Thomas Maul, Gastautor / 27.04.2021 / 06:15 / Foto: Mixalkov / 80 / Seite ausdrucken

Der große Intensivbetten-Schwindel

Die Corona-Maßnahmen werden gemeinhin mit Verweis auf den vom Robert Koch Institut ermittelten Inzidenzwert und/oder die aktuelle Lage auf den Intensivstationen laut DIVI-Register beschlossen und von den Verwaltungsgerichten (ohne weitere Beweisaufnahme) entsprechend durchgewunken. Nachdem der Inzidenzwert aus vielen Gründen, die Achgut.com (etwa hier und hier) immer wieder diskutierte, inzwischen auch im offiziellen Diskurs etwas in Verruf geraten ist, rücken die Intensivstationen wieder vermehrt in den Blick; sie dienen überdies als Moralkeule, um auf den Schauspielerprotest #allesdichtmachen einzuschlagen (siehe die ätzenden Kommentare auf der FB-Seite von Nina Proll) und die Bevölkerung auf den Segen von Ausgangssperren einzuschwören.

Dabei lassen sich Grundrechtseinschränkungen mit der Intensivbettenbelegung keineswegs konsistenter begründen als mit dem Inzidenzwert. Das zeigt schon ein erster Blick auf die von RKI und DIVI seit Oktober 2020 auch grafisch dargestellten Zeitreihen zur Bettenbelegung (Grafik 1Grafik 2).

Man sieht dort: Es gibt keine Korrelation zwischen steigenden bzw. sinkenden "Covid-19-Fällen" und der im Wesentlichen konstanten Gesamtbettenbelegung. Beispielsweise am 3. Januar 2021: Gesamtbelegung 20.057, davon mit Covid 5.745. Am 17. Juli 2020 bei höherer Gesamtbelegung von 20.816 nur 246 mit Covid. Was die Covid-19-Patienten betrifft, sind die Zahlen aus zwei Gründen nicht valide. Es wird nicht unterschieden zwischen der Behandlung schwerer Covid-19-Verläufe und Patienten, die aus anderen Gründen eingeliefert und ohne entsprechende Symptomatik bloß positiv auf Corona getestet wurden. Außerdem räumen RKI und DIVI auf der Website selbst ein, dass bei Verlegung aus einer Person zwei Fälle werden können, also Mehrfachzählungen möglich sind.

So etwas wie eine Idealauslastung

Man sieht des Weiteren, dass seit August 2020 (inkl. Notfallreserve) ca. 6.000 betreibbare Intensivbetten verschwunden sind. Das ist weniger rätselhaft als man denken mag. Denn abgesehen von veränderten Personalschlüsseln und einem vermeintlichen oder tatsächlichen Personalmangel, der sich angeblich nicht beheben lässt, gab es immer wieder auch Änderungen der Abrechnungsmodalitäten: erst bekamen die Krankenhäuser Geld vom Staat für frei- und vorgehaltene Betten, jetzt gibt es Geld für höhere Auslastungsquoten, was das Meldeverhalten vieler Krankenhäuser bzgl. betreibbarer Betten nachweislich verändert hat, also nichts über das reale Vorhandensein von Betten aussagt.

Viel spricht dafür, dass in Wirklichkeit immer noch um die 40.000 Intensivbetten zur Verfügung stünden. Aber selbst wenn man von tatsächlich nur (aber mindestens) 27.000 akut betreibbaren Betten ausginge, so würde das bei einer Maximalbelegung von ca. 21.000 Betten seit Beginn der „Corona-Krise“ eine bisher nie überschrittene Auslastung von 78 Prozent bedeuten. Die Zahl ist aus folgendem Grund interessant: Prinzipiell werden auch Krankenhäuser (öffentliche wie private) nach betriebswirtschaftlichen (gesundheitsökonomischen) Imperativen geführt, weshalb es so etwas wie eine Idealauslastung gibt.

Am 15.03.2018 wurde die Intensivbettenkapazität von öffentlich-rechtlichen Medien („Zahlen und Fakten zur Intensivmedizin") mit 27.000 angegeben und ein Wert für die Idealbelegung benannt, nämlich: 80 Prozent. Das heißt: Seit mit Beginn Coronas alles auf die Situation der Intensivstationen starrt, befanden diese sich immer unterhalb der Idealauslastung, sollten aber gleichzeitig stets kurz vor Erreichen der Kapazitätsgrenze (100%), kurz vor Überlastung und Kollaps stehen, was überhaupt nicht plausibel ist.

Das panische Beäugen des eigenen Gesundheitssystems ist in Deutschland zudem ganz besonders wirklichkeitsfremd (und neurotisch). Zum Beispiel ist das schwedische Gesundheitssystem bei wesentlich moderateren Maßnahmen nicht zusammengebrochen, obwohl Schweden laut OECD viermal weniger Krankenhausbetten im Verhältnis zu den Einwohnern hat als Deutschland, dessen Bettendichte in Europa führend ist (siehe: hier und Grafik 3).

Logisch widersinnig und politisch schizophren

Sobald es in Gerichten einmal zu Beweisaufnahmen kommt und die Richter nicht mehr bloß gutgläubig übernehmen, was Regierung, RKI und gestresste Intensivmediziner behaupten, wird die reale (und ja durchaus vom Staat beeinflussbare) Lage der Intensivstationen nicht weniger juristische Probleme aufwerfen als der Inzidenzwert samt seiner fragwürdigen Ermittlung. In der aktuellen Verfassungsbeschwerde von Dietrich Murswiek heißt es z.B.:

„Wie oben schon erwähnt, wird die Wahrscheinlichkeit der Überlastung der Intensivstationen durch Umstände mitbestimmt, auf die der Staat Einfluss nehmen kann. Wenn die Zahl der verfügbaren Intensivbetten erhöht wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit der Überlastung der Intensivstationen. […] Wenn die Notwendigkeit und die verfassungsrechtliche Rechtfertigungsfähigkeit des Lockdown davon abhängen, ob die Gefahr der Überlastung der Intensivstationen besteht, dann sind die zuständigen Staatsorgane verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Zahl der verfügbaren Intensivbetten erhöht wird. […] Diese Verpflichtung folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn wenn der Staat mit eigenen Mitteln eine Gefahr abwenden kann, darf er nicht die Bürger (die ja nicht Verursacher der Gefahr sind) durch umfangreiche Freiheitseinschränkungen zur Gefahrenabwehr heranziehen.“

Man könnte noch etwas weitergehen. Der gesundheitspolitische Notstand wurde zu einem Zeitpunkt ausgerufen, da er noch gar nicht eingetreten war. Aus Grafiken des RKI (auch hier), der Initiative Qualitätsmedizin (auch hier) und der Helios-Kliniken (auch hier) geht klar hervor, dass seit März 2020 nicht mehr Menschen im Krankenhaus und/oder intensivmedizinisch behandelt wurden als in den Vorjahren. Sofern die Maßnahmenbefürworter dies zugestehen, entgegnen sie den Kritikern: „Ja wollt ihr es denn drauf ankommen lassen und abwarten, bis es so weit ist!?“ Kaum einer, der nicht als Unmensch gelten will, antwortet darauf mit einem selbstbewussten „Ja“, denn ein Notstand existiert oder existiert nicht.

Ein präventiv ausgerufener Notstand verweist Verhältnismäßigkeitsabwägungen in Bezug auf die Abwehr nur denkbarer, aber noch nicht realer Gefahren von Vornherein ins Abstrakte und Spekulative. Anders ausgedrückt, einen grundrechteeinschränkenden Ausnahmezustand gegenwärtig nur herbeizuführen, um ihn künftig nicht herbeiführen zu müssen, ist logisch widersinnig und politisch schizophren, einer bürgerlichen Gesellschaft unwürdig.

Die Corona-Maßnahmen sind weder erforderlich noch verhältnismäßig – selbst, wenn sie zielführend wären. Aber nicht einmal dafür, dass Maskenpflicht, Schul- sowie Geschäftsschließungen und Kontaktbeschränkungen das Geschehen in Krankenhäusern und auf Intensivstationen überhaupt signifikant beeinflussen, gibt es bisher wissenschaftliche Evidenz.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Marco Schultz / 27.04.2021

Es gibt einen weiteren Effekt. Ende 2019 lag ein Angehöriger Wochen auf Intensiv. Bei einem Gespräch am Bett machte sich der Stationsarzt mal Luft, und erklärte uns, der Patient liege noch auf Intensivstation, da alle anderen Stationen des Krankenhauses aufgrund von Personalabbau die erforderliche Pflege nicht gewährleisten können. In den Medien ist immer von “Intensivpflegepersonalmangel” die Rede, da fragt man sich, wie die Strukturen verändert wurden.

Martin Diener / 27.04.2021

Tut, mir leid, aber den Universal-Experten, die hier Ihre Interpretation veralteter Daten wieder geben, kann ich nicht folgen.: Stets das alte und dumme Argument: Es besteht eine Gefahr, wir ergreifen Maßnahmen dagegen, die größten Auswirkungen bleiben aus und wir schließen, dass es gar keine Gefahr gegeben hat. Sehr gut argumentiert, Herr Maul!

Klaus Müller / 27.04.2021

Einig sind wir uns darüber, dass Krankenhäuser und vor allem Personal überfordert und unterbezahlt sind. Allerdings lesen Sie sich hier die Statistiken so, wie es Ihnem Zewck dient. Die Praxis sieht anders aus, als Sie sie hiwr darstellen. Wenn es möglich wäre, würde ich Ihnen einen Besuch auf einer beliebigen Intensivstation empfehlen. Die haben aber wichtigeres zu tun.

J. Heini / 27.04.2021

Am 31. Jul. 2020 gab es lt. RKI Corona Bericht 33.300 betriebsbereite Betten!

Lilith Diess / 27.04.2021

Es ist und bleibt ein Trauerspiel…

T. Weidner / 27.04.2021

Angewendet wird das “Vorsorgeprinzip”. Eine von zwei Strategien für das Vorgehen bei unbekannten Sachverhalten/Gegebenheiten/Situationen. Weil die Anwender dieses Prinzips (hier die Bundesregierung) ihr Handeln immer am theoretisch möglichen Supergau ausrichten. Eine Abwägung der Eintrittswahrscheinlichkeit unterbleibt - und so fällt letztlich in diesen Betrachtungen die Realität hinten herunter. So kann die Bundesregierung grundsätzlich immer damit argumentieren können, “sie hätte ihr Menschenmöglichstes getan”. Und schiebt damit sämtliche Verantwortung von sich. Man auch sagen, das ist die typische Feigheit von Frauen und verweichlichten Männern, die sich weigern, Entscheidungen zu treffen, die die Übernahme von Verantwortung beinhalten. __ Das Gegenteil wäre das “Prinzip der Risikoabwägung”, die zweite mögliche Strategie. Die beinhaltet jedoch immer - angesichts der unbekannten Situation - dass diese Situation sich nicht verbessert, sondern verschlimmert. __ Man könnte das Vorsorgeprinzip auch als Vermeidungsstrategie bezeichnen: Man fliegt z.B. nicht mit dem Flugzeug, weil das abstürzen könnte… Heute sperrt die Bundesregierung alle ein - weil sie mit dem Einsperren auf Nummer sicher gehen möchte - und weil das Einsperren bestens in ihre weiteren politischen Absichten passt, Stichwort “Klimanotstand” - auch so ein “Supergau” im Rahmen des Vorsorgeprinzips. Oder kurz: Am besten, man verlässt die Wohnung nicht, damit einem kein Dachziegel auf den Kopf fällt… usw. usw. ...

G. Böhm / 27.04.2021

Über das Thema kann man aus der Distanz in jede Richtung Theoretisieren und Spekulieren, nur leider ist das vergebene Liebesmühe. - So fehlen nach meinem letzten Blick auf das Register nicht 6.000, sondern fast 7.000 IMB. Im Gegensatz zum Autor gehe ich auch davon aus, daß die Notreserve von ca. 11.000 Betten tatsächlich nie existent war und man nunmehr die durch den Pflegekräftemangel und die Betreuungsschlüsseländerung frei ‘gehaltenen’ Kapazitäten dazu nutzte, um die Notreserve zu materialisieren. Und wenn es ums Geld geht, UND ES GEHT TATSÄCHLICH NUR UMS GELD, dann sind doch mindestens 95 % der Menschen zu jeder Schandtat bereit. Mithin folgt der Abrechnungsbleistift dem monetärem Anreiz, dies steht völlig außer Frage. Es bestünde somit das Erfordernis, die Zahlen durch ein externes Audit vor Ort zu verifizieren. Nur ein solcher Prozeß kann Klarheit schaffen! - Für eine Fall-Stichprobe ist ein Blick auf die Angaben der Helios-Kliniken durch aus sinnvoll. So heißt es zu gestern (26.04.21, ca. 10:00 Uhr) ebenda: “Zurzeit ist die Lage in unseren Kliniken weitgehend unkritisch. Allerdings gibt es deutliche regionale Unterschiede.” [Prof. Dr. Andreas Meier-Hellmann (CMO)] Zu den Zahlen: Helios-gesamt: Normalstation 13.711 davon mit Covid 725 (5,3 %); IMC|IS 1.433 davon mit Covid 345 (24 %); für das dortige Klinikum des Landkreises mit der D-Land weit höchsten Inzidenz, Erzgebirgskreis, sehen die Zahlen wie folgt aus: Normalstation 336 davon 37 mit Covid (11 %) sowie IMC|IS 39 davon 18 mit Covid (46 %). Die Belegung im Helios-Klinikum Aue insgesamt (Normal + Intensiv) mit knapp unter 400 liegt ca. 20 % UNTER langjährigen Mittelwerten, wobei die Gesamtkapazität nach den graphischen Angaben bei über 550 liegen sollte. Jeder weitere Kommentar erübrigt sich. (IMC - Intermediate Care: für Patienten, die nicht im eigentlichen Sinne intensivpflichtig, aber überwachungspflichtig sind. IS - Intensivstation) Anm: Stichprobe ist nicht repräsentativ Gesamt-D-Land !!! [M. m. wg!]

Wilfried Cremer / 27.04.2021

Hi Herr Maul, wenn das Argument der Auslastung verdampft, dann mangelt es an Personal aufgrund von kargen Löhnen. Dass selbiges die Lust verliert, weil es bespuckt wird, ist kein Thema.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com