Krisztina Koenen, Gastautorin / 20.05.2022 / 14:00 / 11 / Seite ausdrucken

Der Hunger nach Identifikation und Transzendenz

200.000 feierten gestern in Frankfurt den Sieg der Eintracht in der Europa League. Sie feierten aber sicher nicht die Bekenntnisse zur Diversität, die Eintracht-Präsident Peter Fischer gerne in Festreden hervorhebt.

Am Donnerstag, dem 19. Mai, begleiteten wahrscheinlich 200.000 Menschen die aus Sevilla heimkehrenden Spieler des Bundesligisten Eintracht Frankfurt vom Flughafen bis zum Römer, wo sie den Pokal der Europa League der feiernden Menge präsentierten. Auf der ganzen Strecke vom Flughafen, in der ganzen Innenstadt und auf dem Römer spielten sich Szenen ab, die man so noch nicht gesehen hat. Die Menschen jubelten, wer konnte, machte mit den Spielern Selfies, es waren überall Ausbrüche der Glückseligkeit, Lachen, Weinen, Ergriffenheit. Auf dem Römer warteten viele seit morgens um 9 Uhr, und das, nachdem das Spiel in Sevilla wegen Verlängerung, Elfmeterschießen und Preisverleihung bis nach Mitternacht dahinzog.

Was war es, was diese Menschen bewegt hat? Natürlich waren die Anhänger von Eintracht Frankfurt bisher schon berühmt für ihre Hingabe und insbesondere für ihre Leidensfähigkeit. Die Eintracht-Spiele leben nur selten von der individuellen Klasse, meistens ist es die kämpferische Mannschaftsleistung, die Siege ermöglicht und die die Fans begeistert. Damit ist es der Eintracht gelungen, so manchen verwöhnten Klub wie Barcelona zu überraschen, aber dazu gehört auch die unerklärliche Unausgeglichenheit der Leistungsbilanz, die in dieser Saison nur für einen 11. Platz in der heimischen Liga gereicht hat. Natürlich bewundern Fans die besonderen Fähigkeiten einzelner Stars, aber womöglich sind es gerade in der heutigen Zeit andere Qualitäten, die die Herzen der Fußballfans bewegen.

Aufopferungsbereitschaft, die Bereitschaft bis zum eigenen Limit und darüber hinauszugehen, Zusammenhalt, die bedingungslose Loyalität zur eigenen Mannschaft, die Hingabe für die Sache – das ist, was Frankfurt in der Europa League gezeigt hat, die Eigenschaften, die schließlich zum Sieg geführt haben. Da ist ein Seppl Rode, der am Anfang des Spiels einen 10 Zentimeter langen Riss auf seiner Stirn tackern lässt und fast bis zum Schluss durchhält, ein Ansgar Knauff, der, fast noch ein Kind, unter sichtbaren Schmerzen 120 Minuten Höchstleistungen bringt, ein Rafael Borré, ein Filip Kostić, die nicht aufhören zu stürmen, und natürlich Torwart Kevin Trapp, der über sich hinauswächst und mit grandiosen Paraden den Sieg einleitet und schließlich auf dem Römer in Tränen ausbricht – sie alle zeigten Eigenschaften, die in Deutschland heute politisch nicht populär, ja sogar gar nicht gewollt sind, allein schon, weil sie Bestandteile der toxischen Männlichkeit sind. Die Spieler sollen stattdessen emphatisch und nett sein, wenn überhaupt, dann gegen Rechts und Rassismus kämpfen, alle liebhaben und tolerant sein, auf dem Feld mehr mit sexuellen Vorlieben und dem Elend fremder Völker beschäftigt sein als mit dem Niederringen des Gegners.

Eine Macht, die sich ihrer selbst noch nicht bewusst ist

Die Menge in Frankfurt feierte nicht die Bekenntnisse zur Diversität und zur Solidarität, die Eintracht-Präsident Peter Fischer gerne mal in Festreden hervorhebt, sondern Spieler, die sie für Helden halten. Der Mensch braucht echte Identifikation und Transzendenz, sie heute zu suchen ist kaum erlaubt. Erlaubt sind stattdessen künstliche Surrogate, die nur ihre Erzeuger, die Ideologen befriedigen. Die gestrige Nacht aber war ein Angebot für echte Identifikation. Wenn wir uns nicht mehr mit der Nation identifizieren dürfen, dann ist es eben eine Fußballmannschaft, wenn wir sonst keine Helden haben, dann eben Fußballer. Damit war gestern niemand allein, sondern Teil einer riesigen Gemeinschaft und das hat die Menschen glücklich gemacht. Sie erlebten etwas, was größer war als das einzelne Leben – etwas, das sie offensichtlich lange vermisst haben.

Die gestrigen 200.000 sollten den politischen Führungskräften dieses Landes dringend zu denken geben. Gestern konnten sie eine Macht erleben, die sich ihrer selbst noch nicht bewusst ist, aber das kann noch kommen. Geradezu schändlich war der Auftritt des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Peter Feldmann, gegen den die Frankfurter Staatsanwaltschaft gerade ein Verfahren wegen Korruption eingeleitet hat. Der Mann versuchte tatsächlich, das Ereignis für sich zu enteignen und den Pokal Trainer Glasner und Kapitän Rode zu entreißen, um dann in seiner Begrüßungsrede nicht mal die Namen der Spieler richtig zu nennen. Es gab gestern viele Symbole. Peter Feldmann war eines davon.

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Leserpost

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Frank Danton / 20.05.2022

Als Frankfurter will ich das mal so beschreiben. Hätte sich der politisch-mediale Mob gestern in irgend einer engen Gasse gezeigt, wäre er für die letzten 17 Jahre gelyncht worden. Die Frankfurter waren mal wieder Menschen und keine Knechte, und wer seinem Untertanendasein kurz entkommt, dem sollte man sich nicht in den Weg stellen.

Frank Holdergrün / 20.05.2022

Ja, hat denn Peter, der Peinliche, auch ein paar harte Männer dabei, die nach einem Tor den Boden küssen? Integration ist so wichtig und Fußball der einzige Ort, wo man sich trifft.

Werner Arning / 20.05.2022

Das was gestern in Frankfurt passierte, lässt aufhorchen. Die Emotionen, die hier zutage traten, das, was sich hier Bahn brach, was nach draußen wollte, das hatte rein mit Fußball nichts mehr zu tun, da war noch etwas anderes im Spiel. War es der ganze angestaute Corona-Kriegsnachrichten-Frust, der ein Ventil brauchte, durch welches er sich zu entladen versuchte und den Fußball als willkommenen Anlass dazu nahm? Klar, die Eintrachtfans sind für ihren Enthusiasmus und ihre Treue bekannt. Aber hier beteiligten sich offensichtlich auch „Fußball-Unbeteiligte“. Es ging um Zusammengehörigkeit, um Gemeinschaft, um ein Zueinanderstehen, ein Füreinanderdasein, ja um etwas „Größeres“. Die Stimmung wurde zwar von den lokalen Medien geschürt, doch hatte der Überschwang der Gefühle wohl auch mit ganz normalen menschlichen Bedürfnissen zu tun, etwa dem Vergessen des Alltags mit dessen Problemen und Sorgen. Feldmann war nur peinlich, Fischer nervt und Rode ist klasse. Typen wie Rode sind Identifikationsfiguren. Sie strahlen Ehrlichkeit aus, was ich von Feldmann und Fischer nicht behaupten möchte. Fischer „versucht“ in aufgesetzter Weise bodenständig zu wirken. Doch diese ehrlichen, bodenständigen, unaufgeregten Typen, diese Rodes, werden seltener und sind dabei so wichtig, nicht nur im Fußball. Und stimmt, es schimmert hier das Bedürfnis nach Transzendenz durch, das Bedürfnis danach, etwas absolut Gutem zu huldigen.

Hans Meier / 20.05.2022

Ich hab mich ja schon am 17.05. beim Verständnis für Fußballbegeisterung blamiert, also nun zu der Euphorie der Masse und ihrer Massenfreude, die umsogrößer wird je mehr im Stadion gebrüllt werden kann. Also ab und hin, am großen Parkplatz VW abstellen, und Eintritt löhnen, für Stadion nicht weit vom Zoo, und da kommen sie schon in Trikot` aus`se Kabine un Pfiff Anstoß un ab die Post. Rechts unterhalb schreit ein breiter bärtiger Bär, Typ der macht was mit Zement bei Bau, der schreit sich so richtig kraftvoll aus: „he Du Flasche nu mal ran, leg ihn um, leg ihn um du bis doch zum grätschen hier auf`e Wiese da“. Hab ich sofort richtig Spaß am Sport, obwohl ich im Gedrängel steh un wegen fehlender Übergröße weniger in live sehen kann. Also mich deucht, der Kraftbär der da so schreit, hat heut frei von seine Mutti und bei der Kombination hat sie das Sagen übernommen, weil sie schneller Reden kann und ansagt, was ihr zuwider is. Und auf`e Arbeit fragt der Polier den Kraftbär, hasse verstanden, was sofort fertig sein muss, also gib Gummi, und deshalb schreit der Fußballfan sich seine instinktive Frustration mal endlich im Stadion von `ne Seele. Funktioniert wie praktische Psychologie auf Tickett, Hauptsache es klappt in der Praxis. Ob man/frau jetzt „die Fußballvorsitzenden mit Ehrendoktortiteln und Lehrstühlen in die akademische Oberliga aufsteigen lassen sollte, müssten wir auch mal ausdiskutieren.

Walter Weimar / 20.05.2022

Wieder eine Brauerei gerettet.

lutzgerke / 20.05.2022

Der Witz ist, daß in den Sterbelisten des RKI und der statistischen Ämter nur Männer und Frauen sterben. Diverse sterben nie?

A. Ostrovsky / 20.05.2022

Alle Elemente des Faschismus sind installiert und funktionsfähig. Jetzt fehlt nur noch der charismatische Führer, der den Dilettantenzirkus ablöst. Alle werden sein Erscheinen als Befreiung erleben, bis ihnen bewusst wird, was hinter den Kulissen ab geht. Damals war es möglicherweise genau so. Nein, ein kleiner unbedeutender Unterscheid: Es gab nicht diese hilflosen Personen, die immer von “wehret den Anfängen” reden, ohne zu begreifen, dass es gar keine Anfänge mehr sind. Es gab damals kein Immunsystem, das den Faschismus als Feind erkannt hätte.

Peter Becker / 20.05.2022

Trudeau hat diese Macht kennengelernt. Er hat sich erst in die Hosen gemacht, aber dann mit Rat und aktiver Unterstützung seiner NWO-Freunde die Kettenhunde von der Leine gelassen und (vorerst) überlebt.

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