Es „werden einige Erleichterungen im innerdeutschen Reiseverkehr in Kraft treten. Es handelt sich um erhebliche Fortschritte im Berliner Reiseverkehr, wie
- die Ausstellung von Einreisevisa an Inhaber von Mehrfach-Berechtigungsscheinen unmittelbar in den zugelassenen Grenzübergangsstellen,
- die Verlängerung der Gültigkeit von Mehrfachberechtigungsscheinen von sechs Monaten auf ein Jahr, […]
- die Möglichkeit, über die Grenzübergangsstellen Drewitz und Stolpe Hunde mitzunehmen.“
Auch für innerdeutsche Touristen gab es gute Nachrichten, so sollte beispielsweise die „Abwicklung von Einzel- und Gruppenreisen erleichtert werden. Die Bundesregierung begrüßt diese neuen Erleichterungen und wertet sie als Erfolg ihrer langen und intensiven Bemühungen um Normalisierung. Es ist damit zu rechnen, dass es […] zu noch mehr Begegnungen der Menschen in Deutschland kommen wird.“
So klang es, wenn sich die Bundesregierung vor dem Mauerfall zu Fortschritten im innerdeutschen Reiseverkehr äußerte. Meist waren es keine größeren Erfolge als diese, die zu vermelden waren. Es ging immer um Transitreisende durch die DDR von und nach West-Berlin, um die Bedingungen für DDR-Reisen von Bundesbürgern oder West-Berlinern und darum, vielleicht doch noch ein paar mehr DDR-Bewohnern zu einem Besuch bei ihren Familienangehörigen im Westen zu verhelfen.
Die zitierte Mitteilung ist übrigens eine des damaligen stellvertretenden Sprechers der Bundesregierung, Herbert Schmülling, vom 31. Juli 1989. Wenige Monate später wurde die SED-Führung gestürzt, und neben vielem anderen revolutionierten die aufbegehrenden DDR-Bewohner auch den innerdeutschen Reiseverkehr. Plötzlich galt überall in Deutschland die Freizügigkeit, die das Grundgesetz den Bundesbürgern garantiert. Die Wortgruppe „innerdeutscher Reiseverkehr“ verschwand aus dem Sprachgebrauch, denn man musste ihn fortan ja weder registrieren noch kontrollieren.
Drehbuch mit speziellem Humor
Wäre es ein Drehbuch, müsste man dem Drehbuchautor vielleicht einen gesunden Humor unterstellen. Ausgerechnet im Jahr, in dem die Bundesrepublik hätte mit großem Pomp 30 Jahre deutscher Einheit feiern können, fielen nicht nur die Feiern weitestgehend dem Corona-Ausnahmezustand zum Opfer, auch der innerdeutsche Reiseverkehr ist wieder ein Thema. Der Kölner darf nicht nach Mecklenburg-Vorpommern, der Berliner auch nicht und im benachbarten Brandenburg darf er nicht übernachten. Sie finden auch, ebenso wie Stuttgarter und Essener, kein Quartier in Sachsen, allenfalls könnten sie sich alle noch – so scheint es – zu einem Wochenende in Sachsen-Anhalt treffen. Aber das könnte in dem Moment, in dem der Satz geschrieben wurde, auch schon wieder obsolet sein. Die Liste der Regionen, aus denen und in die man möglichst nicht mehr reisen soll, wird länger, und Reisende wie Gastgeber und Hoteliers sind angewiesen, die Entwicklung der innerdeutschen Risiko-Gebietsliste stets zu verfolgen.
Wenn man bei Google „innerdeutscher Reiseverkehr“ und „Bundesregierung“ eingibt, dann bekommt man neben dem Link zu der zitierten historischen Mitteilung über Reiseerleichterungen selbstverständlich zuerst das empfohlen, was die Obrigkeit heute zu innerdeutschen Reiseregelungen mitzuteilen hat:
„Was ist bei Reisen innerhalb Deutschlands zu beachten?
Es gelten die Corona-Regelungen der Bundesländer. Wenn Sie verreisen wollen, müssen Sie sich darüber informieren. Aufgrund steigender Infektionszahlen ergreifen die Bundesländer konsequente lokale Beschränkungsmaßnahmen – spätestens, sobald das Infektionsgeschehen über die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage steigt.
Bund und Länder fordern nach einem Treffen am 7. Oktober alle Bürgerinnen und Bürger auf, nicht erforderliche Reisen in Risikogebiete und aus Risikogebieten innerhalb Deutschlands heraus zu vermeiden.“
Da die Zahl der Risikogebiete stetig zunimmt und bei immer mehr Tests auch die willkürlich festgesetzte 50er-Marke immer häufiger geknackt werden wird, werden auch immer mehr Deutsche zu Bewohnern eines Risikogebiets. Die werden davor gewarnt, in andere Risikogebiete zu reisen, während die Einwohner der verbliebenen Nicht-Risikogebiete kaum noch einen Ort im Land finden, an den sie reisen können.
Und was ist mit den Erleichterungen?
Ja gut, werden Sie vielleicht sagen, es kann sich ja jeder vorher testen lassen. Außer in Mecklenburg-Vorpommern darf man ja mit einem negativen Testergebnis Quartier nehmen. Aber das funktioniert nur in Gemeinwesen, in denen hinreichend Test-Möglichkeiten angeboten werden, also in Berlin schon mal mit Sicherheit nicht. Und von Erleichterungen im innerdeutschen Reiseverkehr ist auch nirgends die Rede, das klingt wahrscheinlich zu sehr nach Öffnungsdiskussionsorgien, wie die Bundeskanzlerin einst Anregungen bezeichnete, die Zügel bei den Bürgern mit eingeschränkten Bürgerrechten vielleicht etwas lockerer zu lassen.
Vielleicht erinnern sich die Bürger irgendwann genervt an ihre suspendierten Bürgerrechte und wollen nicht mehr warten, bis ihnen die Obrigkeit Reiseerleichterungen zugesteht. Um wegen des Eingangszitats nicht missverstanden zu werden: Das soll hier kein Text mit platten DDR-Vergleichen sein. Schließlich ist dieser fragwürdige Corona-Ausnahmezustand zum Glück noch lange keine Diktatur. Es gibt noch viele legale Möglichkeiten, aufzubegehren. Wer die Situation beklagt, muss dies dann aber auch tun. Jede Freiheit, die nicht genutzt wird, ist bedroht – nicht nur zu Corona-Zeiten.
Jedenfalls gehören Regeln zum innerdeutschen Reiseverkehr nicht in ein freies Land. Wenn es ein Problem mit einer Krankheit gibt, dann ist es die Aufgabe der Verantwortungsträger, sich vordringlich um die besten Bedingungen zur Bekämpfung der Krankheit und der Heilung der Erkrankten zu kümmern, statt dies durch einen Überbietungswettbewerb in Verboten und Regeln zur weitgehenden Vereinzelung der Menschen zu ersetzen.