Der große europäische Fisch-Krieg?

Am ersten Januar 2021 könnte es so weit sein. Nehmen wir an, die Freihandelsgespräche zwischen England und der EU scheitern. Auch die vertrackte Fischfrage bleibt ungelöst: Wem gehört wo welcher Kabeljau und Co? Nehmen wir darum weiter an, erzürnte französische Fischer stoßen wild entschlossen hinein in die nun verbotenen britischen Hoheitsgewässer. Nehmen wir außerdem an, dass sofort – wie bereits angekündigt – Befehl an die Royal Navy ergeht, Englands Fische vor den französischen Eindringlingen zu schützen. Und schon haben wir ihn, den großen europäischen Fischkrieg.

Dass die Briten keinen Spaß verstehen, wenn es um ihre Rechte geht, hat zuletzt vor knapp vierzig Jahren Margaret Thatcher bewiesen, als sie gegen Argentinien zum Falklandkrieg blies. Auf den Falklands, die die Argentinier Malvinas nennen und die sie sich einverleiben wollten, leben nicht sehr viele britische Staatsbürger sondern hauptsächlich Schafe. Aber es wäre ungerecht, den Falklandkrieg einen Schafkrieg zu nennen. Entscheidend ist ohnehin, dass Thatchers Mannen den Argentiniern zeigten, wie man einen Seekrieg gewinnt.

Das gehört nun mal zum britischen Selbstverständnis. England kann auf eine beeindruckende Siegesserie zur See zurückblicken. Der stolzeste Sieg war die Vernichtung der eigentlich unbesiegbaren spanischen Armada im Jahr 1588. Bei diesem Sieg half der Wettergott, der im oft stürmischen Kanal sowieso ein Engländer ist.

Gerne erinnert man sich auch an Trafalgar, eine Landzunge im Süden Spaniens, wo Horatio Nelson mit der Royal Navy 1805 die Flotte Napoleons entscheidend schlug. Ein Vorgeschmack auf Napoleons Waterloo. Held Nelson wurde daraufhin zum Säulenheiligen verklärt. Man kann ihn noch heute am Londoner Trafalgar Square in schwindelnder Höhe erahnen. 

Die Symbolkraft der Meeresfauna

Emmanuel Macron ist kein Napoleon und ihm geht es auch nicht um Weltmacht-Konkurrenz wie seinerzeit vor der Küste Spaniens. Ihm geht es vergleichsweise schnöde um Fisch. Aber man sollte die Symbolkraft dieser Meeresfauna nicht unterschätzen.

Um den Kabeljau, der das Herzstück der britischen Nationalspeise „Fish and Chips“ bildet, hat es zwischen 1958 und 1977 gleich drei sogenannte „Kabeljau-Kriege“ gegeben. Diesmal waren es die Isländer, die ihre Fischbestände mit großer Energie verteidigten. Und es waren die Briten, die den Isländern ihre zunächst einseitig erklärte 200-Meilen-Zone nicht gönnten. Richtige Kriege konnten um den Fisch allerdings nicht entstehen, da Island über keine Kriegsmarine verfügte. Und es wäre nicht „Cricket“, also nicht fair gewesen, wenn die Briten mit der ganzen Power ihrer Navy gegen die Isländer vorgegangen wären. So blieb es bei einer Art Schattenboxen zur See. Bitter zunächst für die Briten: Sie verloren das Schattenboxen. Die 200-Meilen-Zonen sind inzwischen international anerkannt.

Aber genau darum ist die maritime Niederlage der Briten gegen Island inzwischen doch ein Sieg geworden. Denn jetzt haben die Briten selber die See-Rechte um ihre Insel herum, die sie damals den Isländern nicht zugestehen wollten. Und jetzt sind vor allem die Franzosen sauer, wenn Brexit-Britannien sie nicht mehr ohne weiteres in seine Heimatgewässer reinlassen will. Macron verfügt zwar – anders als Island – über eine ordentliche Kriegsmarine. Aber sie steht, anders als die Royal Navy, nicht bei Fuß. Zu einem zweiten Trafalgar oder zu einer Schlacht im Kanal wie gegen die Armada wird es kaum kommen. Sollten die Friedensverhandlungen um den Fisch doch noch rechtzeitig von einem Erfolg gekrönt werden, droht ohnehin kein seerechtswidriger Vorstoß französischer Fischer in Richtung Royal Navy. Oder vielleicht doch? Was wenn Macrons Fischern der ausgetüftelte Kompromiss nicht reicht?

Es wird allenfalls beim kalten Fischkrieg bleiben

Macron steht so prominent an der Fisch-Demarkationslinie, weil er nun mal Europas aufmüpfigste Bürger hat, nicht zuletzt die Fischer. Die französische Revolution wirkt immer noch nach. Aber andere EU-Länder haben auch Küsten. Die Holländer zum Beispiel. Doch die haben nicht die geringste Lust, sich wie damals in den Kolonialkriegen, als es nicht um Fisch sondern um kostbare Gewürze ging, wieder zur See mit den Engländern einzulassen. Und Deutschland? Ja, wir haben auch ein Stück schöne Küste und die dazu gehörigen Fischer. Aber wir hatten schon die eine oder andere Seeschlacht mit den Briten, an die wir uns nicht gerne erinnern. Die Lust auf eine Wiederholung ist gleich Null.

Kurz und gut: Der große europäische Fischkrieg wird wohl nicht stattfinden. Es wird allenfalls beim kalten Fischkrieg bleiben, selbst wenn ein paar gallische Hitzköpfe spaßeshalber eine kleine Seeschlacht probieren wollten. Ich selber würde uns Kontinentaleuropäern ohnehin dringend vor einer Zuspitzung abraten. Wer sich auch nur indirekt an der Nationalspeise „Fish and Chips“ vergreift, ruft nicht nur die Wucht der Royal Navy auf den Plan er zieht sich auch den Zorn eines ganzen Inselvolkes zu. Nicht auszudenken, wenn statt Boris Johnson noch Margaret Thatcher das Ruder in der Hand hielte.

Foto: Fotoart2014/Andrzej Karpiński CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Marcel Elsener / 15.12.2020

Was Herr Bonhorst hier leider nicht erwähnt, ist, dass die EU 90 Prozent der Ausbeute aus den britischen Gewässern für sich beansprucht. Als das UK noch zur EU gehörte, konnten die Briten nichts dagegen tun, dass ihnen lediglich 10 Prozent des Fischfangs aus den eigenen Gewässern blieb. Jetzt - als souveräner Staat - können sie es. Ein typisches Beispiel für die Arroganz der EU-Granden, die allen Ernstes glauben, dass sie das UK sozusagen als Kolonie ausbeuten können. Wie Herr Bonshorst richtig vermerkt, wird das nicht funktionieren. Das war ja gerade der wichtigste Vorteil des Brexits: die EU-Fesseln abzustreifen und wieder selbst über sein eigenes Geschick zu bestimmen. Das UK wird Freihandelsverträge, von denen jeweils beide Seiten ihren Nutzen ziehen, mit vielen anderen souveränen Staaten abschliessen. Die EU-Staaten werden wahrscheinlich (vorerst) nicht darunter sein. Das ist nicht so schlimm. Dann wird der Handel zwischen UK und EU halt auf der Grundlage der GATT-Verträge getätigt. Auch hier wieder: als die Briten noch Untertanen der EU waren, konnten sie keine Freihandelsverträge mit anderen Staaten abschliessen, weil das EU-Angelegenheit ist; nach dem Brexit können sie es als souveränes Staatsvolk wieder selbst tun.

Frances Johnson / 15.12.2020

Dieser Fischkrieg ist ohnehin schwachsinnig. Eines der schönsten Kabeljaugebiete der Welt, die Grand Banks vor Neufundland oder auch Laurentian Slope, wurde wegen Überfischung mit dem Resultat, dass der Kabeljau auf 1 (ein) Prozent !!! reduziert war, 1992 geschlosssen bzw. wurde ein Moratorium angeordnet. Wie Sie vermutlich wissen, gab es früher viel Cod in GB in den Fish’n Chips. Inzwischen hat er sich eher zu einer teuren Rarität in besseren Pubs entwickelt. Da die Gretas auf dem Vormarsch sind, wird der Großfischerei ohnehin langsam der Saft abgedreht werden, etwas, womit ich ausnahmsweise mal einverstanden bin. Gucken Sie mal, was ein guter Thun im Glas heute bereits kostet. Soll heißen, dass ich glücklich wäre, wenn wieder mehr lokal gefischt würde. Und die fahren nicht soweit raus. Man streitet um etwas, was wegen Gier und Masse letztlich vor dem Aus steht. Es ist nicht sicher, wann dieses Aus kommt, aber dass es kommt. Rettet den Fisch. Mein Lieblingspub am Channel (wird nicht verraten) serviert den Catch of the Day, köstlich.

Andreas Rühl / 15.12.2020

Wären tatsächlich die Fischgründe das Problem, gäbe es keines. Die sind aber kein Problem, sondern ein Symbol. Die Regierung gbs kann dort nur nachgeben, wenn sie eine Kompensation von ähnlicher Symbolkraft erhält, oder anders gesagt, einen Preis erzielt, den auch der Sun-Leser kapiert und akzeptiert. Mal gespannt, ob so etwas gefunden wird, ich vermutete aber eher einen typischen Brüsselkompromiss, irgendeine übergangsloesung, die so komplex und widersprüchlich ist, dass beide Seiten sie als Sieg und Erfolg verkaufen koennen. Schaden wird der freihandel nehmen und die vernunft, wie immer, wenn bruesseler Bürokraten sich einer Sache annehmen.

Florian Bode / 15.12.2020

Nein, nein. England wird am 1. Januar 2021 untergehen, wenn es nicht den Sirenengesängen der UvdL folgt und ein nachteiliges Vertragswerk unterschreibt. Das haben uns die Meistereuropäer doch monatelang eingeredet: UK ist ohne EU nicht lebensfähig. Ich lach mich schlapp. An den Fisch haben diese Brüsseler Genies vermutlich noch nicht einmal gedacht.

Harald Schimpf / 15.12.2020

So,die Franzosen sind also sauer?Nur mal zur Erinnerung in den 90er Jahren musste die Kanadische Marine mit Kriegsschiffen gegen EU-Fischtrawler vorgehen, die vor den franz. Inseln Saint Pierre und Miquelon- die DIREKT vor der kanadischen Küste liegen- die Fischbestände dezimierten. Die Kanadier hatten, um die Bestände von insbesondere des schwarzen Heilbutt zu schonen , ihre Fischer für 5 Jahre in eine Art Kurzarbeit geschickt. In einem ,ich glaube spanischen Schiff wurde tatsächlich in einem “Verstecktem” Lagerraum eben jener geschonter Fisch gefunden. Im übrigen, ist in div. Mittelmeerländern ( Italien, Portugal,Spanien) kurioserweise ,der Verbrauch von Kabeljau, und zwar in getrockneter Form (Stockfisch) zusammen so hoch wie in Britannien -behaupte ich mal. Zumindest in der Weihnachtszeit. Grösster Erzeuger das Nicht- EU Mitglied, Norwegen.

giesemann gerhard / 15.12.2020

Aktenzeichen BreXYt ungelöst. Sir Horatio hat übrigens Trafalgar nicht überlebt, seine treuen Seeleute haben die Leiche seinerzeit in ein Fass mit Rum gesteckt, kopfüber, die Füße voraus, damit er sich hält bis London, wo er nunmehr auf der Säule steht, pickled since 1805. Was der Russe kann mit Lenin, das können die Engländer mit Nelson schon lange. Die Brits werden sich noch umschauen, wenn sie draußen sind aus dem größten und kaufkräftigsten Binnenmarkt der Welt, direkt vor ihrer Haustür. Dümmer geht’s nümmer. Das bisschen Kabelklau - forget about it. And what is life? A tale, told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing. (Nach W. S. in eigenem Duktus).

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