Der Fall Böhmermann ist mausetot, bevor er geboren wird

Am Freitag vergangener Woche trat Bundeskanzlerin Merkel (CDU) vor die Öffentlichkeit und gab ihre viel diskutierte Entscheidung in der Causa Böhmermann bekannt. Ganz zum Schluss wies Merkel darauf hin, dass "die Bundesregierung der Auffassung ist, dass Paragraf 103 des Strafgesetzbuches als Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehre für die Zukunft entbehrlich ist. Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Aufhebung vorlegen. Der Gesetzentwurf soll noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden und 2018 in Kraft treten."

Ein Gesetzgebungsverfahren, das die simple Aufhebung einer Vorschrift (hier: Paragraf 103 StGB, vulgo: Majestätsbeleidigung) zum Gegenstand hat, dauert bei normalem Verfahrensgang sechs bis neun Monate. Spätestens Anfang 2017 wäre die Vorschrift also verschwunden. Und nicht erst 2018, wie Frau Merkel unerklärlicherweise bemerkt. Dies hat - erst recht, weil öffentlich bekannt gemacht - erhebliche Rechtsfolgen. Denn nach der Strafprozessordnung (Paragraf 206b StPO) gilt: Wenn ein Strafgesetz, das zur Tatzeit gilt, vor der Entscheidung des Gerichts aufgehoben wird, stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluss ein. Mit anderen Worten: Ist der Fall Böhmermann vor Wegfall der "Majestätsbeleidigungsvorschrift" nicht rechtskräftig geworden, gibt es keine Verurteilung und keine Strafe.

Öffentlichkeit und Justiz sollen für dumm verkauft werden

Natürlich weiß Böhmermanns Anwalt dies. Er wird daher alles tun, um das Verfahren zu verzögern: Verfahrensrügen, Verlegungsanträge, Befangenheitsanträge, Rechtsmittel. Natürlich weiß dies auch die Staatsanwaltschaft und das mit der Sache befasste Gericht. Ersichtlich ist es völlig idiotisch, auch nur die geringste Energie in dieses Verfahren zu investieren, wenn schon an dessen Beginn mit Sicherheit feststeht, dass es früher oder später eingestellt werden muss. Die Justiz weiß ihre Ressourcen in der Regel sinnvoller und für wichtigere Strafverfahren einzusetzen.

Und: Warum sollte sich eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht, egal wie jeweils entschieden wird (Wird durch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben? Wird die Anklage vom Gericht zugelassen? Wird vom Gericht verurteilt oder freigesprochen?), ohne Not zum Gegenstand der sich schon jetzt überschlagenden öffentlichen Debatte machen?Die Akte Böhmermann wird alles andere erleben als einen beschleunigten Verfahrensgang. Der Fall ist mausetot, bevor er geboren wird.

Womit wir wieder bei der Bundeskanzlerin wären, die jetzt, nach Rechts- und Verfassungsbrüchen in Serie (Energiewende, "Euro-Rettung", Flüchtlingskrise), den Rechtsstaat wieder entdeckt zu haben vorgibt. Auch sie weiß natürlich, wie das Verfahren gegen Böhmermann enden wird. Ist es doch ihre Regierung, die die "entbehrliche" Strafnorm durch das Parlament aufheben lassen möchte.

Merkel ist nicht die Retterin des Rechtsstaates, als die sie hier und da, wenn auch nur von einer Minderheit, gefeiert wird. Sie ist die Protagonistin eines schamlosen Possenspiels, mit dem die bundesdeutsche Bevölkerung, die deutsche Justiz und letztlich auch der türkische Staatspräsident für dumm verkauft werden sollen.

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Leserpost

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Johannes Lambert / 20.04.2016

In dem Artikel wird die Rechtslage nicht hinreichend dargelegt. Herr Erdogan hat auch persönlich Strafantrag wegen Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch gestellt. An diesem Straftatbestand soll nicht gerüttelt werden. Und er ist erfüllt. Wer dies bezweifelt, soll erst einmal dieses widerliche und ohne jeden Sachbezug persönlich schmähende “Gedicht” von Herrn Böhmermann lesen. Selbst ein rechtskräftig verurteilter Mörder müsste sich so etwas nicht gefallen lassen. Das Strafrecht hat sich in allen Kulturen herausgebildet, um die vorher geltende Blutrache, also Selbstjustiz abzulösen. Und diese gesellschaftlich befriedende Aufgabe des Strafrechts ist hier bitter nötig. Die Justiz muss ein strafrechtliches Unwerturteil aussprechen. Andernfalls sind Racheakte von hier lebenden Anhänger Erdogans, die sich ebenfalls als in ihrer Ehre verletzt fühlen,  nicht auszuschließen.

Clemens Hofbauer / 20.04.2016

Alle diese tollen Diplomaten von Merkel abwärts konnten den Boss vom Bosporus nicht davon überzeugen, dass er sich dieses vergessenen Paragraphen nicht bedienen sollte.  Z.B. wegen der fatalen Optik für Erdogan und/oder Merkel, und nicht zuletzt wegen der Sinnlosigkeit einer parallelen Rechtsverfolgung. Wie die Verhandlungen zum Türkendeal gelaufen sind will man sich danach gar nicht mehr vorstellen. Und die Optik ist auch fatal! Um dem Despoten seinen Wunsch zu erfüllen wird die Bestimmung halt in Gottes Namen ein allerletztes Mal angewendet und danach dem Paragraphen der Hals umgedreht. Ein letztes Mal wird der Paragraph auf Wunsch eines Despoten und Möchtegernassads angewendet um dann auf Wunsch einer unfruchtbar gebliebenen Übermutter abgeschafft zu werden. Die Frau macht sich die Gesetze selber wie andere Leute sich Marmelade einkochen! Und dabei wird sie selber von den Türken eingekocht wie von einem Heiratsschwindler.

Gero Hatz / 20.04.2016

Frau Merkel kann tun was sie will. Punkt. Noch nie hat der deutsche Michel so dumm ausgesehen, wie in der post-demokratischen Phase unserer Gesellschaft. Wirklich erstaunlich, dass Merkels offenkundige Machterhaltungspolitik von einer breiten Mehrheit akzeptiert wird.

Hans-Peter Hammer / 19.04.2016

Possenspiel? Nein! Ein (politischer) Schachzug der einem sogar eine gewisse Achtung abverlangt. Durch die Erlaubnis zur Verfolgung nach § 103 gibt Sie dem Sultan am Bosporus wonach ihm gelüstet, sagt ihm aber, indem sie den § als entbehrlich bezeichnet und die Abschaffung ankündigt, gleichzeitig, so um drei Ecken hintenherum und ohne damit den “Deal” zu gefährden, was Sie von seinem Beleidigtsein hält! (Mal sehen ob er es versteht!) Und nach innen nutzt Sie deutsches Recht und Gesetz (und kann sich damit nach den vorhergehenden “Rechtsbrüchen” auch noch als das Recht achtend verkaufen) , wohl wissend, daß nach einer solchen Ankündigung die Justiz keine besonderen Anstrengungen (wenn sie denn nicht aufgrund der Kunstfreiheit sowieso dasVerfahren einstellen würden) mehr unternehmen wird um Böhmermann “dranzukriegen”! Seien wir ehrlich: beinahe genial! Erdogan kriegt seine “Verfolgung” eines Kritikers! Böhmermann wird (offiziell) im Circus den Löwen vorgeworfen, aber gleichzeitig durch die Abschaffung der Löwen geschützt! Und Sie steht rautebildend, lächelnd daneben, wäscht die Hände wie einst ein römischer Statthalter in Jerusalem, dessen Name uns allen geläufig ist, in Unschuld und kann beim nächsten Gespräch/Treffen dem Sultan süffisant unterjubeln in D liefe es eben anders als bei ihm, da gelte Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit und sie wäre in diesem Rechtstaat - ganz gemäß europäischen Werten - garnicht in der Lage das zu beeinflußen! Nur, irgendwoher kommt mir das bekannt vor! Ich komm’ bloß nich drauf woher!

Chris Wielo / 19.04.2016

Ich finde das Verhalten von Frau Merkel recht geschickt. Sie gibt dem Wunsch Erdogans nach, da sie ihn nicht vor den Kopf stoßen möchte wegen des Flüchtlingsdeals. Andererseits ist das Kind schon tot geboren durch die Ankündigung der Abschaffung des besagten Paragraphen.   Eigentlich ein Meisterstück.

Gerhard Weber / 19.04.2016

Soll also der Paragraph zur Majestätsbeleidigung erhalten bleiben? Manche Leute scheinen nur an Merkel rumnörgeln zu wollen, egal was sie tut. Sie hat jedenfalls einen Weg gefunden, ein überflüssiges Gesetz zu kippen und klarzustellen, dass “der Fall Böhmermann” politisch irrelevant ist.

Frank Robenek / 19.04.2016

Da ist es wieder : die Sozialisierung klebt einem bis an das Lebensende an den Hacken.

Frank Hill / 19.04.2016

§103 sagt wortwörtlich: “Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt,(...)” Herr Erdogan befand sich zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Beleidigung nicht nur nicht “in amtlicher Eigenschaft”, sondern überhaupt nicht auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das wirft sofort die Frage nach der Anwendbarkeit dieses §§ auf den “Fall Böhmermann” auf. Natürlich auch die Frage, wie weit der Wortlaut dieses §§ unserer Frau Bundeskanzler (oder ihrem Stichwortzettelschreiber) bewusst war.

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