Ich glaube, Sie haben Zuckerbergs Sprachgebrauch von “to share” missverstanden. Zuckerberg bezieht sich ausschließlich auf virtuelle Güter. Wenn ich ihn richtig verstehe, geht es ihm um eine radikale und zensurfreie Redefreiheit, und nicht um den Anspruch auf Sozialhilfe und Zugang ins Gesundheitssystem. Wenn man ihn beim Wort nehmen würde, müsste man ihm die Frage stellen, mit welchen Maßnahmen er in Deutschland die Durchsetzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes verhindern möchte. Das selbe gilt für die Rechtssprechung bezüglich Beleidigung, Volksverhetzung oder der Verbreitung terroristischer Propaganda. Wenn man Redefreiheit für ein schützenswertes Gut hält, ist es definitiv angebracht, die Durchsetzung dieser Vorschriften zu verhindern. Dies könnte Facebook tun, indem es, als US-Unternehmen einfach ausschließlich US-Recht anwendet, das Redefreiheit schützt. Es entstehen bereits Konkurrenzanbieter zu den altbekannten sozialen Netzwerken, die genau diese Schiene verfolgen, und die sich weigern, mit ausländischen Behörden zu kooperieren. Es ist ebenfalls absehbar, dass bald rechtliche Konstrukte zum Einsatz kommen werden, die die Durchsetzung des Rechtssystems der Zielgruppenländer verhindern sollen. Es gab in den sozialen Medien in den letzten Jahren sehr große Unzufriedenheit aufgrund von Zensurbestrebungen, und viele Menschen wollen einfach nicht, dass bestimmte Gesetze durchgesetzt werden, egal, was irgendeine Regierung sagt. Wenn viele Menschen nicht wollen, dass Zensur durchgesetzt wird, dann gibt es einen Markt für Anbieter, die die Durchsetzung von Zensur verhindern. Und dieser Markt wächst gerade auf Kosten von Facebook. Und Youtube. Und Google. Und Twitter.
Interessant, was hier so über Zuckerberg geschrieben wird. Er kauft also ein Paradies, klagt dann aber sogleich gegen die dort schon immer lebenden Paradiesvögel, die Ureinwohner. Das paßt. Auch zu meinen Vorstellungen von Zuckerberg, Page, Jobs, Musk &Co;: Die sind zweifellos alle Visionäre; auf ihre Art Genies. Doch haben Sie alle eines gemein: Sie hängen ihren eindeutigen beinharten Geschäftsinteressen das Mäntelchen der Moral (Google: „ be evil“) und der Weltenrettung über. Musk und Tesla retten das Klima. Mit Milliarden von durch Obama im Kongreß durchgepeitschten Subventionen. Mithin dem Geld anderer. Zuckerberg und Facebook retten die „Meinungsfreiheit“. Mit Milliarden von Anzeigenerlösen, die dann in die Taschen Zuckerbergs und seiner Mitaktionäre fließen. Und Steven Jobs erst: Trampte nach Indien, schwärmte von Gandhi (zeitweilig auch von Mao) und -wie seine zeitweilige Gefährtin Joan Baez- von einer „gerechteren Welt voller Liebe“. Und: Wurde von einem amerikanischen Magazin in den 90 ern zum „fiesesten Chef der Welt“ gekürt. Legendär seine hire-and-fire- Personalpolitik, seine Rachsucht gegen nicht willfährige Geschäftspartner und seine jahrelange Weigerung, seine eigene Tochter anzuerkennen und deren Mutter Unterhalt zu zahlen. Als er schon Multimillionär war. Nein: Als Marktwirtschaftler durch und durch habe ich nichts gegen geniale Geschäftsmänner. Sollen sie ihre Milliarden verdienen. Doch bitte nicht so tun als wenn sie nur und ausschließlich die Welt damit retten wollten.
Was hier ganz richtig für die Zuckerberg-Rede herausgearbeitet wird, ist ein allgemeines Signum des jüngsten westlichen Politikverständnisses. Partikularinteressen werden mit moralischen Argumenten unterfüttert und als alternativlose Politik verkauft, Gegner dieses vermeintlich ethisch motivierten weißen Rittertums werden dämonisiert, als Menschenfeinde oder mindestens „Modernisierungsskeptiker“ deklassiert. Die Beispiele hierfür sind gerade in der deutschen Politik offensichtlich. Die Grenzlinie innerhalb der Gesellschaft verläuft heute zwischen partikularinteressengetriebenem Gesinnungsethos und allgemeinwohlorientiertem Verantwortungsethos.
So gern ich diese Serie auch lese, so sehr muss ich doch sagen, dass es sich hierbei um altbekannte Tatsachen handelt. Dass ich die Folgen meines Tuns in alle Richtungen hin durchdenken muss, ist doch eine Binsenwahrheit und schon seit ewigen Zeiten bekannt. Dass eine deutsche Regierung dazu unfähig war und ist und hinzukommend eine allgemeine Infantilisierung der Bevölkerung, machen es aber wohl nötig, sozusagen schlichteste Erkenntnisse aufzupolieren und wieder unters Volk zu bringen.
Sehr gut erklärt! Leider wird den wenigsten Menschen beim Lesen ein Licht aufgehen, so sie es denn überhaupt lesen.
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