Beim Terror-Prozess gegen Tarik S. forderte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch zehn Jahre Haft. Sein Verteidiger Mutlu Günal beantragte einen Freispruch. Nach den Plädoyers bleibt ein verstörender Eindruck zurück. Das Urteil soll am 30. Januar verkündet werden.
Nach fast sechs Monaten Prozessdauer wurden am Mittwochnachmittag im Verfahren gegen den 31-jährigen Tarik S. vor der 5. Großen Strafkammer des Duisburger Landgerichts die Schlussvorträge gehalten. Der in Bielefeld geborene Deutsch-Ägypter wurde bereits 2017 vom Düsseldorfer Oberlandesgericht wegen der Mitgliedschaft in der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt.
Nach seiner Haftentlassung im März 2021 nahm er am Aussteigerprogramm Islamismus (API) des nordrhein-westfälischen Innenministeriums teil. Nach Hinweisen des marokkanischen Geheimdienstes an das Bundeskriminalamt (BKA), er könne wieder Anschläge begehen, wurde er im Oktober 2023 erneut verhaftet. Als mögliche Anschlagsziele wurden unter anderem die LGBTQ-Szene, die Islam-Kritiker Michael Stürzenberger und Irfan Peci sowie pro-israelische Kundgebungen genannt. Daraufhin wurde er wegen Bereiterklärung zu einem Terror-Anschlag angeklagt.
Der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft sprach gleich zu Beginn seines Plädoyers davon, dass der Prozess den „Tatvorwurf vollumfänglich bestätigt“ habe. Auffällig dabei war, dass er Personen, die Ziele von Tarik S. gewesen sein sollen, nicht namentlich benannte, sondern als „Islam-Kritiker oder Anhänger einer rechtsextremistischen Partei“ umschrieb.
Als Beweis für die Bestätigung des Tatvorwurfs führte er „Behördenzeugnisse" des BKA an sowie Erkenntnisse darüber, dass Tarik S. im Oktober 2023 mit Hilfe von Google Informationen über Kundgebungen gesucht hatte, die einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Krieg zwischen der Terror-Organisation Hamas und Israel aufwiesen. „Das bestätigt, dass der Angeklagte einen Anschlag plante“, gab sich der Oberstaatsanwalt überzeugt.
Der Staatsanwalt vermied es das Gericht oder die Zuschauer anzusehen
Als weitere Beweise führte er Chat-Nachrichten des Deutsch-Ägypters an: Am 19. Oktober 2023 hatte Tarik S. einem IS-Mittelsmann namens „Thomas" geschrieben: „Habib, den Jihad wird es geben, bis zum jüngsten Tag." Fünf Tage später hatte er „Thomas" geschrieben, er freue sich darauf, „seine Wohnung zu verlassen, um wieder für Gottes Sieg zu kämpfen, bis zum Sieg oder zu sterben".
Auch die bereits im August erfolgte Zeugenaussage eines mutmaßlichen Mitglieds der Mocro-Mafia, der in der gemeinsamen Haft gehört haben wollte, dass Tarik S. weitere Anschläge angekündigt sowie mit Verbrechen in seiner Zeit beim IS geprahlt habe, sah der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft als „Beweis seiner Anschlagsabsichten". Der Mocro-Mafioso, der selbst wegen Geiselnahme und Beteiligung an deren Folterung angeklagt war, sei zwar ein „Verbrecher vor dem Herrn", aber seine Aussagen seien glaubwürdig und passen zu früheren Darstellungen von Mithäftlingen aus der Zeit vor 2021, führte der Staatsanwalt aus.
Am Ende seines rund 35-minütigen Plädoyers forderte der Staatsanwalt zehn Jahre Haft für Tarik S. Dieses Strafmaß sei „unerlässlich und ausreichend". Auffällig dabei war, dass er bis zum Ende seines Vortrags vermied, das Gericht oder die Zuschauer anzusehen, und stattdessen zumeist zu Boden blickte. Auch fiel auf, dass der Staatsanwalt rund ein halbes Dutzend Mal darauf verwies, dass seine Behörde bereits „in ähnlichen Fällen Verurteilungen erwirkt" habe.
„Da wurde zusammengekleistert“
Das geriet zur Steilvorlage für Mutlu Günal, der in seinem Plädoyer sofort davon sprach, wie „verzweifelt“ die Staatsanwaltschaft nach dieser Beweisaufnahme sei. „Der macht Ihnen was vor. Der Oberstaatsanwalt muss das vortragen, weil er keinen Freispruch beantragen kann“, sagte der Verteidiger von Tarik S. an die Zuschauer und Journalisten gerichtet. Die „Behördenzeugnisse“ des BKA bezeichnete Günal als „Anfangsverdacht“, aus dem „nichts, gar nichts“ geworden sei.
„Wir können nur mit dem arbeiten, was wir haben“, betonte Mutlu Günal. Dann bemängelte der Verteidiger, dass den Islamwissenschaftlern, die beurteilen sollten, ob die Chat-Einträge von Tarik S. auf Anschlagsabsichten deuten, der Kontext der virtuellen Unterhaltung „unterschlagen und verschwiegen“ wurde. „Da wurde zusammengekleistert“, sagte er.
Ebenso sei unklar, ob „Thomas“ wirklich ein IS-Mittelsmann oder für den marokkanischen Geheimdienst tätig sei. Auch die Google-Suche von Tarik S. nach Informationen über pro- und anti-israelische Kundgebungen in seiner Umgebung sah Günal nicht als Beweis: „Fünf Minuten Google-Suche, das ist unsere Anschlagsplanung“, spottete er.
Die Aussage des Mocro-Mafioso bezeichnete Günal als „den letzten Strohhalm des Oberstaatsanwalts“. Erneut sprach er davon, dass der Zeuge, über dessen Glaubwürdigkeit monatelang gestritten wurde, sich in seinem eigenen Verfahren nur habe einen Vorteil verschaffen wollen. „Kein normaler Mensch würde das glauben. Der hat die Geschichte sechs Mal anders erzählt“, sagte der Strafverteidiger. „Wenn Sie darauf eine Verurteilung stützen, dann ist der Rechtsstaat nicht am Ende, aber es wäre nicht gut.“ Am Ende seines rund halbstündigen Plädoyers forderte Mutlu Günal einen Freispruch für Tarik S. sowie dessen Entlassung aus der Haft.
Wie soll nach einer Haftentlassung mit ihm umgegangen werden?
Auffällig war jedoch, dass weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung in ihren Plädoyers davon gesprochen haben, wie es mit dem 31-Jährigen nach einer Haftentlassung weitergehen soll. So hatten Zeugenaussagen bereits zu Beginn des Prozesses ein Bild gezeichnet, nach dem Tarik S. nach seiner Haftentlassung 2021 um Integration in die bürgerliche Gesellschaft bemüht und bei seinen Mitmenschen auch schnell beliebt war. Offenbar fand er sich in einem nicht-religiösen Umfeld besser und schneller zurecht als in seinem problematischen und streng religiösen Elternhaus.
Nach persönlichen Rückschlägen verfiel er im Sommer 2023 jedoch wieder in seinen ursprünglichen religiösen Fanatismus. Einige Zeugenaussagen hinterließen den Eindruck, als ob das API darauf passiv reagiert habe. Abschließend geklärt werden konnte das jedoch nicht, da das von Herbert Reul (CDU) geführte Landesinnenministerium zwei als Zeugen geladenen API-Mitarbeitern die Aussagegenehmigung verweigert hatte. Auch die zuletzt erfolgte Begutachtung einer forensischen Psychiaterin unterstrich das Bild eines persönlichkeitsschwachen jungen Mannes, der mit Enttäuschungen und Rückschlägen nicht umgehen kann und sich dann wieder extremistischen Ideologien zuwendet.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass weder die fünfjährige Haft wegen IS-Mitgliedschaft noch die mehrjährige Betreuung durch das API bei Tarik S. etwas bewirkt hatten, dürfte für die Allgemeinheit die Frage danach, wie nach einer Haftentlassung mit ihm umgegangen wird, mindestens ebenso bedeutsam sein wie Frage nach einer Verurteilung oder einem Freispruch. Die forensische Psychiaterin hatte in ihrem Gutachten mehrfach dafür plädiert, ihn „kriminaltherapeutisch“ zu behandeln. Diesen Aspekt aber griff in den Schlussvorträgen niemand mehr auf.
Damit bleibt nach den Plädoyers der verstörende Eindruck zurück, dass die nordrhein-westfälischen Behörden nun offenbar darauf hoffen, einer möglichen weiteren Gefährdung der Bevölkerung durch Tarik S. damit zu begegnen, ihn trotz dünner Beweislage erst einmal für zehn Jahre wegsperren zu lassen. Ob das aufgeht, bleibt abzuwarten. Ob es Menschen überzeugt, die in Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit gleichermaßen Vertrauen haben möchten, auch. Das Urteil soll am 30. Januar verkündet werden.
Peter Hemmelrath arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter.
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