„Der kleine Horrorladen“ – Ein Musical wird zur Warnung

Die Aufführung im Haus der Kunst Sondershausen ist nicht nur sehr gelungen. Sie gibt uns auch eine Warnung mit auf den Weg.

Langsam wird es mir fast peinlich, dass ich die Produktionen des Theaters Nordhausen nur loben kann. Aber auch die Inszenierung des „kleinen Horrorladens“ von Ivan Alboresi ist wieder ein Meisterstück. Es stimmt einfach alles: stimmsichere Sänger, eine perfekte Choreografie, ein stimmungsvolles Bühnenbild und geniale, farbenprächtige Kostüme (Mike Hahne). Der Augen- und Ohrenschmaus riss die Zuschauer im vollbesetzten Saal schon beim ersten Auftritt des Trios Crystal (Juliane Bischoff), Ronnertte (Rina Hiryama) und Chiffon (Floor Krijnen) zu Begeisterungsstürmen hin. Am Ende gab es einen gefühlten Eisernen Vorhang.

Dabei war das Stück auf die Beine zu stellen, alles andere als einfach. Das ging damit los, dass die Bühne im Haus der Kunst Sondershausen nicht fürs Theater gemacht ist. Man löste das Problem, indem man die Drehscheibe nutzte, in Viertel unterteilte und so die verschiedenen Orte – die heruntergekommene Straße in New York, den Blumenladen, die Zahnarztpraxis und Audreys Traum-Rosengarten – auf den begrenzten Platz bekam.

Das Original des Musicals entstand in Zusammenarbeit des oscargekrönten Erfolgsduos Howard Ashman (Text) und Alan Menken (Musik) im Jahr 1982. Es wurde in New York uraufgeführt und zum ersten großen Erfolg der beiden. Schon vier Jahre später wurde das Stück zum ersten Mal verfilmt.

Die sprechende Pflanze verlangt ihre Opfer

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden mehrere Bühnenwerke, die Horrorszenarien zum Gegenstand hatten. Im „Kleinen Horrorladen“ ist das Monster eine fleischfressende Pflanze, die der Angestellte eines Blumenladens, Seymour (brillant: Lukas Witzel, der kurzfristig für den verletzten Marian Kalus einspringen musste), auf einem dubiosen Markt einem alten Chinesen abgekauft hatte. Er konnte den Namen der Pflanze in keinem Buch finden, also benannte er sie nach seiner Kollegin, die er heimlich liebte, Audrey 2. Kurz bevor der Laden wegen ausbleibender Kundschaft pleite ging, schlug Audrey dem Ladenbesitzer Mr. Mushnik vor, das seltsame Gewächs ins Schaufenster zu stellen, um Käufer anzulocken.

Der Plan funktionierte schon am ersten Tag. Eine Dame erstand zwar nicht die „interessante Pflanze“, aber Rosen für 100 Dollar. Von da an florierte das Geschäft. Seymour wurde erstmals von einem Radiosender interviewt, der Laden konnte binnen Kurzem vom Gewinn renoviert werden. Leider begann der Glücksbringer zu verwelken. Seymour versuchte alles Mögliche, um das Absterben zu verhindern. Aber erst als er sich an einem Stachel den Finger ritzte und sein Blut auf die Pflanze fiel, fing die an zu wachsen. Blut ist eben ein ganz besonderer Saft. Seymour musste ihr immer mehr Blut von sich geben. Die Pflanze wurde immer größer, fing schließlich an zu sprechen und verlangte mehr. 

Nun kommt Audreys Freund Orin ins Spiel, ein sadistischer Zahnarzt, der sie misshandelte. Wie Orin (Jörg Neubauer) in schwarzer Motorrad-Kluft auf einem Hoverboard auf die Bühne gleitet, ist eine Show für sich. Die Pflanze schlägt Seymour Orin als erstes Fressopfer vor. Der macht sich mit einer Pistole bewaffnet auf in die Zahnarztpraxis, wo er der betäubungslosen Extraktion seiner Weisheitszähne nur entgeht, weil Orin an einer Überdosis Lachgas stirbt, die er sich verabreicht hat, um die Folter besser genießen zu können. 

Von nun an geht es bergab

Er verschwindet sehr zu Audreys Erleichterung von der Bildfläche, aber sie fühlt sich deswegen schuldig, Ihren großen Auftritt hat Audrey (Gabriele Ryffel) in ihrem Fantasie-Rosengarten. Hier wird die ganze Komplexität der Figur offensichtlich – einer Frau, die glaubt, wegen ihrer „Vergangenheit“ kein kleines Lebensglück zu verdienen. Seymour versucht, sie von ihren Zweifeln zu befreien. Einen Augenblick scheint es, dass die beiden eine gemeinsame Zukunft haben werden. Aber das Schicksal, genauer gesagt der Teufelspakt mit der Pflanze, will es anders. Mr. Mushnik, der wegen Orins Verschwinden von der Polizei verhört wurde, sieht seine Angestellten in trauter Zweisamkeit und droht, angestachelt von seiner Eifersucht, Seymour der Polizei auszuliefern. Bevor er das kann, wird er von der Pflanze verschlungen. 

Von nun an geht es bergab. Zwar wird Seymour von immer mehr lukrativen Angeboten überhäuft, aber ihm kommen Zweifel, welches Monster er in die Welt gesetzt hat. Er will sich der Pflanze entledigen. Aber bevor er das tun kann, hat sich die Pflanze Audrey geschnappt. Zwar kann Seymour sie aus dem Schlund befreien, aber Audrey stirbt trotzdem und will an die Pflanze verfüttert werden. Seymour tut das, aber beim Versuch, die Pflanze zu töten, wird er selbst ihr Opfer. 

Das hervorragende Programmheft, erstellt von Juliane Hirschmann, hatte ich noch nicht gelesen. Deshalb fragte ich mich während der Vorstellung, wie die Pflanze zum Leben erweckt werden konnte. Hier ist des Rätsels Lösung: Als die Pflanze noch klein ist, wird sie von einem Puppenspieler (Patrick Jech) bewegt, der unter der Theke des Blumengeschäfts sitzt. Dann sitzt er in der mittelgroßen Pflanze, seine Beine ragen wie Luftwurzeln zum Boden. Der Oberkiefer der Pflanze liegt auf seinen Schultern, den Unterkiefer bewegt er mit den Händen.

Im Endstadium, wenn die Pflanze Menschen verschlingt, wird sie von einer baggerartigen Mechanik bewegt, die der Puppenspieler mit Hilfe eines Kollegen von der Theatertechnik bedient. Die besondere Herausforderung ist die Synchronisation mit Marvin Scott, der die Stimme der Pflanze ist. Die beiden können einander nicht sehen, aber das Zusammenspiel klappt auf den Punkt.

Allegorie auf unsere Tage

Warum habe ich in der Überschrift davon gesprochen, dass dieses Musical eine Warnung beinhaltet? Alboresi sagt, dass er sich entschlossen hatte, das Stück von heute zu erzählen und nicht aus der Sicht der 80er Jahre. Das gerade überstandene „Monster-Virus“ Corona soll seinen Ausgangspunkt von einem chinesischen Wildtiermarkt genommen und von dort seinen Schrecken über die Welt verbreitet haben. Es ist immer wieder davon die Rede, dass es in einem Labor entwickelt worden sei, in dem Forschungen unternommen werden, die im Westen verboten sind. 

Wir wissen nicht, welche Monster in den Laboren der Welt gerade entstehen. Fakt ist aber, dass wenige Tage vor der Sondershäuser Premiere Wissenschaftler und Unternehmer wie Yuval Harari und Elon Musk die dringende Forderung nach einem weltweiten Moratorium der KI-Forschung erhoben haben. Offenbar sind, während die Welt vom Ukraine-Krieg abgelenkt ist, diese Forschungen in ein Stadium getreten, das gefährlich für die Menschheit werden kann.

In der Premiere waren auffällig viel Jugendliche, die das Stück sichtbar genossen. Beim Verlassen des Theaters hörte ich „ super“ und „mega“ als Kommentar.

Mir kam spontan die Idee, dass man gezielt die Gymnasien in Nordhausen und im Kyffhäuserkreis ansprechen und Vorstellungen für Schüler anbieten müsste, in Kombination mit einer anschließenden Diskussion über den Segen und die möglichen Gefahren von Wissenschaft und Technik. Das dafür nötige Geld sollte zum Beispiel aus dem Fonds für „Demokratie leben“ aufzutreiben sein. 

Nächste Vorstellungen: 21. April, 5., 13., 17., 27., 28. Mai

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Homepage der Autorin.

 

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin.

Foto: Tim Mueller/Theater Nordhausen

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D. Katz / 09.04.2023

Beim Lesen der Überschrift dachte ich: “Etwas Neues über das Kabinett Scholz?” Erfreulicherweise dann aber doch nicht. Ich liebe das Original von 1960, das der unglaublich produktive Roger Corman (der vor wenigen Tagen seinen 97. Geburtstag feiern konnte!) für eine handvoll $$ quasi aus dem Ärmel schüttelte und zu dem ein gewisser Katz (!) die Musik schrieb…

Alex Micham / 09.04.2023

In der alten Filmversion von 1960 kann man Jack Nicholson in einer seiner ersten Filmrollen sehen. Im Vergleich zum erfreulich übergeschnappten Musical kommt der 1960er Film allerdings äußerst betulich daher.

Leo Anderson / 09.04.2023

“The Little Shop of Horrors” (1960) war zuerst ein Film, eine “horror comedy”, von Roger Corman. Jack Nicholson am Beginn seiner Karriere hat eine Nebenrolle darin.

Lutz Herrmann / 09.04.2023

Was soll KI denn bitteschön anrichten? Es gibt echte Probleme. Da draußen wird Biowaffenforschung betrieben mit dem Geld der Steuerzahler, aber ohne ihr Wissen.

Wiebke Ruschewski / 09.04.2023

P.S. In der Verfilmung beißen Seymour und Audrey übrigens nicht ins Gras.

Wiebke Ruschewski / 09.04.2023

Ich sah “Der kleine Horrorladen” erstmals als Kind 1994 im hiesigen Theater. Ich war damals sehr angetan. Wenige Jahre später sah ich die Verfilmung, die ich auch heute noch sehr gelungen finde und die seit langem Teil meiner privaten Videothek ist. Letztes Jahr wurde das Stück hier in der Nähe in einem kleinen Freiluft-Theater aufgeführt. Diese Aufführung war leider absolut unterirdisch. So unterirdisch, dass ich mich auch an dem Film heute nicht mehr so erfreuen kann wie früher. Ärgerlich war auch, dass ich das Stück zuvor wärmstens empfohlen hatte. Das war mir natürlich denjenigen gegenüber, die auf meine Empfehlung gehört hatten ausgesprochen peinlich. Aber was soll ich sagen!? Shit happens. Und Empfehlungen sind generell mit Vorsicht zu genießen. Gilt für den Sender ebenso wie für den Empfänger.

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