Hubertus Knabe, Gastautor / 02.11.2020 / 10:00 / Foto: Blaues Sofa / 72 / Seite ausdrucken

Der Geist der Diktatur 

„Die Wohnung ist unverletzlich,“ beginnt Artikel 13 des Grundgesetzes. Der Satz ist eindeutig – doch offenbar nicht für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Dieser will nämlich angesichts stark gestiegener Corona-Infektionszahlen auch Treffen in privaten Räumen unterbinden lassen, selbst in den eigenen vier Wänden. „Die Unverletzbarkeit der Wohnung darf kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein“, sagte er der Rheinischen Post.

Die Väter des Grundgesetzes hatten gute Gründe, den Schutz der Wohnung so eindeutig festzuschreiben. Die Nationalsozialisten hatten nämlich das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung neben weiteren Menschenrechten 1933 außer Kraft gesetzt. Die sogenannte Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar – angeblich zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte – war der Beginn ihrer menschenverachtenden Diktatur.

In der DDR stand es um den Schutz der Privatsphäre kaum besser. In deren Verfassung stand zwar, dass jeder Bürger das Recht auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung habe. Doch in Wirklichkeit waren konspirative Hausdurchsuchungen der Stasi an der Tagesordnung und sogar Gegenstand eines Schulungsfilmes. Wer ein Gefühl dafür bekommen will, was es bedeutet, wenn der Staat in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eindringt, der braucht sich im Internet nur die geheimen Fotos aus der Wohnung des Dissidenten Wolf Biermann anzusehen.

Die Bevölkerung wird schrittweise daran gewöhnt, Unrecht zu akzeptieren

Nun mag man einwenden, dass besondere Zeiten besondere Mittel erfordern. Tatsächlich hat der Staat auch die Verantwortung, seine Bürger vor Epidemien zu schützen. Aber er muss dabei die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren und darf die im Grundgesetz festgelegten Grenzen nicht überschreiten.

Die Forderung Lauterbachs, die Unverletzbarkeit der Wohnung zu ignorieren, ist nicht nur unverhältnismäßig – denn es gibt keinerlei Beleg dafür, dass sie auch die beabsichtigte Wirkung zeigt. Sie ist auch verfassungswidrig, weil sie ein zentrales Grundrecht außer Kraft setzt. Und sie öffnet Tür und Tor für Verhaltensweisen aus dunklen Zeiten, als der Staat seine Bürger animierte, die Nachbarn zu denunzieren. 

Lauterbachs Äußerungen zeigen, wie groß für Politiker offenbar die Versuchung ist, in schwierigen Zeiten zu diktatorischen Mitteln zu greifen. Die Gefahr, die damit verbunden ist, liegt weniger darin, dass die Polizei in Zukunft tatsächlich in private Wohnungen eindringen wird. Das wird spätestens das Bundesverfassungsgericht verhindern. Gefährlicher daran ist, dass die Bevölkerung schrittweise daran gewöhnt wird, das Unrechtmäßige zu akzeptieren.

Ein „Besuch an der Wohnungstür“

An diesem Effekt ändert nur wenig, dass Lauterbach – nach einem Aufschrei der Empörung – inzwischen zurückgerudert ist. Dem Fernsehsender NTV erklärte er mit unsicherem Blick, die Unverletzlichkeit der Wohnung sei natürlich auch ihm “bestens bekannt”. Trotzdem müssten die Ordnungsämter “sich schon einbringen”. Das könne zum Beispiel ein “Besuch an der Wohnungstür” sein und “im Einzelfall auch zu Anzeigen führen.” Wenn es also in Zukunft an der Türe klingelt, ist es vielleicht nicht mehr der Postbote, sondern der Staat.

Solche Szenarien könnten bald schon Alltag werden – und die Deutschen nehmen es offenbar hin. Wie Umfragen zeigen, hat der Wert der Freiheit in der Bundesrepublik massiv an Bedeutung verloren. Schon 2017 gaben 53 Prozent der Befragten der Sicherheit den Vorzug, wenn sie sich zwischen möglichst großer Sicherheit oder persönlicher Freiheit entscheiden sollten. Im Zuge der Corona-Pandemie erhöhte sich der Anteil auf 79 Prozent.

Das Umfrageinstitut Allensbach warnte deshalb bereits im April, dass diese Reaktion der Bevölkerung für Regierungen eine Versuchung sein könnte. Am Ende einer entsprechenden Studie hieß es: „Theoretisch muss man eine tatsächliche oder auch nur angenommene Gefahr nur stark genug ausmalen: eine drohende Klimakatastrophe, eine riesige Einwanderungswelle, gewaltige soziale Verwerfungen – scheint die Bedrohung groß genug, sind viele bereit, ihre Grundrechte zurückzustellen.“

Genau das ist der unmerkliche Beginn der Diktatur.

Der Text erschien zuerst in Evangelische Nachrichtenagentur idea e.V. und auf hubertus-knabe.de

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Leserpost

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T. Schneegaß / 02.11.2020

@Dirk Jungnickel: Sie schreiben: “Ein Trost - noch allerdings ein schwacher - ist das Vorbild der friedlichen Revolution in der “DDR”.  Möge sie sich unter anderem Vorzeichen wiederholen.” Nachdem ein Teil meiner Kinder, Gleichgesinnte und ich sowohl in Berlin als auch in Dresden bei den Querdenkern mitdemonstriert haben, wird meine Einstellung zu diesen Veranstaltungen zunehmend ambivalenter. Ich erlebe, dass ich dort GEGEN etwas demonstriere, aber mir von den Veranstaltern dringend empfohlen wird, gehorsamst gerade das zu PRAKTIZIEREN, gegen das ich auf der Straße bin. Aus Angst vor Auflösung! Die hatten wir 89 auch, schwerbewaffnete “Organe”, von Polizei bis Kampfgruppen der Arbeiterklasse standen in den Nebenstraßen der Demoorte bereit. Was soll das heutige Gebaren der Veranstalter künftig bewirken? Wir hätten die friedliche Revolution 89 nie zum Erfolg geführt, wenn wir die Stasi gefragt hätten, ob, und wenn wieviele unter welchen Auflagen gegen den Staat demonstrieren und “Stasi in die Produktion” rufen DÜRFEN. Die vom Regime der Alten in Berlin so hochgelobten Demonstranten in Minsk werden wohl kaum Lukaschenko um Erlaubnis für ihre Proteste gebeten haben. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Und hier in D sollen nur solche Proteste stattfinden, die in ihrer Art und Weise der Durchführung denen “gefallen”, gegen die sie gerichtet sind??? Das ist einfach absurd und ruft garantiert nur ein müdes Lächeln bei denen hervor, die man mit Protesten zu einem “Umdenken” oder gar Abdanken bewegen will.

Lutz Serwuschok / 02.11.2020

Nun ja, auch wenn Ossi und deshalb mit empfindlichem Magen gestraft, ich glaube der Herr Professor Unrat meint das was er sagt sogar ernst. Keine Ahnung zu Herbert, Willy und Helmut, dafür bin ich zu jung, aber so lange ich die Damen und Herren beobachte, rätsele ich, wofür SPD steht. Mittlerweile hat sich spezialdemokratische Dummverkäufer*Innen gesättigt. Begonnen bei der Geschichtsschreibung aus sozialdemokratischer Sicht lässt sich eine sehr einseitige, um nicht zu sagen marxistische Sicht konstatieren (vgl. Franz Mehring). Und Murx hat nichts mit Arbeit zu tun, sehr richtig. Betrachte ich die jüngere Vergangenheit, fallen mir so tolle Gestalten wie Pack-Gabriel, Bätschi-Nahles, Covidioten-Eskens, Orden-Steinhaufen, Herr Lindh, und natürlich der Sirene ein (nicht abschließend). So richtig übel genommen haben ich jenen und diesen aber die neuliche Absprache, dass jene 2 v.H. USt-Erhöhung forderten, diese aber keine Erhöhung; und man sich dann bei 3 v.H. traf (damals fungierte der Bundes-Behinderte als BMF). Und diesen Unsinn haben sie uns jetzt wieder erlassen, wegen Corona. Unglaublich. Meine Mutter sagte immer, wenn dir einer erzählt, dass du deine Hose mit der Kneifzange anziehst, dann wirst du verarscht…

Karl Heinz Brandt / 02.11.2020

Dr.StefanLehnhoff@Nur der guten Ordnung halber . Ihr , Thomas Jefferson zugeschriebenes Zitat , ist dann doch eher von Benjamin Franklin . Gerne helfe ich aber aus mit einem Zitat von Thomas Jefferson . „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit begossen werden mit dem Blut der Patrioten und der Tyrannen   . Das ist sein natürlicher Dünger“. Und diesen Satz unterschreibe ich mit meinem Herzblut wenn es denn sein muss .

R. Link / 02.11.2020

Alleine die Tatsache, dass dieser wohl anscheinend völlig dem Wahnsinn anheim gefallene “mad professor” das besonders geschützte Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung als “Argument” bezeichnet, lässt schon tief blicken. Und das von einem Berufspolitiker, dessen ureigenste Aufgabe darin bestünde, seinen Souverän (nämlich uns Bürger) vor Übergriffen durch nicht legitimierte staatliche Gewalt zu schützen. Nicht umsonst werden die Artikel 1-20 GG auch als Abwehrrechte des Bürgers gegen einen übergriffigen Staat bezeichnet. Ein paar Stunden Verfassungskunde würden diesem Herrn “Professor” sicher nicht schaden.

Renate Bahl / 02.11.2020

Die Staatsratsvorsitzende hat ihr Ziel erreicht, eine Diktatur zu errichten.Und Typen wie Lauterbach und alle anderen eierlosen Wassertraeger finden immer mehr Gefallen daran. Was machen eigentlich seit Monaten die ueber 700 Parlamentarier? Eigentlich sind die doch flüssiger als flüssig, naehmlich überflüssig. Gott sei Dank kenne ich als Wessi und Bj. 1951 Diktaturen nur vom Höhrensagen. aber eines war mir immer das Allerwichtigste: Freiheit. Und dieses hohe Gut wird wegen eines Virus mit freiheitlichen Einschritten ohne Evidenz mal eben so aufs Spiel gesetzt, für mich unfassbar. Und ich bin immer wieder aufs Neue erschüttert, dass offensichtlich die Mehrzahl meiner Landsleute das offensichtlich auch noch mittragen und nicht das eigene Hirn einschalten. Nun weiss ich, wie Diktaturen entstehen. Soll mir dann keiner damit kommen: Das wusste doch keiner!

Karola Sunck / 02.11.2020

Ich Nachkriegskind, Jahrgang 1953 finde es sehr erschreckend, dass sich Politiker, die im Westen geboren und aufgewachsen sind, sich plötzlich nicht mehr an demokratische Gepflogenheiten halten wollen und diktatorische Ausbrüche und Machtbestrebungen einer tiefroten überzeugten Kommunistin, die durch Heimtücke, Lüge und Verrat an die Macht gelangt ist, mitmachen, sie darin unterstützen und damit die Grundwerte der Demokratie verraten, die die Gründungsväter der jungen Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz verankert haben!

P. Wedder / 02.11.2020

Der derzeitige Umgang mit den Grundrechten bereitet mir mehr Sorgen als der Corona.

sybille eden / 02.11.2020

Aber Herr KNABE, dass ist nicht der “unmerkliche Beginn”, sondern der “SEHR DEUTLICHE” !

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