Thomas Rietzschel / 01.05.2020 / 13:00 / 13 / Seite ausdrucken

Der Fall Badawi: Die Regierung spielt Blinde Kuh

Erinnern Sie sich? 2012 wurde der saudische Blogger Raif Badawi wegen „Beleidigung des Islam“ festgenommen und ein Jahr später zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt. Die freie und zivilisierte Welt kümmerte das wenig. Die deutsche Bundesregierung hüllte sich in diplomatisches Schweigen, während die US-amerikanische Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) immerhin „äußerst besorgt“ reagierte. Das Herrscherhaus am Golf scherte das einen feuchten Kehricht. Im Januar 2015 erhielt der Verurteilte fünfzig Schläge auf den nackten Rücken, die erste Rate seiner „Strafe“. Halbtot überstand er das öffentliche Spektakel. 

Danach überreichte Sigmar Gabriel, damals noch Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister, bei einem offiziellen Besuch in Riad nebenbei ein Gnadengesuch der Frau des Opfers. Der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier bat seinen saudischen Kollegen höflich um eine „menschliche Lösung“ des Falles. Mehr war nicht drin. Die Waffengeschäfte liefen wie geschmiert. 

Schon für den Oktober 2016 wurde die nächste Tortur angesetzt. Dass sie nicht vollzogen wurde, änderte nichts daran, dass Badawi fürchten musste, irgendwann wieder festgeschnallt und gefoltert zu werden. 950 Hiebe standen noch aus, bis das Königshaus vor wenigen Tagen neben der Todesstrafe für Minderjährige auch das Auspeitschen im öffentlichen Raum abschaffte. Die Schläge sollen zukünftig auf Gefängnisjahre umgerechnet werden, was für Badawi bedeutet: Wenn seine Haftzeit in vier Jahren endet, muss er womöglich mit einem Zuschlag rechnen. 

Und was macht Heiko Maas?

Dennoch ist die Gesetzesänderung ein Zeichen, das Hoffnung macht. Erstens schwebt der Blogger nicht länger in Todesgefahr. Und zweitens besteht Anlass zu der Vermutung, dass die Saudis zaghaft zum Sprung vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert ansetzen könnten, von der Barbarei in die Zivilisation.

Was jetzt noch fehlt, ist eine Reaktion unseres außenpolitischen Adabeis Heiko Maas, etwa ein Interview, in dem er wissen lässt, die humane Geste der Araber verdanke sich nicht zuletzt seiner stillen Diplomatie auf privaten Kanälen. Entsprechende Andeutungen soll seine Genossin, die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli, hinter vorgehaltener Hand gemacht haben. Klingeln gehört zum Handwerk, ist aber noch längst nicht alles, nichts, worauf man sich verlassen könnte.

Feder für die Pressefreiheit

Vom Deutschen Journalistenverband Hessen bekam ich eben einen Brief, in dem es heißt: „Auch wenn gerade aus Saudi-Arabien gemeldet wird, dass das Ausmaß der Bestrafung von Gefangen gelockert und etwa auf Auspeitschungen verzichtet werden soll“, werden dort „Menschen aufgrund ihrer politischen Überzeugungen weiterhin zu langjährigen Haftstrafen verurteilt“. Deshalb sei es höchste Zeit, sich auch in Deutschland ganz offiziell und politisch lautstark für die Freilassung von Raif Badawi einzusetzen. 

Während die Bundesregierung fortgesetzt Blinde Kuh spielt, hat sich der Verband entschlossen, Aufmerksamkeit zu erregen, in dem er dem Blogger im Knast zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai seine Auszeichnung „Feder für die Pressefreiheit“ verleiht. Ein Signal, das die Politiker aufschrecken sollte, falls ihnen die Meinungsfreiheit noch so am Herzen liegt, wie sie uns gerade dieser Tage vollmundig versprechen. Andernfalls würden sie dem Verdacht Vorschub leisten, sich mit der Fixierung auf Corona auch in diesem Fall aus der peinlichen Affäre ziehen zu wollen. 

Dem vorgebaut zu haben, ist das Verdienst des DJV. Auch wenn die Saudis Badawi nicht umgehend auf freien Fuß setzen werden, sorgt die Preisverleihung doch dafür, dass das humanitäre Versagen der Bundesregierung nicht völlig vom Gras des Vergessens überwuchert wird. Dafür gebührt dem Verband Dank, egal wie oft man mit ihm hadern mag. 

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Leserpost

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Claudius Pappe / 01.05.2020

Frau Lotus, das haben sie auf den Punkt gebracht. Wir kümmern uns lieber um alle außerhalb Deutschlands……..Oder man kommt in das Irrenhaus und muss sich dann bei der Polizei entschuldigen……..

Andreas Stueve / 01.05.2020

Mein Gott, lieber Herr Rietzschel, eben habe ich Sie mit dem falschen Namen angesprochen. Ich schiebe das mal auf den reichlich genossenen Gerstensaft zu Ehren des Internationalsozialistischen Arbeiterkampftages. Hicks und ‘Tschuldigung.

Andreas Stueve / 01.05.2020

DJV und Presse/ Meinungsfreiheit? Lieber Herr Bonhorst, da habe ich noch ganz andere Töne im Ohr. Oder liegt’s am Wind? Selbst Herr Reichelt scheint seine BILD wieder an der Realität orientieren zu wollen. Und über den ” Ausserirdischen” im Aussenamt ist jedes Wort zuviel.

Bernhard Idler / 01.05.2020

Man mag dem “Deutschen Journalistenverband” zugutehalten, daß er den Gefangenen in Saudi Arabien nicht vergißt. Doch der Satz mit den “politischen Überzeugungen” ist wieder so eine politisch korrekte Journalisten-Verdrehung. Der Blogger sitzt nicht wegen seiner politischen Überzeugung, sondern ist Opfer einer brutalen, totalitären “Religion”. Das zu schreiben wäre aus Sicht des DJV vermutlich “islamophob”. Also ist der DJV ein Helfer und Apologet der Ideologie, die den Saudi eingekerkert und gepeitscht hat. Dasselbe gilt für fast alle deutsche Journalisten.

Sebastian Laubinger / 01.05.2020

Ins 21. Jhdt doch gleich? So mit Gleichberechtigung und allem? Dann kann man wohl nicht mehr den bösen Witz erzählen, “Was macht eine saudische Frau, die sich ein leeres Blatt Papier anschaut?—Sie liest sich ihre Rechte durch.” Wäre natürlich schön, wenn dort Frauen, Schwule, Lesben, LGTBXQZY (usw) nichts mehr zu befürchten hätten (von Juden und Christen mal ganz zu schweigen), aber das steht dem Islam diametral entgegen. Da müsste noch sehr viel mehr passieren, bis sich da was ändert. Das Schweigen unserer Bundesregierung wundert mich wiederum gar nicht. Dort sitzen Feiglinge, die zu gerne auf Israel einprügeln, weil sie von dort nichts zu befürchten haben.—

Karla Kuhn / 01.05.2020

“Der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier bat seinen saudischen Kollegen höflich um eine „menschliche Lösung“ des Falles. Mehr war nicht drin. Die Waffengeschäfte liefen wie geschmiert.”  Sie aber auch immer,  Herr Broder, mit ihrem seltsamen Humor ! Das ist doch das WICHTIGSTE, daß die Waffengeschäfte wie geschmiert laufen. WIE soll denn Merkel die vielen WELTRETTEREIEN sonst noch bezahlen ?? Die besten FACHKRÄFTE retten sich ins Ausland, viele der “Atomphysiker und Ärzte” tragen auch nicht so viel zum BIP bei, (manche gar nichts),  an Bodenschätze mangelt es in Deutschland und der KOHLE wird der GARAUS gemacht. Jetzt noch das Corona Desaster, da müssen die Waffen doch schnellstens an den Mann gebracht werden, und wenn es auch die größten Schurken sind ! Hauptsache die Kasse stimmt, denn Merkel hat ja aus “Solidarität”, ein sehr beliebtes Wort im Unrechtsstaat DDR, um den Menschen in die Taschen zu greifen, angekündigt, daß Deutschland die geschundenen Corona Länder unterstützen will. KLAR es ist ja nicht ihr EIGENES GELD,  das Geld der STEUERZAHLER läßt sich doch gerne als “Wohltat” verkaufen. Peter Michel, SUPER !!  Maas und Chebli, ich lach mich schief, Heiko Engel, köstlich !!  “Ein Signal, das die Politiker aufschrecken sollte, “..... AUFSCHRECKEN ?? Herrlicher Witz ! Sind viele nicht bereits derart hartgesotten und es interessiert sie nicht ?  Sonst hätten sie alle zusammen, an der Spitze MERKEL, GABRIEL; STEINMEIER,  MAAS u.v.a. ALLE Hebel in Bewegung gesetzt für die die Freilassung von Herrn Badawi ! Der BESTE Hebel wäre KEIN Waffengeschäft !!  Ich bin dafür, daß die SAUDIS ALLE MIGRANTEN, die sich in Griechenland befinden uneingeschränkt aufnehmen medizinisch behandeln, sie mit Wohnungen und Nahrung solange versorgen, bis sie in ihr eigenes Land zurück können. Die SAUDIS sind MULTI -MILLIARDÄRE, es wäre ihre PFLICHT ihre Glaubensbrüder aufzunehmen !!

Peter Michel / 01.05.2020

„ zweitens besteht Anlass zu der Vermutung, dass die Saudis zaghaft zum Sprung vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert ansetzen “. Ist heute Satiretag? Es wird doch wohl eher so sein, dass Deutschland sich ins 18/19 Jh. beamt.

Heiko Engel / 01.05.2020

Nur erscheint es sinnhafter mittelfristig über eine Verurteilung und Inhaftierung von Maas und Chebli zu diskutieren. Das sollte als Zeichensetzung ausreichen. Gründe lassen sich sicher ausreichend finden.

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