Dass die regierenden Politikerinnen und Politiker die Gesellschaft in große Lager spalten, ist bekannt. Sie haben das mit der Entfesselung der „Welt-ohne-Grenzen“-Hysterie getan und tun es neuerdings mit der „Rettet-die-Welt“-Hysterie. Auch diese Hysterie spaltet die Gesellschaft. Zum Beispiel insofern, als dass die Politiker und auch die Fridays-for-Future-Leute „ökologische Steuern“ auf das Autofahren und den Energieverbrauch einführen wollen, Steuern, die die Bessergestellten im Land gut verkraften – und zu den Bessergestellten gehören auch die Eltern der immer freitags gegen die gesetzliche Schulpflicht verstoßenden Schülerinnen und Schüler –, während sie den Geringverdienenden das Leben erschweren. Die „Rettet-die-Welt“-Hysterie ist ein Projekt und eine Kampagne der Bessergestellten und damit auch der „politischen Eliten“, die keine Rücksicht auf die Peripherie, die Nicht-Bessergestellten, nehmen. Die gesellschaftlichen Strukturen dieser Spaltung hat Gerd Held auf Achgut.com ausführlich analysiert.
Klar, dass die Sorgen, die sich die Menschen um ihre Umwelt machen, keine Hysterie sind: Sorgen über die Verseuchung der Luft und des Wassers; die Zerstörung von nützlichen Infrastrukturen (Läden, Kneipen, Krankenhäusern, Arztpraxen) auf dem Land; die Zerstörung der Urwälder und der Artenvielfalt – und auch die Zerstörung von Schönheit, von Schönheiten der Landschaft (durch den Kohleabbau, aber auch durch die Windräder), durch hässliche Zweck-Architektur und dergleichen. Das sind berechtigte Sorgen. Sie artikulieren sich in Bürgerinitiativen, die vor Ort Konkretes fordern. Deren ökologisches Bewusstsein hat nichts mit Hysterie zu tun.
Es gibt jedoch eine ökologistische Hysterie. Hysterisch ist die „Rettet-die-Welt“-Bewegung, weil sie auf das, was den Menschen Sorgen macht, Weltuntergangs-Szenarien draufsetzt und, statt sich um konkrete Fälle und Lösungen zu kümmern, alle Menschen zu „Sündern“ macht und als Lösung die innerliche „Bekehrung“ aller „Umweltsünder“ durch einen politisch korrekten Lifestyle propagiert – und durch eine „Erlöserin“. Das hat etwas Pfäffisches. Auch die Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker, die das alles toll finden, denken vor allem an eins: an Strafen für „Sünder“. Dieses quasi-religiös Strafsüchtige impliziert etwas, was Demokraten nicht akzeptieren können: Unterwerfung.
„Quasi-religiös“ – was heißt das? Ein kurzer Blick in die Philosophie und Theologie kann nicht schaden. Meine These: Die „Rettet-die-Welt“-Hysterie hat zwei Dimensionen: Die Dimension der Vision. Die Vision ist fundamentalontologisch, es geht ihr um die Herstellung einer ökologisch besten aller Welten von gleichsam göttlicher Idealität. Die zweite Dimension ist die der Propaganda. Die Propaganda besteht in einem gnostischen Katastrophismus. Um es so kurz wie möglich zu machen, werfe ich hier als „Fundstücke“ einige Zitate von Peter Sloterdijk in die Debatte, weil ich meine, dass diese Stücke die Gedanken anregen. Mehr will ich hier nicht.
„I've got the power!“
In der Antike stellten die Herrscher als Zeichen der Macht ihren Fuß auf die Weltkugel; Kaiser Konstantin hielt die Weltkugel in der Hand, und Atlas hatte die große Himmelskugel im Kreuz. Heute balancieren Demonstranten, die „die Welt retten“ wollen, über sich einen riesigen Luftballon, der die Erdkugel darstellt. Jene ist nicht mehr in der Hand der Herrscher – aber auch nicht in den Händen der Bevölkerung, sie schwebt über den Leuten, und die recken ihre Arme nach der Kugel, so, als käme von dort irgend etwas Großartiges. Wenn die Leute im Rock- und Popmusik-Konzert die Arme nach oben recken, enthält das den Willen zu einer temporären Selbstermächtigung: „I've got the power!“ Beim großen Welt-Luftballon enthält das mehr die Sehnsucht nach dem Guten, Idealen.
Der Globus ist eine Kugel, klar, aber da ist mehr: Die Kugel ist eine perfekte geometrische Form, eine reine, optimale Form, und erst das macht sie zum Symbol. Und so komme ich unvermittelt zu meinem „Fundstück“: Was es mit der Kugel als Symbol des Optimalen seit der Antike auf sich hat, hat Peter Sloterdijk in seiner Interpretation eines Mosaiks aus dem 1. Jahrhundert vor Christus gezeigt, des Philosophenmosaiks von Torre Annunziata. (s. Sloterdijk, Sphären II, Seite 12 ff.) Auf diesem Mosaik befassen sich sieben miteinander diskutierende Philosophen mit einer vor ihnen liegenden Kugel. Warum tun sie das? Sloterdijk erklärt das so:
„Sie stellen sich die Kugel vor, indem sie diese als real anwesendes Modell zur Vorlage bringen; und indem sie in der vorgestellten Kugel das Seiende [das heißt die empirische Welt] im Ganzen, ja, schließlich den erscheinenden Gott, den überguten Grund, das überwesentliche Wesen selbst zu sehen versuchen, geben sie dem Denken, das nach dem Einen, Ganzen, Einhelligen greift, ein so massives wie subtiles Instrument zur Objektivierung von Totalität von Seiendem an die Hand.“ (A.a.O., Seite 24, Inhalt in Klammern hinzugefügt)
Die Philosophen nehmen das vor ihnen liegende Kugel-Modell zum Ansatzpunkt einer metaphysischen, optimistischen Ontologie des Ganzen. Sloterdijk:
„Die versammelten Philosophen mussten sich zu einem radikalen Optimismus bekehren, weil sie das Bild des Besten vor sich gestellt hatten und sich Zug um Zug überzeugten, daß sie von diesem Bild und seinem Original nicht ausgeschlossen sein können, wenn die Sphäre [d.h. der Topos der Kugel] wirklich das Inbild und den Begriff des Ganzen geben soll. Die alleshaltende Kugel umgreift und trägt auch ihre Interpreten. An jeder wahren Aussage über sie wirkt sie selber mit. Wer das zu verstehen beginnt, erkennt sich als eine lokale Funktion des globalen Optimum.“ (A.a.O., Seite 25, Inhalt in Klammern hinzugefügt)
Der „übergute Grund“
Wenn man an das globale Optimum glaubt – oder es sich zur „Vision“ macht –, ist man ein „Optimist“: Man fasst sich als Teil eines absoluten Ganzen auf, dem man sich unterordnet. Heute ist der Begriff „Optimismus“ von Lebensberatern und Therapeuten okkupiert und bezeichnet eine „positive“ Lebenseinstellung im Gegensatz zu einer „negativen“, die man meiden muss wie der Teufel das Weihwasser. Ursprünglich meinte der Begriff „Optimismus“ das, was dann im frühen 18. Jahrhundert die Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Wolf wieder aufnahmen: die Vorstellung, dass die Welt optimal eingerichtet sei, als beste aller möglichen Welten, bei Leibniz und Wolf eingerichtet von Gott höchstpersönlich. In der besten aller Welten hat alles einen zureichenden Grund, einschließlich aller realen Hierarchien der Macht, zum Beispiel der des preußischen Königs.
Was es mit dieser Fundamentalontologie des „überguten Grunds“ auf sich hat, hat Mark Twain in seinem „Auszug aus der Autobiographie Evas“ dargestellt, die im Paradies ihre Beobachtungen gemacht hatte, und diese Autobiografie ist ausgerechnet dem Satiriker Mark Twain in die Hände gefallen. So hatte Eva zum Beispiel an ihrem Lieblingslöwen entdeckt, dass er scharfe Reißzähne hat, also ein Fleischfresser sein muss. Obwohl es im Paradies gar kein Fleisch gibt und er immer nur Kohlköpfe und Beeren hinunterwürgt. Adam, der bereits das Paradies fundamentalontologisch für die beste aller Welten hält, sagt:
„Fleisch ist nicht zum Gegessenwerden bestimmt, sonst wäre dafür vorgesorgt worden. Da keins zur Verfügung steht, so folgt mit Notwendigkeit, dass kein Fleischfresser in den Schöpfungsplan einbezogen ist. Ist das eine logische Folgerung oder nicht?“ (Twain, Werke, Bd.V: Seite 66 ff., III.)
Aber seit ihrer Beobachtung wundert Eva sich doch sehr, dass auch der bengalische Tiger, mit seinen gewaltigen Säbelzähnen, sich mit Erdbeeren und Zwiebeln vollstopft – da stimmt doch etwas nicht! Man darf vermuten, dass in der Vision eines ökologistisch korrekten Paradieses nicht die kritische Position der neugierigen Eva, sondern die fundamentalontologische des Adam allgemeiner Glaube sein wird.
Die beste aller Welten ist undemokratisch
Heute sollte man diese Vorstellung über die von Gott auf das Beste bestellte Welt „Optimalismus“ nennen. Und wenn man heute auch nicht mehr glaubt, dass Gott persönlich das Optimale jemals getan hat, so glauben doch viele immer noch optimalistisch daran, dass „die Vorsehung“ oder „die Natur“ oder irgendwelche „Gleichgewichtstendenzen“ es automatisch optimal richten werden: „Alles wird gut.“ (Auch die neoliberalen-marktradikalen Wirtschaftswissenschaftler sind Optimalisten, wenn sie an die „Selbstheilungskräfte des Markts“ glauben.)
Die Idee beziehungsweise Vision von der besten aller Welten hat einen nicht so guten, eher unschönen Aspekt. In der Religion stellte nämlich der Mythos der Schöpfung keine demokratische Angelegenheit dar. Gott schuf die beste aller Welten ja nicht aufgrund eines parlamentarischen Mehrheitsentscheids. Gott ist schließlich Gott, weil er die absolute Freiheit des reinen Logos hat (wie Papst Benedikt XVI. es 2006 in seinem Regensburger Vortrag darlegte), also auch die Freiheit der absoluten Macht. Heute, in säkularen Zeiten, ist es dieser reine Logos mitsamt der Macht, den die jungen Leute selbst verkörpern möchten, die sich in gleichsam göttlicher Freiheit als ökologische Welt-Neuschöpfer imaginieren. Das ist, wenn man das psychologisch erklären will, eine narzisstische Größenfantasie. Und das hat die unschöne Folge, dass die heutigen sich selbst ermächtigenden Weltbaumeister sich im Hier und Jetzt als Jüngstes Gericht aufführen (siehe hier). Deshalb ist die metaphysische Vision von der „besten aller Welten“, wenn sie die Öko-Bewegung ergreift, eine Vision, die Demokraten nicht akzeptieren können.
Allerdings glauben nicht alle Ökologisten, dass die beste aller Welten allein durch Öko-Benimmregeln erreichbar ist, die zum Beispiel den Karnivoriern klarmachen, dass das Fleischfressen in ihrem Schöpfungsplan nicht vorgesehen sei. Deshalb hat die ökologistische Bewegung zwar die optimistische/optimalistische Weltsicht als Vision. Aber wer Visionen hat, entwickelt – wenn er nicht, wie Helmut Schmidt es riet, zum Arzt geht – dazu auch noch ein Sendungsbewusstsein: „Rettet die Welt!“ Auch das hat philosophisch-theologische Wurzeln. Zum Sendungsbewusstsein verhalf seit der Spätantike die gnostische Philosophie beziehungsweise Theologie, wie sie in der Zeit des frühen Christentums aufkam. Und wieder ein „Fundstück“: Sloterdijk stellt den Unterschied der Gnosis zur statischen Kugel-Ontologie so dar:
„Die Gnosis ist die erste Ereignisphilosophie. Sie zwingt die hellenisierenden Ontotheologen [die Kugel-Optimisten], zu metaphysischen Katastrophentheoretikern zu werden. Durch sie geht den Philosophen eine Problematik völlig unbekannten Charakters auf: Eine neuartige Selbsterfassung des Geistes als eines zur Welt gekommenen und existierenden wird fällig. Es gilt nunmehr, im Seienden [in der empirischen Welt] selbst mindestens drei prinzipielle Katastrophenstellen anzunehmen und theoretisch auszuleuchten; es sind dies drei Grundereignisse von weltsinn-verändernder Gewalt: die Primärkatastrophe Schöpfung, die Sekundärkatastrophe Sündenfall und die Tertiärkatastrophe beziehungsweise Epistrophe Erlösung. Schöpfung, Fall und Erlösung sind die drei großen Diskontinuitäten im Kontinuum des Seienden, die das theologisch-theoretische Denken künftig bewältigen muss.“ (Sloterdijk, Nach Gott, Seite 89 f., Inhalt in Klammern hinzugefügt.)
Wissen, was nützlich und was schädlich ist
Die „Rettet-die-Welt“-Hysterie dreht die Abfolge um: der Umweltsündenfall als Erbsünde der Menschheit – Erlösung durch innere Einkehr (und eine Erlöserin) – und schließlich die gottmenschliche Neuschöpfung. Wenn Ökologisten den bedrohten Globus dramatisieren und hierbei Fantasien über die sündhafte Welt, die drohende Apokalypse und die Hoffnung auf Erlösung verbreiten; wenn sie den Leuten beibringen, dass sie wegen ihrer „Sünden“ büßen müssen – dann treten sie also aus der in der Kugel-Ontologie verlangten Unterwerfung hinaus in ein anderes Weltmodell, ein katastrophisches.
Ob sie das wirklich glauben oder nicht – sie verbreiten das als gnostisch-religiöse Propaganda. Die Verbreitung eines Glaubens ist in der demokratischen Öffentlichkeit im Rahmen der Meinungsfreiheit – und damit des Gesetzes – möglich, und daran darf man nicht rütteln. Nur darf das öffentlich-rechtliche Mediensystem in Deutschland nicht nur einen Glauben, zum Beispiel den ökologistischen, verbreiten. Es ist zu Ausgewogenheit verpflichtet. Denn der Zweck der Meinungsfreiheit ist es nach dem Verfassungsauftrag, dass die „mündigen Bürger und Bürgerinnen“ in der Öffentlichkeit Materialien zur Verfügung gestellt bekommen müssen, die ihnen eine rationale Urteilsbildung ermöglichen. Die ökologistische Gnosis trägt hierzu nichts bei.
Das Quasi-Religiöse der ökologistischen Hysterie besteht also einerseits in einer fundamentalontologischen Vision einer absoluten Unterwerfung unter ein maßlos idealisiertes, gleichsam gottgefälliges beziehungsweise gottmensch-gefälliges Ganzes. Und andererseits in der Propaganda des Glaubens an ökologische Erbsünden der Menschheit, an Welt-Katastrophen und an Erlösung, personifiziert heute politisch korrekt nicht durch einen Erlöser, sondern eine Erlöserin (und mehrere Neben-Erlöserinnen). Während die fundamentalontologische Vision ganz brutal die Unterwerfung unters beste Ganze verlangt, ist die gnostische Propaganda insofern raffinierter, als sie den „Sündern“ ein so schlechtes Gewissen macht und sie durch Katastrophismus so verängstigt, dass sie dann auch bereitwillig die neuen Öko-Steuern – also mehr Spielgeld für die Politiker – als „Strafe für die Erbsünden“ und als „Erlösung“ akzeptieren.
Visionen und Propaganda haben es an sich, dass sie in der Bevölkerung für ebenso unglaubwürdig gehalten werden wie die Werbung. Denn es gibt sie noch, die „mündigen Bürger und Bürgerinnen“. Und die denken in der säkularen Gesellschaft an Kosten und Nutzen.
Übrigens streben sie damit etwas an, was man der Bibel nach im Paradies erwirbt, wenn man vom „Baum der Erkenntnis“ isst: Erkenntnis als „Wissen darüber, was nützlich und was schädlich ist“. (Mose / Genesis 2.2., 2.3) Eva und Adam wurden in der biblischen Sage schwer dafür bestraft, dass sie dieses Wissen erwerben wollten. Als diese Geschichte geschrieben wurde, hatte eine Tempelpriesterschaft die Macht, die zugleich die Steuern einzog. Heute, in Demokratien, lassen sich die Leute nicht mehr einschüchtern, wenn Steuern, Steuererhöhungen mittels quasi-religiöser Narrationen gerechtfertigt werden. Die Leute wissen, was nützlich und was schädlich ist.