Thilo Schneider / 09.07.2022 / 10:00 / Foto: Asb / 19 / Seite ausdrucken

Der Karottenhund

Schlimm genug, wenn der Schatz den Hund einer Freundin mitbringt, auf den wir für die Dauer eines Urlaubs aufpassen sollen. Noch schlimmer, wenn das Futter vegan sein muss.

Ich freue mich immer, wenn der Schatz heimkommt. Das bedeutet, dass er den Tag überlebt hat und wir gemeinsam essen können. Letzte Woche aber kam der Schatz nicht allein, sondern war an eine Mischung aus Border-Collie, Schäferhund, eher Silver-als-Golden-Retriever und Pudeldoodle angeleint. „Hallo Scha… Was ist das?“, wollte ich zur Begrüßung wissen. „Das is‘n Hund, du solltest einen erkennen, wenn du einen siehst“, gab sie patzig zurück. „Ich sehe, dass das so etwas ähnliches wie ein sehr hässlicher Hund ist. Ich will wissen, warum du an ihn gekettet bist!“, konkretisierte ich meine Nachfrage. 

Nun habe ich ein durchaus etwas gespaltenes Verhältnis zu Hunden, wie nicht nur Achse-Leser wissen, sondern erst recht der Schatz. Und es ärgert mich, wenn der Schatz ohne Rücksprache irgendwelche Tiere anschleppt, die größer als ein Demodex folliculorum sind. „Cookie, aus!“, befiehlt der Schatz, der die Leine von dem Keks entfernt hat, während die stuhlsitzflächenhohe Laune der Natur bellend an mir hochspringt und mit dem Schwanz wedelt. Der Hund freut sich offensichtlich, mich zu sehen, was nicht auf Gegenseitigkeit beruht. „Der will nur spielen“, sagt der Schatz, und ich weiß nicht, ob er das ironisch oder ernst meint. Von dem Caniden geht, zumindest im Moment, keine Gefahr aus, wenn ich davon absehe, dass er mir auf meine helle Hose gespeichelt hat. „Also noch einmal: Wie kommen wir zu der Ehre?“, frage ich, während ich mir ein Stück Klopapier zum Sabber-Abwischen suche, von dem eifrig-neugierigen Cookie begleitet.

„Anita hatte doch einen Hund aus der Hundeauffangstation in Albanien bestellt, und der kam letzte Woche. Aber weil sie am Samstag für eine Woche in den Urlaub fliegt und den Hund nicht mitnehmen kann, hat sie auf Facebook gefragt, wer den Hund nehmen kann, und nachdem wir einen Garten haben, habe ich gesagt, dass wir(!) das gerne übernehmen können…“, erklärt der Schatz wortreich und armwedelnd. „Und warum weiß ich davon nichts?“, will ich wissen. „Weil, weil… Weil das sehr kurzfristig war und Anita in echter Not war, und du kennst sie ja, du kennst sie ja, sie wird dann immer so leicht hysterisch, und das Tier kann ja auch nichts dafür, dass Anita in den Urlaub…“, meint der Schatz und ich unterbreche, dass ich auch nichts dafür kann, dass Anita in den Urlaub fliegt und warum ich jetzt für eine Woche einen Leihhund habe. „Jetzt isser nunmal da“, wischt der Schatz meinen Einwand vom Tisch und vom Hunderücken, auf dem ja auch nicht unser klitzekleines Kommunikationsproblemchen ausgetragen werden soll. Cookie schnüffelt am Türrahmen der Eingangstür, was mich nicht wundert, denn da streifen die Katzen entlang, wenn sie sich zum Futternapf im Obergeschoss bequemen. 

Vegane Leckerlis

„Was ist das überhaupt für eine Karikatur eines Hundes?“, will ich wissen. „Das ist ein Mischling. Sie sind sehr intelligent“, behauptet der Schatz, und Cookie niest auf die Treppe. „Das sehe ich. Er hat auf die Treppe genossen“, sage ich und hole zwei weitere Blatt Klopapier, „isser krank?“ „Natürlich nicht, jeder niest mal!“, diagnostiziert der Schatz und ich vermute, Cookie hat eine Katzenhaarallergie. „Außerdem heißt es „geniest“, nicht „genossen““, verbessert mich der Schatz, was aber nicht die komplette Situation verändert. Von Cookie kommt am Fuß der Treppe ein erstauntes „Wuff“ und von oben auf der Treppe ein überraschtes „Kchchch“. Unser Kater hat unseren Feriengast entdeckt – und der ihn. Jetzt wird es spannend. 

Die Katze hat Schwanz und Haare nicht gesträubt, betrachtet den Caniden aber mit einer Mischung aus Verachtung und Hass. Der Schatz angelt aus seiner Einkaufstasche Leckerli und öffnet die Packung. „Ja fein“, sagt er dazu, „feines Leckerli. Willst du Leckerli?“ und einen kleinen Moment hoffe ich, der Schatz meint mich, und ich nähere mich Hund und Tasche. Der Hund wirft einen kurzen Blick auf das Leckerli, schüttelt sich und fixiert wieder den Kater. „Das ist ja vegan!“, stelle ich entsetzt fest.

„Ja, hat mir Anita mitgegeben. Sie möchte, dass wir den Hund vegan ernähren.“, erklärt der Schatz und ich verstehe, warum sich dieser seltsame albanische Genmix auf vier Pfoten angeekelt geschüttelt hat und vielleicht lieber die Katze fressen will. „Ein Hund! Vegan!“, rufe ich aus und Cookie stürmt wie auf Kommando auf den Kater los. Der schreit kurz auf und verzieht sich mit einem Sprung, während Cookie oben im Flur eine Vollbremsung macht, als er an dem noch halb mit lecker Katzennassfutter gefüllten Speisetisch unserer beiden Feliden ankommt. Sofort verschwindet die Schnauze unter Schnaufen und Schlabbern in den Futternäpfen.

Unser Kater brabbelt vom anderen Ende des Flurs mit gesträubtem Schwanz irgendwelche Katzen-Flüche. „Hunger hat er jedenfalls“, stelle ich fest. „Ich habe ihm vorhin eine Rübe hingehalten“, erläutert der Schatz enttäuscht. „Vielleicht ist der Hund ja doch nicht so doof, wie Anita glaubt“, sage ich. „Ist es ein Rüde oder ein Weibchen?“, will ich wissen. „Ich weiß es nicht“, sagt der Schatz, „ich habe noch nicht nachgesehen“, während der Kater langsam auf den Hund zurobbt, immer noch Flüche raunend. Cookie schmeißt den Napf um und versucht, den Kater zu vögeln, der durch einen beherzten Rückwärtssalto mit entsetztem „MIAU“ seine Rosette in Sicherheit bringt.    

Eine vegetarische, homosexuelle Transkatze

„Dein Keks scheint ein homosexueller und inter- oder transspezieller Rüde zu sein“, konstatiere ich das etwas wilde Geschehen überrascht, während der Kater wie ein Blitz unter dem Sofa verschwindet und der Cookie ihm ein gutgelauntes „Wuff“ hinterherruft. „Oder er will einfach nur nett sein“, rettet der Schatz die Ehre des Caniden. „Oder er denkt, er sei eine Katze. Sozusagen eine Trans-Katze.“, füge ich hinzu, während Cookie jetzt mit schief angelegtem Kopf und dümmlich heraushängender Zunge auf das Wiedererscheinen des Katers wartet. 

Als guter Ehemann habe ich mich schließlich in mein Schicksal als Gastgeber eines wirklich hässlichen albanischen Hafenstraßenhundes gefügt und ging zweimal am Tag lange zehn Minuten mit der vegetarischen, homosexuellen Transkatze spazieren. Ich habe Karotten geworfen und gemeinsam mit dieser Schande seiner Rasse der Karotte beim Fliegen zugesehen. Es war sehr langweilig. Apportiert hat er die jedenfalls nicht. Hätte ich an seiner Stelle auch nicht. So doof war der Hund nicht.

Die Felder und Wiesen unseres Sprengels liegen nun voll mit Karotten, und es würde mich nicht wundern, wenn die BILD demnächst die Schlagzeile „Wer ist der geheimnisvolle Karottenwerfer?“ titelt. Unser Kater hat sich eine Woche lang nur zum Fressen und zur Notdurft unter dem Sofa hervorgetraut, oder wenn wir in der Nähe waren. Die Kätzin, die den Kater auch nicht leiden kann, hat sich mit dem seltsamen Cookie angefreundet, und als Anita wieder von Mallorca zurückkam, erhielt sie einen Menschen- und Katzenfreund zurück, der außer Katzenfutter gar nichts mehr aß. Ein bisschen Rache durfte sein. 

(Weitere hündisch ergebene Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Leserpost

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Klaus D. Schlademann / 09.07.2022

Herr Schneider, Sie sollten sich mit dem Hund anfreunden, dann geht es dem Hund gut,  und Ihre Seele wird Ihnen dankbar sein Meine Liebe zu Hunden ist riesig weil Sie m. E. die besseren “Menschen sind” Probieren Sie es aus.

Rolf Mainz / 09.07.2022

Da “bestellt” jemand einen Hund aus einer “Auffangstation in Albanien”, fährt dann jedoch lieber zunächst in den Urlaub - und besteht auf “veganer Ernährung” des Tieres. Was jene Dame wohl für eine Partei wählen mag? Passt eigentlich alles zusammen, nicht wahr? Womöglich sollte man(!) das Wahlrecht nochmals grundlich überdenken.

Helge Lange / 09.07.2022

Herr Schneider, ich liebe Ihre Stories! Alles wie aus dem Leben gegriffen!

Emil.Meins / 09.07.2022

Nur mal so: Hunde, auch Kekse und Transhunde, sollen kein Katzenfutter fressen, weil sie davon krank werden. Liegt an der völlig anderen Nährstoffzusammensetzung, Katzenfutter ist zu “konzentriert” für einen Hund, da es mehr Fett und Eiweiß enthält, sowie Aminosäuren, die Katz nicht selbst erzeugen kann, im Übermaß für den Hund aber schädlich sind. Ich spreche aus Erfahrung, denn wir haben auch so einen zugelaufenen “Asylanten” aufgenommen, und ihm sein Futter sowohl mit den Resten des Katzen-Nassfutters versüßt, wie auch mit Katzen-Trockenfutter, das wir seinen Hunde-Chips zugemischt haben, die er allein manchmal nicht gerne fraß (Billigfutter). Das Katzenfutter fraß er immer gierig, wie auch der Bello aus dem Artikel, aber das ist genau so unsinnig, wie vegane Ernährung, denn der domestizierte Hund ist ein Allesfresser, wie der Mensch. Die Katze dagegen braucht als Jäger mehr Fleisch und Fett. Jedenfalls verlor der Hund nach einiger Zeit an den Flanken an 2 Stellen sein Fell, und der Tierarzt diagnostizierte sofort anhand der Lokalisation ein Nierenproblem. Nach eingehender Schilderung seiner Fütterungsgewohnheiten stellte sich die Menge an Katzenfutter als Ursache heraus. Nach Umstellung auf ein nährstoffärmeres Futter, mit mehr Kohlehydraten und weniger Eiweiß, wuchs das Fell wieder nach und Bello bellt wieder gesund die Welt an. Er bekommt eine Mischung aus Brotwürfeln, billigsten Spaghetti, einigen Löffeln Dosenfutter für Hunde, und manchmal lediglich noch die Reste der Katzenschüssel, die zum Wegwerfen zu schade sind, und im Kompost Ratten anziehen würden, oder im Müll Fliegenmaden. Karotten sind teilweise auch im Dosenfutter, aber nur in Maßen, wenn ein Hund tatsächlich rohe Karotten frißt, ist er genauso daneben wie die Veganer, vom rechten Weg abgekommen. Also, nicht nachmachen! Dem Hund zuliebe.

Heike Olmes / 09.07.2022

Entweder haben Sie eine blühende Phantasie oder Ihnen passieren wirklich die haarsträubendsten Dinge im Leben, Herr Schneider. Egal, Sie haben mich mal wieder phantastisch unterhalten, danke.

armin_ulrich / 09.07.2022

Das eigentliche Frauchen weiß nicht, ob der Hund wirklich vegan ernährt wird.

Frank Stricker / 09.07.2022

Ein Glück dass “Anita” nur einen Hund aus Albanien bestellt hat. Speziell seit 2015 kommen hier Dinge aus Albanien an, die niemand bestellt hat…....

Patrick Meiser / 09.07.2022

Was ist der Unterschied zwischen diesem (armen) Hund aus Albanien und dem Autor ? Der Hund konnte sich sein Schicksal nicht aussuchen.

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