Erik Lommatzsch, Gastautor / 04.03.2019 / 12:00 / Foto: Seth Lemmons / 23 / Seite ausdrucken

Der Karneval braucht dringend richtiges Framing!

Mit den guten Witzen ist das so eine Sache. Die kommen am besten völlig unangemeldet, aus unerwarteter Richtung und zur Unzeit. Die Pointe erschließt sich nicht sofort, die eine oder andere Synapse muss eine Sonderschicht einlegen. Das funktioniert nicht immer. So mancher hat, vielleicht aufgrund anderweitiger und schwerer intellektueller Beanspruchung, nicht mehr die nötigen zerebralen Reserven, manch Landstrich mag anders geprägt sein.

Um alle möglichen Irrtümer und sich eventuell anschließende Aggressionen auszuräumen, wurden Humorarenen geschaffen. Geschützte Räume, vor allem für die Humorverursacher, auch wenn das „Vorsicht, Witz!“-Warnschild mitunter arg auf Kosten der Pointe geht.

Früher leistete sich die eine oder andere Fürstlichkeit Hofnarren. Diese trugen neckische Kostüme, die anzeigten, dass ihre Verlautbarungen nicht ernst genommen werden mussten. Das wiederum eröffnete verbale Freiräume, und über den galanten Umweg des vermeintlichen Unsinns konnten besagte Fürstlichkeiten so manche Kritik bedenkend aufnehmen, ohne sich frontal angegriffen oder öffentlich bloßgestellt sehen zu müssen. Mitunter machte der Hofnarr auch nur Spaß, schlichte oder weniger schlichte Unterhaltung, zum Lachen, einfach mal so. Beides eigentlich ganz gut, oder?

Die Funktion als moderne Humorarena erfüllte bis dato unter anderem der Karneval. Nicht jedermanns Sache, aber jeder wusste: Hier darf man übereinander herziehen und das auch lustig finden. Mit Ansage, und man konnte ja auch immer im Kalender nachsehen, wann es wieder vorbei ist. Letzteres beruhigend für diejenigen, die dem Ganzen nicht so viel abgewinnen konnten. 

„Handbuch des erlaubten Witzes“

Dummerweise haben es nun aber selbst kupierte Witze mit Restpointe noch an sich, dass sie immer auf irgendjemandes Kosten gehen. In unserer nach allen Seiten offenen – und folglich nicht ganz dichten – Gesellschaft ist nun Schluss mit lustig. Selbst das Gebiet innerhalb der ohnehin schon heftig spaßabgespeckten Humorarena Karneval erweist sich als Minenfeld bisher ungeahnten Ausmaßes. Und das gleich zweimal im Zusammenhang mit der noch relativ neuen CDU-Vorsitzenden. Ob dieser Zusammenhang eher passend oder ein Kuriosum ist, mag jeder selbst entscheiden.

Zunächst wurde über sie geredet. Das kann man machen, wohl auch während des Karnevals, aber nicht so wie Bernd Stelter. Nach einem Doppelnamen-Kramp-Karrenbauer-Witz geriet eine Bürgerin dermaßen in Wut, dass sie die Bühne stürmte. Ob sich die wackere Verteidigerin auch so für die Vorsitzende ins Zeug gelegt hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, wie diese über Drittgeschlechtstoiletten und deren potenzielle Nutzer herzuziehen vermag? Das war zwar auch während des Karnevals, geht aber natürlich gar nicht. Hier oder hier oder hier und an Dutzenden weiteren Orten gibt man sich zumindest irritiert oder lässt zumindest die Irritierten, Fremdschämer und Empörten zu Wort kommen.

Dringend notwendig ist ein „Handbuch des erlaubten Witzes“, Karneval hin oder her. Glücklicherweise stehen erfahrene Broschüren- oder Manualerstellerinnen bereit. „Putzfrau Gretel“ könnte es dann, als eine Art Sühne, präsentieren.

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Leserpost

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Martin Stumpp / 04.03.2019

Ich bin entsetzt! Dass der harmlose Witz von AKK zu solchen Reaktionen geführt hat. Wie weit hat sich Deutschland bereits von dem entfernt was man ein freies Land nennt. Irre einfach Irre. Die Kritiker haben denselben Humor wie die meisten Muslime. KEINEN! Humor ist wenn man trotzdem Lacht. Und zwar über sich selber und seine Schwächen.

Matthias Braun / 04.03.2019

Da muss ich mir gleich den Doppelnamen Sketch von Loriot wieder mal ansehen: ” Mein Name ist Müller- Lüdenscheid .......” Herrlich!

Christoph Müller / 04.03.2019

Da machen sich also tatsächlich einige Büttenredner, Satiriker, Kaberettisten und ähnliche Witzbolde über Dinge und Einstellungen lustig, die den Linken heilig sind. Das ist nichts anderes als Blasphemie! Das muss geahndet werden. Ich empfehle, sich hierzu die Steinigungsszene aus Monty Python’s Leben des Brian anzusehen. Sehr lustig auch zum Thema Gender die Szene im Amphitheater ziemlich am Anfang des Films.

beat schaller / 04.03.2019

Ach, vielleicht sollte man mal das ganze Berliner Aquarium fluten und dann einmal kräftig spülen. So gäbe es dann Platz für Neues,  und, als Putzfrau Gretel sähe ich AKK sowieso viel lieber. b.schaller

Marc Blenk / 04.03.2019

Lieber Herr Lommatzsch, man schließe kurz die Augen und stelle sich vor, in der von einer vorwiegend protestantischen Bevölkerung bewohnten DDR hätte es im Köln - Mainzer Umfang Karneval gegeben. - Eben. Genau so haben wir es heute. Nur eben im offiziellen betreuten Karneval im Westteil des Landes. Am allerpeinlichsten wird es immer dann, wenn uns das sprachlich flachgeframteste und ideologisch vollbetoniert Staatstragende als subversiv verhökert wird. Und als lustig und als frei. Stattdessen gebremster Schaum und Karneval in Dosen statt ekstatisch befreiendes. Da prustet nichts mehr aus den Leuten heraus. Aber es darf geklatscht werden. Aber nur an den vorgesehenen Stellen. Da heißt es reißaus nehmen.

Marianne Sommer / 04.03.2019

AKK`s Gender-Toiletten-Witz hat dermaßen Klasse, da kann man gleich zweimal drüber lachen. Zunächst über den Witz an sich und anschließend über die Reaktion der “Berufs-Empörten”. Sich über einen Witz aufzuregen weil man ja ansonsten eh nichts besseres zu tun hat, und sich damit selbst zum Witz zu machen, dass muss man erst mal schaffen :-)

Sabine Lotus / 04.03.2019

....obwohl, nein, stop! Das im BT ist ja kein Kabarett, sondern nur billige Comedy. Wer macht eigentlich mittlerweile das Kabarett. Hmm, Marktlücke…

Sabine Lotus / 04.03.2019

Das beste Kabarett sitz doch mittlerweile selbst im Bundestag. Von daher ist diese Entwicklung ja eigentlich nur die logische Folge.

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