Gastautor / 08.11.2017 / 06:17 / 11 / Seite ausdrucken

Der Fluch des guten Willens (7): 4. September 2015

Von Dietrich Dörner.

An diesem Tag um Mitternacht fasste die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland einen bemerkenswerten Entschluss, der das Schicksal Deutschlands und Europas in sehr hohem Maße beeinflussen wird. Gegen Mitternacht öffnete Frau Merkel Flüchtlingen, gegen den Vertrag von Dublin, die Grenze. Etwa sechs Monate lang war die Grenze „für alle“ offen. Aufgrund des Vorschlages der Chefin der bayrischen Staatskanzlei, Gernbauer, wurde auf jegliche Kontrolle der Einreisenden verzichtet; auch diese Regelung wurde für die Dauer von 6 Monaten beibehalten und führte dazu, dass vollkommen unkontrolliert Flüchtlinge vorwiegend aus den arabischen Ländern, aber auch zum Beispiel aus Afghanistan, nach Deutschland kamen. Vom 23. September an war (zunächst aufgrund der Berichte eines

Dolmetschers am Wiener Westbahnhof) klar, dass „Fluüchtlinge“ auch aus Ländern kamen, die mit dem syrischen Bürgerkrieg gar nichts zu tun hatten.

Wie es zu diesem Entschluss zur Grenzöffnung kam, kann man beispielsweise bei Robin Alexander (2017, S. 45 ff) nachlesen. Insgesamt war die ganze Aktion keineswegs geplant, sondern ereignete sich spontan. Zunächst versuchte die Bundeskanzlerin, einer Entscheidung aus dem Wege zu gehen, entschloss sich dann aber plötzlich zu der Grenzöffnung. Frau Merkel hatte an diesem 4. September ein großes Programm zu bewältigen: Zunächst flog sie nach München und absolvierte nahe bei München einen Besuch in einer Grundschule. In Garching bei München besuchte sie sodann das „Zentrum für Innovation und Gründung UnternehmerTUM“ der TU München. Dann flog sie nach Köln, und per Hubschrauber weiter ins Ruhrgebiet. In Essen sprach sie auf einer Kundgebung zur Oberbürgermeisterwahl, um dann nach Köln zurückzufliegen und zum 70. Geburtstag der NRW-CDU eine Festrede zu halten.

Während der gesamten Zeit erreichen sie alarmierendeInformationen aus Ungarn, denn die Flüchtlinge hatten sich von Budapest aus auf den Weg zur österreichischen Grenze gemacht. Zum Teil marschieren sie in militärisch geordneten

Fünfer-Reihen (200 Mann), gefolgt von etwa 6000 Frauen und Kindern. Man fragt sich, warum die Kanzlerin ihr Mammutprogramm nicht irgendwann unterbrochen hat, um sich in Ruhe hinzusetzen, nachzudenken, mit der Grenzpolizei zu sprechen, inwieweit die Flüchtlinge an der deutschen Grenze (von der sie noch weit entfernt waren) gestoppt werden konnten. Das Nachdenken fand nicht statt. Warum nicht?

Horizontale Flucht: Die Beschäftigung mit einem Problem vermeiden

Vielleicht wollte die Kanzlerin keine Unruhe zeigen, indem sie ihr Programm abbrach, vielleicht aber war dieses Programm auch eine Gelegenheit, dem schwierigen Problem aus dem Wege zu gehen. Horizontale Flucht: Man vermeidet die Beschäftigung mit eine schwierigen Problem. Und wenn es nicht mehr anders geht: schnelle Aktion. Und das bedeutet natürlich ungenügendes Nachdenken über die Nebenwirkungen und Spätfolgen des Entschlusses. Vor dem Blitz-Entschluss telefonierte die Kanzlerin mit Gabriel und Steinmeier, von denen sie sich aber nicht etwa beraten ließ, sondern deren Solidarität sie einforderte.

Eigentlich hätte sie noch Zeit genug gehabt, da sich die Flüchtlinge 150 km von der deutschen Grenze entfernt befanden. Sie hätte noch 2 bis 3 Tage Zeit gehabt, sich die ganze Angelegenheit in Ruhe zu überlegen, Nebenwirkungen und Folgen zu überdenken. Aber nein: das Problem musste weg! (Solche Blitzentschlüsse sind typisch für Frau Merkel; sie fasste solche auch bei der „Klimawende“, bei der Abschaffung der Wehrpflicht, bei der Entlassung Guttenbergs.

Unerwarteterweise löste die Ankunft so vieler Flüchtlinge in Deutschland eine Welle der Begeisterung aus; in München und andernorts drängten sich viele Menschen zur Hilfe. Ob das nun „wahre“ Hilfsbereitschaft war und ob Deutschland nun, wie Frau Göring-Eckardt vermutete, endgültig geläutert war und sich flächendeckend auf dem Weg zum Humanismus befand, kann man bezweifeln. Denn die Begeisterung und die Nächstenliebe blieb streng auf die Flüchtlinge beschränkt; zum Beispiel hat der Bamberger Patientenclub, eine studentische Vereinigung, die das Ziel hat, alten und hilfebedürftigen Patienten beiseite zu stehen, in dieser Zeit und bis heute keinerlei sonderliche Verstärkung erfahren. Daher sind wohl Zweifel erlaubt, ob die „Willkommenskultur“ wirklich eine humanitäre Aktion

darstellte oder doch eher nur eine Gelegenheit für diesen oder jenen, seine moralische Größe publikumswirksam zu präsentieren, zum Zwecke der Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls.

Merkel wird zur Gefangenen ihrer eigenen Legende

Es gibt egoistischen Altruismus, und es gibt echten Altruismus. Beides auseinander zu halten ist wichtig, wie Frau Merkel bald leidvoll erfahren musste. Denn die eine Tendenz ist sehr instabil, von Bedingungen abhängig, letztere dagegen stabil. Für Merkel war die plötzliche Popularität der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland ein ernsthaftes Hindernis für das Vorhaben, die unkontrollierte Öffnung der Grenze wieder rückgängig zu machen. Denn das hätte ja bedeutet, dass die Grenzöffnung gewissermaßen nur aus der Situation heraus, um mit einer momentanen Krise fertigzuwerden, beschlossen worden war und nicht aus „Menschlichkeit“.

Wie Robin Alexander (2017) berichtet, wurde etwa eine Woche nach der Grenzöffnung der Versuch unternommen, die Grenzen wieder zu schließen. Die Aktion wurde durch die Bundespolizei hervorragend vorbereitet, allein: die Kanzlerin gab nicht ihre Einwilligung! Warum nicht? Nun, inzwischen gab es die berühmten Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen, die, hätte man nunmehr die Grenzen wieder „dicht“ gemacht, wie Hohn ausgesehen hätten. Wegen der unmittelbar negativen Folgen wurde also eine Aktion, die langfristig außerordentlich viele Schwierigkeiten verhindert

hätte, verweigert. Vielleicht hätte man „Paris“ nicht gehabt; es gibt Berichte darüber, dass fünf der acht Pariser Attentäter (13.11.2015, mehr als 120 Tote) über Deutschland eingereist sind. Und vielleicht wäre die Kölner Silvesternacht 2015 anders verlaufen.

Die Deutschen sind – so sieht es zunächst aus – begeistert von der „humanitären“ Großtat ihrer Kanzlerin, und diese wird zur Gefangenen ihrer eigenen Legende. Begeistert sind nicht alle Deutschen und das europäische Ausland eher auch nicht. Den Hilfeaufrufen der Deutschen folgen Länder wie Frankreich, Belgien und Dänemark in sehr überschaubarem Ausmaß, andere gar nicht. Zurückrudern ging nicht mehr, zumindest nicht nach Meinung der Kanzlerin. Zweifeln begegnet die Kanzlerin mit der Devise „Wir schaffen das!“

Am 10. September hält Kanzlerin Merkel die (so Alexander) wichtigste Rede im ganzen Jahr in der Generaldebatte über den Haushalt des Kanzleramtes. Hier erklärt sie: „Unsere Wirtschaft ist stark, der Arbeitsmarkt robust. … Nachhaltige Haushaltspolitik eröffnet Spielräume für zukunftsträchtige Investitionen. … Solide Finanzen machen es uns auch möglich, auf neue Herausforderungen reagieren zu können.“

Experten wurden nie ins Kanzleramnt eingeladen

Also, konfirmatives Denken: alles ist möglich, Probleme gibt es nicht und wird es nicht geben. Vorher hatte die Kanzlerin durchaus schon die Schwierigkeiten, die mit der großen Anzahl der Zuwanderer verbunden sind, erwähnt. Sie meinte, dass man nun auf jeden Fall dafür sorgen müsse, dass die Flüchtlinge integriert würden und dass Parallelgesellschaften nicht entstehen duürften.  Diese beiden Ziele zu erreichen ist in der Tat wichtig. Nur, die Kanzlerin plante hier mit „Zielen ohne Maßnahmen“.

Die Integration ist ein kompliziertes Problem und in Frankreich, in England, in Schweden alles andere als gelungen. Parallelgesellschaften und die Vorgänger derselben, NoGo-Areale zu vermeiden, ist gleichfalls schwierig, denn natürlich streben Flüchtlinge die Nähe derjenigen an, mit denen sie sich leicht verständigen können. Auf welche Weise nun Deutschland diese Probleme besser lösen könnte als die genannten Länder, erwähnte die Kanzlerin nicht. Es wurden auch aus den eben genannten Ländern keinerlei Spezialisten befragt; auch deutsche Experten, wie Heinz Buschkowski von der SPD, wurde nach meinem Wissen nie ins Kanzleramt geladen, um über die Schwierigkeiten der Integration zu berichten.

Inzwischen sind seit dem 4. September 2015 fast zwei Jahre verstrichen. Immerhin wäre es ja angeraten, den Vorgang der Integration und der Vermeidung von Parallelgesellschaften zu kontrollieren. Es ist aber nicht bekannt geworden, wieviele Flüchtlinge sich in den letzten beiden Jahren mit welchem Erfolg Sprachkursen unterzogen haben, wieviele Abbrecher es gab, ob die NoGo-Areale in den deutschen Großstädten gewachsen sind und in welchem Maße, wie es mit den Clan-Herrschaften im Neukölln und anderen Städtensteht, und dergleichen.

Solche Informationen zu haben, ist wichtig, damit man gegebenenfalls umsteuern oder gegensteuern kann. Zu meinen, Herr Weise macht das schon alles, alles geht gut, wäre keine gute Idee. Es wäre ballistisches Handeln; man startet eine Maßnahme und dann kontrolliert man ihre Folgen nicht mehr, weil einen das in die Lage versetzt, sich einzubilden, „alles läuft bestens“, bis man dann, meist zu spät, eines Besseren belehrt wird.

„Frau Merkel, wo sind Sie?“

Ähnliches, wie für die Integration und die Parallelgesellschaften, gilt für Entwicklung der Kriminalität. Man hätte zum Beispiel aus Schweden erfahren können, dass die Anzahl von Vergewaltigungen pro Jahr von 1970 an bis 2014 auf das 15 fache angestiegen ist. Auch in Deutschland hätte man wissen können, dass zum Beispiel türkische Einwanderer in überproportionalem Maße an Delikten gegen die „sexuelle Selbstbestimmung“ beteiligt sind. Und sehr deutlich zeigte sich die entsprechende Gefahr in der Silvesternacht 2015. Es gibt ein Bild „Frau Merkel, wo sind sie?“, welches einige Frauen auf dem Domplatz in Köln am Neujahrsmorgen 2016 hilflos und verzweifelt hinter einem Pappplakat mit der genannten Inschrift zeigt.

Das Bild machte aber – soweit man beobachten konnte – keine große Karriere. Immerhin wiesen aber dieses Bild und zahlreiche entsprechende Vorfälle auf die Gefahren hin. Eine Reaktion auf diese Vorfälle war: Wir können inzwischen die Statistik zu Sexualdelikten nicht mehr getrennt nach Ausländern und Einheimischen abrufen! Was das ist? Wahrnehmungsverweigerung, Realitätsverfälschung, zumindest für die Öffentlichkeit.

In Bamberg beispielsweise ist die gesamte Verbrechensrate im letzten Jahr um 61 Prozent gestiegen, wie dieZeitung „Fränkischer Tag“ in der dritten Juniwoche berichtete. Ein traditionelles Volksfest in Bamberg, die „Sandkerwa“ (Sandkirchweih) findet in diesem Jahr zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr statt. Aus „wirtschaftlichen Gründen“, weil keiner mehr in der Lage ist, die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu zahlen.

In der FAZ (25. Mai2017) wurde über „Berlin gehört den Clans“ berichtet und ein fast schon in Manöverform zur Ausbildung von „Nachwuchskräften“ ablaufender Überfall auf einen Smartphoneladen beschrieben. Diese Entwicklungen werden von Merkel beziehungsweise ihrem „Flüchtlingskoordinator“ (Altmaier) nicht erwähnt oder kommentiert. An sich wäre es ja, wenn man das „wir“ in der Merkelschen Maxime „Wir schaffen das!“ ernst nimmt, dringend geraten, „uns“ doch auch zu informieren.

Nur könnte das natürlich auch Kritik an der Merkelschen Flüchtlingspolitik hervorrufen und Zweifel an dem „Wir schaffen das!“ Kritik aber mag Frau Merkel nicht. Manchmal spricht man von der Teflon-Kanzlerin, an der Kritik wie Wasser abperlt. Der Kritik wird nicht widersprochen, sie wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Kritik ist sehr notwendig in einem Feld wie der Politik, in dem man oft darauf angewiesen ist, sich auszudenken, wie wohl die Realität beschaffen sein mag, da man die Realität nicht in Augenschein nehmen kann.

Wunschbilder statt Wahrnehmung

Hier ersetzt man gern die Leerstellen der Wahrnehmung durch Wunschbilder oder auch durch Schreckensbilder. Fachlich ausgewiesene Gutachter, und zwar solche, die einen unabhängigen Geist haben, sind sehr notwendig, um

Realitätsverfälschungen zu vermeiden oder in Grenzen zu halten. Berichte in der FAZ und in „Cicero“ scheinen darauf hinzudeuten, dass der Beraterkreis der Kanzlerin zum einen relativ homogen und stabil ist, also wenig wechselt, und zum anderen in größerem Maße hermetisch abgeriegelt ist von der Außenwelt als zum Beispiel der Beraterkreis des (ehemaligen) Außenministers Steinmeier.

In „Cicero“ wird berichtet, dass aus dem Beraterkreis nichts nach außen dringt; zugleich wird berichtet, dass „frei“ über alles gesprochen wird, wobei man sich fragt, woher man denn letzteres wissen kann, wenn ersteres der Fall ist. Die „feste Burg“ des Kanzleramts spiegelt zudem, wie die FAZ berichtet, das gesamte Kabinett wider. All das weist auf ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis hin.

Als der Welt-am-Sonntag-Redakteur Robin Alexander der Kanzlerin sein Buch „Die Getriebenen“ (2017) übergab, in der er über seine Erlebnisse von zehn Jahren im Umkreis der Kanzlerin berichtet, lehnte die Kanzlerin einen Einblick in das Buch und die Diskussion ab: Teflon! Lieber unliebsame Wahrheiten nicht zur Kenntnis nehmen. Die Tatsache, dass eine Mitarbeit in Merkels innerstem Kreis die Voraussetzung für eine weitere Karriere sein kann (Pofalla), stimmt bedenklich.

Im Kriege und anderen akuten Notsituationen ist der „getreue Eckhard“ sicherlich eine wichtige Person; man sollte einen solchen haben; wenn es aber darum geht zu beraten, falsche Auffassungen über die Realität zu korrigieren, sind die „getreuen Eckhards“ eher schädlich: Weil das Resultat ihrer Beiträge „Gruppendenke“ sein kann. Das gesamte System Merkel riecht nach „Gruppendenke“.

Am 23.9.2015 meinte die Kanzlerin am Ende einer Fraktionssitzung der CDU: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“ Wenn man annimmt, dass menschliche Handlungen – dazu gehören auch „Sprechhandlungen“ – motiviert sind, so erscheint diese Äußerung bedenklich. Zum einen äußert man so etwas natürlich nicht, wenn einem der Zustrom der Flüchtlinge tatsächlich „egal“ ist, sondern wenn man von dem Zustrom berührt ist, und wenn man berührt ist von dem Gedanken, dass man ein Ereignis, welches Millionen in Mitleidenschaft ziehen könnte, selbst verschuldet hat. Und dann kommt die Schuldabweisung: „Ist nun mal geschehen, jetzt muss man haltsehen, was man machen kann.“

Das Eingeständnis eines Fehlers darf nicht sein

Eine Schuldabweisung ist aber nicht ganz einfach, wenn der Schuldige mit den Folgen seiner Tat ständig konfrontiert wird. Frau Merkel erklärte die Schuld zu einer Art Bagatelldelikt: „Kann doch mal passieren!“ Man kann Zweifel daran haben, dass Merkel vor sich selbst damit durchkam. Im Februar 2016 äußerte sie in Bezug auf die Flüchtlinge: „Innerhalb von drei Jahren müssen die alle wieder weg!“ Eine im Hinblick auf die Durchführbarkeit sehr merkwürdige Idee. Merkel hält an der Verweigerung einer Obergrenze fest bis zum heutigen Tage, obwohl sie früher selbst, wie Alexander (2017, Seite 29 f) berichtete, eine Obergrenze durchaus für richtig hielt.

Am 31. Oktober 2014 sprach Frau Merkel in Templin, dem Ort in dem sie aufgewachsen ist, über Abschiebungen und meinte: Abschiebung „sei auf den ersten Blick vielleicht nicht christlich, aber es ist vielleicht noch weniger christlich, wenn wir zu viele aufnehmen und dann keinen Platz mehr finden, für die, die wirklich verfolgt sind.“ Überhaupt war der Kanzlerin das Thema „Flüchtlinge“ bis zum September 2015 relativ fern und eher unangenehm (siehe Alexander 2017, S. 30 f).

Warum nun das sture Festhalten an der Verweigerung der Setzung einer Obergrenze? Inzwischen ist die Festsetzung einer gewissen Obergrenze verbunden mit dem Eingeständnis, dass die uneingeschränkte Zulassung von Flüchtlingen am 4. September 2015 ein Fehler war. Das Eingeständnis eines Fehlers aber wäre ein Eingeständnis der Schuld für schwere Eingriffe in ihr Schicksal. Und das darf nicht sein.

Ein weiterer Punkt, der diskutiert werden sollte, ist der der Bevölkerungsentwicklung. Die Bevölkerung der Bundesrepublik wird abnehmen; und die Zusammensetzung der Bevölkerung wird sich ändern. Der Demographieprofessor Birk formuliert, dass man etwa ab 2050 damit rechnen sollte, dass die Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland die Mehrheit darstellen. Es wird aber nicht debattiert, was das heißen könnte.

Falls diese Mehrzahl tatsächlich in höherem oder auch in geringerem Maße muslimisch gesinnt ist, kann das immerhin verheerende Entwicklungen haben im Hinblick auf die innere Struktur der Bundesrepublik, im Hinblick auf die Gleichstellung der Frauen, im Hinblick auf Antisemitismus, im Hinblick auf die Einstellung zu einer demokratischen Kultur der Meinungsvielfalt, zur Unabhängigkeit der Meinungsäußerungen, und so weiter.

Ein Lehrstück in der Anwendung der Fehlermaschine

Man sollte sich eine Gesellschaft vorstellen, die im wesentlichen aus jüngeren Personen mit Migrationshintergrund besteht und aus im wesentlichen älteren Personen, die die klassische deutsche Bevölkerung vertritt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Migrationsteil der Bevölkerung, dem „Nicht-Migrationsteil“ mit offener Verachtung gegenübersteht, da dieser Teil der Bevölkerung ja auf eigenen Beschluss das Feld geräumt hat, indem er keine Kinder mehr zur Welt brachte. In diesem Fall ist es unwahrscheinlich, dass der Migrationsteil der Bevölkerung dem älteren mit tiefer Dankbarkeit gegenüber treten wird. Weitere Überlegungen überlasse ich ihrem „Möglichkeitsinn“.  

Dieser Teil der Zukunft wird aus offiziellen Verlautbarungen und offiziellen Überlegungen gänzlich ausgespart. Nach unserer Meinung sollte aber eine verantwortungsbewusste Regierung die möglichen Probleme, die sich aus solchen Entwicklungen ergeben, nicht auslassen, denn 30 Jahre sind eine kurze Zeit!

Fassen wir abschließend zusammen: Bei der kurzen Betrachtung der Politik der Bundeskanzlerin und ihres Umfeldes lässt sich eine Liste der Torheiten zusammentragen: Ballistische Aktionen, Ziele ohne Maßnahmen, die Nichtbeachtung von Fern- und Nebenwirkungen, Wahrnehmungsabwehr, konfirmative Wahrnehmung, konfirmatives Denken, Sturheit wegen Schuldabwehr, Vermeidung langfristiger Maßnahmen, die langfristig Erfolge zeigen, weil sie auf kurze Sicht zu negativen Auswirkungen führen. Ein Lehrstück in der Anwendung der Fehlermaschine mit antitelischen Auswirkungen für alle.

Doch halt: Wenn die Wählerinnen und Wähler mitspielen, weil sie sich in den vermeintlichen Lösungen und einfachen Sprüchen für dynamisch-komplexe Probleme eher wiederfinden, dann ist die Strategie der Kanzlerin zur Erreichung ihrer persönlichen Ziele telisch also zielführend.

Ende der Serie

Literatur:

Alexander, R. (2017): Die Getriebenen – Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Inneren der Macht. Verlag: Siedler

Clausewitz, Carl v. (1880): Vom Kriege. Berlin: Dümmler.

Dörner, Dietrich (2003): Die Logik des Misslingens. Rowohlt. Reinbek

Dörner, Dietrich & Güss, Dominik (2011): A Psychological Analysis of Adolf Hitler’s Decision Making as Commander in Chief: Summa Confidentia et Nimius Metus. Vol. 15, 1, 37

- 49: Review of General Psychology.

Englund, Peter (1993): Die Marx-Brothers in Petrograd. BasisDruck. Berlin Janis, I. I. (1972): Victims of groupthink. Houghton-Mifflin. Boston

Figes, Orlando (2014): Rußland - Die Tragödie eines Volkes - Die Epoche der russischen Revolution 1891 - 1924. Berlin: Berlin Verlag.

Kershaw, Ian (2000): Hitler 1936 - 1945. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt.

Marx, Karl/ Engels, Friedrich (1946): Manifest der kommunistischen Partei. Berlin: Verlag Neuer Weg.

Mencken, H.L (1985): The Bathtub Hoax and other Blasts & Horrors from the Chicago Tribune. New York, Octagon Books

Regis, Ed (2015): Monsters. The Hindenburg Disaster and the Birth of Pathological Technology. Basic Books. N.Y.

Tuchman, Barbara (2001): Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam. Frankfurt/ Main: Fischer Taschenbuch-Verlag. Originaltitel: The March of Folly (1984)

Tuchman, Barbara (2001): August 1914. Frankfurt am Main: Fischer.

Sternberg, Robert (2004): Why Smart People Can Be So Foolish. European Psychologist,Vol. 9, No. 3, September 2004, pp. 145–150 © 2004 Hogrefe & Huber Publishers

Diese Serie besteht aus Auszügen aus dem Buch „Zielverführung. Wer für alles eine Lösung weiß, hat die Probleme nicht verstanden.“

Die Professoren Dietrich Dörner, Jose Julio Gonzalez, Hartwig Eckert, Ines Heindl und Gunnar Heinsohn haben sich für das Buch „Zielverführung“ zusammengetan, um der Frage nachzugehen, warum wir in komplexen Systemen – also allen gesellschaftspolitischen – unter großem Aufwand das Gegenteil von dem erreichen, was wir als Ziel definiert haben.

Herausgegeben von Hartwig Eckert und Jose Julio Gonzalez, Altan Verlag 2017, 82008 Unterhaching, ISBN 978-3-930472-51-2. Zu beziehen beim Verlag direkt oder hier bei Amazon.

Prof. Dr. Dr. Dietrich Dörner ist ein deutscher Psychologe und emeritierter Hochschullehrer an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Ende der Serie

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Torsten Boysen / 08.11.2017

Diese Entscheidung, die nichts anderes war als ein Rechtsbruch, hat die Grundfesten des deutschen National– und Sozialstaates für immer zerstört. Die Verantwortliche und die Mittäterinnen und Mittäter können „stolz“ darauf sein, was sie angerichtet haben.

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