eine wachsende Einflussnahme privater US-Investoren – allen voran BlackRock. Der weltgrößte Vermögensverwalter, der über 11,5 Billionen US-Dollar an Anlagevermögen verfügt, hält bereits Beteiligungen an Schlüsselunternehmen wie Naftogaz, Ukrenergo, Metinvest und der Staatsbahn Ukrzaliznyzja. Kritiker sprechen von einer schleichenden Privatisierung ukrainischer Infrastruktur unter dem Deckmantel westlicher Aufbauhilfe. Moskau wirft Kiew seit Jahren vor, die Ukraine an amerikanische Kapitalgeber zu verkaufen.
Ukrainischer Staatsbankrott nicht im US-Interesse
Noch Ende 2024 hatten sich Gläubigergruppen unter Führung von BlackRock und Pimco darauf verständigt, ab diesem Jahr wieder Zinszahlungen in Höhe von bis zu 500 Millionen Dollar jährlich einzufordern. Bei einem Schuldenstand von über 160 Milliarden Dollar – rund 89 Prozent des BIP – wäre das für die Ukraine kaum tragbar gewesen. Die Rückkehr zur Schuldendienstpflicht ist vorerst vom Tisch, weil ein ukrainischer Staatsbankrott nicht im amerikanischem Interesse ist.
Stattdessen hat man in Washington und New York weitreichende Pläne für das Land, die zu einem Streit für die Umsetzung des Wiederaufbaus geführt haben. Während unabhängige Experten für eine nationale Entwicklungsbank plädieren, die auf lokalen Strukturen und EU-Standards aufbaut, favorisieren BlackRock und JP Morgan ein international verwaltetes Modell nach Art eines Venture-Capital-Fonds. Kritiker sehen darin eine Entmachtung ukrainischer Institutionen, eine Schwächung demokratischer Kontrolle und ein Einfallstor für Korruption.
Das Modell gilt als deutlich weniger ambitioniert als die in Europa etablierten Entwicklungsbanken – und blendet zentrale Reformfortschritte der Ukraine bei Dezentralisierung und Verwaltung schlicht aus.
In dieser Situation wächst der innenpolitische Druck auf Kiew. Zur Deckung des Haushaltsdefizits – derzeit rund 50 Milliarden Dollar – werden Einschnitte im Sozialbereich und der Verkauf weiteren staatlichen Eigentums diskutiert. Bereits Anfang 2025 sollen rund 17 Millionen Hektar fruchtbaren Ackerlands – knapp die Hälfte der ukrainischen Agrarfläche – unter der Kontrolle internationaler Konzerne gestanden haben, viele davon eng mit BlackRock verbunden.
Testfeld für industriell kontrollierte Landwirtschaft
Besonders umstritten ist die Rolle des US-Agrarkonzerns Monsanto, der als Teil des BlackRock-Konsortiums gilt. Im August 2023 brachte die Ukraine ein Gesetz zur Regulierung von Gentechnik auf den Weg – offiziell als EU-Angleichung, tatsächlich jedoch mit erheblich niedrigeren Standards. Kritiker warnen, die Ukraine könne zum Testfeld für industriell kontrollierte Landwirtschaft unter westlicher Führung werden.
Das Gesamtbild zeigt eine Ukraine in wachsender finanzieller Abhängigkeit – begleitet von einer schleichenden Entstaatlichung zentraler Wirtschaftsbereiche. Während offiziell von Souveränität und Wiederaufbau die Rede ist, verlagern sich Eigentums- und Entscheidungsstrukturen zunehmend in die Hände transnationaler Investoren. Die Ukraine steht damit vor einer doppelten Herausforderung: dem Wiederaufbau nach dem Krieg – und dem Schutz ihrer wirtschaftlichen Selbstbestimmung im Schatten ihrer Gläubiger.
Bemerkenswert ist schließlich, dass das Ressourcenabkommen offenbar auch als Türöffner für neue Waffenlieferungen dient. Nach Angaben der „Kyiv Post“ wurde unmittelbar nach Unterzeichnung des Vertrags der Export von US-Rüstungsgütern im Wert von 50 Millionen Dollar genehmigt – auch wenn dies offiziell nicht Teil des Abkommens war. In Kiew hofft man nun auf weitergehende Unterstützung, insbesondere bei der Lieferung moderner Luftabwehrsysteme.
Noch bedeutsamer ist das Folgende: Trotz seiner Reichweite enthält das Abkommen keine klassischen Sicherheitsgarantien. Die Trump-Administration argumentiert, dass die wirtschaftlichen Interessen der USA in der Ukraine bereits eine abschreckende und stabilisierende Wirkung entfalten würden. Aus Sicht Kiews ist das unzureichend: Eine verbindliche Schutzverpflichtung seitens der Vereinigten Staaten steht weiterhin aus.
Zusätzliche Irritation löste Trumps öffentliche Aussage aus, Präsident Selenskyj sei zur Aufgabe der Krim bereit. Auf Nachfrage erklärte Trump: „Ich denke schon.“ Eine direkte Zurückweisung durch Selenskyj blieb bislang aus – obwohl er in der Vergangenheit stets betont hatte, dass eine territoriale Abtretung nicht zur Debatte stehe. Für die Ukraine ist die Krim ein Lackmustest des Völkerrechts, für Trump offenbar ein taktischer Hebel am Verhandlungstisch.
Vorrang vor ukrainischem Recht
Das in der vergangenen Woche öffentlich gewordene Verhandlungspapier (Achgut berichtete) skizziert mögliche Eckpunkte eines künftigen Abkommens: die Anerkennung der Krim als russisch, der Ausschluss der Ukraine aus der NATO sowie Sicherheitsgarantien durch eine europäische Koalition. In Berlin und anderen EU-Hauptstädten reagierte man zurückhaltend – die Sorge ist groß, ein solcher Deal könnte international als de-facto-Kapitulation Kiews interpretiert werden.
Aus russischer Sicht markiert das in Washington unterzeichnete Abkommen über den „Reconstruction Investment Fund“ keinen partnerschaftlichen Wiederaufbauplan, sondern den Einstieg der USA in eine langfristige wirtschaftliche Kontrolle über die Ukraine. Der Kreml wertet den Deal als politischen Etappensieg für Donald Trump, der demonstriere, dass künftige US-Hilfen an konkrete Gegenleistungen gebunden sind.
Neben dem privilegierten Zugang zu strategischen Rohstoffen wie Uran, Titan, Lithium und seltenen Erden sowie umfassenden Steuerbefreiungen, Mitspracherechten bei Lizenzvergaben und einem Vorkaufsrecht beim Rückerwerb ukrainischer Ressourcen gilt aus Moskauer Sicht vor allem eine Klausel als brisant: Im Streitfall habe der Vertrag Vorrang vor ukrainischem Recht.
Der Verzicht auf militärische Schutzgarantien unterstreicht aus Sicht des Kremls die asymmetrische Natur des Abkommens – wirtschaftliche Bindung ohne sicherheitspolitische Verpflichtungen. Die USA demonstrierten geopolitische Präsenz, ohne sich militärisch zu exponieren. Moskau sieht darin eine Stärkung amerikanischer Interessen, eine Schwächung ukrainischer Souveränität und die Festigung einer strukturellen Abhängigkeit Kiews von westlichen Gläubigern. Trotzdem bleibt die russische Kritik vorerst verhalten.
Vorbereitungen auf ein Scheitern der Gespräche?
Die US-Regierung hingegen stellt das Abkommen als strategisches Bündnis für den Wiederaufbau der Ukraine dar. Finanzminister Scott Bessent sprach von einem „klaren Signal an Russland“, dass Kriegsprofiteure nicht vom Wiederaufbau profitieren dürften. Präsident Trump betonte, die USA könnten „theoretisch mehr als 350 Milliarden Dollar“ zurückerhalten – mehr, als unter Präsident Biden ausgezahlt worden sei. Die ukrainische Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko lobte den Vertrag als ausgewogenen Kompromiss. Eigentum, Kontrolle und Erlöse aus neuen Lizenzen blieben vollständig bei der Ukraine, betonte sie.
Auch wenn der Rohstoffdeal nicht als Abkehr von amerikanischer Kompromissbereitschaft interpretiert werden muss, deutet vieles darauf hin, dass sich Washington längst auf ein Scheitern der Gespräche vorbereitet. Nach internen Informationen haben US-Behörden ein neues Sanktionspaket gegen Russland ausgearbeitet, das gezielt den Energie- und Finanzsektor treffen soll. Auf der Liste stehen unter anderem Gazprom sowie führende Rohstoff- und Bankkonzerne. Sollten diese Maßnahmen in Kraft treten, wäre das ein weiterer Schlag gegen die stark auf Waffenproduktion ausgerichtete russische Volkswirtschaft.
Ziel der neuen US-Sanktionspläne ist es, den Druck auf Moskau zu erhöhen und die russische Führung zur Unterstützung von Präsident Trumps Friedensinitiative zu bewegen. Ob Trump die Maßnahmen tatsächlich freigibt, ist bislang offen. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats betonte lediglich, der Präsident fordere seit Beginn ein „vollständiges und umfassendes Ende der Kampfhandlungen“. Details zu den laufenden Gesprächen kommentierte das Weiße Haus nicht.
Auch Russland reagiert auf die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen mit strategischer Anpassung. Westliche Geheimdienste berichten von einem taktischen Kurswechsel im Kreml – weg von großangelegten Offensiven, hin zu operativer Konsolidierung, territorialer Sicherung und wirtschaftlicher Stabilisierung. Offiziell hält Moskau jedoch weiter an seinen Maximalforderungen fest: Präsident Putin beharrt unverändert auf der vollständigen Kontrolle über vier ostukrainische Regionen, die teils noch unter Kiews Verwaltung stehen.
Der Krieg steht an einem neuralgischen Wendepunkt
Hinter den Kulissen gilt ein direktes Treffen zwischen Trump und Putin als mögliche „letzte Karte“. Doch die jüngste Gesprächsrunde zwischen dem russischen Präsidenten und Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff blieb laut US-Quellen ohne greifbare Ergebnisse. Eine Waffenruhe entlang der aktuellen Frontlinie lehnt der Kreml demnach weiterhin ab.
US-Außenminister Marco Rubio hatte die vergangene Woche zur entscheidenden Phase erklärt – die Unterzeichnung des Rohstoffdeals bestätigt diese Einschätzung. Mit dem Vertrag befinden sich die USA nun in einer deutlich stärkeren Verhandlungsposition, die es ihnen erlaubt, sich jederzeit zurückzuziehen. Auch der Nationale Sicherheitsrat ließ verlauten, Washington werde keine moderierende Rolle mehr übernehmen, sollte es zu keiner Einigung kommen. Stattdessen müssten beide Seiten selbst tragfähige Vorschläge für ein Kriegsende vorlegen.
Der Krieg steht an einem neuralgischen Wendepunkt. Moskaus begrenzte Friedensofferten stoßen im Westen auf tiefes Misstrauen. Zugleich entsteht mit der russischen Truppenverlagerung in der Region Sumy eine neue Front mit strategischem Potenzial. Parallel dazu verleihen die wirtschaftlichen Abkommen zwischen Washington und Kiew dem Konflikt eine neue Dimension: Es geht längst nicht mehr nur um militärische Macht, sondern auch um Ressourcen, Zugriffsrechte und geopolitischen Einfluss.
Ob sich daraus eine neue Friedensdynamik entwickelt oder der Krieg in eine noch tiefere Eskalationsspirale eintritt, ist ungewiss. Fest steht lediglich, dass die Weichen für das kommende Szenario bereits gestellt sind.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.