Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 16.02.2007:
Kleines Quiz: Woher stammen die folgenden Zitate? „Wir bejahen den technologischen Fortschritt.“ „Fortschritt heißt: Aufklärung, Bescheid wissen. Liberal, tolerant sein.“ „Die Welt ist ein Prozess. Stillstand gibt es nicht.“ „Die Dinge sind in Bewegung. Das ist normal.“ Stammen sie aus einem Manifest kalifornischer IT-Philosophen oder einer Denkschrift europäischer Gentechniker? Nein, Franz Müntefering hat das kürzlich gesagt – in aller Öffentlichkeit. Wir konnten es kaum glauben. Was ist los bei den Sozialdemokraten? Entdecken sie die Zukunft, kaum dass die Wähler sie von der grünen Dauerumarmung befreit haben?
Ideengeschichtlich wäre dies schlüssiger als die Light-Version grüner Weltanschauung, die seit dem Ende der Ära Schmidt als sozialdemokratisch galt. Die Sehnsucht nach einer Hobbit-Idylle mit Windrädchen und Fahrrad-Rikscha kam schon damals nicht aus dem Herzen der Partei. Es war eine Angstreaktion: Während die klassische Industriearbeiterschaft schrumpfte, liefen die Jüngeren und die linken Akademiker zu den Grünen über, die ihrem Lebensstil besser repräsentierten. Große Industrieunfälle von Seveso bis Tschernobyl wurden als Menetekel gelesen, die Wachstum und technischen Fortschritt grundsätzlich in Frage stellten. Die Hochrechnungen des Club of Rome galten noch als seriös und alle glaubten, dass der deutsche Wald stirbt. „Fortschritt“ war ein schmutziges Wort. Aus diesem Zeitgeist zimmerten die Grünen ihre Utopie der Begrenzung und Selbstbeschränkung: Nicht mehr nach den Sternen greifen, sondern lieber den Kopf tief in die Biotonne stecken.
Die Sozialdemokraten verpassten es, dem eigene Vorschläge zur Bewältigung der ökologischen Krise entgegenzusetzen. Dabei wäre das gar nicht so schwer gewesen, denn Umwelt- und Naturschutz bedürfen keiner rückwärtsgewandten Utopie. Im Gegenteil: Die meisten Umweltprobleme wurden durch technischen Fortschritt gelöst. Überall dort wo die ur-sozialdemokratischen Ziele Demokratie und Massenwohlstand verwirklicht wurden, sind Luft und Wasser am saubersten, wächst der Wald, wird die Natur am besten geschützt. Doch die fortschrittsfreundliche Antwort auf die Herausforderungen fiel aus. Hatte man vorher die Probleme übersehn oder geleugnet, so trottete man nun ideenlos den Grünen hinterher und beschränkte sich darauf, den Rückschritt möglichst sozialverträglich abzusichern.
Nachdem das rot-grüne Projekt in die Knie ging, entdeckt nun Franz Müntefering den Fortschrittsgedanken neu. Er wird es nicht leicht haben, seine Genossen da mitzuziehen. Denn mittlerweile glauben alle an den grünen Kanon, von der Bildzeitung, über die Kirchen bis zu den Versicherungen und Großbanken. Ein Horizont der niedrigen Erwartungen, der Wunsch nach Null-Risiko, Misstrauen gegen die Wissenschaft und ein irriges Naturbild bilden die geistige Basis öffentlicher Diskurse. Leerformeln wie „Nachhaltigkeit,“ „natürlich“ oder „ökologischer Kreislauf“ sind jeder Kritik enthoben.
Auch wenn es derzeit nicht opportun ist, täte die SPD gut daran, diese geistige Monokultur ein wenig umzupflügen. Denn sie passt ohnehin viel besser zur politischen Konkurrenz. Die hat das längst begriffen und schmeißt sich mit grünen Bekenntnissen dem Zeitgeist an die Brust. Die CSU erklärt sich selbst zur „konservativ-ökologischen Volkspartei.“ Horst Seehofer meditiert mit Anti-Gentechnik-Predigern und Angela Merkel holt sich Klima-Apokalyptiker in ihre Beratergremien. Schwarz-grün liegt in der Luft und wie die Dinge derzeit stehen, repräsentiert ängstlicher Öko-Konservativismus das Lebensgefühl der Mehrheit. Aber das muss ja nicht auf ewig so bleiben. Vielleicht ergreift die Kinder und Schüler der Generation Kompost dereinst eine Sehsucht über den Rand der Biotonne hinaus zu blicken. Schön, wenn es dann ein oder zwei fortschrittliche Parteien gäbe, die sie wählen könnten.