Dushan Wegner, Gastautor / 23.05.2022 / 10:00 / Foto: Pixabay / 69 / Seite ausdrucken

Der Fordernde hat nie genug

Einige Leute nerven mit ihrer Erwartungshaltung. Die fordern und fordern – und werden doch nicht glücklich damit! Wie soll man mit dauernder Erwartungshaltung umgehen?

Diogenes war ein Philosoph der griechischen Antike, und der Legende nach lebte er in einem Fass. Diogenes war extra bescheiden, wobei Bescheidenheit hier auf keinen Fall mit Schüchternheit verwechselt werden sollte. Diogenes bettelte auf dem Markt und suchte Essen auf dem Boden zusammen. Er aß öffentlich, was damals als unschicklich galt. Und er tat noch ganz andere Dinge öffentlich, die man bis heute, je nach Land, unschicklich finden könnte.

Und doch galt er als Philosoph. Es gibt keine überlieferten Texte, die sicher Diogenes zugeschrieben werden können. Seine Zeitgenossen berichten jedoch Anekdoten über „Diogenes den Hund“ in ihren eigenen Texten. (Er bezeichnete sich selbst als Hund, nachdem er derart beschimpft worden war. Es ist der wohl erste bekannte Fall eines „Geusenworts“, also eines Schimpfwortes, das der Bezeichnete selbstbewusst übernimmt. Das heutige Wort „Zyniker“ ist übrigens mit dem altgriechischen Wort für „Hund“ verwandt.)

In einer der Anekdoten erleben die amüsierten Passanten, wie Diogenes gestikulierend eine steinerne Statue anbettelt. Man fragt den Philosophen, was seine Absicht dabei sei, die Statue anzubetteln, und dieser erklärt: „Ich übe mich darin, zurückgewiesen zu werden.“ In der Sprache des modernen Business können wir sagen: Diogenes wollte eine „Baseline“ für seine persönliche Erwartungshaltung setzen. Wie viel soll ein Mensch von seinen Mitmenschen erwarten? Die Antwort des „Hundes“ Diogenes ist: Nichts. Nada. Null.

Der kurze Kick

Wir haben alle schon mal diese nervigen Zeitgenossen erlebt, deren zweiter Vorname „Erwartungshaltung“ heißen sollte. Es sind Menschen, die immerzu Forderungen an ihre Umgebung stellen. (Politisch fühlen sich solche Leute entsprechend oft zu Parteien und Politikern hingezogen, die ebenfalls immerzu fordern, fordern und nochmal fordern.)

Diese Leute bedienen sich eines psychologischen Tricks, selbst wenn sie es nur intuitiv und unbewusst tun: Die meisten Menschen sind ihren Mitmenschen gegenüber wohlwollend gesinnt. Man will Erwartungen erfüllen, der Gemeinschaft wegen. Da wir aber von einer konstruktiven Gesinnung des Gegenübers ausgehen, könnten wir dem Irrtum verfallen, dass es tatsächlich möglich ist, einen „Fordernden“ zufriedenzustellen.

Die Erwartungshaltung gehört zu jener Gattung von Appetiten, die umso aggressiver werden, je mehr man sie füttert. Wenn die unbegründete Erwartung erfüllt wird, mag sich kurzfristig eine gewisse Befriedigung einstellen, ein kurzfristiger Hormonschub. Das Empfangen des Geschenkes wird aber zur neuen Baseline. Der „Erwartende“ hat gelernt, dass unbegründetes Fordern funktioniert, dass es einen kleinen emotionalen Kick verschafft, dass es ab jetzt regelmäßig zu liefern ist, aber keinen neuen Kick verschafft, weshalb er nun neue, größere Forderungen aufstellen muss.

Permanent unglücklich

Der Fordernde wird immer unglücklich sein. Wenn seine Forderung nicht erfüllt werden kann, wird er uns dafür verantwortlich machen, dass er unglücklich ist. Wird seine Forderung aber doch erfüllt, wird er sich bald neue Forderungen ausdenken, im besten Fall darauf hoffend, dass die Erfüllung seiner nächsten Forderung ihn glücklich machen wird. Der an Erwartungshaltung leidende Mensch ist wie ein Kind, das mit den Eltern im Spielzeugladen unterwegs ist. Noch während das erquengelte Spielzeug im Einkaufswagen liegt, ist die Freude daran bereits verpufft.

Wir wissen, was Menschen glücklich macht: Hindernisse zu überwinden und die persönlichen relevanten Strukturen in Ordnung zu bringen. Sein Leben selbst zu gestalten. Wie man früher sagte und heute wieder sagen sollte: Glück, das ist der Schlaf des Gerechten nach einem Tagwerk ehrlicher Arbeit.

Gesellschaftlich betrachtet, ist fordernde Erwartungshaltung aber ein ernsthaftes moralisches Problem. „Was, wenn das jeder so machen würde?“, so könnte man fragen – und die Antwort lautet: „Dann würde die Gesellschaft kollabieren. – Wir kennen ja gewisse Stadtteile und Straßenzüge, etwa in Berlin, wo extra viel Erwartungshaltung in der Luft liegt.“ Die Erwartungshaltung macht aber nicht nur die Struktur „Gesellschaft“ kaputt – sie ist auch verheerend für die Psyche des Einzelnen.

Dankbarkeit als Schlüssel zum Glück

Ich sage: Mehr Diogenes wagen! Weniger Erwartungshaltung macht den Menschen tatsächlich glücklicher. Ich will selbst immer wieder diesen Gedanken üben: Niemand schuldet mir etwas. Ob ich selbst anderen Menschen etwas schulde, welche Menschen das konkret sein könnten, und was es sein sollte, das ich denen schulde, all dies zusammen ist ein anderes Thema, das an anderer Stelle behandelt wird. Für jetzt will ich den Gedanken üben, nichts zu erwarten.

Meine Erwartungshaltung abzulegen, hat einen sehr wohltuenden Nutzen. Nicht in Ansprüchen und Forderungen zu denken, kann meine Lebensqualität auf eine neue Ebene heben, und das Stichwort ist „Dankbarkeit“. Wer immerzu erwartet und fordert, der wird die Leistungen und Geschenke seiner Mitwelt als Selbstverständlichkeit abhaken. Wer dagegen bittet oder vorab eine Gegenleistung anbietet, dabei aber weder erwartet noch fordert, der kann doch gar nicht anders, als für jedes Geschenk echte Dankbarkeit zu empfinden.

Ich will mich darin üben, weniger zu erwarten, und mehr zu geben. Ich will meinen Wert daran messen, wie viel ich meinen Mitmenschen gegeben habe. Wo ich aber bekomme, will ich dankbar sein. Die Menschen, die sich in der unglücklichen Spirale der ewigen Erwartungshaltung verheddert haben, die etwas wollen, ohne etwas zu leisten, sie sind erfahrungsgemäß nicht sinnvoll ansprechbar, nicht in dieser Sache und auch nicht in anderen Fehlschlüssen. Ich erlaube mir, ganz bewusst, Menschen mit allzu viel Erwartungshaltung „loszulassen“. Nein, ich bin nicht für deren Glückszustand verantwortlich.

Ich will mich in Dankbarkeit üben. Den Geist der Forderung, der Erwartung, dieser modernen Haltung der ewigen Unzufriedenheit, den will ich ganz entspannt loslassen.

 

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht. Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Foto: Pixabay

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christoph ernst / 23.05.2022

Dazu passend - Franz von Assisi zugeschrieben - lässt sich auch agnostisch anwenden: Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich liebe, wo man hasst; dass ich verzeihe, wo man beleidigt; dass ich verbinde, wo Streit ist; dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist; dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht; dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält; dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert; dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt. Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste; nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe; nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe. Denn wer sich hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet; wer verzeiht, dem wird verziehen; und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.

Rid Banks / 23.05.2022

Damit kann ja nur Fordelenski gemeint sein, der mit ohne Aermel!!!

Bernhard Maxara / 23.05.2022

“Neidig san’s mer! Aber was man sich plag’n muß, bevor man von der Kinderbeihülf’ leben kann, davon red’t kana…!” (aus"Wiener Sprüch” nach Hans Kain)

Helmut Kassner / 23.05.2022

“Frage nicht, was Dein Land für dich tun kann - frage was du für dein Land tun kannst”. So lautet wohl ein Satz aus einer der ersten Reden von J. F. Kennedy als Präsident. Es scheint, dass diese Denkweise den Menschen ob länger hier lebend oder dazu gekommen, bis hin zur EU vollständig abhanden gekommen ist. Es geht immer nur immer Forderungen, wo steht mir noch eine weitere Leistung zu, wo kann ich gegebenenfalls noch eine solche schinden. Eine Gegenleistung wird gern und bestimmt abgelehnt. Ich habe zum Beispiel noch nie gehört, dass ein Land, das um Aufnahme in die EU gebeten hat in etwa so argumentiert hat; wir möchten zu Euch gehören und deshalb werden wir uns so und so und so einbringen. Wir bringen das und das mit, damit wir alle zum Wohle der Menschen stärker werden. Man muss sich nur die jeweiligen Beitrittsverhandlungen ansehen. Und so wie es im Großen ist, so ist es auch im Kleinen; alle fordern nur. Ich habe arge Zweifel, dass auf dieser Basis Gesellschaften existieren können.

A. Graumann / 23.05.2022

Eine Lebenserfahrung ist, das was man umsonst bekommt bzw. gibt ist nichts Wert. Der “beschenkte” hat dafür keine Gegenleistung erbringen müssen. Aus diesem Grund hat ein Geschenk oder Entgegenkommen nur einen Wert wenn dafür eine Gegenleistung erbracht wird. Eine Forderung darf nur erfüllt werden wenn der “beschenkte” auch bereit und willens ist dafür selbst etwas zu geben .

Dr Stefan Lehnhoff / 23.05.2022

Wenn ich als Kind oder Jugendlicher zu lange genervt wurde, wer denn mein Idol oder wenigstens Vorbild sei (habe ich nicht, brauche ich nicht- als Erwachsener wird man nicht mehr gefragt- Danke!), habe ich gesagt: Diogenes. Dann war meistens Ruhe- entweder, weil der Erwachsene nicht zugeben wollte, den nicht zu kennen oder weil er zu erschrocken war, sowas von einem 9 jährigen zu hören). Ich mag, was Sie da schreiben wie meist, aber die Eine Frage kann ich mir nicht verkneifen: War der Beitrag gratis- so wie meiner hier?

Rolf Mainz / 23.05.2022

“Ich erlaube mir, ganz bewusst, Menschen mit allzu viel Erwartungshaltung „loszulassen“.” Das schlechte Gewissen und die Freude an moralischer Onanie dürfte bei zu vielen Zeitgenossen (m/w/d) allzu stark sein, als dass Ihnen da hinreichend viele folgen werden. Zumal es ja vermeintlich “gratis” zu sein scheint, sich den “Guten” anzuschliessen und den “Menschen mit allzu viel Erwartungshaltung” Gefallen zu tun. Und andererseits werden letztere alles daran setzen, dass sich an den für sie günstigen Bedingungen möglichst nichts ändern wird, höchstens zum noch Besseren hin…

Gabriele H. Schulze / 23.05.2022

Erwartungen aufgeben, naja realistischerweise reduzieren, und in Dankbarkeit üben - einverstanden. Mit dem Geben bin ich eher zurückhaltend, eben wegen des Phänomens “kleiner Finger, ganzer Arm”. Und wegen dem Fischer seine Fru.

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