Der grüne Stoßseufzer

Ohne Zweifel gefährdet es den sozialen Frieden, wenn die Grünen ihre Klimapolitik über alles stellen – für ein waghalsiges Transformationsexperiment, das ein unverhohlen zynisches Gesicht zeigen kann. Wie gerade auf der Weimarer Grünen-Klausur geschehen.

„Die Zeit läuft uns davon“ – Seit vielen Jahrzehnten ist das der grüne Stoßseufzer schlechthin. Zuletzt von Robert Habeck, dem Wirtschaftsminister, in den Tagesthemen vom 22. März vernommen. Wie immer bei Weltuntergängen mit unterlegter Panikmusik, sind die Grünen vor Ort, um das Ganze gesinnungstechnisch einzuhegen. Aber nur unter einer, wiederum urdeutschen Bedingung: Alle müssen mitmachen.

Ein Fortschritt für Deutschland: Endlich kümmern sich alle ums Klima, alle machen mit. Das ist der grüne Ehrgeiz und die Diktion für eine gesamtgesellschaftliche Pflicht. Der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck hat seine Definition von Fortschritt und gesellschaftlicher Verantwortung diese Woche auf der Grünen-Klausur in Weimar noch einmal bekräftigt. Aber er ist ziemlich unzufrieden, lassen wir ihn sprechen:

„Fortschritt bedeutet, Klimaneutralität zu einem gesellschaftlichen und auch zu einem ökonomischen Geschäftsmodell zu machen. [...] Und damit ist auch einhergegangen, dass die Gesellschaft insgesamt Klimaschutz in seinen verschiedenen Facetten als gesamtgesellschaftliches Thema begreift, alle Lebensbereiche, alle Ressourcen nach ihren Möglichkeiten ihren Beitrag leisten. In diesem Sinne ist Klimapolitik Gesellschaftspolitik geworden. Und heute würde ich fast sagen: droht, gewesen zu sein. Weil natürlich wir, im Moment, mit Blick auf die aktuellen Debatten wieder eine Aufteilung erleben, dass einige sich darum kümmern müssen und andere weniger. Es kann aber nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt. Deswegen glaube ich, ist diese Koalition auch in der Pflicht, diesen gemeinsamen Erkenntnisschritt, der ja dann Deutschland repräsentiert, durchzuhalten und nach vorne zu bringen.“

Das ganze „klimaneutrale“ Wohlstandsversprechen

Im Koalitionsvertrag hatte die „Fortschrittskoalition“ es noch so formuliert: „Wir müssen die Klimakrise gemeinsam bewältigen. Darin liegen auch große Chancen für unser Land und den Industriestandort Deutschland: Neue Geschäftsmodelle und Technologien können klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeit schaffen.“

Darin liegt also nur ein Versprechen, eine Option. Wir wissen jedoch, dass es den grünen Ministern ums Prinzip geht. Das wurde auf der Weimarer Grünen-Klausur noch einmal deutlich. Die Transformation wird vorangetrieben, komme, was da wolle. Der Industriestandort Deutschland, die Energieversorgungssicherheit, Arbeitsplätze stehen jedoch auf der Kippe – also auch das ganze „klimaneutrale“ Wohlstandsversprechen. Ohne Zweifel: Solches gefährdet den sozialen Frieden, wenn die Grünen ihre Klimapolitik über alles stellen – für ein waghalsiges Transformationsexperiment, das ein unverhohlen zynisches Gesicht zeigen kann.

Nun stoßen Habecks Vorhaben zur „Heizwende“ und „Mobilitätswende“ mit dem geplanten Austausch von Öl- und Gasheizungen sowie das ultimative Ende von Verbrennermotoren in der Koalition auf Widerstand. Habeck bezichtigt die Koalitionspartner, den Fortschritt zu verhindern, allen voran meint er anscheinend die Kollegen von der FDP: Der eine sitzt auf dem Geld, der andere in einem „Verbrenner“, den er in Brüssel quergestellt hat.

Doch warum diese Larmoyanz, warum die Bezichtigungen des Wirtschaftsministers? Er liegt falsch. Die FDP braucht zur Entgegnung nur auf den Koalitionsvertrag zu deuten. Dort steht bezüglich der Heizungen in Deutschland: „Zum 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden“ und „Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen“ – also potenziell auch Verbrenner mit klimaneutralen, sogenannten E-Fuels. Habeck sieht das jedoch anders und fordert eine sofortige, erweiterte Bringschuld der Koalitionspartner ein, eine Verengung der klimatechnischen Vorgaben, die im Koalitionsvertrag so nicht vereinbart worden sind. Aber er erzeugt Druck, er spielt die Schuldkarte aus und diskreditiert die Regierung, in der er selbst sitzt.

Auf dem Wege erzwungenen Verzichts

Abgesehen vom Zustand der Koalition sind die strittigen Ziele des Wirtschaftsministers und das Tempo Wahnsinn. Es klingt kleinteilig-banal, wenn man über den Austausch von Heizungen in Deutschland spricht. Aber es geht eigentlich um einen kompletten systemischen Wechsel, dessen infrastrukturelle und finanzielle Implikationen über viele Jahre enorme Ressourcen beanspruchen werden. In der Umsetzung und den Folgen reden wir über eine Mammutaufgabe und eine finanzielle Zumutung ersten Ranges. Das geplante Gesetz ist ein Schlag gegen die Finanzen von Eigenheimbesitzern, Immobilieneigentümern und letztlich auch Mietern, auf die in der Konsequenz die Investitionskosten umgelegt werden.

Der heizungstechnische Zwangsumbau Deutschlands und die damit einhergehende, zunehmende Verunsicherung der Bürger durch eine erratische Klimagesetzgebung – das ist das vorherrschende Reiz-Reaktions-Klima als Konsequenz grüner Politik-Erklärung, wie es typisch und salonfähig geworden ist. Dabei verstoßen viele der Vorhaben eindeutig gegen sozial-marktwirtschaftliche Gepflogenheiten. Aber egal: Man könnte meinen, dass die Grünen mit ihren planwirtschaftlichen Aktionen und in ihrer Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft – die in ihren Augen schlicht nicht klimaneutral werden kann – bewusst in Kauf nehmen, dass das Gros der finanzschwachen Bürger zu Verlierern abgestempelt wird. Wichtig ist, zu verstehen, dass die Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft hinein in eine postdemokratische, grüne Planwirtschaft ohne Einredemöglichkeiten zu Verwerfungen im gesellschaftlichen Gefüge führen würde. Die Grünen wollen davon nichts wissen.

Auch wenn von großzügigen Zuschüssen und Subventionen die Rede ist: Viele Menschen werden sich die Transformationsaufgaben einfach nicht leisten können. Wer nicht genügend Geld für persönlich finanzierte Klimaneutralität hat, ist kein Adressat des „guten“ grünen Willens. Der finanzschwache Bürger muss arm bleiben, um wenigstens auf dem Wege erzwungenen Verzichts nahezu klimaneutral zu werden, das ist die zynische Folge des klassengesellschaftlichen Dünkels, den die Grünen vor sich hertragen wie eine Monstranz. Da kommt ein Gesetz auf Deutschland zu, auf das sich nur solvente Kunden vorbereiten und eine Branche freuen kann, die jetzt Fabriken baut: Wärmepumpenhersteller. Das gleiche absurde Reiz-Reaktions-System finden wir bei der Frage der Massenmobilität. Wer wird sich in Zukunft E-Autos leisten können? Heizung und Auto: Es riecht nach Enteignung und Klientelbevorzugung.

Pose des Genervten und Geprellten

Das Hinterfragen solcher Politik führt zu weiteren Verunsicherungstatbeständen wie Probleme mit der Umsetzung, der Finanzierung und der generellen Sinnhaftigkeit. Man fühlt sich überrumpelt und überfordert mit kruden Ideologieversatzstücken, die in Gesetze gegossen werden, wenn grüne Politiker als Vorreiter von Deindustriealisierung, Wohlstandsverlust und beabsichtigter Destabilisierung zum Wohle des Weltklimas auftreten und dabei die Pose von Erleuchteten oder notorischen Besserwissern einnehmen. Robert Habeck, der Wirtschaftsminister, ist so ein janusköpfiger Protagonist. Hinter dem sanften Kinderbuchautor, der den Kleinen gern was erzählt, steckt der notorische Klima-Ideologe, der gern abzählt, wer mitmacht und wer nicht.

Habeck, der es gewohnt ist, dass man ihm – seitens der Leitmedien – einen „wohltuend anderen“, gelasseneren und selbstkritischen Politikstil zuschreibt, gibt sich gern als Erleuchteter. Doch nun fällt er in die Pose des Genervten und Geprellten, der im weinerlichen Gestus tiefer Enttäuschung seiner Unzufriedenheit Luft machen muss – über den mangelnden Fortschritt dessen, was er für die einzig wahre, zukunftsweisende Politik hält und über mangelnden Umsetzungswillen, Missgunst und Taktiererei in der Koalition. Er findet den Zustand der Ampel „nicht ausreichend“. Eine Habeck'sche Ampel, bei der zeitgleich alle Leuchten aufglühen sollen, ist aber auch untauglich.

Und nun kommt das Ärgernis ins Spiel, dass irgendjemand der Bild-Zeitung den unfertigen Gesetzentwurf zur „Heizwende“ zugespielt hat. Warum regt sich Habeck darüber so auf? Ist ein unfertiges Gesetz vor dem Volk, das später damit leben muss, etwa ein größeres Geheimnis als ein fertiges? Die Grünen halten sich doch für die Meister der Transparenz: Wollte Robert Habeck vielleicht dennoch das Gesetz in Corona-Maßnahmen-Manier bis kurz vor Schluss unter der Decke halten, um die Dimension des Vorhabens lang genug zu verschleiern und den Entwurf einer kontraproduktiven Sezierung im Vorfeld zu entziehen?

Habecks gescheitertes Ansinnen

Zu viel Transparenz könnte den Politikzielen der Grünen schaden, das hat der Wirtschaftsminister schon öfter erlebt. Also muss er den Vorfall auf die Ebene der Illoyalität ziehen. Denn er weiß: Die Mehrheit der Deutschen hat diese Politik eigentlich nicht gewählt und hält noch still, vielleicht aus Unwissen um die konkreten Folgen für die persönliche Lebensgestaltung.

Das Wahlvolk hat jedoch ein Anrecht darauf, frühzeitig zu erfahren und zu verstehen, für welche Weltrettungs-Beglückung es künftig zu zahlen hat. Der Souverän hat das Recht – und davor graut es den Grünen –, diese Politik gegebenenfalls zu verweigern. Habeck gibt es selbst zu, dass das Gesetz dringend vor dem Ende der Legislatur vollendet und rechtskräftig sein muss. Er ahnt, dass mit der möglichen Abwahl der Grünen auch das Ende der ambitionierten Klimaziele drohen könnte.

Nun wissen wir, dass klimaneutraler Wohlstand einer für Eliten sein wird, und dass das keine gute Nachricht für die Bürger in Deutschland ist. Deshalb ist Habecks gescheitertes Ansinnen, den Gesetzentwurf unter der Decke zu halten, der eigentliche Skandal. Die durchgestochenen Informationen an die Bild sind es nicht. Das war vielmehr eine demokratische Pflicht. Um es mit anderen Worten des Wirtschaftsministers in den Tagesthemen vom 22. März zu sagen: „Eine Regierung, die das Vertrauen verspielt, hat natürlich ihr größtes Pfund verloren.“

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Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.

Foto: Illustration Rudolf Wildermann

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Leserpost

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jens prien / 25.03.2023

wer die bilder von der blockade der autobahn in hamburg gesehen hat, wird ahnen, daß wir einen krieg im eigenen land bekommen werden. ich bin hamburger und kenne die autobahnen. die blockade ist wirklich gemein. es wird nicht mehr lange dauern , dann wird die bundeswehr gegen das eigene volk vorgehen. fragt sich der naive 81 jährige , der ich bin, -ist das geplant? scholz kann seine truppen nicht bändigen. auch wenn er ein guter mann ist.

Dr. Claus-D. Dudel / 25.03.2023

Meinungen über Meinungen, kommt doch einmal mit Fakten rüber: Wie ist der Ist Zustand (nicht: gut, böse, viel, wenige, sondern Zahlen). Wie hoch ist der Heizenergieverbrauch privater Haushalte, aufgeschlüsselt mindestens nach Einfamilienhäusern und Mehrfamilienhäusern, wieviel brauchen Gewerbe und Industrie? Wie hoch ist der Gesamtbedarf in Abhängigkeit von Temperaturen im Winter/Sommer? Zahlen gibt es beim UBA, scheinen aber weitgehend unbekannt zu sein. Wie wird der Heizbedarf gedeckt? Wenn mit Strom (Wärmepumpen) wie wird der Strom erzeugt ? Kohlekraftwerke arbeiten mit ca. 30-40% Wirkungsgrad, Gaskraftwerke mit ca. 50% (Vergleich: diekte Verbrennung von Kohle im Ofen: ca. 95%) Kohle erzeugt etwa 1,5 mal soviel CO2 beim Verbrennen pro Wärmeeinheit, wie Gas, am schlimmsten ist Holz (Pellets) mit 2x soviel CO2 wie Gas pro Wärme einheit. Dann kommt noch der Wirkungsgrad der Kraftwerke. Wenn Strom über Leitungen fließt, wie hoch ist der Verlust? Wieviel kommt bei der Wär,mepumpe an? Was ist, wenn es kalt wird (unter ca- -5°C, JAZ < 3) etc. Wie soll der Heizbedarf in Zukunft gedeckt werden? Welche Effekte bringen Wärmedämmungen - in Deutschland gibt es seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts Wärmeschutzverordnungen bzw. Energie Einsparungsverordnungen für Alt- und Neubauten. Waren die alle Unsinn? Oder geht es einfach mit der Strom-Hybris nur darum, gezielt die unwichtigen Verbraucher abschalten und die wichtigen (Krankenhäuser, Parlamentarier etc.) an der Versorgung angeschaltet zu lassen? Strom ist nicht mit vernünftigem Aufwand für Heizzwecke speicherbar. Stellen Sie sich einen Stromspeicher von 15 - 20 TWh vor! Wer kennt noch die Nachtspeicherheizungen (und die Versprechungen ihrer Befürworter!)?

A. Kaltenhauser / 25.03.2023

Immer nur Lamentieren bringt gar nichts. Wenn man die grünen Wähler und Parteifritzen schon nicht züchtigen darf - noch nicht - , muss man sie vollkommen ausgrenzen. Und ja, es gibt eine Partei in Deutschland, der es unverschuldet seit ihrer Gründung so geht und kaum jemand stört sich daran. Ich persönlich dulde keine Grüntypen in meiner unmittelbaren Umgebung und das kann schon mal unschön enden. Dannach ist es wieder wie bei Pink Floyds HIGH HOPES: The grass was greener The light was brighter With friends surrounded The nights of wonder ....

Rainer Gebhardt / 25.03.2023

@ Patrick Meiser   Frage: wenn alle Politiker weg sollten, auch die von der AfD, und Sie schalten den Fernseher ein und “man sieht und hört diese Kasper nicht mehr”. Welche von der AfD sind denn dann nicht mehr zu sehen und zu hören. Das setzte doch voraus, dass die AfD Leute vorher zu sehen und zu hören waren. Auf welchen Sendern war das denn der Fall?

Gus Schiller / 25.03.2023

Die Ampelkoalition glaubt, dass man nur mit möglichst vielen Flugmeilen regieren kann. (Scholz, Stark-Watzinger, Roth,  A-LB, Habeck und Cannabis Cem fliegen was das Zeug hält.) Gut ist, dass die Flugbereitschaft endlich mal ausgelastet wird, aber wie lange wird es dauern, bis die auf Burnout sind?

Dr. R. Möller / 25.03.2023

Die Mehrheit der Deutschen hat genau diese Politik gewählt, Alle alternativlosen Parteien in Deutschland betreiben die gleiche grüne Ideologie. Verarmung der Massen, wenn es sein muß auch durch Krieg, sogar atomare.Alles klimaneutral natürlich.

Gus Schiller / 25.03.2023

@Patrick Meiser: Keine Regierung gab es in Takatukaland auch schon mal. Bevor die letzte Merkel"regierung” ihr Werk beginnen konnte, dauerte es auch mehrere Monate. War für Volk und Land nicht verkehrt.

Markus tho Pesch / 25.03.2023

Doch, die Deutschen haben genau diese Politik mehrheitlich gewählt. Knapp 90%. Wer das negiert, leidet unter schwerem Gedächtnisverlust

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