Identitätspolitik ist zur heiligen Kuh unserer Zeit avanciert. Der Politologe Thomas Meyer zeigt aber, dass diese die Mutter von Islamismus und anderen fundamentalistischen Strömungen ist.
Was haben Teile des Islam und des politisch-korrekten grünen Mainstream gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Während die einen der Tradition huldigen, verachten die anderen jegliche Herkunft. Und doch eint sie etwas: ihre fundamentalistische Identitätspolitik. Während die einen sich als lebendige Feuerwerkskörper in die Luft jagen, möchten die anderen mit eiserner Hand das Chinaböllern verbieten.
Im Kern geht es beiden um das Gleiche: Soziale und politische Machtinteressen beizubehalten und zu erweitern. Eben das zeigt fundiert und schlüssig Thomas Meyer mit seinem Buch „Identitätspolitik“. Zwar bezieht er sich bei seiner Analyse nicht auf die politisch Grünen, seine Erstausgabe erschien bereits im Jahr 2002. Doch auf die Klima-Partei lassen sich seine Befunde problemlos übertragen.
Denn der emeritierte Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dortmund zeigt hervorragend wie soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Faktoren eine fundamentalistische Identitätspolitik befeuern. Das hat auch seinen Preis. Sein Werk lässt sich nicht leicht zwischen Tür und Angel lesen. Zeit und Muße sollte der Leser mitbringen. Bei „Identitätspolitik“ handelt es sich nicht um eine populärwissenschaftliche Arbeit, sondern um eine wissenschaftliche Analyse. Wer sich die Zeit nimmt, wird belohnt.
Das bedeutet aber nicht, dass Meyers Aussagen mühselig und langatmig mit scharfem Intellekt dechiffriert werden müssen. Vielmehr muss man sich auf den wissenschaftlichen Stil einlassen. Das sind: Wenig Umschreibungen, noch weniger Bilder und wesentlich weniger Humor. Ralf Dahrendorf war schließlich auch kein Unterhaltungsgranate. Aber hat sich der Leser daran gewöhnt, liest sich das Buch schon wesentlich leichter und angenehmer.
Der inhaltliche Zugewinn befeuert diese Leichtigkeit. So zeigt Meyer, dass bereits seit dem 1970er Jahre eine Politisierung der Kultur stattfinde. Diese diene den Parteien dazu die eigene Macht zu erhalten, auszubauen oder zu gewinnen. „Nun erlebt die politische Instrumentalisierung kultureller Unterschiede seit den 1970er-Jahren in allen Teilen der Welt eine ebenso machtvolle Renaissance (...)“. Ihre Konsequenz: ein Freund-Feind-Denken und das Verschwinden wirklicher kultureller Differenzen.
Der Fundamentalismus breite sich so in der Mitte der Gesellschaft aus und werde salonfähig. Um seine Position zu bekräftigen, rekurriert Meyer auf namhafte Theorien. Diese reichen von Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ bis hin zu Manuel Castells‘ „Netzwerktheorie“. Hierbei kritisiert Meyer insbesondere Huntingtons Theorem vom Kampf der Kulturen. Seiner Meinung nach erkläre dieses weniger. Vielmehr sei es Teil der Ursachen, die es zu verstehen versuche.
Das alles, und noch viel mehr, zeigt Meyer nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch fundiert auf: Nicht die kulturellen Unterschiede an sich seien schlecht oder gut. Der (politische) Umgang mit ihnen sei das Entscheidende. Wer besser verstehen möchte, warum sich die Fronten inner- und außergesellschaftlich verhärten, kann an Meyers wissenschaftlicher Analyse nicht vorbei. Weil diese so erhellend ist, wünschte man sich eine aktualisierte Fassung. Inklusive der politisch Grünen.
Meyer konstatiert: „Der linke Fundamentalismus scheint fürs Erste erschöpft“. In der aktualisierten Version würde er vermutlich den Aufstieg eines grünen Fundamentalismus beobachten. Weg von der RAF, der Roten Armee Fraktion, hin zur GBF, der Grünen Bürgerlichen Fraktion. Aber vielleicht beschäftigt sich Meyer schon mit solchen und anderen Themen?
Thomas Meyer (2002). „Identitätspolitik. Vom Missbrauch kultureller Unterschiede“. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.