Von Wolfgang Mayr.
Die spanische Volkspartei Partido Popular hat mit ihrem zentralistischen Kurs das Land in die Krise gestürzt. Die katalanische Region wird kommissarisch verwaltet.
Die konservative Volkspartei rächt sich offensichtlich an den renitenten Katalanen. Die Bürger der autonomen Gemeinschaft Katalonien wählen seit der Demokratisierung Spaniens nach dem Tod des Faschisten Franco 1975 konsequent katalanische Parteien, die PP wurde letzthin gerade von acht Prozent der Bürger angekreuzt. Ein Frevel, für den sie jetzt bestraft werden.
Die spanische Regierung hat nach dem verbotenen aber trotzdem abgehaltenen Selbstbestimmungsreferendum die verfassungsmäßige Ordnung hergestellt, das heißt, die autonome Region Katalonien wird kommissarisch verwaltet, die Finanzzahlungen an Barcelona wurden eingestellt, der katalanische Ministerpräsident Puigdemont von der liberalen Partei PDeCAT und sein Vize Oriol Junqueras von der katalanischen Linken ERC müssen sich wohl demnächst wegen Hochverrats vor Gericht verantworten. Möglicherweise könnten auch noch jene katalanischen Parteien verboten werden, die die Unabhängigkeit als Ziel verfolgen.
Vorbild Baskenland
Ähnliches passierte ja schon im Baskenland. Im Sommer 2002, lange ist es her, wurde die linksnationalistische ETA-nahe Partei "Batasuna" verboten. Im Nachhinein erwies sich die für eine Demokratie unübliche und mit unüblichen Methoden durchgeführte Maßnahme jedoch nur als Teil eines größeren politischen Projektes. Im Februar 2003 folgte nämlich die Schließung der Tageszeitung "Egunkaria". In beiden Fällen der gleichen Vorwand - Terrorismus -, in beiden Fällen das gleiche summarische Vorgehen, die Abschaffung eines demokratisches Grundrechtes ohne zureichende juristische Begründung.
Droht diese Entwicklung auch in Katalonien? Aus der Traum der katalanischen Unabhängigkeit, die Zentrale nimmt die Peripherie an die Kandare. Die katalanischen Nationalisten haben sich von der konservativen spanischen Volkspartei PP in die Sackgasse treiben lassen. Im Jänner soll das katalanische Parlament neu gewählt werden, verkündeten die sozialdemokratische PSOE und die liberale Partei Ciudadanos. Mit beiden Parteien setzte Ministerpräsident Rajoy die Maßnahmen gegen die katalanische Regionalregierung um und durch. Von den 135 Sitzen im katalanischen Parlament halten die Sozialisten 16 und die Liberalen 25. Mit der Neuwahl, so die Hoffnung in Madrid, würden die Unabhängigkeitsparteien ihre Mehrheit verlieren. Vielleicht müssen die Katalanen so lange wählen, bis Madrid das Ergebnis passt.
Das Kartell schlägt zurück
Die EU als Kartell der Nationalstaaten verweigerte eine Vermittlung zwischen Madrid und Barcelona. Auf Seite des spanischen Zentralstaates und der EU agieren auch die Konzerne, mehr als tausend Firmen haben bereits ihren Hauptsitz aus Barcelona verlegt. Das Kartell der Mächtigen hat zurückgeschlagen, gegen den bürgerlichen Ungehorsam jener Katalanen, die einen eigenen Staat fordern. Das mag zwar anachronistisch scheinen, ist aber die Folge eines mehrjährigen autonomiepolitischen Stillstandes. Gewollt und angestrebt von der spanischen Volkspartei PP, der Verteidigerin des spanischen Zentralstaates.
Kurz zurück in die Vergangenheit: In der Spanischen Republik in den 30er Jahren zählte das weitgehend autonome Katalonien zu den Stützen der demokratischen Republik, dafür revanchierte sich der Putschist Franco an den Katalanen. Nach seinem Tod 1975 wagten die Reformer - ein Bündnis aus Reform-Franquisten, Konservativen, Sozialisten, Kommunisten und katalanischen, baskischen sowie galicischen Nationalisten - den Bruch. Die neue Verfassung von 1978 ist ein radikaler Gegenentwurf zum autoritären Zentralstaat. Sie anerkennt die Völker Spaniens und ihr Recht auf Autonomie. Eine Art Wiedergutmachung für die Verbrechen während der Franco-Ära und ein Kompromiss zwischen der Zentrale und den ethno-territorialen "Peripherien".
Staat der Regionen
Nicht nur die Nationalitäten der Katalanen, Basken und Galicier erhielten 1979 autonome Regionen, weitere 14 Regionen wurden mit Autonomiestatuten ausgestattet. Die meisten Regionen drängten - wie die Nationalitäten auch - auf einen Umbau des Regional- in einen Bundesstaat. Gegen diese Entwicklung putschten im Februar 1981 Teile der Militärpolizei Guardia Civil, in der Franco-Zeit ein Instrument der Repression. Die kampferprobte Prügel-Garde darf auch in der Demokratie "durchgreifen", wie zuletzt am 1. Oktober in Barcelona, 10.000 Angehörige der Guardia Civil und der Staatspolizei rückten ais, um das verbotene Referendum mit brachialer Gewalt zu verhindern.
Das tat die schwarze Truppe auch schon während der Finanz- und Wirtschaftskrise, auch damals stellten die Zivilgardisten die verfassungsmäßige Ordnung wieder her, gegen klamme Mieter und Arbeitslose.
Die Guardia Civil hat eine üble Vergangenheit: Man weiß aus der Geschichte Spaniens und des Baskenlandes, dass die Folter bei der Guardia Civil zur Tagesordnung gehörte. Amnesty International, Kommissionen der UNO und der EU berichteten von Folter in spanischen Polizeistationen. Die Madrider Regierung unter Jose Maria Aznar wies damals die Vorwürfe verärgert zurück, verhindert aber bis heute die Beseitigung der Missstände: Die wenigen wegen Folter verurteilten Polizeibeamten wurden begnadigt.
Folter an der Tagesordnung
Im Jahre 2000 hat die Regierung Aznar die Internetseiten der Vereinigung gegen die Folter in Madrid sperren lassen. Dabei belegen selbst die offiziellen Zahlen den dringenden Handlungsbedarf: Von 1992 bis 2001 wurden im Baskenland 950 Fälle von Folter angezeigt; 2002 waren es 150. Elektroschock, Erstickung, sexuelle Gewalt, vorgetäuschte Exekutionen und - in diesem Repertoire geradezu selbstverständlich - Schläge gehören zu den von Madrid großzügig geduldeten Verhörmethoden. Seit 1977 sind sieben baskische Häftlinge an den Folgen der Folter gestorben.
Der Putsch 1981 blieb nicht folgenlos, die Franco-Sachverwalter in der rechtskonservativen Alianza Popular (aus der später die Volkspartei PP hervorging) und in der christdemokratischen UCD sorgten dafür, dass die Verfassung "nachgebessert" wurde. Im Artikel 8 heißt es: "Den Streitkräften obbliegt es, die Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu gewährleisten und seine territoriale Integrität und verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen." Putschisten als Mit-Autoren der Verfassung.
Die Regionen zeigten sich davon unbeeindruckt und forderten weiterhin mehr Kompetenzen. Die Staatsparteien UCD und PSO befürchteten deshalb eine Machterosion der Zentrale in Madrid. Sie vereinbarten, die Regionalisierung einzufrieren: Mit dem Gesetz "Ley Organica para la Armonizacion del Proceso Autonomico" (Loapa) sollte der Zentralstaat ausgebaut, der Staat der Regionen zusammengestutzt werden.
Keine Chance für neue Autonomiestatute
Dieser Gesetzentwurf wurde nicht umgesetzt, weil aufgrund einer Klage der baskischen und katalanischen Nationalisten das Verfassungsgericht Teile als verfassungswidrig erklärte. Trotzdem, die Regionalisierungsprozesse wurden eingefroren. Aus der Reihe tanzten nur die Basken und Navarra, sie setzten eine Finanzautonomie durch, gegen den Widertand der Madrider Zentrale. Wahrscheinlich erzwangen auch die Wahlsiege von ETA-nahen Parteien im Baskenland ein Einlenken der spanischen Regierung. Seitdem herrscht autonomiepolitischer Stillstand, orchestriert von der spanischen Volkspartei PP und sekundiert von den Sozialisten, die sich von ihren bundesstaatlichen Plänen verabschiedet haben. Die Droge Zentralismus garantiert den gesamtstaatlichen Machterhalt.
1989, zehn Jahre nach der Ratifizierung des ersten katalanischen Autonomiestatuts, verabschiedete das Parlament in Barcelona eine Resolution für die Selbstbestimmung: Die Anerkennung der Verfassungsordnung durch Katalonien bedeute nicht einen Verzicht auf die Unabhängigkeit. 1990 verabschiedete das baskische Parlament eine weitere ähnlich lautende Resolution. Die Reaktion aus den Kasernen kam postwendend: Hochrangige Militärs bekundeten während der Militär-Weihnacht 1990 einmal mehr ihre Bereitschaft, "die Einheit Spaniens mit allen notwendigen Mitteln zu verteidigen".
2003 kündigten Basken und Katalanen die Überarbeitung ihrer erstarrten Autonomiestatute an, weitere Regionen wollten sich anschließen. 2005 wurde die katalanische Filiale der PSOE stärkste Kraft im Parlament von Barcelona. Gemeinsam mit den unterlegenen katalanischen Autonomisten wurde ein neues Autonomiestatut ausgearbeitet. Ein weitreichendes Statut mit 223 Artikeln, im Dialog ausgehandelt, von den Parlamenten in Barcelona und Madrid gutgeheißen, ebenso von den katalanischen Bürgern. Widerspruch kam von der damals oppositionellen PP und ihrer Parlamentsfraktion und von PP-verwalteten Regionen. Das neue Autonomiestatut wurde 2010 ausgesetzt. Seitdem herrscht totaler Stillstand. Ein voller Erfolg für die PP.
Volksbefragung statt Referendum
Die Katalanen wählten die vom PSOE dominierte Regionalregierung ab, Artur Mas von der christ- und liberaldemokratischen katalanischen CIU gewann die Wahlen, die linke ERC unterstütze die Minderheitsregierung von Mas. In seiner Amtszeit setzte Mas ein Referendum zur Unabhängigkeit an, das Verfassungsgericht untersagte es. Stattdessen führte die CIU-Regierung eine unverbindliche Volksbefragung über die politische Zukunft Kataloniens durch. Dafür wurde Mas vom obersten Gericht Kataloniens zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem darf er für zwei Jahre keine politischen Ämter bekleiden.
Ähnlich entwickelte sich die Lage im Baskenland. Das vom baskischen Parlament genehmigte neue Autonomiestatut wurde vom spanischen Parlament 2005 wegen des Hinweises auf das Recht auf Selbstbestimmung niedergestimmt, auf Betreiben der PP wurde das baskische Gesetz einer Volksbefragung über die Zukunft des Baskenlandes 2008 vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig zurückgewiesen. Die Hüter der Verfassung, die Richter am Verfassungsgericht, agieren wie ihre politischen Auftraggeber, sie sind höchstrichterliche Vertrauensleute der beiden großen Parteien. Katalanen, Basken und Galicier, die immerhin ein Drittel der spanischen Bevölkerung stellen, sind im Verfassungsgericht nicht vertreten.
Oberste Richter regen einen Dialog an
Das Verfassungsgericht folgte der eigenen Vorgabe und kassierte dann auch die Souveränitätserklärung des katalanischen Parlaments, die eine Reaktion auf die Ablehnung des neuen Autonomiestatuts war. In dem Urteil 2014 stellten die Höchstrichter aber auch kritisch fest, dass sie nicht weiterhin instrumentalisiert werden wollten, "um bei der Lösung von politischen Konflikten tätig zu werden". Die Verfassungsrichter anerkennen die Wirklichkeit Kataloniens, es sei nötig, die Katalanen zu einem rechtlichen Subjekt zu erheben. Sie regten deshalb einen Dialog an, um die Verfassung zu reformieren, auch zugunsten eines Staatsteils, der seinen Rechtsstatus ändern will.
Der Dialog blieb aber aus, der Frust, die folgende Wut und die anschließende nationalistische Militanz half der Unabhängigkeitskoalition aus der liberalen Partei Convergencia Democratica de Catalunya (CDC) und der linksrepublikanischen ERC die katalanischen Parlamentswahlen zu gewinnen. Die linksnationalistische CUP sicherte mit ihren Mandaten der Koalition die absolute Mehrheit im katalanischen Parlament.
Der Präsident der Regionalregierung Carles Puigdemont verfolgte eine Politik des bürgerlichen Ungehorsams ohne Alternativen. Mit den bekannten Folgen. Die Rechnung der PP ging auf. Sie wird die nächsten Parlamentswahlen gewinnen, mit allen Auswirkungen auf die eingefrorenen baskischen und katalanischen Autonomien. Die Prügelorgien der Guardia Civil vom 1. Oktober, die Verhaftungen und die Schließung von Webseiten werden bald vergessen sein.
Wolfgang Mayr, Journalist beim deutschsprachigen Dienst des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RAI in Südtirol/Italien, Mitarbeiter der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ und bekennender Sportler