Claudio Casula / 14.05.2007 / 19:14 / 0 / Seite ausdrucken

Der gute Israeli

Gegen einen allseits geschätzten und beliebten Akademiker und Karrierediplomaten, der zudem im Sinaifeldzug 1956 als Panzersoldat verwundet wurde, möchte man eigentlich nur ungern etwas sagen. Der u.a. mit dem Kulturpreis Europa 1998 und dem Merite Européen in Gold geehrte Avi Primor, von 1993 bis 1999 Botschafter Israels in Bonn, gilt als weltgewandt und ist in seiner Zunft, in der die Fähigkeit gefragt ist, in mindestens drei Sprachen schweigen zu können, für seine Eloquenz berühmt.

Seinerzeit galt er als echtes Schwergewicht unter den ausländischen Diplomaten. Noch heute wird Primor von den deutschen Medien häufiger zur Situation in Nahost befragt als der aktuelle Gesandte Shimon Stein, was allerdings weniger an Primors deutlich besseren Deutschkenntnissen liegen dürfte, die er sich in rekordverdächtiger Zeit aneignete, als an seiner Neigung, sich durch Kritik an der israelischen Regierung im Land der Mörder seiner Familie mütterlicherseits beliebt zu machen. Und genau das ist es, was an dem stets verbindlich lächelnden, aristokratisch auftretenden Ex-Diplomaten, der irgendwie so gar nichts Israelisches an sich hat, wirklich nervt. Wenn es um Israel und den Nahostkonflikt geht, missverstehen weite Teile der Mainstream-Medien Pressefreiheit gern als Recht, Lügen verbreiten zu dürfen ohne dazu gezwungen zu werden. Oder sie gehen gleich auf Nummer Sicher und suchen sich einen Kronzeugen gegen den jüdischen Staat. Jemand wie Uri Avnery, der sein Narrenkostüm glücklicherweise nur noch in der schwindsüchtigen außerparlamentarischen Opposition Israels zur Schau trägt, gilt langsam als Auslaufmodell, da kommt ein durch und durch seriöser Ex-Diplomat, inzwischen Vizepräsident der Universität Tel-Aviv, gerade recht. Avi Primor ist der Prototyp der “guten Israeli”. Und dieses Prädikat verdient man sich in Deutschland am besten, indem man sich von der israelischen Politik (und damit von der gesellschaftlichen Mehrheit in Israel) distanziert.

Nun ist Avraham Primor, liebevoll Avi genannt, nicht der Typ, der vor laufender Kamera einen Arafat herzt. Auch äußert er keine Fundamentalkritik an der israelischen Politik. Dass sein Buch „Terror als Vorwand. Die Sprache der Gewalt“ dem taz-Rezensenten Ludwig Watzal nicht gefallen hat, schon der simplen Feststellung wegen, dass der Friedensprozess an den Palästinensern scheiterte, spricht für Primor. Wer von Watzal die Verbreitung „zionistischer Klischees“ vorgeworfen bekommt und sich mit Kritik an den Palästinensern den Unmut von Alexandra Senfft in der Süddeutschen Zeitung zuzieht, kann ja kein ganz schlechter Mensch sein. Nein, was an Avi Primor nervt, ist seine ebenso ärgerliche wie erfolgreiche Strategie, alle Phrasen und Klischees wiederzukäuen, die der Beurteilung des Nahostkonflikts üblicherweise zu Grunde liegen. Primor weiß, wie die Medien ticken und welcher Sprache sie sich bedienen. Er beherrscht die einschlägigen Tricks, spricht von „Behauptungen“, um bestimmte Aussagen von vornherein als unglaub- oder fragwürdig erscheinen zu lassen, oder von „gemäßigten“ palästinensischen Politikern, auch wenn diese sich nur graduell von den Radikalen unterscheiden.

Ein Beispiel:

Auf dem Höhepunkt der Terror-Intifada etwa, als Israel im Frühjahr 2002 von einer Terrorwelle nie gekannten Ausmaßes erschüttert und allgemein eine groß angelegte israelische Gegenoffensive erwartet wurde, schien der Bundeszentrale für Politische Bildung ein Gespräch mit dem damaligen israelischen Botschafter zu riskant. Der hätte schließlich gute Gründe dafür anführen können, warum man den Erzterroristen Arafat endgültig kaltstellen sollte. Also fragte man seinen Vorgänger, bei dem diese Gefahr nicht bestand. Primor enttäuschte die Erwartungen nicht. So sagte er über Arafat:

„Immer wieder wird von israelischer Seite behauptet, dass Arafat für den Terror palästinensischer Extremisten verantwortlich ist und alle Friedensbemühungen torpediert.“ Was ja nicht ganz von der Hand zu weisen war, hält man sich mal Arafats gesammelte Reden zum Jihad und zum Märtyrertum als gesellschaftliches Ideal vor Augen, ganz zu schweigen von seiner handfesten Unterstützung von Terrorgruppen wie den Tanzim-Milizen, dem Kungeln mit der Hamas und den von ihm veranlassten Waffenschmuggeleien, etwa auf der von der israelischen Marine aufgebrachten „Karine A“. Aber Primor spricht ungeachtet der tonnenschweren Beweislast gegen den „Raïs“ von israelischen „Behauptungen“ und funktioniert die Bewertung des Arafatschen Sündenregisters zur simplen Ansichtssache um. Zu Ahmad Kurei fiel dem Ex-Botschafter folgende Charakterisierung ein:

„Natürlich ist er ein Arafat-Mann. Wie alle Palästinenser sieht er in diesem eine historische Gestalt, ein Symbol des palästinensischen Volkes. Gleichwohl steht Kurei für eine gemäßigte Politik. Er ist wohlwollend gegenüber Israel, ein Friedensstifter.“ Auch wenn er mal, als er noch Parlamentspräsident war, vor laufenden TV-Kameras auf den Überresten einer verbrannten israelischen Flagge herumtrampelte. Eine durchaus gewagte Einschätzung. Und um auch Lieschen Müller zufriedenzustellen und jüdischen Häuslebauern in der Westbank den gleichen “Hardliner”-Stempel auf die Stirn zu drücken, für den man auf der anderen Seite des Zauns schon ein veritables Massaker an Zivilisten verüben muss, sagte Primor: „Die Hardliner in Israel, die die palästinensischen Gebiete nicht räumen und die Siedlungen nicht abbauen wollen, benutzen den Terror als Vorwand. Sie sagen: Wir können den Palästinensern keine Zugeständnisse machen, wir können keine Gebiete räumen. Wir müssen vielmehr weiter bauen; das ist Teil des Kampfes gegen den Terror. Und die Mehrheit der Bevölkerung nimmt das hin. Dabei wäre sie im Grunde zu Zugeständnissen an die Palästinenser bereit - das beste Mittel gegen den Terror.“

Weshalb der Terror in großem Stil auch erst nach dem Gaza-Jericho-Abkommen und der Einrichtung der Palästinensischen Autonomie losging, und weshalb auch keine Raketen mehr aus dem Gazastreifen flogen, als die IDF diesen Brutherd des Terrors räumte. Ach, Avi! Das Märchen vom Terror, der sich durch Entgegenkommen erledigen ließe, mag man wirklich nicht mehr hören. Und, ja: Die Israelis waren zu Zugeständnissen bereit - aber nicht mehr, als sie erkannten, dass sie für Land keinen Frieden, sondern Selbstmordattentate bekamen. Das hätte Avi Primor im Interesse seiner Landsleute gern mal klarstellen können. Man würde sich wünschen, dass Primor, sollte ihn das nächste Mal ein deutscher Journalist anrufen, auf dass er uns die politischen Mysterien des Orients erkläre, wenigstens einmal sagte: „Ach, wissen Sie was: Fragen Sie doch einfach einen israelischen Polit-Analysten oder Journalisten, oder auch den israelischen Botschafter in Berlin. Notfalls müssen Sie sich eben einen Übersetzer leisten. Die deutsche Öffentlichkeit müsste nämlich dringend mal darüber informiert werden, wie die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung über die Lage denkt und welche Befindlichkeiten bei der Wahl ihrer Führung eine Rolle spielen. Nur weil ich Sharon und Olmert nicht leiden kann, und Netanyahu schon gar nicht, bin ich ja kein qualifizierterer Gesprächspartner.“

Aber genau das wird er nicht tun, unser Avi Primor, dafür steht er viel zu gern vor einer Kamera, um uns an seiner onkelhaften Einschätzung der Lage teilhaben zu lassen. Tja, alles ist Eitelkeit, Eitelkeit, Eitelkeit. Steht schon im Buch Kohelet. Primor ist übrigens passionierter Reiter. Kein Wunder, dass er gern mal einen vom Pferd erzählt.

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