Zweiter Verhandlungstag, 6. Februar 2020
An den folgenden Verhandlungstagen sagen etliche Angestellte der JVA Oldenburg aus: Marco Koutsogiannakis, der seit Januar 2019 Leiter der JVA Oldenburg ist, und mehrere Vollzugsbeamte. Im Mittelpunkt stehen die zwei Monate vor der Tat und die Frage, warum Lemanski von seinem Job als Hausarbeiter entbunden und auf eine andere Station verlegt wurde. Die Ereignisse, die zu dieser Entscheidung führten, stellen sich aufgrund der Zeugenaussagen so dar: Am 19. Dezember 2018 rief Lemanskis Mutter bei dem JVA-Beamten Herrn G. an. Sie hat dessen Telefonnummer, weil sie, wenn sie zu den Besuchen bei ihrem Sohn aus Berlin anreist, mit Herrn G. den Termin ausmacht. Gespräche zwischen ihr und Herrn G. waren also nichts Ungewöhnliches. An diesem 19. Dezember aber sagte sie etwas, das Herrn G. alarmierte:
„Mein Sohn ist eine tickende Zeitbombe. Er wird seinen Worten Taten folgen lassen, die Frage ist nur, wann.“
„Als Staatsbürger“ und „als jemand, der das Pferd am Ärmel hat“ [gemeint ist das niedersächsische Landeswappen; S.F.] habe er sich verpflichtet gefühlt, der Warnung nachzugehen, erklärt G. Er habe dann Lemanskis Akte studiert. Darin fand er das Urteil des Landgerichts Braunschweig von 2017, das Lemanski wegen eines geplanten Bombenanschlags auf Bundeswehrsoldaten zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt hatte. Und er fand den Eintrag der Oldenburger JVA-Beamtin Frau G. über ein Gespräch zwischen ihr und Lemanski, das im Beisein des Vollzugsbeamten Herrn W. stattfand. Darin sagte Lemanski:
„Soldaten und Polizisten sind selbst schuld, wenn sie getötet werden und dadurch Leid und große Trauer über ihre Angehörigen bringen, sie haben sich den Beruf ja selbst ausgesucht.“
Medikament gegen eine schizophrene Psychose
Alarmiert von dem Anruf von Lemanskis Mutter und dem, was er in Lemanskis Akte las, beantragte der JVA-Beamte G. einen Termin bei der Anstaltsleitung – unter Umgehung der üblichen Hierarchie, wie er ausdrücklich sagt. Das Gespräch mit der Leitung fand am 21. Dezember 2018 statt. G. machte darauf aufmerksam, wie gefährlich Lemanski offenbar sei, und drängte darauf, ihn von seinem Posten als Hausarbeiter zu entbinden. Man sagte ihm, dass das „arbeitsrechtlich“ nicht so einfach möglich sei, Lemanski habe ja einen Arbeitsvertrag. G. sagt aus, dass er „über Weihnachten E-Mails geschrieben“ habe, „um die Kollegen zu sensibilisieren“.
Am 13. Februar fand dann eine sogenannte „Einzelfallkonferenz“ statt, bei der Lemanskis Fall besprochen und der Beschluss gefasst wurde, ihn sofort von seinem Posten zu entbinden und auf eine andere Station zu verlegen. Dies, erklärt JVA-Leiter Koutsogiannakis, sei unumgänglich gewesen, weil Lemanski zu dieser Zeit den Kontakt zum VPN (Violence Prevention Network) abgebrochen und sich bei ihm eine „deutlich radikale Denkweise“ gezeigt habe.
Zufällig ebenfalls am 13. Februar gab es einen weiteren Anruf der Mutter bei Herrn G. Sie äußerte sich besorgt, weil ihr Sohn sie bei einem Anruf in der Vorwoche angeschrien und den Hörer aufgelegt habe. Seither habe er sich nicht mehr bei ihr gemeldet, was „absolut nicht seine Art“ sei. Der psychologische Sachverständige Dr. Tobias Bellin fragt Lemanski, was bei dessen Mutter diesen Eindruck erweckt haben könnte. Lemanski kann sich das nicht erklären. Er sei vielleicht „müde“ von einem Medikament gewesen, das ihm der Gefängnisarzt verschrieben hätte; es habe ihn nachts schlaflos und tagsüber müde gemacht. Welches Medikament das gewesen sei, fragt Dr. Bellin. „Abilify“. „Abilify?“, fragt Dr. Bellin überrascht. Er erklärt, dass es sich um ein Medikament gegen schizophrene Psychosen handle. Für eine solche sehe er aber beim Angeklagten „keine Anhaltspunkte“. Wann er die Arznei abgesetzt habe, fragt Dr. Bellin. „Im November.“ Dann, so Bellin, könne sie mit seinem Benehmen im Februar nichts zu tun haben – weder das Medikament noch dessen Absetzen.
„Ich hatte nicht im Kopf, dass das eine Sünde ist“
Am zweiten Verhandlungstag geht es zudem um eine Sozialtherapie („Sota“) in Wolfenbüttel, von der die Gefängnispsychologin Frau G. wollte, dass Lemanski sie macht, was dieser aber entschieden ablehnte. Der Richter fragt Lemanski, ob er Frau G. von der Schweigepflicht entbinden würde. „Nein.“ Da fällt dem Richter ein, dass sie gar keiner Schweigepflicht unterliege. Die gebe es für Psychoanalytiker, aber nicht für die Gefängnispsychologin. Das sei „nicht leicht zu verstehen“, gibt der Richter zu.
Der Richter will wissen, ob Lemanski meine, dass der Angriff auf den Beamten B. haram, also im Islam verboten sei. Lemanski sagt, dass es „nicht erlaubt“ sei, einen „Unschuldigen“ anzugreifen, insofern sei es haram gewesen. Darüber will er aber zu jenem Zeitpunkt nicht nachgedacht haben. Der Richter macht ihm deutlich, dass es ihm schwer falle, das zu glauben. Das Sonnenuntergangsgebet dauere nach Lemankis eigener Aussage 15 Minuten. Dann sei er nach eigener Aussage noch eine Weile in der Gebetshaltung geblieben, so der Richter. Dann habe er den Teppich eingerollt, die Schuhe angezogen und sich mit dem T-Shirt vermummt. „Auch das hat ja noch einmal etwas Zeit in Anspruch genommen.“
Dass Lemanski in all der Zeit nicht daran gedacht haben will, dass es haram sei, den Beamten B. anzugreifen, mag der Richter nicht glauben. Lemanski sagt, dass die „Soldaten des IS“ auch die Gebetszeiten einhielten: „Während die einen beten, kämpfen die anderen weiter, dann wird gewechselt.“ „Sie sind aber nicht in einem Kriegsgebiet“, sagt der Richter, „oder fühlen Sie sich so?“ Lemanski geht auf die Frage nicht ein und argumentiert nun anthropologisch: Was Menschen tun, passe eben nicht immer zusammen – vielleicht gehe „der Papst“ ja auch „ins Bordell“.
„Ich wäre schon schockiert“, entgegnet der Richter, „wenn der Papst ins Bordell geht, nachdem er eine Minute vorher in der Kirche gebetet hat.“ Er wiederholt, dass er es nicht begreifen könne, wie Lemanski um 18 Uhr habe beten können und dann gleich darauf eine Sünde begehen, die er nach eigener Aussage schon vorher geplant gehabt habe. „Ich hatte nicht im Kopf, dass das eine Sünde ist“, beteuert Lemanski. „Warum hatten Sie als guter Moslem das nicht im Kopf?“, fragt der Richter. „Man hat nicht immer alles im Kopf. Das ist nicht so einfach wie im Christentum“, sagt Lemanski. Der Richter erwidert: „Verrückt, dass Herr Fakhro gleich darauf kommt.“
„So etwas würde ich doch nicht im Beisein von Beamten sagen!“
Herr Fakhro sei auch Moslem und habe „schon nach zehn Sekunden“ gewusst, dass das haram sei, so der Richter. Er selbst und Fakhro seien verschieden, erklärt Lemanski: Fakhro habe vielleicht „keine Gottesfurcht“ und treffe Entscheidungen „aus dem Bauch heraus.“ Der Islamsachverständige Herr Raders hat eine Frage an den Angeklagten: „Wer ist für Sie der Souverän?“
„Die Frage möchte ich nicht beantworten“, sagt Lemanski. Er will lieber etwas zum Begriff „Salafisten“ sagen, der an diesem Vormittag gefallen ist. Das sei eine „Erfindung der Medien“. Diese trauten sich nicht, etwas „gegen alle Muslime“ zu sagen, und hätten darum das Wort „Salafisten“ erfunden, um alle „in eine Schublade zu stecken, die den Islam ernst nehmen“. Herr Raders widerspricht. „Salafismus“ sei durchaus eine „Eigenbezeichnung“ bestimmter Gruppen und Prediger. Er nennt Beispiele aus Ägypten und den USA. Einige von ihnen habe Lemanski ja auch gelesen, so Raders.
Raders hält einen Kurzvortrag über das salafistische Weltbild. Für die Salafisten sei „Gott der Souverän“, erklärt er. Demokratie und von Menschen gemachte Gesetze hielten sie für Götzendienst und seien der Ansicht, dass man Amtsträger töten dürfe, weil diese allein durch die Ausübung eines Amtes Gotteslästerung verübten. Es sei folglich vorstellbar, dass die von Lemanski verübte Tat aus seiner Sicht erlaubt gewesen sei, folgert er.
Der Staatsanwalt fragt Lemanski nach der Notiz in seiner Akte, wonach er, zumindest durch ein Kopfnicken, Zustimmung dazu geäußert habe, dass man JVA-Beamte töten dürfe. „Das ist eine Lüge“, sagt Lemanski. „So etwas würde ich doch nicht im Beisein von Beamten sagen, ich bin doch nicht bescheuert!“ Herr Raders fragt Lemanski, wie wohl Abu Al-Baghdadi seinen Angriff auf den JVA-Beamten bewerten würde. Die Antwort:
„Al-Baghdadi hätte wohl nicht gesagt, dass das sehr schlimm ist. Er hätte keine Träne geweint oder gesagt: ‚Was hast du da für einen Scheiß gemacht.’“
Anmerkung: Der Verfasser hat die Zitate auf der Grundlage von Notizen, die er während der Verhandlung gemacht hat, zu Hause aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Sie können daher in einigen Fällen geringfügig vom tatsächlichen Wortlaut abweichen.
Dies ist der zweite Teil einer vierteiligen Gerichts-Reportage.
Lesen Sie morgen: Dritter Verhandlungstag, 7. Februar 2020.
Teil 1 finden Sie hier.
Teil 3 finden Sie hier.
Teil 4 finden Sie hier.