Norbert Bolz, Gastautor / 05.12.2018 / 06:20 / Foto: Pixabay/Papafox / 71 / Seite ausdrucken

Der Journalist als Oberlehrer

Es sind immer ganz bestimmte Eliten, die vom „Versagen der Eliten“ sprechen. Sie tun das, sobald sie sich in einer Krise sehen, das heißt sobald sie nicht mehr weiter wissen. Gute Beispiele dafür sind ja noch in aller Munde: Trumps Wahlerfolg, der die Demoskopie entzaubert hat; der „Brexit“ der Briten, der das Brüsseler Establishment skandalisiert; und natürlich auch der Erfolg der AfD in Deutschland, der offenbar auch durch eine konzertierte Aktion von etablierten Parteien und ihnen zugetanen Journalisten nicht gestoppt werden kann. 

In all diesen Fällen wird dann von einer Krise geredet und man gibt Eliten die Schuld, die es offenbar versäumt haben, das Volk auf den richtigen Weg zu führen. Doch bei Lichte betrachtet, ist „Krise“ hier nur der Begriff, mit dem freischwebende Intellektuelle hinter der ihnen unsympathischen Realität die „gute Gesellschaft“ hervorzaubern wollen. Denn überall scheint die schlechte Gesellschaft auf dem Vormarsch. Und für ihr Denken hat man ein Label gefunden, das mittlerweile ähnlich inflationär und also sinnleer gebraucht wird wie etwa „Nachhaltigkeit“, nämlich „Rechtspopulismus“. Das ist jedenfalls die zentrale Vokabel in der Rhetorik regierungstreuer Journalisten und jener Gefälligkeitswissenschaftler, die den Politikern zuarbeiten.

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Die meisten Wissenschaftler tun ihre Arbeit und sie machen sie gut. Gefälligkeitswissenschaftler sind dagegen diejenigen, die ein seismographisches Gespür dafür haben, welche Statistiken der Regierung gerade in den Kram passen. Und nur von ihnen hört man in den Massenmedien. Und auch ein zweites Missverständnis soll hier gleich ausgeräumt werden. Was folgt, ist keine Medienschelte. Auch die meisten Journalisten machen ihre Arbeit gut, und es gibt nach wie vor Qualitätszeitungen wie die FAZ oder die NZZ. Aber das, was als öffentliche Meinung gilt, wird doch von einer ganz anderen Journalistenklasse geprägt, die im Zweifel links und in jedem Fall sentimental-humanitaristisch eingestellt ist. Nur sie ist gemeint, wenn im folgenden von der Medienelite die Rede ist.

Elektronische Medien haben eine Weltkommunikation in Echtzeit ermöglicht, die uns die Empfindung der Allgegenwart vermittelt. Alles, was auf der Welt geschieht, geht uns nun etwas an. Und damit ist die Zumutung verbunden, zu allem eine Meinung haben zu müssen. Nun wäre es schön, wenn wir als aufgeklärte Bürger diese unsere Meinungen auf Informationen basieren könnten. Aber diese Erwartung ist unrealistisch.

Weil die Welt komplex ist, fehlen uns immer Informationen. Weil Informationen fehlen, sind wir immer unsicher. Weil wir unsicher sind, gibt es für uns keine wahre Antwort. So entsteht ein dringender Orientierungsbedarf. Allan Bloom hat das Fernsehen in diesem Zusammenhang als Konsens-Monster bezeichnet. Zu jeder Fernsehnachricht gibt es deshalb einen Gefühlskommentar – es ist eigentlich gar keine artikulierte Meinung mehr nötig! Aber auch die meisten anderen Medien funktionieren als Klimaanlage der Meinungen. Und damit sind der Propaganda Tür und Tor geöffnet.

Früher war der Staat Erzieher, heute ist er Verführer

Die Massenmedien stabilisieren die Nachfrage nach der Ware Meinung, das heißt, sie befriedigen jenen dringenden Orientierungsbedarf, den sich der mündige Bürger allerdings nur ungern eingesteht. Es fällt nämlich schwer, zu akzeptieren, dass man unfähig ist, eine eigene Meinung zu Putin, Nordkorea oder zur Lage im Nahen Osten, zur Flüchtlingskrise oder zum Klimawandel zu entwickeln. Und deshalb ist man anfällig für Propaganda – die Meinung von der Stange. Dieser Propagandabegriff meint aber nicht nur Gehirnwäsche und Zensur. Moderne, westliche Regierungen zensieren nicht im klassischen Stil, sondern sie kontern Fakten mit Fakten. In der Zeit der Aufklärung war der Staat Erzieher. Heute ist der Staat Verführer: Designer der Gefühle, Hauptkunde der Marktforschung und Warenanbieter auf dem Markt der öffentlichen Meinung.

Kein Missverständnis, bitte: Die Massenmedien und die PR-Abteilungen der Politik bieten Fakten und Informationen. Allerdings zunehmend in stark emotionalisierter Form. Meist genügt schon ein Stirnrunzeln der Moderatorin, um die Welt moralisch zu schematisieren. Die Guten hassen dann die Bösen – und zwar mit gutem Gewissen. Politisch hat das fatale Konsequenzen. Wir können das sehr gut am öffentlichen Umgang mit der AfD, aber auch mit dem Brexit oder Donald Trump beobachten. Politiker und Journalisten begegnen ihnen nicht mehr analytisch und mit Argumenten, sondern sie verschmelzen Themen mit Meinungen und Meinungen mit moralischen Bewertungen. So formiert sich ein Gesinnungsjournalismus, der abweichende Meinungen skandalisiert und jedem den Preis deutlich macht, der für Nonkonformismus zu zahlen wäre.

Die Intellektuellen des linken Mainstream moralisieren politische Themen so radikal, dass zwischen Thema und Meinung gar kein Spielraum mehr bleibt. Die Entscheidung der Amerikaner und Briten war schlecht, die Entscheidung von Frau Merkel, über eine Million Flüchtlinge ins Land zu lassen, war gut. Die Entscheidung der Österreicher gegen Norbert Hofer war gut, die Entscheidung der Italiener für die Fünf-Sterne-Bewegung war schlecht. Die politische Einheit Europas ist gut, das Interesse an nationaler Souveränität ist schlecht. Wer die Welt so sieht, wird von der Medienelite zur guten Gesellschaft zugelassen. Alle anderen sind Rechtspopulisten. Demokratische Mehrheitsentscheidungen werden von der Medienelite nur akzeptiert, wenn sie dem eigenen Programm entsprechen.

Dass sie selbst die versagenden Eliten sein könnten, kommt den regierungstreuen Intellektuellen natürlich nicht in den Sinn. Die Gefälligkeitswissenschaftler unterscheiden nicht zwischen Analyse der Politik und politischer Stellungnahme. Die politisch korrekten Journalisten unterscheiden nicht zwischen Thema und Meinung. Die Gefälligkeitswissenschaftler analysieren nicht, sondern sie warnen und mahnen – besonders gerne in Talkshows und mit „scientific soundbites“ für das Fernsehen. Und die Journalisten des linken Mainstream belehren lieber als zu berichten. Dass sie dabei zum Größenwahn neigen, zeigen täglich Sendungen wie die „Tagesthemen“ und das „heute-Journal“, die eine Art Volkspädagogik höherer Ordnung betreiben, und wöchentlich Blätter wie „Der Spiegel“, der vorgibt, ein Nachrichtenmagazin zu sein, aber zum Beispiel den Wahltriumph Trumps mit einer Titelgeschichte über den Untergang der Welt kommentierte.

Lizenz zur Propaganda?

Wie konnte es dazu kommen? Intellektuelle und Journalisten nehmen in der modernen Welt eine Sonderstellung ein. Sie befriedigen nämlich ein Bedürfnis nach Orientierung, das weder von der Politik noch von der Wirtschaft und schon lange auch nicht mehr von der Religion bedient werden kann. Und dieses Orientierungsbedürfnis wächst, je komplexer unsere Welt wird. Walter Lippmann hat dieses Problem schon vor fast hundert Jahren gesehen und ein Konzept der öffentlichen Meinung ausgearbeitet, das auch heute noch den Hintergrund des Selbstverständnisses westlicher Intellektueller bildet.

Lippmann ist davon ausgegangen, dass die gesellschaftliche Dynamik so komplex geworden ist, dass sich der Einzelne keine eigene Meinung mehr über politische Sachverhalte bilden kann. Deshalb brauchen wir Experten, die die Verantwortung für die Organisation der öffentlichen Meinung übernehmen. Zu diesen Experten allerdings hat Lippmann die Journalisten ausdrücklich nicht gerechnet. Das sehen diese natürlich schon lange ganz anders. Sie halten sich selbst für die Meinungselite. Und viele verstehen Lippmanns Konzept der öffentlichen Meinung als Lizenz zur Propaganda.

Dass man die formale Freiheit hat, zu sagen, was man denkt, besagt nicht viel, wenn man nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf. Da es auf Dauer zu anstrengend ist, anders zu denken als man redet, denken die meisten auch schon politisch korrekt. Wir fürchten also nicht, eine falsche Meinung zu haben, sondern mit ihr allein zu stehen. Die Isolationsangst regiert die Welt. Wer aber den Zorn der anderen fürchtet, schließt sich leicht der Meinung der scheinbaren Mehrheit an, auch wenn er es eigentlich besser weiß. Er bringt sich selbst zum Schweigen, um seinen guten Ruf nicht aufs Spiel zu setzen. 

Man spricht nach, was man so sagt, und was man so sagt, ist nicht etwa die Meinung der Mehrheit, sondern die Meinung von gut artikulierten Minderheiten. Das ist der Ansatzpunkt für eine Dynamik, die Elisabeth Noelle-Neumann „Schweigespirale“ genannt hat. Und die wird heute von der Politischen Korrektheit genutzt. Sie ist zum einen durch die Verschmelzung von Thema und Meinung gekennzeichnet – man darf zu bestimmten Themen nur eine Meinung haben. Zum andern haben wir es mit einer Moralisierung am Medienpranger zu tun – dem politisch Unkorrekten wird der Schauprozess gemacht. 

Gewohnt, als Oberlehrer der Nation aufzutreten

Weder in der Wirtschaft noch in der Alltagspolitik, weder in der Wissenschaft noch in der Technik kann von einem Versagen der Eliten die Rede sein. Die einzige Elite, an deren Leistungsfähigkeit Zweifel angebracht sind, sind die Linksintellektuellen, die sich von Kritikern der Macht zu ihren Steigbügelhaltern zurückentwickelt haben. Dafür gibt es ein deutliches Symptom. Jeden Tag warnt die Medienelite vor Populismus, der, da die Medienelite ja links steht, notwendigerweise „Rechtspopulismus“ sein muss. 

Was steckt dahinter? Offensichtlich kommen die Linksintellektuellen mit dem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit nicht zurecht. Im Zeitalter des Internet und der sozialen Medien haben wir es nämlich mit einer revolutionären Machtverschiebung auf allen Ebenen der Gesellschaft zu tun. Die Macht verschiebt sich von den Politikern zu den Bürgern. Die Stichworte lauten Partizipation, direkte Demokratie und Volksentscheid. Wirtschaftlich verschiebt sich die Macht von den Firmen zu den Kunden. Zu recht sprechen Trendforscher von einer Konsumentendemokratie.

Und ganz generell verschiebt sich die Macht von den Experten zu den Laien. Das Stichwort lautet hier „Wisdom of Crowds“. Und diese Krise der Expertenkultur, die durch die Selbstorganisation der Laien im Internet auf Dauer gestellt worden ist, macht vor allem den klassischen Massenmedien zu schaffen. Die Medienelite ist es ja gewohnt, als Oberlehrer der Nation aufzutreten. Nun muss sie immer häufiger erleben, dass man die Welt nicht mehr in ihrem Spiegel sieht, sondern sich lieber auf andere Informationsquellen verlässt. Und schon ertönt der neue Warnruf aus den Redaktionen, unsere Gesellschaft steuere auf ein „post-faktisches Zeitalter“ zu.

Wenn man die Erfolgsgeschichte der neuen sozialen Medien nüchtern betrachtet, muss man konstatieren, dass unsere Gesellschaft vor einer Partizipationsrevolution steht. Die Bürger wollen mitreden, die Kunden produzieren selbst, die User schaffen selbst Inhalte. Doch es wäre ein grobes Missverständnis, wenn man daraus ableiten wollte, dass die autoritative Führung durch Eliten überflüssig wird. Im Gegenteil. Je weiter die Globalisierung fortschreitet, desto größer wird der Orientierungsbedarf. Je tiefer wir uns tagtäglich in Netzwerke verstricken, desto größer wird der Führungsbedarf. Nicht zufällig unterhalten Unternehmen und Organisationen Think Tanks. Nicht zufällig schießen allerorten Exzellenzinitiativen aus dem Boden.

Autorität, die auf überlegener Kompetenz beruht

Exzellenz ist in diesem Zusammenhang ein exzellentes Wort. Es markiert das Prinzip der Selbstselektion, das die Entscheider und Könner zur Elite macht. Dazu gehören eben immer nur die Leute, die ihren hohen Status verdient haben. Sie strahlen die Autorität aus, die auf überlegener Kompetenz beruht. Eliten entstehen immer als Resultat von Ausleseprozessen. Doch damit sind sie natürlich dem Ressentiment der politisch korrekten Intellektuellen ausgesetzt, die ihre eigene Unfähigkeit, die Welt zu verstehen, auf ein „Versagen der Eliten“ projizieren.

Wenn unsere Gesellschaft ein Problem hat, dann nicht mit den Funktions- und Leistungseliten, sondern mit jenen Intellektuellen, die zwar bestechend intelligent und hervorragend gebildet, aber wie von einem bösen Zauber verhext sind. Ihr machtgeschützter, sentimental moralisierender Diskurs der politischen Korrektheit benutzt die Ethik als Mittel des Rechthabens und stellt jeden Andersdenkenden an den Medienpranger. So zerfällt die Welt des Geistes heute in Selbstgerechte und Eingeschüchterte. 

Wenn die klassischen Massenmedien etwas dazu beitragen wollen, dass wir wieder zu einem Geist der Liberalität zurückfinden, dann sollten sie ihre Nachrichten und Berichte von regierungsnahen Meinungen und volkspädagogischen Intentionen befreien. Sie müssen einen Weg heraus aus der Sackgasse der politischen Korrektheit und ihrer Verbalexorzismen finden. Die größte Gefahr für die Wahrheit ist nämlich nicht die Lüge, sondern der Bullshit. Und die größte Gefahr für die Demokratie ist nicht der Hass der radikalen Verlierer, sondern das Schweigen der vielen, die sich vom Paternalismus der Medienelite bevormundet fühlen. 

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Gilbert Brands / 05.12.2018

Gefälligkeitswissenschaftler heißen übrigens offiziell “anerkannte Wissenschaftler”. Die meisten Intellektuellen sind auch nicht intelligent, sondern ausgesprochen dumm, sind sie doch nicht in der Lage, die einfachsten logischen Zusammenhänge zu begreifen. Die Fähigkeit, sich unverständlich zu äußern oder einige wenige rhetorische Kniffe zu beherrschen sollte man keinesfalls mit Intelligenz verwechseln.

Heiko Ecke / 05.12.2018

Wer das Paradebeispiel des journalistischen Oberlehrers noch einmal zur Ansicht nehmen will, der kann sich heute auf WO den Herrn Posener noch einmal zu Gemüte führen. Besonderes Augenmerk sollte auch auf die Kommentarspalte gelegt werden.

Andreas Rühl / 05.12.2018

Mein Problem ist nicht der vor die Hunde gegangene Journalismus, sondern die erschreckende Tatsache, dass die politischen Entscheidungsträger an den Unsinn, den sie den lieben langen Tag reden, auch noch glauben. Die wollen WIRKLICH die Welt retten und zu einem “besseren Ort” machen! Du meine Güte! Was für eine Narretei! Gegen ein solches Ausmaß an Selbstüberschätzung, Inkompetenz, ja Ahnungslosigkeit, gegen diesen Abgrund an Naivität, der an Irrsinn grenzt, erscheint die Bildungsferne und das moralische Gesülze der Propaganda-Journaille als Petitesse.

Thomas Schmied / 05.12.2018

Schöner Text, jedoch sei ein kleiner Einwand eines Menschen gestattet, der sich weder als “intellektuell”, noch als “Experten” sieht. Diese Begriffe halte ich inzwischen für “verbrannt”, wie man immer so schön sagt. Scherz beiseite: Es ist nachvollziehbar und richtig, dass sich Ratio und der Sachverstand bei der Meinungsbildung wieder stärker durchsetzen muß. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass zum Beispiel studierte Fachleute zu einem speziellen Thema fundiertere Kenntnisse besitzen, als ein Laie. Die Betonung muß jedoch auf dem “speziellen Thema” liegen! Wenn ein erfahrener, promovierter und habilitierter, international anerkannter Käferforscher mit Drittwohnsitz in Berlin-Grunewald sich zum Zustand der Gesellschaft äußert, dann hat seine Stimme nicht mehr Gewicht, als die des jungen Rettungsassistenten Max Müller aus Köln, der jede Nacht mit der Realität der Straße konfrontiert wird. Eher im Gegenteil. Max Müller wird aber nie in irgendeiner Talkshow sitzen. Trotzdem lauschen Hunderttausende dem Professor oder Leuten wie Schweiger oder Grönemeyer, die zu jedem Thema ihren Senf als besondere Weisheit verkünden dürfen. Bestimmte Themen sind nicht auf einzelne Fachgebiete zu reduzieren. Dazu gehört Lebenserfahrung und Allgemeinbildung, die bei so manchem Laien größer ausgeprägt ist, als bei vielen der “Experten” die uns die Massenmedien immer vorsetzen. Das Problem der Gier und der Eitelkeit spielt auch eine riesige Rolle: Nur wer das “Richtige” sagt, wird wieder eingelanden, kann verkaufen, seine Bekanntheit vergrößern. Deshalb sind die Gesichter immer gleich. Was mich schon lange stört, ist allgemein das Prinzip “Meinungsgeber/ Meinungsnehmer”. Das selbstständige Denken der Masse muß gefördert werden. Echte Experten sollen dazu nüchterne Fakten liefern, während das Denken wieder den Leuten zugetraut werden muß. Das jedoch fürchtet die Politik! Hier halte ich das Internet viel stärker für eine Chance, als für ein Problem.

Andreas Mertens / 05.12.2018

“... Auch die meisten Journalisten machen ihre Arbeit gut ...” Dem möchte ich (mit Bedauern) widersprechen. Sogar vehement widersprechen. Bei den allermeisten Journalisten herrscht die Schere im Kopf. Wenn sie nicht geradezu begeisterte Claqueure und Winkmittelträger der politisch vorgegebenen Marschrichtung sind, dann getrauen sie sich ob des Wissens um mögliche Repressionen nichts anders zu schreiben als das was als opportun angegeben wird. Die Hexenjagd auf Abweichler, Dissidenten, Leugner hat ein Ausmaß angenommen, das wer (z. Bsp. als Journalist) gegen den politisch korrekten Mainstream zu schwimmen gedenkt, entweder finanziell völlig unabhängig, oder seines Lebens als sozial geduldetes Wesen überdrüssig sein muss.

Horst Scharn / 05.12.2018

Wo kommen all diese Typen nur her? Wie sind die so geworden? Aus der wiederholten Einzelerfahrung heraus meine ich, ist es das recht haben wollen des als Intellektuellen missverstandenen Besserwissers: es gibt diesen Typus nicht nur auf der gehobenen Ebene des Gebildeten, sondern er reüssiert in allen Schichten. Eine Konzentration dieses Typus in Redaktionen, Thinktanks, aber auch in Büros und an Stammtischen führt durch gegenseitige Bestätigung zu allmählicher geistiger Levitation. Das Wachstumshormon dieses Clusters ist nicht nur das Geld, das den mit ihren Erkenntnissen ihren Lebensunterhalt Bestreitenden winkt, sondern es liegt in einer Obsession zum Widersprechen. Ihr Ruf nach Debatte ist ein Trick, die Auseinandersetzung, die ja immer auch ein Einlenken beinhaltet, ist in dieser Form für den Besessenen nicht akzeptabel. Deshalb ist das Diskutieren für ihn nur dann hinnehmbar, wenn es, sozusagen von vornherein, darauf abstellt, den Gegner vorzuführen. Dazu wird Öffentlichkeit missbraucht in doppelter Hinsicht. Der Ruf nach Fakten ist in Wahrheit eine Lüge: Fakten werden nur akzeptiert, wenn das aufgerufene Weltbild durch sie repräsentiert wird; damit nicht kohärente Fakten werden übergangen (Sebnitzlüge, Chemnitzlüge). Letztendlich beschreiben wir hier einen Typus, der in jeder Umgebung, selbst oder insbesondere bei Gleichgesinnten, aber insgesamt bei jedwedem Nächsten zur Aversion führt: niemand will wirklich deren Reden lauschen und nur in der Form der “Arbeit”, also beim Attackieren des gemeinsamen Feindes, beißen sich diese Schlittenhunde nicht. Trotz Unreflektiertheit hat der einfache Mann diesem Typus einen vulgären Namen gegeben, entlehnt aus der anatomischen Bezeichnung eines Schließmuskelnahen Abschnittes des Verdauungstraktes, und ich meine: nicht ganz zu unrecht. Nun ist er also da, dieser Typus; was tun? Abstand halten und nicht einmal ignorieren. Denn: lädt er dich ein, belügt er dich schon, will er dich lediglich vorführen, aushorchen, denunzieren

Michael Kneip / 05.12.2018

Vielen Dank, Ihr Artikel spricht mir aus der Seele! Ich habe in den letzten Jahren etliche Mails an die öffentlich rechtlichen geschrieben, um auf den von Ihnen angesprochenen Missstand hinzuweisen, mit leider sehr geringem Erfolg. Es tut aber gut, zu sehen, dass man nicht der Einzige ist, der sich gegängelt und bevormundet fühlt

Karl Schmidt / 05.12.2018

Der Journalist sollte ein Beobachter sein, der die Sachverhalte zusammenträgt, die Argumente der Beteiligten. Er sollte kein Richter sein - es sei denn, er schreibt über den Artikel “Kommentar”. Doch den dürfen nur die abgeben, die vorher die bewiesen haben, dass sie die Grundlagen des Journalismus in Satz 1 mühelos und über Jahre hinweg beherrschen. Doch in Deutschland meint Journalismus Propaganda. Es geht um Meinungsvermittlung. Daher sind die Tatbestände kurz und einseitig; die Argumente auch. Nicht selten gibt es sogar eine Verquickung von politischer Arbeit im Privaten mit dem Beruf. Niemals könnte man sich vorstellen, dass ein Richter einen Prozess über einen Verein führt, dem er selbst angehört. Im Journalismus ist das eher üblich. Die Chefredakteure, die so etwas zulassen, haben weder ihren Laden im Griff noch sind sie ihr Geld wert. Eine einfache Googleanfrage bringt die Interessensvermischung an den Tag. Doch die Redaktionen wissen sicher ohnehin um die privaten Engagements der Kollegen. Die politischen Misstände sind direkte Folge dieser fehlenden Qualität in der Berichterstattung, der mangelnden Kritik, dem Fehlen von Distanz. Und so bewegen wir uns in einer Dauerschleife von Machtmissbrauch, Propaganda, Absturz, Reue und Neuanfang. Sie lernen nicht dazu.

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