Der Fall Relotius: Es ist ein Stein ins Lügenmeer gefallen

Wie konnte 2015 passieren? Wie war es möglich, dass (fast) ein ganzes Land der suizidalen merkelschen Politik folgte und Europa so beschädigte? Zukünftige Geschichtsschreiber werden es noch aufarbeiten müssen, doch sie können bereits mit ihrer Arbeit beginnen – die ersten Brosamen auf der Spur der zukünftigen Vergangenheit sind ja bereits gestreut und so aufsammelbar. Es war Ende 2015, Merkels „Operation freundliches Gesicht“ (gut dokumentiert natürlich bei Robin Alexander) begann ihre Wirkung zu zeigen, und nicht ungewichtige deutsche Leitmedien schienen nach Wegen zu suchen, die Regierung beim Kurs auf die Klippen publizistisch zu unterstützen.

Am 2.10.2015 erschien im Spiegel 41/2015 ein Artikel mit dem Titel „Verlust“ und diesem Intro:

Ein Flüchtling aus Syrien findet 1000 Euro auf der Straße und übergibt das Geld der deutschen Polizei. (spiegel.de, 2.10.2015)

Wir erfahren im Text von Mahmoud Abdullah, 31 Jahre alt und Installateur für Elektrotechnik:

Die Armee der syrischen Regierung und die Freie Armee der Rebellen, sie verwandelten die Stadt bald in ein Schlachtfeld, und Mahmoud Abdullah erzählt, wie die Zerstörung auch in sein Leben kroch. (spiegel.de, 2.10.2015)

Was für eine Dramatik, wie emotional, ja, fast wie Literatur! (Wir kommen noch darauf zurück.) – Der Leser erfährt weiter, wie Abdullah genau 1.000 Euro fand, und erst dachte "dass Gott ihm helfen wollte". – Aber …

Abdullah ging noch am selben Tag zur nächsten Polizeiwache und gab das Sparbuch mit dem Geld ab. Bald darauf meldete sich der Besitzer des Sparbuchs, er wollte einen Finderlohn zahlen, aber Abdullah lehnte das Angebot freundlich ab. Da, wo er herkomme, sagt er, sei man nicht ehrlich, um eine Belohnung zu bekommen, „sondern um ein guter und gerechter Mensch zu sein“. Mahmoud Abdullah hatte wenig Grund, an Gutes zu glauben oder an Gerechtigkeit, als er sich, im tiefsten Tal seines Lebens, als ehrlicher Finder erwies. (spiegel.de, 2.10.2015)

Sind Sie schon zu Tränen gerührt? Gut, womöglich ist das die Absicht dieses Textes – man weiß es ja nie, heutzutage. Der Artikel schließt so:

Mahmoud Abdullah hat seine Heimat verloren, seine Freunde, seine Arbeit und sein Haus, aber er sagt, er habe sich nie reicher gefühlt als in diesem Moment.

Von Claas Relotius
(spiegel.de, 2.10.2015)

Uuups! 

Am 19.12.2018 meldet spiegel.de in eigener Sache:

Ein Reporter des SPIEGEL hat in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert. Durch interne Hinweise und Recherchen erhärtete sich in den vergangenen Tagen der Verdacht gegen Claas Relotius – der inzwischen Fälschungen zugegeben und das Haus verlassen hat. Auch andere Medien könnten betroffen sein. (spiegel.de, 19.12.2018)

Kritische(re) Geister wundern sich schon länger über die Tendenz der leitmedial berichteten Realität, so lange der linken Einheitsmeinung statt der realen Realität zu entsprechen, bis es auch mit Phantasie nicht aufrechtzuhalten ist.

Der Skandal wächst noch, und viele der Beteiligten geloben Besserung, doch wir wissen alle, dass es keine Besserung geben wird, und zwar aus in der Sache liegenden Gründen.

Claas Relotius ist für mich kein Täter, jedenfalls keiner, der sich gegen das ihn beherbergende System gewandt hätte, und welches andere System ist relevant? Relotius hat womöglich nur getan, was es braucht, um in linken Leitmedien zu bestehen. Was nicht passt, wird passend gemacht, nur hämmerte Relotius den entscheidenden Hammerschlag zu viel. Eine Bewertung könnte sein, dass die Fake-Bilder von Merkel beim Pariser Trauermarsch, wie sie der deutsche Staatsfunk verbreitete, und die Phantasie-Berichte des Spiegel-Journalisten nur Abstufungen auf einer Skala darstellen. Ist denn die Irreführung durch Weglassen von Informationen („nur regional interessant“ etc.) und das blanke Erfinden von Fakten moralisch von so verschiedener Qualität?

Im Text „Fünf Tonnen Blech“ lege ich offen, wie wenig ich von Journalismuspreisen halte. Zu offensichtlich scheint mir, dass mit diesen Preisen die linksgrüne Journalistenkaste einander für das Bestätigen ihrer Vorurteile und ihres hermetisch abgeriegelten Weltbildes auf die Schulter klopft, bis alle Schultern knirschen.

Ich schließe den Text so:

Ja, gebt ihnen allen Orden, Auszeichnungen und Ehrennadeln, bis sie quietschen und jubeln vor Stolz! Sollten fünf Tonnen nicht ausreichen, können wir bestimmt aus Berlin, Hamburg oder München kurzfristig weitere Lastwagen voller Blech beschaffen.

Es überrascht genau gar nicht, dass dem Leitmedien-Journalisten Claas Relotius die Journalismuspreise nur so zuflogen. Aus dem Spiegel-Artikel selbst:

Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre. Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-„Journalist of the Year“ gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der „30 under 30 – Europe: Media“ – und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen. (spiegel.de, 19.12.2018)

"Fast schon Literatur"

Es bestätigt sich nach und nach alles, was wir ahnten und sagten. Wir, die wirklich kritischen Geister, die Nicht-Linken, die Gehassten, die Geächteten, die wir als Besorgte und Ewiggestrige beschimpft wurden, die wir stolz "Haltungsschäden" an den Tag legen, weil deren "Haltung" schlicht Rückgratlosigkeit und Parteilinie bedeutet, wir lagen richtig.

Wir wird man eigentlich CNN-Journalist of the Year? – Ich habe da so eine Ahnung. Aus der Begründung der Jury zum Reemtsma Liberty Award:

Claas Relotius‘ Reportagen sind unglaublich detailliert ausrecherchiert und eindringlich geschildert und fast schon als Literatur zu bezeichnen. Auch wenn man dachte, schon alles gehört und gelesen zu haben, so gelingt es Relotius mit seinen herausragenden Stücken, eine weitere Tür mit neuen Erkenntnissen aufzumachen. (Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH via presseportal.de, 22.3.2017)

Ja, "fast schon Literatur", das fasst es gut zusammen – wie so manche Meldung heutzutage. Im Text "Darf man über „Lügen“ reden?"erörtere ich verschiedene Möglichkeiten, wie ein System als Ganzes lügen kann, etwa indem es nur solche Leute einstellt, deren "Irrtümer" stets in die von der Redaktion gewollte Richtung fallen.

Ein System, dessen Grundprinzip die "Haltung" ist, sprich das widerspruchslose Mitmarschieren in der einen Einheitsmeinung, so ein System kann sich nicht reformieren. Was sollten sie denn tun? Sich selbst in Umerziehungslager einweisen? Sich selbst geschlossen entlassen? Zugeben, dass sie mit ihrer linken Verblendung eine Mitschuld tragen am größten Fehler Deutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs? Das wird nicht passieren.

Der wahre Fehler von Claas Relotious war nicht – aus Sicht der "Wahrheitssysteme" – dass er die Unwahrheit sagte, sondern dass er sich dabei erwischen ließ. Wenn ein Stein ins Wasser fällt, zieht er erst Kreise, dann versinkt der Stein, dann schließt sich das Wasser wieder, dann beruhigt es sich, dann ist der Stein vergessen.

Die Wahrheit verbiegen und es einen "Faktencheck" nennen

Die Reportagen von Relotius bestätigten und bedienten oft linke und/oder machtnahe Weltbilder. Ist die Story vom syrischen 1000-Euro-Finder wahr oder nicht? Die "Story of Ahmed and Alin"? Die Löwenjungen? (Ich schrieb im April 2018 den Text "Es bräuchte ein West-Fernsehen, das uns sagt, was in Syrien wirklich passiert", und ich beginne zu verstehen, wieso es mir so ging: Ein guter Teil des Berichteten war wohl tatsächlich frei erfundene Tränendrüsen-Fake-News. Was ist mit all den anderen, etwa dem angeblichen Interview mit der 99-jährigen Weiße-Rose-Überlebenden, die sich auffallend deutlich zur deutschen Innenpolitik geäußert haben soll (selbstredend im Sinne linker Einheitsmeinung), und auf die sich alle deutschen Haltungssoldaten so froh bezogen?

Ich gehe davon aus, dass die Links in diesem Text nach und nach versiegen werden. Ähnlich wie nach der Verurteilung des Flüchtlings Aras Bacho hat auch hier das mediale Online-Reinemachen mit Bezügen zu Claas Relotius bereits begonnen.

Die Lehren, welche die Leitmedien ziehen werden, sind exakt dieselben, die sie nach dem 2015 zogen – trotz mancher Beteuerung: keine. Sie werden die Wahrheit verbiegen und es einen "Faktencheck" nennen. Sie werden bedienen, was bedient werden will, denn sonst wird es ein anderer tun.

Die Wahrheitssysteme sind auf gefühlter Wahrheit und linken Lebenslügen gebaut. Class Relotius wird binnen kurzer Zeit rehabilitiert sein, er wird die Schuld für seine Fake News irgendwie auf "die Rechten" schieben und innerhalb weniger Jahre wird er irgendwo Karriere machen. Sein "Verbrechen" aus Sicht der Leitmedien war nicht mangelnde Linientreue, sondern – seien wir ehrlich – dass er sich erwischen ließ, und ein solches Vergehen ist ungeschickt und lästig, aber zeihlich. Es wird ihm ungefähr genauso schlimm ergehen wie den Bankern, welche die Weltfinanzkrise von 2008 einleiteten …

Ich rate uns weiterhin: Lassen Sie uns täglich neu den Mut aufbringen, Nein zu sagen, wenn der Verstand es uns gebietet. Wir sind wie Schwertkämpfer im täglichen Kampf gegen den Bullshit, und der Bullshit wird nach Relotius nicht aufhören, Leitmedien werden die Realität auf ihre ganz eigene Weise berichten (siehe etwa "So entsteht die politisch korrekte Einheitsmeinung").

Das Weltbild mit der Realität in Einklang bringen

Nein, "die Medien" werden exakt keine Lehre ziehen aus dem Fall Relotius. Im Gegenteil: Weil ihr Betrieb weiterlaufen wird, werden sie lernen, dass sie damit durchkommen. Wir aber können den Gutmenschen täglich lauter zurufen: Unsere Realität ist unbequem und politisch nicht korrekt, eure Realität ist aber auf Lügen, Märchen und Wunschdenken gebaut – ich bevorzuge das Unbequeme.

Für uns, die wir dann doch unser Denken und Weltbild mit der Realität in Einklang bringen, bleibt ein neuer moralischer Neben-Imperativ: Informiere deinen Nächsten wie dich selbst! – Bürger, die sich nur aus Leitmedien informieren, solche armen Bürger glauben zum Teil buchstäblich Märchen. Es ist ein Stein ins Lügenmeer gefallen. Das Meer wird sich darüber schließen. Wir fahren wie Schiffe auf dem Meer der Lügen. Ist Relotius ein sensationeller Einzelfall oder doch nur die Spitze des Eisbergs?

Die Frage ist nicht, ob diese oder jene lügen – sie sagen, was sie sagen müssen, um ihren Job zu behalten, manchmal die Wahrheit, manchmal nicht, und nicht selten eine geschickte Mischung. Der Spiegel spricht im Fall Relotius von "hoher krimineller Energie" (spiegel.de, 19.12.2018), und selbst jetzt halten sie nicht inne, um zu reflektieren, was für ein System das ist, das "hohe kriminelle Energie" fördert und auszeichnet. Sie haben nicht gelernt, sie werden nicht lernen, sie können nicht lernen.

Was ist denn für uns die Lehre aus dem Fall Claas Relotius? – Ich habe es schon früher gesagt, ich sage es jetzt und werde es wiederholen: Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

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Leserpost

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Okko tom Brok / 20.12.2018

In diesem gigantischen Meer aus Lügen wurde jetzt der „Stöpsel gezogen“. Wie lange wird es dauern, bis dieses Lügenmeer trockenfällt? Manchmal geht das schnell (s. DDR).

B.Kröger / 20.12.2018

Sehr richtig, Herr Wegner: “Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!” -  Hüte Dich vor jeder Form von betreutem Denken!

Arne Busch / 20.12.2018

Ich sehe Claas Relotius schon als würdigen Nachfolger von Claus Kleber, Marionetta Slomka oder Christian Sievers. Die große grünlinke Familie des GEZ Staatsfernsehens wird ihn sicher mit offenen Armen (und großzügigen Gehalt) empfangen.

Severin Schönfelder / 20.12.2018

Alles, was der linksgrüne Zeitgeist berührt, degeneriert: Bildungseinrichtungen, Behörden, Familien, Geschlechterrollen, Journalismus, Politik, selbst Film und Theater wurden plattgemacht. Der charakteristischste Wesenszug ist dabei: Dissozialität, sprich: das Brechen jedweger Normen, Werte und Regeln zum eigenen Nutzen.

Daniel Gildenhorn / 20.12.2018

Jetzt wird ein Schuh daraus. Nach dem 1.000€-Märchen soll man nun ganz methodisch alle anderen Autoren prüfen. Die Geschichten über die „überwiegend hochqualifizierten Ärzte“ aus Syrien empfehlen sich sehr. Aber auch über die angeblich unmögliche Rückkehr in die Heimat, wo jeder Europäer seinen Urlaub buchen kann. Danach kann man sich auch die ungewöhnlichen „Ischias-Symptome“ etwas näher betrachten. Klären, warum sich niemand empört. Vor allem in den Redaktionen. Abschließend könnte man sich der Sache mit der Umwandlung der Illegalität ins Normale widmen. Evtl. sich fragen, ob im Gegenzug viele andere Bürger lieber ins Illegale gehen würden usw.

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