Der grüne Parteitag und die Ästhetik des Spießertums

"Wir können so vieles schaffen, wenn wir nur anfangen", so @abaerbock in ihrer Rede auf der #dbdk.20."Heute ist unser Sprungtuch in ein besseres Morgen!" Soweit ein Tweet der Grünen von ihrem Parteitag. 

Die Grünen als Sprungtuch in ein neues Morgen. Als Oberlöschmeister und Chef der Achgut.com-Betriebsfeuerwehr habe ich mich über diese Metapher sehr gefreut. Das Sprungtuch hat schon viele Leben gerettet, wenn gerade keine Drehleiter zur Hand war und das Treppenhaus für die Rettung zu verraucht oder gar einsturzgefährdet war und damit der Fluchtweg für die Menschen in den höheren Stockwerken bedroht. 

16 Feuerwehrangehörige spannen ein großes Textiltuch und die Gefährdeten müssen allen Mut zusammennehmen, um vom Balkon im dritten oder vierten Stock (oder höher) zu springen und darauf vertrauen, dass die Spannkraft des Tuchs und die Manneskraft der Feuerwehrleute reicht, um ein Durchschlagen auf den harten Asphalt zu verhindern. In der Regel wäre allerdings Verbrennen oder Ersticken die sichere Alternative. Andernfalls käme das Rettungsmittel wohl kaum zum Einsatz. 

Zum Glück gibt es heute große Luftkissen, die mittels Kompressoren in Windeseile aufgeblasen werden und auch etwa den Sprung von potenziellen Selbstmördern in den Tod verhindern, wenn die Feuerwehr rechtzeitig gerufen wird. 

Annalena und Robert stehen vorm brennenden Haus

Wie schön, dass die Vorsitzende und Aspirantin auf die Kanzlerkandidatur Annalena Baerbock, der ja Faktensicherheit und akribische Vorbereitung nachgesagt wird (im Gegenteil zu ihrem gut frisierten und im Rufe eines Filous stehenden Counterpart Habeck), in ihrer virtuellen Parteitagsrede an den Heldenmut von Rettern und Geretteten erinnerte, die im Vertrauen aufeinander ein großes Wagnis eingingen. Auch bei den Grünen scheint Heroismus hoch im Kurs zu stehen. 

Was für ein Bild: Annalena und Robert stehen vorm brennenden Haus. Nur Klaus springt raus. Und der ist für das Synonym unserer Gesellschaft, ein in lodernden Flammen brennendes Haus, das die Welt mit Asche (und natürlich CO2, NOx und Feinstaub) überzieht, bis es über die Grundmauern hinaus abgebrannt ist. Und wenn die Grünen genug Wählerstimmen bekommen, reicht es ja vielleicht auch mit dem solidarischen Personal, das mit den beiden Kanzler*innenaspirant*innen das Tuch stabil hält, damit die 83 Millionen in Deutschland länger oder kürzer Lebendinnen nicht auf den tödlichen Asphalt in der zum Glück verkehrsberuhigten Tempo-30-Zone durchschlagen. Schließlich gilt nicht nur in Corona-Zeiten auf maskenfreien Demos “Green Life Matters”. 

Doch halt. Könnte es sein, dass der Redenschreiber ein Brett vorm Kopf hatte und deshalb übersah, dass er ein Sprungbrett meinte und nicht das Sprungtuch, dass segensreich Dynamik reduziert und nicht beschleunigt. Ein Trampolin kann ja nicht gemeint sein, das verleiht auch eine Ablösung von der Anziehungskraft der Erde, aber eben nicht zielgerichtet in die Richtung von Uschi von der Leyens “New Green Deal”. 

Nein. Frau Baerbock hat diesmal nicht den Kobold mit Kobalt verwechselt, sondern das Sprungbrett mit dem Sprungtuch. Auch Robert Habeck versuchte bedeutungsschwanger zu kaschieren, dass er, anders als seine Kollegin, nur Kinderbücher schreibt, statt welche zu kriegen. Dafür ist er nicht divers genug. 

Das Bühnenbild des virtuellen Parteitags

Habeck, der Mann, der Kanzler kann, ist schon desorientiert, wenn sein heimischer Discounter die Regale umstellt und wird an der Kasse unwirsch, weil er das Bio-Müsli nicht schnell findet. Eier von Hühnern aus Käfighaltung oder Schweinefleisch, das von Tönnies geschlachtet wurde, findet ja gewiß nicht den Weg in seinen Einkaufswagen, an dem er sich wenigstens festhalten kann, während er orientierungslos durch die Gänge irrt. Hat er auf dem virtuellen Parteitag selbst gesagt. Der Mann kann Kanzler!

Das Bühnenbild des virtuellen Parteitags ist bis ins feinste konstruiert. Gab es das letzte Mal noch eine Fototapete, die unversehens an die Decke blicken ließ, um die Birkenholz-Planken-Verkleidung des Party-Kellers zu entdecken, in dem Klein-Annalena und Klein-Robert einst wahrscheinlich am Samstag-Nachmittag Flaschendrehen gespielt haben, so gibt es heute einen Hintergrund, vor dem einst auch Wim Thoelke “den großen Preis” moderiert hätte, bevor der Geldbriefbote Sparbier mit den Preisen vorbeischaute (der hieß wirklich so).

Die neue Farbe der Grünen changiert ein wenig ins türkis, als ob man sie mit der Modefarbe Magenta gekreuzt hätte, die neuerdings in der FDP für optische Unruhe sorgt. Jamaika lässt grüssen. 

Inbegriff des Bebraismus 

In den Reden steht das Pathos im reziproken Verhältnis zur Inhaltsschwere der Plattitüden. Und Annalena lauscht Robert ergriffen auf dem Plüschsofa im Hintergrund. Das ist der Inbegriff des Bebraismus, den die Satirezeitschrift Titanic in den frühen Achtzigern erfand. Bebra ist eine Stadt in Nordhessen und war früher Zonenrandgebiet. Das war ein anderes Wort für das Ende der Welt, und die visuelle Umsetzung entsprach der Piefigkeit eines ästhetisch gesteigerten Gelsenkirchener Barock. An den Wänden dieser Inkarnation der neuen deutschen Spießigkeit hingen Fotos von den früheren Grünen, die als Spontis noch von sich Reden gemacht hatten. Man stelle sich Joschka-“mit-Verlaub-Herr-Präsident-sie-sind-ein-Arschloch-Fischer" in diesem ersponnenen Ambiente vor. An dieser Langeweile ist nichts gepflegt. 

Erschreckend ist nur, dass diese Inszenierung die Realität dem Sinn für dieselbe einer Saskia Esken und eines Norbert Walter-Borjans und der real existierenden SPD bei weitem übersteigt, was die Apologeten der neuen deutschen Kleinbürgerlichkeit zur zweitgrößten Partei in Deutschland machen würde. Spießigkeit kennt keine Grenzen. Mir schaudert. 

Die Metapher mit dem Sprungtuch stimmt vielleicht doch. Nur vielleicht stehen Annalena und Robert nicht vorm brennenden Haus. Sondern schauen raus. Wenn sie das mit der Politik lassen, rückt die Achgut.com-Werksfeuerwehr aus. 

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Kay Ströhmer / 25.11.2020

1. Den Kanzler wird die CDU stellen wollen. 2. Dazu ist der CDU jedes Mittel recht. Die Grünen werden also mit Hilfe der CDU in wichtige Ressorts gelangen, unter anderem ins Außenministerium und ins Umweltministerium. 3. Wer CDU wählt, bekommt die Grünen.

Florian bode / 25.11.2020

Wer sich von der Regierung fast widerspruchslos ins Privateste reinschwätzen läßt, wählt 2021 auch diese Tragödientruppe. Das einzige, was das Land retten könnte, wäre eine erkaltete Liebe zwischen Habock, Baerbeck und den Medien. Und das ist gewiß nicht in Sicht.

Karl Eduard / 25.11.2020

Ja, die Grünen. Das Problem sind aber nicht die Grünen sondern der Rest der Parteien, der dem NICHTS entgegen zu setzen hat. Keine Ideen, keine Visionen, gar nichts. Es mag falsch sein, was die Grünen wollen, Fakt ist, sie verkaufen das Falsche richtig. Sie berühren Emotionen! Ein Herr Hitler hat damals richtig erkannt, daß er mit den Alten nichts mehr anfangen kann, weil die sind wie die sind, die kann er nicht mehr ummodeln, die Jugend ist aber formbar,  begeisterungsfähig und idealistisch. Und nicht umsonst bauen die auf junge Menschen als Führungsfiguren, weil die Jugend sich in ihnen wiedererkennt. Da haben die Grünen ihren Baldur von Schirach gut studiert. Und die anderen Parteien? Die jungen Liberalen wollen Sex mit ihren Geschwistern, die vergreisende AfD verprellt die Jugend, die Identitären, wenigsten baut die SPD diesen Kevin Kühnert auf, ansonsten keine Ideen, insbesondere keine positiven, mit denen sich junge Menschen identifizieren könnten. Wir können uns gerne über die Blödheit der grünen Protagonisten lustig machen durch die Art, wie die sich darstellen, und nur das bekommt Otto Normalverbraucher mit, gewinnen sie ständig Zuhörer, Anhänger und Wähler hinzu und das aus der Altersschicht, die aus biologischen Gründen die Zukunft stellen wird. Über den Hitler haben sie übrigens auch erst gelacht, diesen Hampelmann. Und dann haben sie gesagt, soll er mal regieren und scheitern.

Ulrich Viebahn / 25.11.2020

Kurt Drummer: “Wenn diese zwei “hochintelligenten” Menschen, im nächsten Jahr von den ebenfalls in Teilen superintelligenten Bürgern der alten Bundesländer in die Regierung gehoben werden, ...” und Rainer Kaufmann: ” ... kein Blödsinn kann groß genug sein, als dass die Deutschen die Grünen nicht in die nächste Regierung wählen.” Natürlich ist der Partykeller der Grünen mit seinen Sprechpuppen gruselig. Aber: Bei allem Lesegenuß von Ironie und Herabsehen auf Spießigkeit und Peinlichkeit wird in der Achse meistens vergessen, daß die lieben Nachbarn in unserer Straße zu 80% das Propagandafernsehen gucken, die Lokalzeitungen lesen (als repeater sozusagen) und dann brav wählen. Dieses Arrangement wirkt. Wir beschweren uns hier fast immer über die falschen.

Rainer Hanisch / 25.11.2020

@Rainer Kaufmann: “Aber, kein Blödsinn kann groß genug sein, als dass die Deutschen die Grünen nicht in die nächste Regierung wählen.” Da gebe ich Ihnen absolut recht! Alle bisherigen “Wahlen” haben das bestätigt. Und diesmal “gewinnen” halt die grünen Kobolde. Wir spaßig genug werden. Mir hilft bei diesem ganzen Mist nur die Gnade der “frühen Geburt”.

Hans-Ullrich Hendriks / 25.11.2020

Wenn Sie die Manneskraft der Feuerwehrleute ansprechen, frage ich mich, mit welchem Körperteil die Herren das Sprungtuch gehalten haben. Der Auftritt von Herrn Habeck war schon sehr demagogisch inszeniert, voll allem auch die Aufnahmerichtung der Kamera, während er von einer „neuen Zeit“ faselte. Solche haben schon ganz andere Leute mit verheerenden Folgen ausgerufen. Im übrigen war die Inszenierung eine Art Rendezvous unterm Nierentisch. Es fehlte nur die Efeutute, die sich um die Bilder an der Wand rankte.

Werner Arning / 25.11.2020

Ja, die Bilder, die von den Medien vom Grünen-Parteitag transportiert werden, haben etwas von Slapstick. Von echter Commedy. Dabei sind die Bilder so ernst gemeint. Alles soll seriös und zukunftsweisend aussehen. Die Grünen greifen nach dem Kanzleramt. Sie sind selbstbewusst. Und das ÖR ist Feuer und Flamme. Das ÖR wirft ihre ganze Überzeugungskraft in die Waagschale. Sympathisch sollen sie wirken, diese Grünen. Und so, als würden sie es draufhaben mit dem Regieren. Als würden sie Deutschland in eine bessere Zukunft führen können. Alle Register werden gezogen. So sehr das AfD-Bashing wieder angezogen ist, weil Trump als Hassobjekt langsam ausstirbt, so enthusiastisch gibt man sich, wenn es um die Lieblinge unserer Journalistenschar geht. Klappt schon. Bei Trump hat es geklappt, wieso soll es hier nicht klappen?

TH. Rosché / 25.11.2020

Ach was ? War das der Partei -Tag der Grünen ?  ich dachte es wäre die ZDF Heute Show oder Comedy - mit den grünen Kobolden ?

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