Von wegen Simpelstrategie und Trotteltaktik: Friedrich Merz ist ein ganz Ausgekochter. Seiner natürlichen Autorität können weder Sozis noch Grüne widerstehen.
Ich gebe zu, ich lag falsch. Ich bereue. Ich gehe in Sack und Asche. Ich leiste Abbitte. „Der Friedrich kann es nicht“, habe ich vor vier Jahren geschrieben und jetzt vor der Wahl jedem verkündet, der es wissen wollte oder nicht. Und dass ich aber ganz bestimmt nicht CDU wählen würde, weil ich nicht mitverantwortlich sein wolle für das, was danach kommt.
Es gab ja auch Gründe. Die zahllosen Ankündigungen, die der Friedrich aus seinem zerebralen Zufallsgenerator zauberte, das ständige Vor- und Zurückrudern, die immer höher gezogene „Brandmauer“, mit der er sich jede Aussicht auf eine starke Verhandlungsposition gegenüber möglichen Mitregenten verbaute. Dazu die ewig wiederholte Erzählung, je mehr Stimmen die Union erhalte, desto mehr „Politikwende“ könne sie in einer Koalition durchsetzen.
Ich meine, hallo? Drei Merkel-Grokos hatten das Gegenteil bewiesen. Je mehr die sozialdemokratische Braut schwächelt, desto größere Geschenke braucht es zur Vermählung. Da durfte man sich schon fragen, wer eigentlich der begabtere Kinderbuchautor ist: Sprachschöpfer Habeck, der Schneeflocken „klirren“ lässt, oder Märchenonkel Merz?
Der Dealmaker aus dem Sauerland
Längst war abzusehen, dass Merz nach der Wahl gegen Streetfighter Klingbeil antreten muss. Der lächelnde Lars ist der Pfirsich unter den Spitzensozis: außen flauschig, im Kern knallhart. Nach dem Wahlkampf gegen Laschet 2021 hatte ein Social-Media-Experte die Schärfe und Schlagkraft des Klingbeils analysiert: „Sportlich und fair? Nicht unbedingt. Effizient? Sehr.“
Und was setzt der Schwarze Ritter Friedrich dagegen? Wedelt auf dem CDU-Parteitag mit imaginären Autoschlüsseln herum und offenbart der staunenden Menge seine Strategie gegenüber Rot-Grün: „Sie ahnen gar nicht, wie flexibel und freundlich die werden“, wenn man mit Dienstwagen-Entzug droht. So stellt sich der Dealmaker aus dem Sauerland Koalitionsverhandlungen vor. Is’ klar, dachte ich. Läuft bei dir, Friedrich.
Anschließend vergisst er, dass er Koalitionspartner braucht, und entdeckt den Baby-Trump in sich. An Tag eins seiner Kanzlerschaft werde er ein „faktisches Einreiseverbot“ für alle illegalen Grenzgänger umsetzen. Außerdem plant er „zeitlich unbefristeten Ausreisearrest“ für zugeschlenderte Straftäter und Gefährder. Prima Idee, im Prinzip. Schade nur, dass im Rechtsstaat Deutschland niemand einfach so unbegrenzt eingesperrt werden darf. Weiß eigentlich jeder, außer der doppelt examinierte Jurist Merz.
Kurzschlüsse in der mentalen Fritz-Box
Nach der Wahl ging es nahtlos weiter mit den Kurzschlüssen in der mentalen Fritz-Box: Er setzt die Politik Washingtons und Moskaus gleich und will mit „absoluter Priorität“ die „Unabhängigkeit von den USA“ erreichen. Und das mit einer Bundeswehr, die nicht mal Legoland verteidigen kann. Gute Reise, kann ich da nur wünschen. Hoffentlich hat Friedrich der Große für die Suche nach neuen Verbündeten schon mal vorsondiert, in Kamerun oder Vanuatu zum Beispiel.
Eine Woche später sieht der Kanzler in spe „Bilder“ vom Selenskyj-Mobbing im Oval Office. Ohne Not und locker aus der Lende erzählt er in die Kameras, die Trump-Man-Show sei „offensichtlich eine herbeigeführte Eskalation“ gewesen. Mir ist fast das iPad ins Klo gefallen. Egal, ob es stimmt oder nicht: So was kann man nicht raushauen, wenn man noch den einen oder anderen diplomatischen Blumentopf gewinnen will. Was ist das, fragte ich mich. Dunkelflaute im Oberstübchen? Baerbock 2.0?
Ich will mich nicht weiter mit Rückschau aufhalten. Wir müssen jetzt nach vorne blicken, das ist bekannt aus jeder Sprechstunde im Gebühren-TV. Andererseits sollen Sie verstehen, warum ich so lange brauchte, bis ich das Genie erkannte, das unter der haarigen Inselbegabung auf der Merz-Kalotte wohnt.
Whatever we take
Tja, und dann das. Von wegen Simpelstrategie und Trotteltaktik. Joachim-Friedrich Martin Josef Merz hebt den größten Staatsschatz seit Erfindung der Pharaonen. Bam! Unser aller Volksvermögen mehrt sich um 500 Milliarden Euro. Als Goodie gibt es keinen geschenkten Aal obendrauf, sondern einen Blankoscheck Bundeswehr, sicher ist sicher. Macht für die nächsten Jahre summa summarum 1.000 bis 1.500 Milliarden, heißt es – einfach so und über Nacht.
Wenn ich sage „über Nacht“, ist das natürlich Spaß. Die wundersame Geldvermehrung hatte Tricky Fritz längst in petto. Nur konnte er uns davon vor der Wahl nichts sagen. Man muss die Dinge ja nicht unnötig komplizieren. Der Friedrich war also gar nicht zu doof zum Regieren, wie ich dachte. Er tat nur so. Und das ziemlich überzeugend, muss ich zugeben.
Jedenfalls war es eine gelungene Überraschung. Das muss man sich mal vorstellen. Jeder hierzulande Bevölkernde wird leistungslos um 12.000 bis 18.000 Euro reicher, vom Baby bis zur Oma gegen rechts. Kann natürlich auch mehr sein, ist ja nach oben offen. „Whatever it takes“, sagte der Friedrich. Gut, das war ein kleiner Versprecher, denn gemeint war: „Whatever we take.“
Es kommt noch besser. Der Merz-Schatz wird sich nämlich von selbst vermehren. Es handelt sich schließlich nicht um Schulden, wie Kritiker und andere Aluhüte behaupten. Es ist Sondervermögen. Wenn man da rangeht, ist das logischerweise keine Ausgabe, sondern eine Sondereinnahme. Klassische Win-win-Situation. Es ist wie so oft mit genialen Lösungen. Man fragt sich, warum man nicht selbst darauf gekommen ist.
Kein Recht auf Politikwechsel
Der Clou dabei: Wir müssen für unseren neuen Reichtum nicht einen Cent Schenkungssteuer abdrücken. Vorerst jedenfalls. Auf die Frage nach Steuererhöhungen antwortete der bayerische Ministerpräsident: „Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Dazu muss man wissen, ein derart windelweiches Dementi ist keines, schon gar nicht aus dem Mund von Markus Söder. In Wahrheit bedeutet es: Das Gegenteil ist längst beschlossen. Was soll’s, irgendwas ist immer. Außerdem ist es bestimmt keine Steuer, eher eine „Sondersubvention“.
Die üblichen Verdächtigen haben sofort angefangen zu meckern, bloß weil Friedrich Merz nach der Wahl das Gegenteil von dem macht, was er vorher versprochen hatte. Von „Verrat“ war die Rede, von „Wahlbetrug“ und „Wählertäuschung“. Das ist natürlich Quatsch. Wir haben eine parlamentarische Demokratie und keine direkte mit Volksentscheiden und allem Pipapo. Die Väter*innen des Grundgesetzes wollten das so, weil man dem Volk erstens nicht trauen kann und es zweitens nicht vom Fach ist. Wenn Sie Lust auf Zimtschnecken haben, stellen Sie sich ja auch nicht in die Küche, sondern gehen zum Bäcker. Und wenn dann Zimtschnecken aus sind, gibt’s halt Dinkelstangen.
Der Wähler weiß also ganz genau, was er wählt. Er wählt Politiker und keine Politik. Deshalb hat der Wähler auch kein Recht auf Politikwechsel, nur auf Politikerwechsel. Beschiss wäre es, wenn statt Friedrich Merz plötzlich Anne Will im Bundestag säße. Oder Campino oder Richard David Precht. Aber wenn Friedrich Merz einen Tag nach der Wahl seine Meinung ändert, dann ist das kein Verrat, sondern normal. Dafür ist er Politiker.
Kriegserklärung im Spam
Der nächste Kritikpunkt war, dass der alte Bundestag über das gefundene Volksvermögen abstimmt und es beim neuen Bundestag auf dem Konto landet. „Demokratietheoretisch“ sei das irgendwie zweifelhaft. Also ich persönlich wüsste nicht, wo das Problem sein soll. Im Gegenteil. Wenn Abgeordnete aus zwei Wahlen derart geschmeidig zusammenarbeiten, ist das doch doppelt demokratisch. So gesehen ist alles in bester Ordnung.
Falls Sie noch nicht hundertprozentig vom Merz-Genie überzeugt sind, kann ich Sie beruhigen. Das mit der plötzlich superdringenden Aufrüstung und dem notfallmäßigen Infrastruktur-Etat hab’ ich auch nicht gleich verstanden. Ich hatte Fragen. Was ist am Wochenende passiert? Ist das Memo mit der Kriegserklärung bei mir im Spam gelandet? Wer genau marschiert gerade gegen wen? Müssen wir zur Landesverteidigung an die Ost- oder Westfront? Und überhaupt: Wie konnte der Feind über Nacht heimlich unsere Brücken, Schulen und Autobahnen ausradieren?
Gut, ich weiß das alles immer noch nicht im Detail, aber es eilt auf jeden Fall sehr. Das wurde mir klar, als ich eine weitere entscheidende Information erhielt: „Wir haben Faschisten in Moskau und in Washington – das gab es in dieser Form auch noch nicht“, erklärte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte bei Phoenix. Ja, ich geb’s zu, sogar den Nazi-Putsch in den USA hatte ich verpasst.
„Jetzt heute mal positiv sehen“
In solchen Krisensituationen merkt man erst, wie wichtig der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist. Wo sonst gibt es noch Menschen, die den Überblick haben und einem ruhig und verlässlich die Gesamtsituation erklären? Eben. Nehmen wir zum Beispiel Anja Kohl. Die ARD-Börsendomina weiß immer alles und das auch noch besser. Und was soll ich sagen? Friedrich Merz, der Bernd Stromberg unter den Frauenverstehern, hatte sogar sie überzeugt.
Wir müssen uns nämlich nicht mit Einzelheiten belasten. Schon gar nicht sind Nörgeleien und nervige Nachfragen angebracht. Bei Maischberger erklärte Frau Kohl, worauf es wirklich ankommt. Oberste Bürgerpflicht ist „nicht negativ sehen. Jetzt heute mal positiv sehen, was die jetzt schon erreicht haben.“ Das fand am Folgetag auch Harald Lesch: „Ich glaube wirklich, dass jetzt nicht die Zeit ist, unbedingt noch mal nachzuhaken. […] Es gibt niemanden, der an diesem Paket, was da verabschiedet worden ist, wirklich ernsthaft zweifelt. Wir brauchen genau das, warum auch immer. Jetzt brauchen wir es.“
Der ZDF-Professor für Universum und Stuff hatte nämlich gemerkt, dass „nichts mehr so ist, wie es mal war“, warum auch immer. Daraus folgt rein wissenschaftlich, dass wir „ganz, ganz anders uns verhalten müssen, auch politisch, auch medial begleitend, als es bisher der Fall war.“
Probleme mit der Death-Life-Balance
Ah, dachte ich, „medial begleitend“ kenn’ ich, und zwar von Corona. Als hätte er meine Gedanken gelesen, erklärte der Herr Lesch: „Wir hatten einen gesundheitspolitischen Notstand mit der Corona-Pandemie, jetzt haben wir einen sicherheitspolitischen und außenpolitischen Notstand.“ Ich war froh und erleichtert. Der Professor und ich waren voll „on the same page“, wie der Ami sagt.
Meine Frage, was Brücken, Bomben und Bildung miteinander zu tun haben, war da längst von Manuela Schwesig beantwortet, der Ministerpräsidentin von Meck-Pomm. Das Lösungswort lautet „Sicherheit“: „Wir machen Sicherheit im Verteidigungssinn, aber eben auch Sicherheit für Wirtschaft und Infrastruktur.“ Zur Infrastruktur gehören auch Schulen, wie so vieles. Zum Beispiel das Wetter. Darauf wies der Professor Lesch noch hin, dass nämlich „auch das Klima eine Sicherheitsgefahr darstellt“. Stimmt, dachte ich, irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen.
Das Einzige, was mich noch umtreibt, sind die Fantastilliarden für die Bundeswehr. Klar, ich bin sehr für Waffen, ich hätte selbst gern eine. Wir wohnen schließlich in Berlin. Nur, irgendwer muss die vielen neuen Geräte bedienen, und unsere Jugend hat schon genug Probleme mit der Work-Life-Balance. Mein Gefühl ist, das wird nicht einfacher, wenn es plötzlich um eine Death-Life-Balance geht. Aber was weiß ich schon. Vielleicht kann da die Künstliche Intelligenz einspringen.
Kernkompetenz Geldausgeben
Jetzt wissen wir also, warum und wofür der neue Staatsschatz dringend gebraucht wird. Und Sie fragen sich bestimmt: Wie geht’s weiter? Das Offensichtliche steht im Sondierungspapier. Zunächst werden die dringendsten Investitionen in die Infrastruktur angepackt, also Förderungen bei Niedriglöhnern, Müttern, Landwirten, Gastronomen und Pendlern. Außerdem schickt die CDU ein paar mehr Bundespolizisten an die tschechische Grenze und denkt sich einen neuen Namen für das Bürgergeld aus.
Manche meinen, damit hätte sich Friedrich Merz über den Tisch ziehen lassen. Das ist falsch. Im Gegenteil, Merz hat erkannt, wie gedeihliches Regieren funktioniert. Als erfahrener Manager stellt er sein Team nach Vorlieben und Fähigkeiten der Beteiligten auf. Kernkompetenz der Sozialdemokraten ist nun mal das Geldausgeben. Was die Union besonders gut kann, ist dabei zusehen und erklären, warum es so sein muss.
Es läuft also alles in geordneten Bahnen. Konflikte werden vermieden, und darauf kommt es schließlich an. In der Politk gibt es zwei Grundregeln, das lernen Sie in jeder Talkshow. Die eine heißt „Die Menschen wollen keinen Streit“, die andere ist „Man muss es den Menschen besser erklären“. Beides ist durch die kluge Aufgabenverteilung im Kabinett Merz I gewährleistet.
Der Chuck Norris der Politik
Ach so, denken Sie vielleicht, genau wie damals unter Merkel. Schon wieder falsch. Der Unterschied zu Merkel ist die Persönlichkeit. Ein Merz hat nicht die Macht, ein Merz ist die Macht. Friedrich Merz ist der Chuck Norris der Politik. Über den sagt man nicht ohne Grund: Das Auto von Chuck Norris braucht kein Benzin. Es fährt aus Respekt. Ähnlich ist es bei Friedrich Merz.
Strukturreformen, Bürokratieabbau, Zurechtstutzen des Sozialstaates, Streichung origineller Ampelgesetze, Beendigung der Weltrettungsfantasien bei Migration und Klima – all das muss nicht in irgendwelchen Papieren fixiert sein. Friedrich Merz wird es geräuschlos und unaufgeregt nebenbei vollziehen. Dem Zauber seiner Präsenz und der Strahlkraft seiner Gedanken haben die Klingbeils und Eskensens nichts entgegenzusetzen.
Auf diese Weise erledigte sich auch das klitzekleine Problem mit den Grünen und ihrer Zustimmung zur Grundgesetzänderung. Sicher, öffentlich zierten sie sich, so muss es auch sein als künftige Opposition. Aber tags darauf erlagen die Grünen dem friederizianischen Charisma. Zur Gesichtswahrung erhalten sie hundert Milliarden fürs Wohlfühl-Klima und vielleicht unter der Hand noch ein paar Millionen für Menschen in Not, also die NGO-Zivilgesellschaft. Natürliche Autorität in Verbindung mit der einen oder anderen Extramilliarde – das ist der eigentliche Geheimplan des Friedrich Merz.
Der geheimste Geheimplan
Seitdem ich weiß, wie clever und souverän Fritz der Fuchs in Wahrheit agiert, sehe ich eine weitere Möglichkeit. Es wäre der geheimste Geheimplan des Friedrich Merz. Der geht so: Bei seiner ersten Rede im neuen Bundestag sagt der CDU-Chef „Bätschi“ zu Sozis und Grünen, war alles nur Spaß. Ein Koalitionsvertrag ist nicht einklagbar, und das feine Geldpaket im Grundgesetz könnt ihr mir mit den neuen Mehrheiten nicht mehr wegnehmen.
Anschließend lässt sich „OG“ Merz von Union und AfD zum Kanzler wählen. In einer Minderheitsregierung unter Tolerierung der Blauen macht er ab Tag eins Unionspolitik pur, wie im Wahlkampf versprochen. Der Nachteil dieser Lösung: Anja Kohl, Harald Lesch und alle anderen Omas, Opas und Babys gegen rechts würden in trauter Einfalt mit der Medienmehrheit vier Jahre lang „Verrat“ und „Machtergreifung“ schreien. Dieser schwarz-blaue Geheimplan wäre also gut fürs Land, aber schlecht für die Stimmung.
Ich will nicht weiter spekulieren. Ich bin sicher, Friedrich Merz wird das Richtige tun. Er ist Taktiker und Praktiker, er ist Boss, er ist allem und jedem gewachsen, egal ob Trump, Putin oder Xi Jinping. Meine Stimme hat er beim nächsten Mal, denn ich habe verstanden: Was immer es ist, er kann es.
Robert von Loewenstern ist Jurist und Unternehmer. Von 1991 bis 1993 war er TV-Korrespondent in Washington, zunächst für ProSieben, später für n-tv. Er lebt in Bonn und Berlin.