Thomas Rietzschel / 09.11.2024 / 16:00 / Foto: Pixabay / 45 / Seite ausdrucken

Der Kanzler und die Krise bei VW

Wenn Scholz von Fehlern des VW-Managements spricht, spielt er schamlos auf der Klaviatur des Populismus. Denn das meiste geschah mit Duldung, mehr noch auf Veranlassung der Politik.

In aller Bescheidenheit hat Olaf Scholz ein Machtwort gesprochen, nachdem bekannt wurde, dass VW mehrere Werk schließen will und zudem Gehaltskürzungen von zehn Prozent angedroht wurden. Wörtlich erklärte der Kanzler, „falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit“ dürften „nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen“. Das war der Belegschaft aus dem Herzen gesprochen. Wie es sich für einen Sozialdemokraten gehört, zeigte der Kanzler mit dem Finger auf die Bosse, die die Zeit verschlafen hatten und nun Anstalten machten, die Frauen und die Männer, die die Produktion am Laufen hielten, schröpfen zu wollen.

Mag sein, dass ihnen die Worte von ganz oben gutgetan haben. Niemandem, der jetzt damit rechnen muss, demnächst weniger in der Lohntüte zu haben, gar entlassen zu werden, ist es zu verdenken, wenn er sich trösten lässt, und sei es vom Gebrüll eines Papiertigers. Denn wie um alles in der Welt will Olaf Scholz den Sparkurs bei VW stoppen? Mehr als heiße Luft wurde mit dem suggerierten Beistand nicht verbreitet. 

Das allein wäre nicht weiter bemerkenswert, es entspräche nur dem, was Politiker gern tun, um aus einer Notsituation der Untertanen persönlich Gewinn zu schlagen. Bei Scholz jedoch steht zu befürchten, dass er selbst an das glaubt, was ihm andere abnehmen sollen. Wie hat er doch eben erst, nach dem Zerfall der Ampelkoalition, auf den Sündenbock Lindner eingedroschen, um sich selbst als die enttäuschte Unschuld zu bedauern. Wer so die Tatsachen verdreht, der lebt die Lüge, die er verbreiten will. 

Gefahr im Verzug

Dies zu erklären, gibt es auch für die großspurige Einmischung bei VW zwei Möglichkeiten: Entweder ist der Kanzler wirklich so ahnungslos, wie er daherredet. Dann ist Gefahr im Verzug, weil der Regierungschef nichts versteht von der Volkswirtschaft, die er qua Amt überblicken sollte. Oder: Der amtierende Kanzler glaubt, das Volk für dumm verkaufen zu können, weil er sich durch die „Richtlinienkompetenz“ ermächtigt fühlt, jeden Blödsinn zu behaupten. Dann würde er sich benehmen wie ein Autokrat, der den Endsieg prophezeit, auch wenn er längst unterlegen ist. 

Schließlich steht VW am Rande des Abgrunds, weil das Unternehmen im Vergleich zu anderen Autoherstellern viel zu teuer produziert; allein im dritten Quartal dieses Jahres brach der Gewinn um 64 Millionen ein. Dabei laufen die Bänder in Wolfsburg, Zwickau oder Baunatal nicht langsamer als bei BMW oder Mercedes, auch fehlt es in der Montage nicht an modernster Technik, etwa an Robotern. Vielmehr sind es die Löhne und die Sozialkosten, unter denen der zweitgrößte Autohersteller der Welt ächzt. Und das ist eben auch auf „falsche Managemententscheidungen“ zurückzuführen. Warum wurde der Haustarifvertrag, der Löhne garantiert, die in keinem Verhältnis zu den sinkenden Erträgen stehen, nicht angepasst an das eben noch Mögliche; warum galt der bedingungslose Kündigungsschutz, als wäre er in Stein gemeißelt? 

Wenn Scholz jetzt gleichwohl von Fehlern des Managements spricht, hat er also einerseits recht, andererseits spielt er schamlos auf der Klaviatur des Populismus, insofern er Schuldzuweisung an die „da oben“ insinuiert. Eine dümmliche Argumentation, die darauf hinausläuft, allein die Bosse haftbar zu machen. Glaubt der deutsche Bundeskanzler wirklich, der Schaden ließe sich beheben, würden die Vermögen der Vorstände gepfändet?

Rolle rückwärts!

Eine solche Lösung passte zwar zu den klassenkämpferischen Vorstellungen eines bekennenden Sozialisten, ist aber bedrohlich naiv, wird sie vom Regierungschef eines Landes vertreten, dessen Wohlstand auf der kapitalistischen Wirtschaft gründet. Mit volkswirtschaftlicher Vernunft hat das nichts zu tun. Wer so wie Scholz argumentiert, macht eine Rolle rückwärts ins 19. Jahrhundert, als die Unternehmen noch wirtschaftlich überschaubare Betriebe waren mit persönlich haftenden Eigentümern an der Spitze, mit „Kapitalisten“, die den Gewinn verteilten, wie sie es für richtig hielten. Unterdessen aber leben wir in der Epoche international verfochtener Konzerne, in denen Einzelne, die man zur Verantwortung ziehen und enteignen könnte, nicht mehr auszumachen sind. 

Es gibt keine Inhaber mehr, die für das Ganze einzustehen hätten, nur noch angestellte Manager, die auch nur überbezahlte Arbeitnehmer sind. Würde man ihnen wegnehmen, was sie verdient haben, kämen vielleicht zwei-, unter Umständen dreistellige Millionenbeträge zusammen, niemals aber die Milliarden, die VW fehlen. Auch müssten dann die Politiker empfindlich zur Kasse gebeten werden. Hält doch das Land Niedersachsen 20 Prozent der Stimmrechte am VW-Konzern, mehr als alle übrigen Aktionäre. Vertreter der von 1990 bis 2003 und dann wieder seit 2013 sozialdemokratisch geführten Landesregierung saßen und sitzen stimmberechtigt im Aufsichtsrat. Sie haben die Fehler des Managements mitgetragen und peinlich darauf geachtet, dass die Forderungen der Betriebsräte und Gewerkschaften stets großzügig erfüllt wurden. Wenn man bei VW jahrzehntelang über die Verhältnisse gelebt hat, geschah das mit Duldung, mehr noch auf Veranlassung der Politik, gleich, ob es um die Löhne, die Arbeitszeit oder die Urlaubstage ging,.  

Öl ins Feuer zu gießen, dient niemandem

Sicher haben die Vorstände den Konzern auch zum eigenen Vorteil gelenkt, so dass sie sich eine goldene Nase verdienen konnten. Das hat auch den „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“ stets zum Vorteil gereicht, ihre Bezüge stiegen im Branchenvergleich überdurchschnittlich. Dass sie jetzt auf weitere Zulagen verzichten sollen, mit einer zehnprozentigen Lohnkürzung rechnen müssen, ist alles andere als ein himmelschreiendes Unrecht.

Und der Kanzler sollte nicht den gegenteiligen Eindruck erwecken, indem er einen drohenden Arbeitskampf mit sinnlosen Zwischenrufen heraufbeschwört, Öl ins Feuer zu gießen, dient niemandem. Weder den Arbeitern, die darauf vertrauen müssen, bei einem wirtschaftlich sicher gegründeten Unternehmen angestellt zu sein, noch der Aktiengesellschaft, die in die Knie ginge, würde sich an der Börse herumsprechen, bei VW könne bald schon gestreikt werden.

Und nicht zuletzt müssen die Käufer darauf vertrauen können, dass VW genug verdient, um weiter Autos anbieten zu können, die auf dem neuesten Stand der Technik sind. Würden die erwirtschafteten Gewinne weiter an die Belegschaft verteilt statt in die fortlaufende Modernisierung der Produktion und die Entwicklung neuer Modelle, könnte bald der letzte Golf vom Band rollen, ein überholtes Auto, das niemand mehr kaufen würde. 

 

Dr. phil. Thomas Rietzschelgeboren 1951 bei Dresden, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“.

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Leserpost

netiquette:

Werner Brunner / 09.11.2024

Über was regen sich die Leute denn dauernd auf ? Alles wäre so furchtbar mies , schlecht , ja katastrophal .... Die Probleme dieses Landes sind doch ganz einfach zu lösen : Sämtliche Politiker werden vor Gericht zitiert , abgeurteilt und dann für immer eingesperrt . Für die dann freiwerdenden Posten nehmen wir dann Fachleute , die diesen Namen auch verdienen ....... Dann warten wir mal ab was geschieht .....

Jupp Posipal / 09.11.2024

Den Politikern im Aufsichtsrat kann doch nicht wirklich verborgen geblieben sein, das im VW-Konzern schon lange nicht mehr genug verdiente bzw. eine auskömmliche Rendite erwirtschaftet wurde. Die Häme im Internet über umfangreich geschilderte Mängel nicht nur beim elektronischen Gelumpe (Fahrassistenzsysteme, Entertainment, usw.) deutete schon früh auf ein deutliches Absatzrisiko hin. Wer gibt denn weit über 40 Tsd€ für eine Software-Ruine aus, wo auf Monate (oder gar Jahre) keine Verbesserung (Cariad & Co.) zu erwarten ist.  Wieviel Jahre glaubte man denn Zeit zur produktrelevanten Nachbesserung zu haben? Vertraute man wirklich auf automatish steigende und weiterhin akzeptierte Lifestyleendkundenpreise (für welchen Mehrwert)? Nachdem wegen des vorsätzlichen Dieselbetrug etliche Milliarden aus beachtlichen VW-Rücklagen u.a. in den USA „ungeplant „ausgegeben“ werden mussten; fehlten Reserven um immer wieder zeitliche längere Durststrecken überbrücken zu können. Wobei begleitend ein flexibler etabliertes Mitarbeiterboni-System (mit zeitlich temporären Abschlägen außerhalb garantierter Tarifgehälter) die Arbeitsplätze stärker sichern könnte. Leider wurde offensichtlich von der faktisch tarifpolitisch privilegierten Belegschaft gehofft, geglaubt, verdrängt; das ohne überzeugende Produkte, innovative Weiterentwicklungen und noch bezahlbar-vertretbare Endkundenpreise gerde ein exorbitante Haustarif schon nach sehr wenigen Jahren auf der Kippe stehen könnte. Für welche nachhaltig erreichten Geschäftszielen (–> Verantwortung für Renditen zu welchen Zeitpunkten – Mikromanagementexpertise für grundlegende Zukunftsentscheidungen – Politische Kontakte für Subventionszuschüsse oder staatliche Abwrack- oder eCar-Kaufprämien) ???) hat denn der Aufsichtsrat die exorbitanten Vorstands-Boni ausgezahlt? Schon nach wenigen Vertragsjahren hat zumindest dieser offensichtlich wettbewerblich überforderter Personenkreis finanziell ausgsorgt!

Max Mütze / 09.11.2024

Hat der Autor jetzt die richtungsweisende Fokussierung auf die ohne Subventionen schwer verkäuflichen E- Modelle vergessen?

S. Marek / 09.11.2024

ES GILT NUR EINS;  BEI DEN   KOMMENDEN WAHLEN   AfD MIT ERDRUTSCHARTIGEM WAHL SIEG;  ÜBER 50% ,  ZUM FÜHREN DES   LANDES   ZU WÄHLEN !  SONST WIRD ES DER GLEICHE MIßT WIE IN   FRANKREICH PASSIEREN !!!  Spricht die Menschen an, und klärt Sie auf,  da die regierungstreuen Medienvasallen lügen, verdrehen Tatsachen und versuchen den Wählern angst zu machen.  AfD wählen heißt Freiheit und Hoffnung wählen !

Roland Völlmer / 09.11.2024

Der Begriff Flaute unterstellt, dass irgendwann wieder Wind kommt, es also wieder aufwärts gehen wird. Das sollte der Kanzler erst einmal prüfen, ob es wieder aufwärts gehen wird. Vermutlich wird er dann feststellen, dass VW sich nur noch auf einem abgeschotteten kleinen Markt in der EU halten kann. Denn China und Russland ist weg, Trump wird die USA wegnehmen, und in Asien gibt es billiger Autos von China. Also, sieht schlecht aus. Die Schließungen werden nicht die letzten sein.

T. Weidner / 09.11.2024

Wer Esken bei Lanz am 7.11. gesehen hat - musste einsehen, dass Schloz lediglich Eskens Sprechpuppe darstellt. Die umgekehrte Variante erscheint praktisch unmöglich wegen Eskens dominanter, wenn nicht gar absolutistischer Persönlichkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schloz es wagt, bei Esken Widerworte anzubringen…

Bernd Fendt / 09.11.2024

Weiss dieser Westentaschen Kanzler eigentlich, dass er mit seiner Schelte “der Bosse” seinen Parteigenossen Weil in Niedersachsen anpinkelt ? Oder hat er das auch schon wieder vergessen?

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