Stefan Frank / 28.03.2020 / 10:00 / Foto: Pixabay / 16 / Seite ausdrucken

Der Fall Sascha Lemanski (4)

Vierter und letzter Verhandlungstag, 20. Februar 2020

Die Gefängnispsychologin Frau G. beschreibt Lemanskis von der frühen Scheidung der Eltern und Gewalt geprägte Kindheit. Sie sagt, dass er ihr gegenüber gesagt habe, er sei schon im Kindergarten und der Grundschule gewalttätig gewesen und habe einmal ein anderes Kind „fast tot geprügelt“. Sie schildert, wie sich Lemanski vom Rechtsradikalen zum „islamisch Radikalen“ entwickelt habe. Er habe ein „sehr ambivalentes Verhalten“ an den Tag gelegt. Sie spricht von einer „aufgesetzten Pseudoidentität“. Bei den Rechtsradikalen habe es mit der „Anerkennung“ nicht „geklappt“. Mit dieser Feststellung sei sie ihm aber einmal „zu nahe gekommen“. Er sei immer „leicht kränkbar“ gewesen.

Lemanski richtet eine Frage an Frau G.. Im Stil eines Anwalts beginn er mit den Worten: „Hat Herr Lemanski …“ – „Reden Sie jetzt von sich in der dritten Person?!“, fragt Frau G. irritiert. Lemanski lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, fängt den Satz noch einmal an, diesmal sagt er „ich“ und „mich“. Ob es nicht aus ihrer Sicht ein Fehler gewesen sei, ihn aus seiner „gewohnten Umgebung“ zu reißen. „Verhalten hat Konsequenzen“, antwortet Frau. G. etwas ärgerlich. Und weiter: „Ich habe Ihnen fünfmal erklärt, Sie sollen mit den Kollegen nicht über Ihre Gewaltphantasien sprechen, weil die das melden müssen.“

Lemanski fragt, ob Frau G. nicht gesagt habe, sie habe eine Schweigepflicht. Frau G. antwortet, sie habe ihm gesagt, dass sie selbst entscheiden könne, was sie an Informationen weitergebe. Wichtig sei ihr gewesen, dass Lemanski, wenn er ihr gegenüber von Gewalt gesprochen habe, sich im selben Gespräch „davon distanziert“. Er aber habe dann die Behandlung abgebrochen, „da konnte ich für Sie keine Garantie mehr geben“ und es sei „vorbei“ gewesen „mit der Entwicklung“. Manchmal brauche es dann „Luftveränderung“.

Der Wunsch nach „klaren Regeln“

Gutachten Dr. Tobias Bellin, psychologischer Sachverständiger

Der vorliegende Fall sei eine „forensisch dankbare Aufgabe“, sagt Dr. Bellin. Es gebe eine „hohe Informationsdichte“, „Motive“, die „sich immer wieder abbilden“. Er habe zweimal mit Lemanski in der JVA gesprochen. Beim ersten Mal habe es eine Trennscheibe gegeben, die aus seiner Sicht völlig unnötig gewesen sei. Er habe keinen Augenblick lang befürchtet, dass Lemanski ihm etwas tun würde. Lemanski nickt. Beim zweiten Mal sei die Scheibe glücklicherweise hochgefahren worden, so dass er ohne Mikrofon mit ihm habe sprechen können.

Lemanski erlebe sich selbst „nicht als radikal“, so Dr. Bellin, sondern lediglich als jemanden, der den „Islam ernst nimmt“. Auch aus Lemanskis Sicht gebe es Muslime, die er für „zu extrem“ hält, die etwa auf dem Boden schliefen oder ihren Frauen verböten, auf der Straße mit Männern zu reden. Seine Kindheit sei von einem Mangel an Zuwendung und Gewalt geprägt gewesen. Die Mutter habe sich früh vom gewalttätigen Vater scheiden lassen. Sie sei Krankenschwester und sei wenig da gewesen. Er sei im „Problembezirk“ Neukölln in einem „sozial instabilen Milieu“ aufgewachsen, dort habe es auch auf der Straße und in der Schule Gewalt gegeben. Wegen Diebstahls gab es ein Jugendverfahren gegen ihn. In der 8. und 9. Klasse habe er in einer Jugend-WG gewohnt, dort habe er festgestellt, dass niemand morgens aufgestanden sei und habe sich angepasst.

Er habe die Realschule dann mit dem Hauptschulabschluss verlassen und zunächst bei einem Cousin gewohnt, dann in einer eigenen Wohnung im Plattenbau. Es habe ihn angewidert, dass es dort „in jeder Wohnung nur Junkies und Alkoholiker“ gegeben habe und die Bewohner sich mit nichts anderem beschäftigt hätten als „Videospiele, Kiffen und Gangbangs“. Er habe zu dieser Zeit „Soldat oder Polizist“ werden wollen. Dies sieht Dr. Bellin als typisch: „Die Polizei ist keine radikale Organisation, aber dort herrschen klare Regeln“. Der Wunsch nach „klaren Regeln“, die Orientierung böten, finde sich in Lemanskis Leben immer wieder.

„Offen gegenüber radikalen Denkmodellen“, die die Welt „in Gut und Böse teilen“

2009 sei seine Freundin schwanger geworden, die beiden seien daraufhin aus dem sozialen Brennpunkt nach Treptow gezogen. Die Frau habe sich dann vom ihm getrennt, was er als „abrupt“ wahrgenommen habe. Sie habe die Tochter und, wie Lemanski es ausgedrückt habe, „die halbe Wohnung“ mitgenommen. Er habe die Trennung schwer verwunden, sein „persönliches soziales Gebilde“ sei zerstört gewesen. Er habe sich dann der „rechten Szene“ angeschlossen. Nach Dr. Bellins Einschätzung ging es ihm dabei „nicht um Inhalte, sondern um Haltsuche“: Das „radikale Denken“ sei ein „Orientierungsangebot“. So auch der Rechtsextremismus: „Dass eine Freundin einfach wegläuft, läuft da nicht mehr.“

2014 sei er dann zum Islam konvertiert und habe 2016 versucht, nach Syrien auszureisen. Das Ausreiseverbot sei der „Impulsgeber“ zum Bombenbau gewesen. Vier seiner fünf Vorstrafen hingen mit Radikalismus zusammen, so Dr. Bellin, erst Rechtsradikalismus, dann islamischer Radikalismus. Darunter seien etwa Propagandadelikte und ein Verstoß gegen das Vereinsrecht. Dr. Bellin geht Fall für Fall durch. Die einzige Vorstrafe im Erwachsenenalter, die nicht mit politischem Radikalismus zu tun habe, sei eine wegen des Eintretens einer Wohnungstür. In diesem Fall sei es ebenfalls darum gegangen, dass eine Frau sich von ihm getrennt habe. Dann kam im November 2015 eine Strafe wegen des Postens eines IS-Videos auf Facebook, schließlich im Februar 2017 der Zugriff der Polizei nach der Probeexplosion im Wald.

Dr. Bellin sieht in Lemanski einen „sozial handelnden Mann“: „Kein monadischer Einzeltäter, wie es sie ja auch gibt“. Bei Lemanski sei immer alles „eingebettet in ein soziales Geschehen“, es gebe „immer Mittäter“. Daraus kristallisiere sich ein Persönlichkeitsprofil: Der „Wunsch nach Halt und Orientierung, eingebettet zu sein in ein soziales System“, wo „Regeln“ „Orientierung geben“ und das „ambivalenzfrei“ sei. Der radikale Islam biete das, er sage ihm, was er „tun und lassen“ solle. Lemanski sei „offen gegenüber radikalen Denkmodellen“, die die Welt „in Gut und Böse teilen“.

„Das findet man ja auch im Linksterrorismus“

Er habe Lemanski als „kommunikationsbereit“ erfahren, keineswegs „dauerstarr“ oder wie eine „Betonwand“, gegen die man rede. – „Das haben wir ja hier vor Gericht auch erlebt“, pflichtet der Richter bei. „Herr Lemanski möchte gern zu einem System dazugehören“, so Dr. Bellin. Dr. Bellin wendet sich an den Angeklagten, um zu fragen, ob er alles richtig dargestellt habe. Lemanski hat eine Korrektur zu der Sache mit der Exfreundin: „Die Frau hätte gehen können, nur die Tochter hätte da bleiben sollen.“

Dr. Bellin widmet sich abschließend der Frage einer etwaig verminderten Schuldfähigkeit. Der Angeklagte sei nicht psychisch krank. Er habe keine Substanzen – also Drogen – genommen. Er habe keine Persönlichkeitsstörungen. Er sei nicht schizophren. „Radikale politische oder religiöse Überzeugungen“ seien keine Wahnvorstellungen, stellt Dr. Bellin klar. „Das findet man ja auch im Linksterrorismus.“ Entscheidend sei die Frage, ob der Angeklagte eine „Privatwirklichkeit“ habe, also Dinge sehe, die es nicht gibt, oder Stimmen höre. Das sei nicht der Fall. Was Lemanski denke, werde auch von anderen geteilt und sei in Büchern aufgeschrieben. Von einer Privatwirklichkeit könne somit keine Rede sein. „Darum nützen auch Medikamente hier nichts.“

Es gebe „keine Intelligenzminderung“, keine „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“. Es habe auch „keine Provokation“ gegeben, die Tat vom 13. Februar 2019 sei in einem „Zustand der Ruhe“ vorbereitet worden. Er glaube allerdings nicht, so Dr. Bellin, dass Lemanski sie „lange geplant“ habe. „Dann hätte er ein anderes Werkzeug genommen.“ Es sei von einer „relativ improvisierten, spontanen“ Tat auszugehen. „Dass die Schuldfähigkeit nicht eingeschränkt war, darüber gibt es keine Zweifel.“

„Keine Krankheit, keine eingeschränkte Schuldfähigkeit“

Was den Angeklagten gefährlich mache, seien die Vorstrafen: Gesetze zu übertreten, sei für ihn nicht neu. Seine leichte Kränkbarkeit und der Islamismus seien bei ihm nicht zu trennen: Nach der Kränkung, die die Verlegung in eine andere Station für ihn bedeutet habe, habe der Salafismus ihm die Berechtigung gegeben, einen JVA-Beamten anzugreifen. In „geordneten Verhältnissen“ mit einer Frau zusammenzuleben und dann einen Anschlag zu planen – das passe nicht zu Lemanski. Es sei sehr viel wahrscheinlicher, dass Ereignisse, die von ihm als Störung wahrgenommen werden, bei ihm die „radikale Denkweise aktivieren“.

Es lasse sich nicht vorhersagen, „welche Formen das annehmen könnte“. Es gebe „therapeutischen Spielraum“ – etwa durch Einzeltherapie und die Gespräche mit Herrn Er –, aber das benötige „Jahre“. Die „Struktur“, die sich Lemanski aufgebaut habe, müsse durch etwas anderes ersetzt werden. Er glaube nicht, dass sich Lemanski „völlig ändern und etwa zum radikalen Christen“ werde, dazu habe er schon zu „viel investiert“, etwa in das Erlernen der arabischen Sprache und das Koranstudium.

Der Angeklagte hat eine Frage. Etwas umständlich erzählt er davon, dass er gehört habe, dass es Frauen gebe, die „süchtig nach Geschlechtsverkehr“ seien, so dass sie jeden beliebigen Mann nähmen, „auch wenn der nach Whiskey oder Zigaretten stinkt“. Sie seien nicht in der Lage, „klar zu denken“. Dr. Bellin fragt, was das mit Lemanski zu tun habe. Auch er sei nicht in der Lage gewesen, nachzudenken, sagt Lemanski. „Ich wollte da weg.“ – „Sie waren in einer Zwangslage“, erwidert Dr. Bellin. Aber ein „schweres Krankheitsbild“ sehe er bei ihm nicht. „Ein bisschen Depressionen reicht nicht.“ Eine Notlage spiele für die Frage der Schuldfähigkeit keine Rolle. „Keine Krankheit, keine eingeschränkte Schuldfähigkeit.“

Plädoyer des Staatsanwalts

Der Staatsanwalt sieht die Anklage „in vollem Umfang“ bestätigt. „Der Angeklagte wollte den Zeugen B. töten.“ Viermal habe er auf den Kopf und Hals von B. eingestochen, dann liegend dreimal „schwere Stiche“ gegen den Hals. Erst dann sei er vom Zeugen Fakhro überwältigt worden. Die Verletzungen seien laut dem Rechtsmediziner „abstrakt lebensgefährlich“ gewesen. Es gebe eine „gemischte Motivationslage“. Auf der Grundlage des „verwirrt-dogmatischen Menschenbilds des IS“ habe der Angeklagte sich als „Kämpfer stilisiert“, „deshalb auch die lächerliche Verkleidung“. Er habe seine Zelle als „Schrein“ mit „IS-Propaganda“ und Suren eingerichtet, „die ihm passen“.

Er habe in einer handschriftlichen Notiz Al-Baghdadi „eine lange Herrschaft“ gewünscht. Mit der Tat habe er „ein Exempel statuieren“ und „Zugehörigkeit empfinden“ wollen. Dass es ihm darum gegangen sei, auf eine andere Station verlegt zu werden, sei „Unsinn“. Dazu hätten ja auch „die Fäuste“ gereicht. „Die Gabeln waren das Beste, Tödlichste, was er hatte.“ Mit der Rasierklinge aus seinem Rasierer hätte er nicht viel erreichen können und mit Glasscherben hätte er „sich ja nur selbst verletzt“.

Der Angeklagte habe zur Durchführung der Tat „zahlreiche Entscheidungen“ getroffen. Es sei ein „ruhiges Vorgehen“ gewesen, nach innerer Vorbereitung durch Gebet und Meditation. „Fast wie in einem Theaterstück“ habe der Angeklagte eine „Bühne“ und „Requisiten“ vorbereitet, die Tat habe vor „Publikum“ stattfinden sollen. Der Angeklagte habe zeigen wollen, dass der Arm des IS bis in deutsche Gefängnisse reiche und damit „Angst schüren“. Er sei „tief in die Welt des IS eingetaucht“. Den Widerspruch, dass er die Tat nachträglich als haram bezeichnet habe, aber gleichzeitig sagte, Baghdadi hätte „keine Träne geweint“, habe er nicht erklären können. Die Tat sei „heimtückisch“ gewesen; der Zeuge B. habe „nicht damit rechnen“ müssen, „dass hinter der Tür jemand mit zwei Gabeln steht und auf ihn losgeht“.

Diese „hilflose Lage“ habe der Angeklagte ausgenutzt. Die Tat sei aus niederen Beweggründen verübt worden: Hass auf Beamte und die Überzeugung, dass die kuffar kein Recht hätten zu leben. Sie sollten sterben, und er, Lemanski, habe das Recht, ihnen das Leben zu nehmen. Was die Strafe betrifft, fordert der Staatsanwalt kein konkretes Strafmaß. Er weist aber darauf hin, dass die Tat „nahezu vollendet“ gewesen sei, auf die „Gefährlichkeit der Handlung“ und die hohe „kriminelle Energie“ des Angeklagten: Er habe B. mit „stakkatoartigen Stichen“ angegriffen, es sei reines „Glück“ gewesen, dass B. überlebt habe. Und dann habe der Angeklagte „es uns nicht erspart, hier zynisch die Tötung anderer Menschen zu billigen“. „Das ist unglaublich und unsäglich.“

Plädoyer des Verteidigers

Der Verteidiger sagt, es sei tatsächlich „unsäglich, was mein Mandant getan hat“. Er habe aber auf die Schulter des Opfers gezielt. Dabei sei die Gabel verbogen, so dass es anschließend keine so gefährlichen Stiche mehr gewesen seien. Hätte er einen Mord verüben wollen, hätte er ein anderes Werkzeug benutzt. Er hätte etwa eine Rasierklinge an einer Zahnbürste befestigen können. Schon in der Vergangenheit habe sein Mandant „martialische Mittel“ benutzt, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. So habe er einmal geschrieben: „Wenn ihr mich nicht verlegt, schneide ich einem Beamten den Hals durch.“

Das sei aber nicht ernst gemeint gewesen und kein Tötungsvorsatz. B. habe im Übrigen – nach dem anfänglichen Überraschungsmoment – durchaus „Abwehrmöglichkeiten“ gehabt. Darum sei die Tat nicht heimtückisch. Es gebe auch keine niederen Beweggründe, da die Tat „nicht vornehmlich aus islamistischen Beweggründen“ verübt worden sei. Und schließlich müsse man bedenken, dass selbst Täter, die andere mit Messern schwer verletzen, meist nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt würden. Die vorliegende Tat sei leichter und dürfe nicht damit „gleichgestellt“ werden. Es sei kein versuchter Mord gewesen. Der Verteidiger plädiert auf „fünf bis fünfeinhalb Jahre Haft“.

Plädoyer des Angeklagten

Lemanski, der vor sich zahlreiche karierte DIN-A4-Blätter mit handschriftlichen Notizen hat, hält ein Plädoyer, das mehr als doppelt so lange ist wie das seines Verteidigers und über eine halbe Stunde dauert. Er beginnt damit, dass er sich ja sehr wohl andere Waffen hätte basteln können. Es gebe da im Internet Videos, die zeigten, wie man Glasscherben in Stoff einwickle und sie dann als Waffe nutzen könne, ohne sich selbst zu verletzen. Auch besitze er einen elektrischen Rasierer, die Klinge darin sei „eine schlimme Waffe“. Lemanski möchte, dass sein „ansonsten gutes Verhalten“ gewürdigt wird. So hätten ja zahlreiche Zeugen ausgesagt, dass er im Gefängnis „nie negativ aufgefallen“ sei.

Die Tat sei ein „Ausrutscher“, „womit ich sie nicht relativieren will“. Würde man sein Verhalten in einen „Kalender“ einzeichnen, würde man sehen, dass es fast immer untadelig und nur an diesem einen Tag schlecht gewesen sei. Der Richter solle sich überlegen, ob er da „ein Leben zerstören“ wolle. Er habe sich mit allen Mithäftlingen „gut verstanden“, das habe ein Mithäftling ja auch vor Gericht bestätigt. Das Problem aus seiner Sicht: „Meine Mutter hat mich bei Herrn G. schlechtgemacht.“

Für Lemanski wäre es an der Gefängnispsychologin gewesen, eine „Kränkung zu verhindern“ und zu sagen: „Herr Lemanski hätte nicht verlegt werden dürfen.“
Lemanski macht einen Exkurs zu einem gewissen „Abu Allah“, der seit drei Jahren isoliert in der JVA Wedel sitze. Dann spricht er von der „psychischen Stresssituation“ des Gefangenseins. Er habe niemanden töten oder schwer verletzen wollen, es sei „normale Körperverletzung“. Schließlich seien es ja auch „Anstaltsgabeln“ gewesen, die, wie der Richter selbst festgestellt habe, leicht zu verbiegen seien. Nach dem Umknicken der Gabel seien es eher „Faustschläge“ gewesen. Es habe „keine Lebensgefahr“ bestanden.

Im Übrigen „dauert es länger, bis Menschen sterben“, das wisse er aus IS-Videos. Er sei sich sicher gewesen, dass bis dahin, ein „Kollege“ ihn „aufhalten“ werde. Schließlich solle der Richter berücksichtigen, dass er schon bestraft worden sei. Er sei vier Wochen in Arrest gewesen, die dortige völlige Isolation sei schlimm, er habe sich manchmal vor seinem eigenen Spiegelbild erschreckt.

Er habe die Tat bereut, sei aber auch verwundert, wie B. das mitgenommen habe. Aus Neukölln kenne er das so, dass „Männer sich manchmal prügeln“. Er selbst habe eine Narbe von einem Messerstich an der Schulter. Dass er jetzt wegen versuchten Mordes angeklagt sei, „nervt“ ihn. Schon jetzt müsse er, wenn jemand sein Führungszeugnis sehe, immer erklären, dass die „Körperverletzung“ an seiner Exfreundin, die dort stehe, in Wahrheit keine Körperverletzung gewesen sei. Er wolle nicht in Zukunft noch mehr erklären müssen. „Mord find’ ich heftig“, sagt er. „Ich finde es auch heftig, dass jemand wegen eines Autorennens wegen Mordes verurteilt wird. Das finde ich heftig und übertrieben.“ Der Richter möge sich fragen, was für Herrn B. „sinnvoll“ sei – „Rache?“ Er möge sich auch fragen, was „für den Angeklagten sinnvoll“ sei: „Drei bis vier Jahre“ und „Sozialtherapie“ – „das ist das, was ich als Richter machen würde“.

Das Urteil

Das Gericht verurteilt den Angeklagten Sascha Lemanski wegen versuchten heimtückischen Mordes zu 14 Jahren Haft. In der mündlichen Begründung resümiert der Vorsitzende Richter, Sebastian Bührmann, wie Lemanski oft wegen seines Verhaltens die JVA wechseln musste. Dann habe der JVA-Beamte Herr G. durch das Lesen des Urteils des Landgerichts Braunschweig und von Lemanskis Mutter von dessen Gefährlichkeit erfahren. Mit dem „Traum vom Kalifat“ habe Lemanski Gewalt gerechtfertigt. Er sei so „fanatisch“, dass auch Muslime wie Herr Fakhro sich von ihm distanzierten. Die „festen Regeln“ hätten ihm „Halt“ gegeben. Er habe sich ungerecht behandelt gefühlt und in einer Koransure gelesen, wie der „Vertragsbruch“ zu ahnden sei. Er sei „äußerst intelligent“ und habe die Sure „bewusst“ gelesen. Dass das Zufall gewesen sein soll, sei unglaubwürdig. Er habe sich im Krieg gegen die Mekkaner gewähnt und gehofft, ins Paradies zu kommen, wenn er dabei getötet werden sollte.

„Auslösendes Moment“ sei eine „persönliche Kränkung“ gewesen. Die „Verarbeitung“ aber sei „religiös“ erfolgt. Als jemand, der so „konsequent“ sei, habe er eine religiöse Rechtfertigung benötigt. „Sie hätten niemals etwas tun können, das in Ihren Augen haram ist.“ Nur dadurch, dass er sich gesagt habe, dass er die kuffar angreife und töte, habe er den Angriff rechtfertigen können. Aus der WhatsApp-Nachricht, die im Urteil des Landgerichts Braunschweig zitiert sei, gehe ja auch hervor, dass ein IS-Kämpfer seiner Meinung nach „maskiert“ sein müsse. Darum das T-Shirt. Was die alternativen Waffen angeht, die Lemanski ins Gespräch gebracht hat: Eine Rasierklinge hätte Lemanski erst irgendwo befestigen müssen, „aber Sie hatten ja nicht viel Zeit“. Kurz vor dem Sonnenuntergangsgebet habe er den Entschluss zur Tat gefasst. Bis zum Tatzeitpunkt seien es nur 90 Minuten gewesen. Die Gabeln seien zwar biegsam, hätten aber Zinken und seien lebensgefährlich.

Der Angriff auf Herrn B. sei eine „sehr dynamische Situation“ gewesen. „Ein Mensch rennt um sein Leben, Sie hinterher.“ Die Stiche hätten sich unkontrolliert gegen Kopf und Oberkörper gerichtet. Man möge sich „nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Herr Fakhro nicht eingegriffen hätte“. Was in „diesem traurigen Verfahren Mut“ gebe, sei, dass „es ein Moslem war – ein Moslem, der selbst inhaftiert war –, der einen Islamisten vom Morden abgehalten hat“. Das mache auch „Mut für unsere Gesellschaft“. „In meinen Augen ist Herr Fakhro ein Held“, so der Richter. „Er hat alle Anerkennung verdient.“ Es sei das Ziel des Angeklagten gewesen, Herrn B. zu töten, er habe mit Vorsatz gehandelt. Dass die Tat religiös motiviert gewesen sei, zeige die Maskierung, die Tatsache, dass sie nach dem Abendgebet erfolgt sei, die aufgeschlagene Sure und die Tatsache, dass der Angeklagte das Töten der kuffar angekündigt hatte. Damit sei das Mordmerkmal der niederen Beweggründe erfüllt.

Lemanskis religiöse Vorstellung, dass es Menschen gebe, die getötet werden müssten, sei „beängstigend“. „Kein Mensch hat den Tod verdient.“ Dass der Angeklagte „berechtigte Wut“ gehabt habe, weil man ihm über den Grund seiner Verlegung auf eine andere Station nicht die Wahrheit gesagt hatte, sei beim Strafrahmen berücksichtigt. Lemanski könne nun Revision einlegen, so der Richter, doch irgendwann werde das Urteil rechtskräftig und er werde viel Zeit zum Nachdenken haben. Er erwarte nicht, dass Lemanski sich vom muslimischen Glauben abwende, sondern dass er seine Haltung ändere, „die anderen Menschen das Lebensrecht abspricht“. Er hoffe, so der Richter zu Lemanski, „dass Sie den Gesprächsfaden, auch mit Herrn Er, nicht abreißen lassen“.

Anmerkung: Der Verfasser hat die Zitate auf der Grundlage von Notizen, die er während der Verhandlung gemacht hat, zu Hause aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Sie können daher in einigen Fällen geringfügig vom tatsächlichen Wortlaut abweichen.

 

Dies ist der letzte Teil einer vierteiligen Gerichts-Reportage.

Teil 1 finden Sie hier.

Teil 2 finden Sie hier.

Teil 3 finden Sie hier.

 

Nachtrag vom 3. Mai 2020: 

Gegen das Urteil in dem Fall hatte der Täter Revision eingelegt. Inzwischen wurde das Urteil bestätigt und der Täter ist rechtskräftig zu 14 Jahren Haft verurteilt.

 

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Karl Niemeyer / 28.03.2020

Keine Persönlichkeitsstörung? Das soll wohl ein Witz des Sachverständigen sein. Der Mann schreit nur so nach Borderline und/oder Antisozialer Persönlichkeitssöturng.

Klaus Schmid Dr. / 28.03.2020

@ Gerhard Giesemann: Mein keine weiteren Fragen, im Koran stehen ganz schauerliche Geschichten, aber dann hören wir das dürfe man nicht wörtlich nehmen. Also einfach bei allen Islam-Organisationen in Deutschland darauf bestehen ein verbindliches Islam-Glaubensbekenntnis zu erstellen mit dem Vorwort, dass weiterführende Maßgaben im Koran nicht mehr gültig sind. Wenn das nicht gemacht wird ist der Koran also wörtlich zu nehmen und der Islam demnach als verfassungsfeindlich einzustufen.

Robert Weiss / 28.03.2020

Man kann spüren, wie sich bei dem Vorsitzenden Richter die Nackenhaare sträuben angesichts einer Ideologie, die das Bestrafen und Töten von Andersgläubigen als Grundlage der einzigen wahren Religion, als festes Gebot des einzig wahren und ewigen Gottes ansieht . Daher greift er noch in der Urteilsbegründung auf Herrn Fakhro zurück, der als Muslim die mutmaßliche Tötung des JVA` Angestellten verhindert und lobt ihn für dessen Einsatz. Herr Fakhro begründet sein Handeln menschlich. Kein Zitat aus dem Koran, kein Hadith. Ganz anders bei Ibrahim al Almani einst Sascha Lemanski. Er begründet sein Handeln religiös und nennt die korrekten Zitate aus dem ewig gültigen Koran. Dem Richter macht es “Mut”, dass ein Moslem einen anderen Moslem vom Morden abgehalten hat. Mir macht es weniger Mut, denn Herr Fakhro hat sich einfach als Mensch gezeigt. Er sagt ja auch, dass hinter ihm noch andere Gefangene standen, er aber alleine kämpfen musste. Waren unter diesen Gefangenen noch weitere Muslime? Hat man vielleicht Muslime in einem Trakt untergebracht aus “kulturellen” Gründen? Dass als “Hilfskommando” zum Schutz des um sein Leben ringenden Beamten zunächst eine JVA Angestellte erschienen ist, finde ich erstaunlich. Ist sie körperlich in der Lage sich gegen einen oder mehrere Männer durchzusetzen? Distanzwaffen dürfen in der JVA Oldenburg ja anscheinend keine getragen werden. Verstörend war für mich die Einlassungen von “Samet Er” - islamischer Theologe, der den kriminellen Dschihadisten ein Gesprächsangebot machen soll. Seine “Richtigstellung” der falschen theologischen Gesinnung von Ibrahim al Almani ist - laut diesem Bericht - lediglich die Einseitigkeit des Lesestoffes von al Almani. “Einseitige Lektüre ohne Austausch führe zur Radikalisierung.” Das gelte auch wenn jemand nur Goethe liest. Samet Er hat islamische Theologie an der Universität in Tübingen studiert und bildet Imame aus. Und wieder mal ist alles klaar auf der Andrea Doria.

Sonja Dengler / 28.03.2020

Mit angehaltenem Atem habe ich diesen 4-Teiler gelesen - und die ganze Zeit befürchtet, der Täter würde freigesprochen o.Ä,. Was für eine Erleichterung: 14 Jahre! Lebenslänglich hätte ich zwar besser gefunden, weil der arme Beamte (der mir von Herzen leid tut) sein restliches Leben unter diesem Traum verbringen muss, nicht nur 14 Jahre lang. DANKE für diesen Bericht.

Ralf Pöhling / 28.03.2020

Es gibt Menschen, die finden ihr Ziel ohne Navi. Einmal auf die Karte zu schauen oder der Beschilderung zu folgen, reicht ihnen. Dann gibt es Menschen, die ihren Weg nur mit Navi finden und sich ansonsten total verfahren. Und es gibt Menschen, die ihrem Navi so weit vertrauen, dass sie seinen Anweisungen blind folgen, selbst wenn es sie mit ihrem Auto in den nächsten See oder Kanal leitet. Der Koran ist ein solches Navi. Es sind Menschen, die zwingend Orientierung brauchen, die den Koran irgendwann für sich entdecken. Der Koran regelt das Leben haarklein von oben nach unten und von vorne bis hinten durch. Und genau das macht ihn so populär für diejenigen, die in unserer komplizierten westlichen Welt den Weg nicht finden. Der Koran gibt ihnen einen Weg vor. Wie ein Navi. Gerade von eher ungebildeten Muslimen hört man häufiger, dass man außer dem Koran nichts bräuchte, weil dort alles drin stehen würde. Was natürlich nicht stimmt. Aber die Weltsicht des Koran ist übersichtlich und blendet die Komplexität der modernen Welt vollkommen aus. Bei Links- und Rechtsextremisten findet man ähnliche Tendenzen. Dort ist es jedoch nicht die Religion bzw. der Koran, der den Weg vorgibt, sondern Karl Marx oder Adolf Hitler und der alles umfassende und alles regulierende Staat. Die Globalisierung ist ein Projekt einiger weniger sehr erfolgreicher und kompetenter Menschen, die ihr eigenes Leben gut im Griff haben. Alle anderen, und das ist die gigantische Mehrheit auf diesem Planeten, sind mit der globalisierten grenzenlosen Freiheit vollkommen überfordert und finden mangels Orientierungspunkten ihren Weg nicht. Was dann dazu führt, dass sie sich die gewünschte Orientierung und Führung selbst suchen. Und hier sind gerade die autokratischen und theokratischen Ideengeber sehr populär, weil sie die mangelnde Orientierung bis ins extrem überkompensieren. Was dann zu radikalen Auswüchsen führt. Die grenzenlose Globalisierung funktioniert nicht. Sie produziert zu viele Kollateralschäden.

giesemann gerhard / 28.03.2020

Die Berechtigung zur Gewaltanwendung haben die allesamt aus dem Koran, mit seinen ca 25 göttlichen Tötungsbefehlen gegen uns und alle anderen, die nicht Moslems sind. “Nicht du hast geschossen, sondern Allah. Eine schöne Prüfung”, gucksdu Suhra 8:17 des Hl. Koran, bei “koransuren.com” LIES! Der Konflikt mit dem Strafgesetz ist Pflicht für einen Moslem, nimmt er das nicht ernst, so ist er eben kein wahrer Moslem. Hier etwa die §§ 129 bis 131 StGB, also Androhung, Aufruf, Verherrlichung zu und von Gewalt von einer kriminellen Vereinigung. Noch Fragen?

P. Wedder / 28.03.2020

Vielen Dank für Ihre akribische Arbeit! Es gibt so viel Verstörendes, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.  Besonders die Gefängnispsychologen fand ich irritierend. Sie rät einem Insassen sich zu verstellen und nur ihr gegenüber offen zu sein? Auch entscheidet sie, ob eine Schweigepflicht besteht oder nicht? Ihre Aussage war wichtig, aber ein wenig gekränkte Eitelkeit, weil die Therapie abgebrochen wurde, schien doch mitzuschwingen.

Gesine Keel / 28.03.2020

Sehr guter Bericht, Herr Frank. Und das Resümee zu dieser Verhandlung von Herrn Kleinophorst passt auch.

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