Thilo Schneider / 19.01.2020 / 12:00 / Foto: Timo Raab / 16 / Seite ausdrucken

Der Höllenjodler von Teufelsthal

Neulich war ich zur Vernissage einer vollkommen zu recht unbekannten Künstlerin eingeladen und musste mir meine Hors-d’œuvre mit einer Laudatio verdienen, was ich sehr ungern gemacht habe. Aber was tut man nicht alles für eine kostenlose Mahlzeit, und wahrscheinlich kann ich diese Eigenschaft im Alter ganz gut brauchen. Es ist ja nicht mehr so weit hin, und ich gehe davon aus, dass der Markt für Trauerredner bei uns Baby-Boomern erst noch im Kommen ist. Herrgott ja: Ich bin käuflich. Aber billig. Noch.

Nach 15 Minuten Lobhudelei und Küsschen-Küsschen stehen wir in Erwartung des Buffets dann so an den Stehtischen zusammen, als mich eine Dame in meinem Alter anspricht. „Sie kommen mir bekannt vor…“ eröffnet sie das Gespräch. „Oh“, entgegnete ich, „Sie mir zu meinem Bedauern nicht. Ein Verlust für mich.“ Ich reiche ihr über den Tisch die Hand, vorsichtig, um nicht das Glas mit dem Primitivo umzuwerfen. „Thilo Schneider“, stelle ich mich vor. „Annegret Ypsilon“, gibt sie erwartungsvoll zurück und dann, ohne Umschweife: „Ich glaube, ich habe Sie schon einmal im Fernsehen gesehen. Haben Sie nicht mit Peter Klawuttke gedreht?“

Nein. Habe ich nicht. Ich weiß nicht, wer Peter Klawuttke ist und warum ich mit ihm gedreht haben soll. Ich bin kein Schauspieler. Nicht einmal ein Radiomoderator. Eigentlich war ich noch nie im Fernsehen. „Bedaure, nein, ich war noch nie im Fernsehen“, gebe ich zu. „Vielleicht kennen Sie mein Bild aus dem Internet? Ich schreibe für ein politisches Online-Blog“, ergänze ich wahrheitsgemäß. Frau Ypsilon mustert mich. „Ich kenne Sie“, stellte sie dann wieder fest, „zumindest sehen Sie einem Kollegen ähnlich, mit dem ich 1993 auf Ibiza gedreht habe.“ Oh, anscheinend habe ich eine berühmte Schauspielerin vor mir, die einmal 1993 auf Ibiza und ein anderes Mal mit Peter Klawuttke gedreht hat. Leider habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, wer sie ist. 

„Wie hieß denn der Film?“, frage ich nach. „Das war eine „Traumschiff“-Folge“, erklärt mir die unbekannte Ex-Schönheit, und ich sage „ah“, weil ich nicht weiß, was ich sonst darauf sagen soll. Sie mustert mich. „Kennen Sie Henry Bamsford?“, fragt sie mich dann. „Er war damals mein Regisseur in der Serie „Der Höllenjodler von Teufelsthal“, in der ich die Tochter des Bergbauern an der Seite von Christian Schellmüller spielte“, ergänzt sie. Und ich kenne weder Henni Bumsfort noch Christian Müllenscheller, und ich traue mich nicht zu fragen, ob der Film ein Porno war. Andererseits würde ich sie dann vielleicht an den Brüsten erkennen, aber unsere Körper sind ja so vergänglich wie der Ruhm.

„Ah, jaja“, sage ich, weil ich nicht „Ich weiß nicht, wer Sie sind“ sagen will. So etwas verletzt ja Menschen auch. Zumindest, wenn sie einmal prominent waren und ihnen am Broadway und auf dem Traumschiff Kränze geflochten wurden. „Kommen Sie denn auch hier aus der Stadt, vielleicht daher?“, versuche ich ihr zu helfen. „Nein, aber wenn Sie hier aus der Stadt kommen… Möglicherweise haben wir ja einen gemeinsamen Bekannten. Herbert Myzelmann kommt auch von hier. Ein ganz fantastischer Kollege, mit dem ich 2002 „Herz aus Quarz“ gemacht habe. Mit dem Film wurden wir seinerzeit für den Grimme-Preis nominiert.“ 

Annegret Ypsilon und Dieter Dingdong

Nein. Nein, ich kenne Herbert Mützelbach nicht und habe nie, niemals, auf gar keinen Fall und unter gar keinen nur irgendwie denkbaren Umständen „Herz aus Harz“ gesehen. Ein Herr kommt vorbei, grauer Anzug, schütteres Haar und braune Schuhe und herzt Annegret, dass es nur so eine Lust ist. „Hallo Annegret, schön, Dich mal wieder zu sehen! Geht’s gut? Ja, danke, mir auch. Du, ich muss weiter, da vorne steht noch Dieter Dembrok, dem will ich Hallo sagen.“ Sprichts und geht ab. „Haben Sie ihn erkannt? Das war Klaus-Andrea Braunfels“, klärt mich Annegret auf, und ich weiß weder wer Dieter Dembrok ist noch wer Klaus-Andrea Braunfels ist, habe den jetzt aber wenigstens mal gesehen. Warum auch immer das wichtig sein könnte. Als Information habe ich, dass er Annegret Ypsilon und Dieter Dingdong oder so kennt. Immerhin. Welche Eltern verpassen ihren Kindern eigentlich Alliterationen im Namen?

„Hat er auch mit Petra Klawitter gedreht?“, frage ich vorsichtig. Annegret lacht. „Nein, Peter und Klaus-Andrea kennen sich zwar vom ZDF, aber sie hassen sich! Deswegen ist der Peter ja später zum NDR“, klärt sie mich auf, was ich gut verstehen kann. So irgendwie. Aha. Soso. Annegret nippt an ihrem Primitivo. „Haben Sie mal für den Spiegel geschrieben? Eine Kolumne?“, fragt sie nach und verwechselt mich augenscheinlich mit einem ehemaligen Spiegel-Kolumnisten. Oder Harry Potter, ich weiß es nicht. „Nein, ich habe nie für den Spiegel geschrieben, weil ich sehr wenig Fantasie habe, aber der, den Sie meinen, sieht mir etwas ähnlich. Wenn es Nacht ist. Oder ich an Gleis 9 ¾ herumstehe“, versuche ich selbstbewusst das Rätsel um meine unerwartete Bekanntschaft mit der unbekannten Berühmtheit zu lösen. 

„Hm“, sagt Annegret enttäuscht und nimmt einen weiteren Schluck Primitivo, „dann habe ich Sie womöglich tatsächlich verwechselt. Vielleicht auch mit Heiko Menzler, der war mal mein Regisseur am Volkstheater, nach der Wende.“ Ja, vielleicht hat sie mich tatsächlich mit Heiko Metzelder nach der Wende verwechselt, aber hallo, da drüben steht doch Sonja Fassner, geborene Fleckenfels, die hat 1985 nach dem Schulball mal unter mir sehr leidenschaftlich gearbeitet, war dafür aber nie im Fernsehen, auf dem Traumschiff oder beim Spiegel, sondern hat den Typen geheiratet, dem dieses Etablissement gehört und damit ausgesorgt, da sage ich doch mal kurz „Guten Tag“ und checke, ob sie mich noch erkennt und entschuldige mich. Bei Anngritt Zett.

Als ich nach zwanzig amüsanten Minuten mit Altersüblichem „was von den letzten 35 Jahren übrigblieb“ wieder an meinen Stehtisch zurückkehre, ist die berühmte Mimin verschwunden und das Buffet eröffnet. Vielleicht ist sie ja mit Steve Dingsbums, dem grandiosen und begnadeten Regisseur und Aushilfshermesfahrer von „Susi – Flegeljahre einer Meisenkaiserin“ abgehauen, ich weiß es nicht. Und werde es nie erfahren. Hoffentlich. He, ist das da drüben nicht Michael Dombrowski?

(Weitere Beiträge des im Umfeld bekannten Autors auch auf www.politticker.de )

Foto: Timo Raab

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Gudrun Dietzel / 19.01.2020

Einfach nur köstlich, Herr Schneider.

Sabine Schönfelder / 19.01.2020

Eine charmante Belästigung, lieber Thilo Schneider, die Sie auf Anhieb mit Ihrem markanten Erscheinungsbild ´verzücktenˋ (drehten Sie nicht an der Cote dˋAzur zusammen mit Miss Kelly ´Über den Dächern von Nizza?) und die zusätzlich noch über einen ebenso trefflichen wie intuitiven Weingeschmack verfügt; sie trinkt gerne ´Primitivo ˋ.  Aber soo weit sind wir doch noch nicht bei Ihnen, auch als Babyboomer nicht,  daß man Sie sich schön trinken müßte. Kenne zwar nur ein Bild von Ihnen, dieses hier auf der Achse, mit dem diabolischen Gesichtsausdruck, aber isch dät mo saache, auch im nüchternen Zustand, Sie sind noch gut in Form. Kopf hoch!

Frank Holdergrün / 19.01.2020

Witzisch! Zum Spiegel fehlt die Phantasie, ha, ha! Wer nur einmal mit d-Klasse Promis aus Funk und TV zu tun hatte, kennt ihre kubikihafte, geschwätzige Klebrigkeit.

Karsten Dörre / 19.01.2020

Endlich kommt richtige Literatur in die Achse. Bisher habe ich hier nur Literaturwerbung bemerkt.

Sirius Bellt / 19.01.2020

Sehr geehrter Herr Schneider, Sie haben Probleme - einfach beneidenswert!

Markus Kranz / 19.01.2020

Tja, wenn man keinen Fernseher hat, dann verpasst man ganze Parallelgesellschaften mit ihren ganz eigenen, ungeheuer interessanten Gebräuchen. Vielleicht sollte mal ein Ethnologe ARD & ZDF studieren und uns die gesellschaftlichen Strukturen dieses doch sehr fremdartigen Stammes näher bringen ;)

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