Der grüne Schwafler (2): Die pfäffische Mitleidstour

Von David Schneider. 

Die Frage, ob Robert Habeck trotz oder wegen seines übertriebenen Selbstvertrauens im intellektuellen Milieu als Mann der Stunde gefeiert wird, lässt sich nicht abschließend beantworten. Jedenfalls wird sein „atypischer Lebenslauf“ – die Promotion in einem literaturwissenschaftlichen Fach und die Tätigkeit als Schriftsteller, also im Grunde die Tatsache, dass er überhaupt nichts gelernt hat – im Feuilleton als Eignung betrachtet, die er anderen Politikern voraus habe. Weil sich in den kommenden Jahren „alles grundstürzend ändern“ werde, könne „der Literaturpolitiker“ (Volker Weidermann) seine erzählerischen Fähigkeiten ganz in den Dienst der politischen Moderation stellen und den anpackenden Teil der Gesellschaft mit motivierenden Sinnsprüchen versorgen, spekuliert Tobias Haberkorn in der Zeit

Aus dem Vorschlag, Politiker an Bord zu holen, deren Talent zum Zusammenschmieren halbgarer Fiktionen sie in die Lage versetzt, der Krisenstimmung diskurstherapeutisch entgegenzuwirken, spricht ein verständlicher Mangel an Zuversicht, der auch die Stimmung im gehobenen Milieu prägt. Mit den Unzufriedenen allein könnte man fertig werden, inzwischen zeigen aber selbst die Wohlwollenden erste Ermüdungserscheinungen. So schreibt Claudius Seidl in der FAZ

Das bürgerliche Publikum hat sich, seit die AfD auf ihre prollige Art das Establishment für seine pure Existenz und die Eliten wegen ihrer vermeintlichen Abgehobenheit so radikal angreift und beschimpft, ja angewöhnt, die Immanenz des politischen Denkens, die Floskelhaftigkeit und Borniertheit der politischen Sprache gegen die Populisten zu verteidigen: als notwendiges Übel im Prozess demokratischer Kompromiss- und Konsensbildung. Habeck, dessen Sprache die politische Sphäre von außen betrachten kann, erinnert dieses Publikum wieder daran, wie groß noch vor ein paar Jahren die Sehnsucht danach war, dass deutsche Politiker sich ein Außen, ein Jenseits der Politik überhaupt nur vorstellen könnten. 

Die Politik am liebsten ganz verabschieden

Auf die Idee, dass das „bürgerliche Publikum“ erst aus Gründen der Notwehr damit begonnen habe, die herrschende Ordnung und die sie stützenden Phrasen zu verteidigen, während man sich den parlamentarischen Alltag vor der AfD als gesittete Interaktion vorstellen soll, in der die Bürger und ihre Politiker ungestört dem Wahren, Guten und Schönen dienen durften, muss man angesichts der Verfasstheit des deutschen Nachbürgertums erstmal kommen. So aber will es der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Claudius Seidl, der von den Angriffen auf die Regierungspolitik so gekränkt ist, dass er die Politik am liebsten ganz verabschieden würde.

Dem Wunsch nach einem „Jenseits der Politik“, das Habeck verspricht, liegt die Erkenntnis zugrunde, dass man im direkten politischen Streit mit dem nicht zu besänftigenden Pöbel nur verlieren kann, weil das, was diesen stört, nicht vernünftig zu verteidigen ist. Deswegen soll es bei der rhetorisch abgerüsteten Fortsetzung des eingeschlagenen politischen und ökonomischen Kurses um das Allgemeinmenschliche gehen, womit die Hoffnung verknüpft ist, dass dann weniger gepoltert werde. Wie soll man auch gegen politische Entscheidungsträger wettern, die mit der Produktion von Verlierern zwar keine Probleme haben, aber auch im Angesicht dieser schweren Zeit menschlich bleiben, oder, um es in Habecks unvergleichlichen Worten zu sagen: „Politik ist das Wissen, dass politische Entscheidungen das Leben von Menschen verändern – und nicht alle dabei gewinnen. Und dass wir den Unterlegenen dabei noch in die Augen schauen müssen.“ 

Die Politik, die heute parteiübergreifend durchgepeitscht wird, sieht nicht einmal mehr vor, die Krisenhaftigkeit des Kapitalverhältnisses mittels sozialdemokratischer Reformpolitik abzumildern. Beim Sichern des Fortgangs der Kapitalakkumulation muss auf Ungemach der Dauermobilisierten wegen ausbleibender materieller Entschädigungen für den wachsenden Stress weniger Rücksicht genommen werden denn je, weil alle die Ideologie des selbstverantwortlichen Konkurrenzkampfes restlos verinnerlicht haben. Forderungen nach Lohn- und Rentenerhöhungen oder der Wunsch nach mehr Ruhe vorm Arbeitsterror gelten als unverschämte Anmaßungen von verfetteten Wohlstandswürsten, die sich auf Kosten der jungen Generation bereichern wollen.

Permanente Produktion symbolischer Anerkennung

Mit der permanenten Produktion symbolischer Anerkennung soll das Bewusstsein getilgt werden, dass es allein um materielle Verbesserungen zu gehen hätte. Die pfäffische Mitleidstour erfüllt überdies den Zweck, all jenen, die gut darauf verzichten können, dass ihnen in die Augen geschaut wird, auch noch ein schlechtes Gewissen einzureden. Denn wer trotz nettester Dialog-Offerten kalt bleibt, gibt sich als Feind der Demokratie zu erkennen: „Ein Stolz darauf, nicht dazuzugehören, beginnt unsere Demokratie auszuhöhlen.“ 

Warum ausgerechnet die zuverlässig illiterate politische Klasse sich plötzlich mit Sprache beschäftigen soll, hat Habeck in seinem letzten Werk „Wer wir sein könnten. Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“ ausgeführt.  Statt miteinander zu reden, habe das gegenseitige Niedermachen Hochkonjunktur. Problematisch sei der Vormarsch der Kampfsprache des Populismus, weil es sich beim Sprechen nicht nur um eine Frage der Umgangsformen handele. Sprache konstituiere vielmehr Wirklichkeit: „Wie wir sprechen, entscheidet darüber, wer wir sind. Und wer wir sein können.“ 

Ganz falsch ist das nicht, schließlich veranschaulicht Habeck in seinen Wortbeiträgen selbst immer wieder, dass er so doof ist, wie er klingt: „In einer Zeit, in der Parteipolitik als pfui und bäh gilt, sitzen hier tausend Delegierte voller Aufmerksamkeit und Konzentration. Dieser Dienst an der Demokratie ist ganz, ganz großartig. We will rock you.“  Auffällig an dem Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit der eigenen Sprachpraxis ist, dass diejenigen, die den Niedergang der Sprache am larmoyantesten beklagen, immer nur die Sprache der Anderen meinen, denen die Bildung, vor allem aber die Bereitschaft zum Dialog fehle.

Die volkspädagogische Sicht auf die Unterschicht verdeckt, dass die Regression des Sprachvermögens außersprachliche Gründe hat, die mit der Ohnmacht und Abhängigkeit zusammenhängen, zu der die Einzelnen verdammt sind. Bei der Klage über den Sprachverfall geht es bei genauerer Betrachtung gar nicht um die Sprache oder ihre sozialen Bedingungen, sondern um die Angst, dass die Durchhalteparolen der herrschenden Politik auch dann keine integrative Wirkung mehr entfalten, wenn sie sozialpädagogisch verfeinert daherkommen (Wolfgang Pohrt).

Mit Zuckerbrot und Peitsche nach unten kommunizieren

Adressaten des Verständigungskitsches, für den Habeck steht, sind nur scheinbar „die Unterlegenen“. Man hat sich eingestehen müssen, einen Teil der Bevölkerung weder mit Pädagogik noch mit Beschimpfungen zu erreichen. Umso wichtiger ist, dass dieser Bevölkerungsteil entweder zum Schweigen gebracht oder zu einer Ansammlung gefährlicher Spinner erklärt wird. Selbst Habeck kommt nicht umhin, von jenen – natürlich rechtspopulistischen − „Armeen von Trollen“, zu sprechen, die „den ganzen Tag Zeit haben, ihre Beschimpfungen loszulassen.“  Der Hype ums Miteinander reden erweist sich als öffentliches Selbstgespräch des akademischen Mittelstandes, das die Überzeugung aller Beteiligten voraussetzt, dass alles beim Alten bleiben soll.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu diagnostizieren, dass die Art und Weise des Nach-Unten-Kommunizierens, das Prinzip Zuckerbrot (den Unterlegenen in die Augen blicken) und Peitsche (Armee von Trollen), den mal mehr und mal weniger bewussten Versuch darstellt, Widerspruch mittels selbstbezüglicher Kommunikation kaltzustellen. Ulrich Enderwitz hat das schon vor über zwanzig Jahren zu einer Zeit beobachtet, als Fragen des Kommunizierens noch nicht im Zentrum des politischen Diskurses standen:

„Und in der Tat ist Kommunikation nichts sonst als die in objectu getroffene hochheilige Absprache und in rebus abgegebene eidesstattliche Erklärung, sich auf keinerlei objektive Auseinandersetzung einzulassen, unter keinen Umständen über die Sache mit sich reden lassen zu wollen.“ (zitiert nach: Klaus Bittermann und Gerhard Henschel (Hg.): Das Wörterbuch des Gutmenschen)

Das „Framing-Manual“, das ARD-Führungskräften rhetorische Tricks bereitstellt, die helfen sollen, das eigene moralische Überlegenheitsgefühl gegen Kritik abzudichten, ist nur ein besonders dreistes aktuelles Beispiel für den manipulativen Charakter der herrschenden politischen Kommunikation. Habeck, der seinen Lesern mehr sprachliche Sensibilität und die Überprüfung bisheriger Argumentationsweisen empfiehlt, teilt mit der Autorin des Manuals, der schrulligen Sprach-Expertin Elisabeth Wehling, die Auffassung, dass sprachliche Deutungshoheit ein zentraler Faktor bei der Herrschaftssicherung ist.

Anders als Wehling, deren Empfehlungen („Wir nehmen jeden ernst – auch deine Oma“ oder „Wir sind Ihr“) verdeutlichen, dass Dienstleistung bei der Herrschaftssicherung auf Dauer blöde macht, vermeidet Habeck, der Wert auf den Kontakt zu Menschen legt, weitgehend einen ins offen Wahnsinnige tendierenden Gutmenschen-Slang. Vielmehr suggeriert er, dass über alles gesprochen werden könne, ohne die ungleichen Voraussetzungen zur Teilnahme an diesem Gespräch zu benennen.

Den ersten Teil dieser Beitragsfolge finden Sie hier.

Den dritten und letzten Teil finden Sie hier. 

Dieser Text erschien zuerst in  BAHAMAS Nr. 81. 

 

David Schneider ist regelmäßiger Autor der Zeitschrift BAHAMAS. Auf Achgut.com lesen Sie von ihm außerdem: Juden in der AfD: Kein Recht auf extreme Meinungen?

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Leserpost

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Wolfgang Häusler / 08.08.2019

Narrativ und Narrentief Herr Habeck erzählt, was die, sich als Globalversteher dünkenden biodeutschen Besserwisser aus den (ein-) Bildungsnahen Schichten, an Seelenbetütelung brauchen. Er verschafft den spießigen Primärprofiteuren der seit 2009 um 40% gestiegenen Staats"einnahmen” das wohlige Gefühl der Rechtschaffenheit und des richtigen Standpunkts. Dafür sind sie ihm dankbar.

Renzo Hagedorn / 08.08.2019

Ach, naja, Promotion in Philosophie ist gleichbedeutend mit „hat eigentlich nichts gelernt“? Ich bin selbst in Geisteswissenschaften promoviert (nicht in Deutschland, aber sei’s drum) und habe während meiner Dissertation wahrscheinlich mehr gelernt als manch einer im Laufe seines ganzen Lebens. Sicherlich bin ich kein Fan von Robert Habeck, aber ebensowenig von diesem pauschalen Abtuen der Geisteswissenschaften als „Gelaber“ (Etikett, welches man zudem auch wunderbar auf den Journalismus anwenden könnte).

Hubert Bauer / 08.08.2019

@ P. Wedder: Sie können dieser Freundin mitteilen, dass Herr Habeck seine vier Kinder auf eine dänische Schule in Deutschland schickt. Ich habe mir mal die Homepage dieser Schule angeschaut. Die Kinder auf dieser Homepage hätten AH und HH gefallen. Mittelblond scheint hier das Äußerste zu sein.

Marcel Seiler / 08.08.2019

Robert Habeck ist ein Symptom der Psychotherapeutisierung der Gesellschaft und der Politik: Statt die Umstände zu verbessern, wird das Volk mit “Empathie” und dergleichen (“Ich fühle deinen Schmerz”) traktiert. Psychotherapie kann im Einzelfall eine gute Sache sein, aber hier wird sie eindeutig missbraucht. Offenbar kann dies Robert Habeck besonders gut.

Andreas Rühl / 08.08.2019

1. Hat der Leser Moskopp Recht. 2. Ist die Sehnsucht nach einer unpolitischen Politik seit 150 Jahren in Deutschland ubiquitär. In einer der seltsamen Volten, die die Mentalität ganzer Massen nehmen kann, hat in Deutschland die gescheiterte Revolution von 1848 in ein Bedürfnis bei den - ehemals - stark “politisierten” national und damit demokratisch-freiheitlichen denkenden und vor allem Forderungen stellenden Bürgern nach Sicherheit, Verläßlichkeit, “Ruhe und Frieden” geführt, nach 1848 gehts sozusagen politisch ins Biedermayer zurück. Und nie wieder heraus, weil mit der Gründung des Bismarck-Reichs immerhin Grundrechte garantiert werden und ein - für europäische Verhältnisse - erstaunliches Mass an Mitbestimmung (das Wahlrecht zum Reichstag war extrem unfassend, vgl. etwa mit England). Doch das ganze wirkte wie ein politisches Narkotikum und tut dies bis heute. Wer glaubt, dass Hitler die Massen politisiert habe, irrt gewaltig, er hat das genaue Gegenteil getan. Er hat ihnen sozusagen das Ende der Politik, das Ende des Streitens und das Ende des Gezerres um das “Richtige” versprochen, damit konnte er gewaltig punkten. Die Sehnsuchtsprojektionen des Deutschen in der Politik zielen auf eine charismatische Persönlichkeit, die für sie entscheidet, was am besten für sie ist. Weber hat es vorausgesehen. Habeck scheint das immerhin geschickt zu bedienen. Kein Politiker kann in unserem Land mehr auf Zuspruch hoffen als der, der behauptet, keiner sein zu wollen. Den Streit in ein harmonisches Miteinander auflösen, als wäre ganz Deutschland eine pietistische Gemeinde, die einen Choral singt: das ist das politische Grundbedürfnis des deutschen Bürgertums seit 1849 und daran hat bei den meisten die Nazi-Erfahrung nichts geändert, im Gegenteil.

Jörg Gerke / 08.08.2019

Ein treffender und wirklich kluger Beitrag, der die sozialtechnischen Mittel schön benennt.

Alexander Rostert / 08.08.2019

Hat Herr Habeck denn den nötigen Spiegel, mit dem er den Unterlegenen in die Augen blicken kann in drei, vier Jahren, wenn die Grünen und ihre dann uninteressanten Themen aus der Politik verschwunden sein werden? Falls er dann überhaupt noch jemandem in die Augen blicken kann. Was, wenn die Leute nach der Weltfinanz- und -wirtschaftskrise mit anschließender Hyperinflation und Vernichtung aller Ersparnisse Gras fressen und ganz andere Sorgen haben als Schlauchboote vor Libyen oder das Klima auf den Malediven, und der Ablasshandel an der Wahlurne nicht mehr funktioniert, weil es sie schlicht nicht mehr gibt, die SUV-fahrenden Besserverdienenden-Ehegattinnen mit Tagesfreizeit (ich sehe die manchmal, wenn ich selbst einen Tag Urlaub nehmen musste, vormittags als ganze Meute oder allein mit Hund - nie aber mit Kinderwagen -, hinter meinem Haus über die Feldwege streifen, einzelfallweise bewaffnet mit Nordic-Walking-Stöcken).

Dr. Gerhard Giesemann / 08.08.2019

Mit jeder Untat durch Zuzügler, mit jedem kühlen Tag im August werden die Grünen dem Zeitpunkt näher kommen, an dem sie auffa Schnauze fallen. Gilt auch für die Anderen, klar - bei denen geht es vielleicht schneller, Inshallah. Wenn die Sozialkassen ausreichend geplündert sein werden, schon bald, vermute ich, dann wird es kein Halten mehr geben. DAS fürchten sie alle, denn sie wissen sehr wohl, was sie tun.

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