Wolfram Weimer / 08.12.2016 / 06:25 / Foto: NASA / 12 / Seite ausdrucken

Der Fall Maria: Vom falschen Umgang mit einer Debatte

Es ist für die politische Kultur wie eine gefühlte Wiederholung des Kölner Silvesterübergriffs. Ein Verbrechen mit Migrationshintergrund – diesmal der Fall der vergewaltigten und ermordeten Freiburger Medizinstudentin Maria – wird von Volksparteien und Leitmedien eilends zum politischen Tabu erklärt. Als sei Deutschland ein neurotischer Aggressionskindergarten hört man aus vielen Kanälen: Es dürfe jetzt keinen “Generalverdacht” gegen Flüchtlinge geben, es handele sich um einen “Einzelfall” und jede Politisierung des Vorgangs sei rechtspopulistischer Missbrauch.

Während fast alle großen Medien der Welt von der “New York Times” bis zu “Le Monde” ausführlich über den Fall berichteten, gerade weil er offensichtlich diese politische Dimension hat, weigerte sich die “Tagesschau” sogar gänzlich, über den Fall zu berichten. Die ARD erklärte vielmehr, die Sache sei von “regionaler Bedeutung”. Kurzum: Der amtliche Teil der öffentlichen Kommunikation reagiert mit politisch korrekter Tabuisierung – und macht damit selbst erst aus einem traurigen Kriminalfall ein brisantes Politikum.

Seit dem Wochenende glühen jedenfalls die politischen Foren im Internet. Insbesondere die Reaktion der “Tagesschau”-Redaktion löst eine Welle der digitalen Empörung aus. Wie im Fall der Silvesterübergriffe entsteht mit der offiziellen Beschwichtigungskommunikation der Nährboden für Misstrauen und Manipulationsvermutungen. Merke: Wer eine politische Debatte, die noch gar nicht begonnen hat, schon mundtot machen will, der entfacht sie erst.

Die Sorge um ein importiertes Kriminalitätsproblem

Der Fall Maria befeuert vor allem die Sorge, dass Deutschland mit der Massenzuwanderung zugleich ein großes Kriminalitätsproblem importiert hat. Die Zunahme von gewaltsamen Übergriffen vieler Arten sind – da gleichen sich die Polizeiberichte aller Bundesländer – leider keine “Einzelfälle”. Sie verändern vielmehr das Alltagsleben in Deutschland spürbar – vom sommerlichen Schwimmbadbesuch bis zur abendlichen S-Bahn-Fahrt. Der “Spiegel” berichtet aus Freiburg: “Seit Wochen verkaufen die Waffengeschäfte der Stadt kistenweise Pfefferspray, Mädchen werden zur Schule gebracht, statt wie früher mit dem Bus zu fahren. Die Frauen, die überhaupt noch joggen gehen, tun das oft mit einer App, die einer Vertrauensperson in regelmäßigen Abständen signalisiert, dass alles in Ordnung ist.”

Und weiter melden die “Spiegel”-Reporter: “Tatsächlich gab es in Freiburg in den vergangenen Wochen und Monaten eine Häufung an Gewalttaten: Ende September wird ein 13-jähriges Mädchen von minderjährigen Jugendlichen missbraucht. Zwei der drei Verdächtigen haben einen Migrationshintergrund. Mitte Oktober wird ein Mann aus dem Obdachlosenmilieu von zwei Nichtdeutschen so schwer geschlagen, dass er kurz darauf seinen Verletzungen erliegt. Ende Oktober werden zwei Frauen unweit des Hauptbahnhofs sexuell belästigt und retten sich in eine Polizeiwache. Die Verdächtigen stammen aus Gambia. Anfang November verletzt ein Afghane einen anderen schwer mit Messerstichen. Mitte November tötet ein georgischer Mann seinen Neffen mit Messerstichen.”

Merkels Diktum “Deutschland wird Deutschland bleiben, mit allem was uns lieb und teuer ist” wird damit im Alltag der Menschen und ihrem erschütterten Sicherheitsgefühl widerlegt. Und Sigmar Gabriels Reaktion auf Freiburg (es müsse vor “Hetze” von Rechts und vor “Verschwörungspropaganda” gewarnt werden) klingt eher wie pädagogischer Exorzismus als nach ernsthafter Problembewältigung.

Die Stimmung gegenüber Merkel kippt schon wieder

Die Debatte um den Fall Maria trifft die Kanzlerin just in dem Moment, da ihr innenpolitisches Abgleiten in den Umfragen beendet schien. Ihre nochmalige Kandidatur hat Solidaritätsreflexe ausgelöst und die grimmige Migrationsdebatte schien weniger aggressiv, auch weil es seit einigen Wochen keine Terrorattacken von Islamisten mehr gegeben hat. Plötzlich sammelte sie wieder Sympathiepunkte, und es wurde wieder über eine schwarz-grüne Perspektive für 2017 gesprochen. Nun aber zerstört der Fall Maria diese politische Stimmung – ausgerechnet kurz vor Merkels Krönungsparteitag ist die Zuwanderungsdebatte wieder da. Sie gipfelt in dem Leitartikelzitat der “Welt”: “Wären die Grenzen im September 2015 geschlossen geblieben, würde die Medizinstudentin aus Freiburg noch leben.”

Verstärkt wird die Nachwirkung des Falles auch durch die besondere Tragik und die Zufälligkeiten – vom Namen des Opfers bis zur Minderjährigkeit des Täters. Es traf ausgerechnet eine junge Frau, die für Flüchtlinge engagiert und im Studentenverein “Weitblick” aktiv war. In der Traueranzeige baten die Eltern sogar um Spenden für Weitblick Freiburg e. V., jenem Verein, der mit Spendengeldern Bibliotheken für Flüchtlinge einrichtet. Die “Welt” schreibt: “Der Mord von Freiburg stellt nun eine kaum zu ertragende Zuspitzung dar. Der Hilfsbedürftige mordet den Helfer. Eine junge Frau, die das Beste, was diese Gesellschaft zu bieten hat, in sich vereint: Nächstenliebe, Bildung, Gemeinsinn, wurde zum Opfer ihrer Hilfsbereitschaft. Sie wurde getötet von dem, der sein Überleben ihrer Hilfe zu verdanken hat. Sie bezahlte ihre Nächstenliebe mit dem Leben.”

Und schließlich findet die Tat ausgerechnet in Freiburg statt, dem schwarz-grünen Vorzeige-Idyll der Nation – einem Laborversuch für das, was Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt sich ab 2017 auch für ganz Deutschland gut vorstellen wollen. Die Verkörperung dieser politischen Linie heißt Dieter Salomon und ist seit mehr als 14 Jahren Freiburger Oberbürgermeister. Salomon ist eine Art Kretschmann in jung. Ein post-ideologischer Vorzeige-Grüner, gebildet, umsichtig, weltläufig – in Australien geboren, in Frankreich unterwegs, ein promovierter Politologe. Salomon war der erste grüne Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt überhaupt. Und er regiert wie Kretschmann mit einer guten Portion bürgerlicher Eigenvernunft. Er legt sich schon mal mit streikenden Gewerkschafterinnen an wie ein CDUler alten Schlags, er setzt auf Alkoholverbote wie ein konservativer Pietist, verteidigt Polizeieinsätze gegen Demonstranten wie ein CSU-Innenminister und kann die Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften fallweise für gut halten wie ein Liberaler.

Eine pragmatische Generation von grünen Politikern

Salomon kommt – ähnlich wie sein Amtskollege aus Tübingen, der grüne Bürgermeister Boris Palmer – aus einer pragmatischen Generation von grünen Politikern, die eher Helmut Schmidts Leitbild ("Wer Visionen hat, sollte besser zum Arzt gehen") nach nüchterner Vernunft, Maß und Mitte folgen. Dazu gehört bei Palmer wie bei Salomon auch: Nichts verharmlosen, nichts dramatisieren. Und so sagt er zum Fall Maria jetzt im “Spiegel Online”-Interview: “Freiburg hat kein besonderes Problem, wir sind schlicht nicht das süddeutsche Bullerbü, für das wir gerne gehalten werden. Viel Sonnenschein, viele Fahrräder und ein lustiger grüner Bürgermeister, so sehen uns viele im Rest der Republik. Aber Freiburg ist eine mittelgroße deutsche Großstadt mit 230.000 Einwohnern und echten Problemen. Seit 15 Jahren führen wir die Kriminalitätsstatistiken an und haben noch immer viel zu wenig Polizei.”

Schon im Januar 2016 erklärte Salomon im Zusammenhang mit den Übergriffen der Silvesternacht gegenüber der FAZ: “Es ist eine harte Linie gefragt. Unsere Rolle muss es sein, die Polizei zu stärken, so dass das Sicherheitsgefühl auf den Straßen zunimmt und die Polizei mehr Präsenz zeigen kann.” Er warnt natürlich vor ungerechter Pauschalverurteilung von Migranten, aber er spricht eben auch die Kehrseite der Wahrheit an: “Wir müssen bei der Integration auf unsere Werte pochen.” Offen und klar, und ohne jenen volkspädagogischen Reflex der politisch Korrekten. Die Folge – die AfD erreichte in Palmers Tübingen wie in Salomons Freiburg bei den diesjährigen Landtagswahlen nicht einmal halb so viel Zustimmung wie im Rest des Landes. Der grüne Salomon-Palmer-Weg ist das Gegenteil dessen, was die “Tagesschau” gemacht hat.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.

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Karla Kuhn / 08.12.2016

Herr Salomon und Herr Palmer sind mit Abstand die ganz großen Ausnahmen bei den Grünen. Wenn ich mir den “Laborversuch” , der für ganz Deutschland von den Grünen erwünscht ist, nur ansatzweise vorstelle, wird mir speiübel.  Denn dann geht es weiter so, wahrscheinlich noch schlimmer als vorher und das, das kommt wie das Amen in er Kirche, wird zu enormen Unruhen führen. Es brodelt doch jetzt schon gewaltig unter der Oberfläche. Wenn Politiker wirklich etwas Gutes für Deutschlands Sicherheit tun wollen, dann machen sie umgehend eine Kehrtwende oder treten allesamt zurück und rufen Neuwahlen aus.

Joachim Nowak / 08.12.2016

Was fällt mir jedesmal auf ? Es geschieht etwas IN Deutschland. Sofort kann und darf sich vorallem durchweg alles aus dem Bundestag daran abarbeiten und “mahnende Worte” bringen, daß es ja blos gar niemand “politisch instrumentalisieren dürfe”. Womit wir das schon 100% restlos politisch instrumentalisiert haben und zwar vollkommen von allen Parteien des Bundestages. Denn…..es fehlt zu diesen extrem zahlreichen Fällen immer eine Stimme !! Die vom Innenminister…..!!!!!!!!!!!!!!! Aber es ist genau SEIN JOB und genau ER müßte vor die Kameras treten, wenn etwas IN Deutschland geschieht, was dann BUNDESWEIT für Aufregung sorgt. Aber ER macht es genau NICHT. Dabei ist es irrelevant, ob dann “ER” der amtierende ist, oder all die Vorgänger, denn DAS haben sie allesamt gemeinsam. Man SCHWEIGT, damit sich alle Parteibüttel wunderbar in Szene setzen können, um dann mit einem Gewalt-/Vergewaltigungs-, oder auch Mordfall für sich selbst und die Partei Wahlkampf machen können…..

Sepp Kneip / 08.12.2016

Herr Weimer, hier muss ich Ihnen ein bisschen widersprechen. Die Salomons und Palmers mögen veritable Persönlichkeiten sein. Salomon hat es aber nicht verhindert, dass aus Freiburg eine Stadt mit No Go Areas wird, was früher undenkbar gewesen wäre. Es kommt jetzt nicht darauf an, wie sich ein Oberbürgermeister zu den Ereignissen stellt, sondern darauf, dass er sie ermöglicht hat.  Die schwarz/grüne Einheitssoße wird uns sicher noch mehr Überraschungen bieten.

Gerhard Heger / 08.12.2016

Sg. Hr. Weimer, die relativen AFD-Mißerfolge in Freiburg und Tübingen dürften weniger mit dem “pragmatischen” Weg der Herren OB zu tun haben (außer Verbalerotik haben die beiden nämlich auch nix konkretes zu bieten) als vielmehr mit einer überwiegend studentischen Wählerklientel, die sich ihr linkes Weltbild doch nicht von Realitäten kaputt machen lässt. In Tübingen war schon zu Zeiten als man den Begriff Schutzsuchender noch gar kannte, die CDU nur eine Splittergruppe; warum sollte sich diese Grundkonstellation seither verändert haben. mit besten Grüßen G. Heger

Nagy Laszlo / 08.12.2016

Volker Kauder sagte vor einiger Zeit, dass “Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnt”. In diesem Fall scheint man die Wirklichkeit nicht sehen zu wollen.

Roland Müller / 08.12.2016

Ich denke, das der geringere Zuspruch für die AfD in Freiburg auch darauf beruht, das der typische bundesdeutsche Wähler nach wie vor Worte für die Tat hält. Die Straftatenhochburg ist mit Sicherheit nicht vom Himmel gefallen und hat auch nichts mit zu wenig Polizei zu tun. In den anderen Landesteilen von Baden-Württemberg gibt es auch nicht mehr Polizei.  Ich denke, die Ursache ist zu viel politisch gewollte bunte Republik. Manche Zeitgenossen lernen es halt nie.

Rainer Kaufmann / 08.12.2016

Die Frage, wie nach der Henne und dem Ei, wer war zuerst da: der Pragmatismus, mit dem die beiden (Palmer und Salomon)  die Probleme einer Großstadt angegangen sind, oder die urbanen Probleme, die die beiden ernüchtert und zu Pragmatikern gemacht haben. Ich tippe auf letzteres, der Vertreibung aus dem grünen Wolkenkuckucksheim.

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