Von Wolfgang Zoubek.
ウォルフガング ツオウベク
Der Fall Ghosn kommt in Japan seit einem halben Jahr nicht mehr aus den Schlagzeilen. In Deutschland wurde davon bisher kaum Notiz genommen, in Frankreich und im angloamerikanischen Raum dagegen schon.
Carlos Ghosn war der Vorstandschef des japanischen Autokonzerns Nissan. Am 19. November 2018 wurde er unter dem Vorwurf verhaftet, sein Managergehalt wäre zu niedrig deklariert worden, tatsächlich soll es doppelt so hoch gewesen sein. Um die Öffentlichkeit zu täuschen, hätte man ihm außer der offiziell kolportierten Summe weitere Zahlungen zugesagt, die nach seinem Ausscheiden bei Nissan zusätzlich zur Abfindung fällig werden sollten.
Es überraschte zunächst, welch große mediale Aufregung dieser Vorwurf hervorrief; von sich für unentbehrlich haltenden Managern ist man inzwischen einiges gewohnt. Doch in Japan werden Verstöße gegen Finanzmarktregelungen ebenso verwerflich wie Insiderhandel eingestuft. Außerdem schien dies nur die Spitze des Eisbergs zu sein, denn es kamen weitere Anschuldigungen hinzu, und die Kette der Vorwürfe reißt bis heute nicht ab.
So wurde berichtet, dass Ghosn Überweisungen auf Briefkastenfirmen und Zahlungen von Tochterfirmen des Konzerns erhielt. Er soll sich bei privaten Verlusten im Zuge der Finanzkrise 2008 ungeniert an Nissan schadlos gehalten, teure Privatreisen mit seiner Familie auf Firmenkosten abgerechnet und sich luxuriöse Immobilien in Paris, Amsterdam, Rio de Janeiro und Beirut geleistet haben. Insgesamt ist von mehreren Millionen Euro an persönlicher Bereicherung die Rede.
Doch was zunächst nur nach Unterschlagung eines einzelnen Managers aussah, entpuppte sich in der Folge als Wirtschaftskrimi. Es ging nicht nur um persönliche Verfehlungen, sondern auch um einen Machtkampf, in den mehrere im globalen Wettbewerb stehende Konzerne verwickelt waren. Und am Rande war sogar der französische Präsident Macron involviert, weshalb von Paris aus der Verdacht einer Intrige gegen Renault lanciert wurde.
Ruf als brutaler Sanierer
Dazu muss man die Vorgeschichte kennnen. Ghosn – der aus dem Libanon stammt, in Brasilien aufgewachsen war und in Paris Ingenieurswesen studiert hatte – kam 1996 in leitender Stellung zu Renault. Dort gelang es ihm in nur einem Jahr, den kriselnden Autobauer wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen.
1999 wurde er mit gleichem Auftrag zu Nissan geschickt, das damals in einer ähnlichen Krise steckte. Aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche Nissans war es Renault damals gelungen, mit einem Anteil von mehr als 40 Prozent bei dem japanischen Konzern einzusteigen.
Ghosn, dem inzwischen der Ruf als brutaler Sanierer vorauseilte, schaffte es auch in Japan, durch harte Maßnahmen wie Werkschließungen und einer Neuordnung der Zuliefererkette die existenzbedrohende Krise zu lösen. Schließlich wurde er 2001 sogar Vorstandschef bei Nissan.
Erstaunlich an dem Fall ist, welche Machtstellung sich Ghosn aufbauen konnte. Normalerweise versuchen japanische Firmen, auch wenn sie ausländische Ingenieure und Manager anstellen, die oberste Leitung nicht aus der Hand zu geben. Ghosn konnte sich jedoch im Lauf der Zeit zum heimlichen Herrscher in einem Firmenkonglomerat zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi aufschwingen, denn seit 2016 hielt Nissan auch zu 34 Prozent Anteile an Mitsubishi Motors.
Aufgrund seines Erfolgs als Sanierer war Ghosns Position unangreifbar geworden, und in der Folge konnte er schalten und walten, wie er wollte. Einerseits waren die internen Kontrollen bei Nissan sehr lasch, sodass das Finanzgebaren an der Grenze zur Legalität und darüber hinaus nicht auffiel, andererseits musste er Helfershelfer haben. So kam es, dass es bei Nissan mit der Zeit viele gab, die über Ghosns Machenschaften Bescheid wussten, und nicht wenige ballten wütend die Faust in der Tasche. Wurden die vielen einfachen Arbeiter und Angestellten nur deshalb Opfer harter Sparmaßnahmen, damit Ghosn sich nun nach Belieben persönlich bereichern konnte?
Der Schlussakt im Wirtschaftskrimi
Dies allein war aber noch nicht das, was ihm das Genick brach. 2017 gab Ghosn den Vorstandsposten bei Nissan auf, um in den Verwaltungsrat zu wechseln, und 2018 wurde er CEO bei Renault. Damit begann der Schlussakt in diesem Wirtschaftskrimi, denn Ghosn wurde es zum Verhängnis, dass er in Frankreich das Projekt einer Allianz zwischen Renault und Nissan verfolgte. Obwohl Nissan das größere Unternehmen war, sollte der Zusammenschluss unter dem Dach von Renault stattfinden.
Nissan hatte schon bisher entscheidend zur Stabilisierung Renaults beigetragen, denn während Renault mit über 40 Prozent an Nissan beteiligt war, hielt Nissan demgegenüber nur 15 Prozent Anteile an Renault. Dementsprechend floss seit langem ein Großteil des Gewinns von Nissan an Renault. Macron, der wirtschaftliche Erfolge braucht, begrüßte diese Entwicklung, auf japanischer Seite begannen dagegen die Alarmglocken zu schrillen.
Nun bekamen die Behörden von Ghosns Geschäftsgebaren bei Nissan Wind. Bei den Untersuchungen mussten die Beamten aber mit äußester Vorsicht vorgehen, denn hätte Ghosn davon erfahren, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sich ins Ausland abzusetzen und sich damit der japanischen Justiz zu entziehen.
Es liefen monatelange Ermittlungen, allerdings so diskrekt, dass der Zugriff völlig unerwartet erfolgte. Bis 6. März 2019 musste Ghosn in Untersuchungshaft bleiben, dann wurde er unter strengen Auflagen, die fast einem Hausarrest gleichkamen, freigelassen. In dem Zusammenhang kam Kritik an der japanischen Justiz auf. Man sprach von Vorverurteilung, unterstellte den Behörden, Ghosn zermürben und zu einem Geständnis zwingen zu wollen und kritisierte die Willfährigkeit japanischer Richter gegenüber der Staatsanwaltschaft. Diese Vorwürfe kamen vor allem aus den Reihen der ausländischen Community in Japan, und es gab sogar Stimmen, die die Angelegenheit vor einem Zivilgericht regeln wollten. Mit ein paar Millionenzahlungen sollte sich Ghosn wieder reinwaschen können. Dies ging wohl auf die Lobbyarbeit bestimmter Kreise zurück, die hinter Ghosn standen.
Das Opfer eines schmutzigen Spiels?
Für den 11. April kündigte Ghosn eine Pressekonferenz an, bei der er „die Wahrheit“ sagen wollte. Doch bevor es so weit war, kam der nächste Paukenschlag, am 4. April wurde Ghosn wieder verhaftet. Neue Vorwürfe waren aufgetaucht: Von Nissan soll über einen Geschäftspartner in Oman Geld geflossen sein, von dem ein Teil an die Firma seines Sohnes ging, und mit dem anderen Teil soll er eine teure Motoryacht finanziert haben. Offiziell wurde die neuerliche Verhaftung mit Verdunkelungsgefahr begründet, und es hat den Anschein, als ob Ghosns junge Ehefrau Carole involviert wäre. Denn obwohl sie ihren Pass hatte abgeben müssen, verließ sie kurz nach der Verhaftung ihres Mannes überstürzt Japan. Sie hatte nur ihren libanesischen Pass abgegeben und war mit ihrem amerikanischen Pass ausgereist.
Anstelle der Pressekonferenz wurde am 9. April eine Videobotschaft von Ghosn veröffentlicht. Darin behauptete er, das Opfer eines schmutzigen Spiels bei Nissan geworden zu sein, und ironischerweise könnte da sogar etwas Wahres dran sein. Denn hätte er die Fusion zwischen Renault und Nissan nicht so aktiv vorangetrieben, wären unter Umständen gar keine Vorwürfe gegen ihn aufgetaucht. Andererseits sinkt die Glaubwürdigkeit seiner Unschuldsbeteuerungen mit der steigenden Zahl der Anschuldigungen. Die Empörung unter Nissans Aktionären ist jedenfalls groß, und es werden Maßnahmen verlangt, dass sich so ein Skandal nie mehr wiederholt.
Obwohl in dieser Causa zu diesem Zeitpunkt noch nichts geklärt ist, und die Aufklärung auch noch lange dauern wird, wirkt der Fall Ghosn auf außenstehende Beobachter wie der tiefe Fall eines Managers, der in seiner Hybris glaubte, über ein Unternehmen, das seiner Leitung anvertraut war, wie über sein persönliches Besitztum verfügen zu können.
Wolfgang Zoubek lebt seit fast zwanzig Jahren in Japan und arbeitet an einer Universität. Ihn beschäftigt seit langem der Vergleich zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen in Japan und in Deutschland. „Obwohl im Zeitalter der Globalisierung alle relevanten Themen in kürzester Zeit um die Welt gehen, können die Reaktionen bedingt durch die unterschiedlichen nationalen Mentalitäten sehr verschieden sein“, sagt er.