Unter Deutschlands Linksextremisten steht die Heimkehr ihrer Gesinnungsgenossin Maja T. weit oben auf der Prioritätenliste. Dabei wirft Majas Auslieferung an Ungarn wichtige und verdrängte Fragen auf.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Juni des letzten Jahres. Da erregte der Fall einer mutmaßlich linksextremen Gewalttäterin auch außerhalb der Zirkel der üblichen Verdächtigen überregionale Aufmerksamkeit. Maja T. wurde von der ungarischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Jahr zuvor in Budapest gezielt und koordiniert Teilnehmer eines rechten Aufmarschs mit Teleskopschlagstöcken angegriffen zu haben.
Die Ankläger, nicht nur in Ungarn, werteten dies als versuchten Mord. Nicht nur die Ungarn ermittelten, auch die deutsche Bundesanwaltschaft. Maja T. wurde verhaftet, die Ungarn beantragten ihre Auslieferung gemäß der Vereinbarungen über den Europäischen Haftbefehl. Was folgte, war ein juristischer Wettlauf zwischen Majas Anwälten und der Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Letztere verfügte und betrieb die Auslieferung nach Ungarn, was die Anwälte verhindern wollten. In der Öffentlichkeit wurde herausgestellt, dass Maja T., die sich selbst als „nonbinäre Person“ definiert, im „queerfeindlichen“ Ungarn „besonders gefährdet“ wäre. Vor Gericht ging es sicher auch um die Frage, ob nicht die Strafverfolgung hierzulande Vorrang hätte.
Dramatisch wurde es, weil Maja trotz eines Eilantrags beim Bundesverfassungsgericht hektisch über Nacht nach Ungarn gebracht wurde, kurz bevor das Bundesverfassungsgericht am Morgen urteilte, dass Maja nicht nach Ungarn ausgeliefert werden dürfte. Zwar hätte die deutsche Justiz damit theoretisch die Aufgabe, Maja wieder in die Heimat zu holen, aber daran, dass sie jetzt in ungarischer Untersuchungshaft sitzt, weil die ungarische Justiz sich mit ihr wegen Straftaten in Ungarn beschäftigt, ist aus ungarischer Sicht nichts auszusetzen. Wenn die Deutschen mit ihrer Auslieferung daheim einen Fehler gemacht haben, ist das ihr Problem.
So ist der Sachstand seit knapp einem Jahr. Die Linksextremisten fordern Majas Rücküberstellung in die Heimat, und die deutsche Justiz schweigt weitgehend dazu. Seit gut einer Woche hat die Kampagne von Majas Genossen wieder Fahrt aufgenommen, denn sie selbst hatte erklärt, sich seit 5. Juni 2025 im Hungerstreik für ihre Heimkehr zu befinden.
Der Fall hat zwei Aspekte. Zum einen versammeln sich unter denen, die nun vehement für Majas Rückkehr eintreten, all die bekannten Verharmloser linksextremer Gewalt. Deshalb dürfte es so mancher, der gegen die Einäugigkeit bei der Extremismusbekämpfung und ein konsequenteres Vorgehen gegen Linksextremismus eintritt, vielleicht nicht ungern sehen, dass Maja T. in Ungarn wahrscheinlich ein härteres Urteil erwartet, als es ein deutsches Gericht gesprochen hätte. Aber auch diejenigen, die Maja T. verständlicherweise ein hartes Urteil wünschen, sollten deshalb nicht ignorieren, dass die Auslieferung eigener Landeskinder an eine fremde Justiz durchaus fragwürdig ist.
"So oft es geht Scheiben klirren lassen"
Doch dazu später, denn zunächst sollte man noch einen Blick auf den Teil der Kampagne für Majas Heimkehr werfen, die aufschlussreiche Einblicke in die Geisteswelt ihrer Anhänger zulassen. Seit Maja T. in ihrer Hungerstreik-Erklärung, veröffentlicht hier auf Indymedia, die Haftbedingungen in Ungarn als „menschenunwürdige Langzeit-Einzelhaft“ beschrieben hat, versuchen ihre Unterstützer, diese Forderung auf ihre Weise durchzusetzen. Das hat allerdings zuweilen schon eher komische Züge.
„Am Abend des 6.6. haben wir eine Bank im Leipziger Süden eingeschlagen und mit Sprühdosen "Freiheit für Maja" gefordert. Es traf die Sparkasse in Lößnig.
Unser*e Freund*in und antifaschistische Gefährt*in Maja ist seit Donnerstag dem 5.6. im Hungerstreik. Maja fordert in den Hausarrest nach Deutschland rücküberführt zu werden, um sich hier dem Verfahren zu stellen. Außerdem sollen alle weiteren Auslieferungen unser Genoss*innen nach Ungarn ausgesetzt werden.“
Das teilten engagierte Maja-Freunde ebenfalls auf Indymedia mit. Wie aber soll eine solche Aktion der Untersuchungsgefangenen Maja T. in die Heimat zurück helfen? Das erklären die Genossen so:
„Jede*r kann – wie wir es gestern getan haben – ohne Aufwand und unter den wenigen notwendigen Sicherheitsvorkehrungen (gute Vermummung, saubere Handschuhe und Materialien, kurzes Koordinationstreffen, keine technischen Geräte, kein Geprahle im Nachgang) sich ein Herz nehmen und die nächstgelege Bank einschlagen. Unser Vorschlag wäre nicht auf die Qualität der Angriffe zu setzen, sondern auf die Quantität unserer Nadelstiche. Wenn bundesweit jede Gruppe alle paar Tage loszieht, etwas einschlägt, mit Farbe den Bezug zu Maja herstellt und einen kurzen Text auf Indy schreibt, könnte sich ein Synergie-Effekt entwickeln, der andere ansteckt und denjenigen, die etwas im Fall Maja zu sagen hätten, klar macht, dass wir keine Ruhe geben bis wir Maja zurück haben. Wir rufen dazu auf sich so oft es geht auf den Weg zu machen um Scheiben klirren zu lassen, solange Majas Hungerstreik andauert – Auf das unser Druck ausreicht, um diesen untragbaren Zustand zu beenden
‚Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Werden tausend Steine geworfen, ist das eine politische Aktion‘ Ulrike Meinhof (ehemals Isolations-gefolterte Antifaschistin)“.
Der erwünschte Synergie-Effekt entwickelte sich noch nicht so recht, deshalb mussten die Leipziger Genossen jüngst wieder ran:
„In der Nacht vom 15.06 haben wir die Filialien der Sparkasse und der Deutschen Volksbank auf der Könneritzstraße im Leipziger Westen angegriffen. Die eingeschlagenen Scheiben und die gesprühte Forderung "Free Maja" sind unser Beitrag zur militanten Unterstützungskampagne von Majas Hungerstreik. Wir beziehen uns hierbei auf den Aufruf einiger Gefährt*innen und freuen uns, dass sich in Leipzig, Berlin, Wuppertal und Hamburg schon so zahlreich der Kampagne angeschlossen wurde. Wir fordern alle, die sich solidarisch mit Maja zeigen wollen dazu auf es uns nachzumachen!“
Eine ganz andere Frage
Es müssen auch nicht nur Banken sein, die anzugreifen Maja angeblich helfen soll:
„In der Nacht 15./16.6. haben wir das Jobcenter in Möckern im Leipziger Norden angegriffen und schließen uns damit der Unterstützungskampagne für Majas Hungerstreik an.“
Und die Frage, warum ein Angriff auf ein Jobcenter Teil des Kampfes um Majas Freiheit ist, beantworten die Genossen auch unaufgefordert:
„Das Jobcenter ist Teil eines staatlichen Systems, das Eigentum, Kapital, und reiche Leute schützt und gleichzeitig strukturell Menschen in Armut hält. Der Mythos des ‚guten Lebens durch harte Arbeit‘ wird kontinuierlich propagiert. Gleichzeitig werden Leute in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen und für viel zu wenig Geld ein Leben lang ausgebeutet; der versprochene Wohlstand bleibt aus.
Der gleiche Staat hat Antifaschist*in Maja rechtswidrig an das Regime in Ungarn ausgeliefert, wo Maja sich nun im Hungerstreik befindet, um Majas Rückkehr nach Deutschland zu erwirken. Maja ist der staatlichen Gewalt als nicht-binäre Person besonders ausgesetzt, da der ungarische Staat die Rechte queerer Menschen immer weiter einschränkt. Mit der Auslieferung von Maja an dieses queerfeindliche Regime zeigt der deutsche Staat, dass er es mit den Rechten queerer Personen ähnlich hält.“
Eine logische Auseinanderzusetzung mit diesen Forderungen erspare ich mir. Maja und ihr heimatliches Gefolge schaffen zwar öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Zerstörungswerke, wichtiger erscheint mir aber ein anderer Aspekt. Unabhängig vom konkreten Fall, dem Delikt oder dem Auslieferungsort, ist doch zuerst die Erinnerung an die grundsätzliche Frage wichtig, ob und wann es nötig ist, dass Deutschland seine Landeskinder – egal ob sie das gerne sind oder nicht – an fremde Mächte ausliefert? Auf diese Frage macht der Fall Maja T. durchaus aufmerksam, auch wenn das selbstverständlich kein Grund ist, gegenüber dieser Gewalttäterin nachsichtig zu sein.
Warum bleibt die Strafverfolgung nicht in Deutschland?
Jahrzehntelang sagte Artikel 16, Absatz 2 des Grundgesetzes ganz klar und eindeutig:
„Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“
Der Gedanke dahinter: Wenn ein Deutscher im Ausland Straftaten begeht und sich dann in Deutschland aufhält, sollte sich die deutsche Justiz um die Strafverfolgung kümmern. Vor fremdem Zugriff sollte der Bürger auch im Verdachtsfall im eigenen Land geschützt bleiben.
Doch seit 25 Jahren lautet Absatz 2 des Artikels 16:
„Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“
Das Grundrecht auf Asyl hat bekanntlich inzwischen einen eigenen Artikel 16a bekommen. Dass ein Deutscher an einen internationalen Gerichtshof überstellt werden kann, lässt sich noch nachvollziehen, weil die sich in der Regel nur mit Straftaten einer Dimension befassen, die die Grenzen einer nationalen Justiz womöglich sprengt.
Doch warum muss dies auch an Ermittlungsbehörden in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union geschehen? Gerade da müsste es doch hinreichend Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Amtshilfe geben, um auch ein Strafverfahren in Deutschland zu ermöglichen.
Das erwähnte Gesetz folgte de facto 2006 mit der deutschen Zustimmung zum Europäischen Haftbefehl. „Soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind“ – das hört sich gut an, aber wie wird das geprüft und nach welchen Maßstäben?
Ein Rechtsstaat sollte ein EU-Staat ohnehin sein, aber jeder Verhaftete, der sich in einem fremden Rechtssystem und in einer fremden Sprache bewegen muss, wird damit einer für ihn nachteiligen Situation ausgeliefert. Zumal der Europäische Haftbefehl nicht nur für brutale Gewalttäter ausgestellt werden kann. Wie ist man denn als Deutscher davor geschützt, sich beispielsweise aufgrund falscher Beschuldigungen in Verbindung mit einer Verkettung unglücklicher Umstände plötzlich in einer bulgarischen Untersuchungshaftanstalt wiederzufinden?
Ja, diese Grundgesetzentwicklung und auch die Änderungen im Artikel 16 sind alles andere als neu, ebenso wie der Europäische Haftbefehl. Und offenbar wurden sie selten und eher geräuschlos angewandt. Aber haben sie nicht dennoch ein bedenkliches Missbrauchspotential? Das sollte man unabhängig von der Sympathie für die Betroffenen fragen, denn die deutsche Rechtsauffassung gilt auch für die, die sie weitgehend ablehnen und diese Ablehnung oft genug mit Sachbeschädigung kundtun.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.