Cora Stephan / 29.10.2019 / 06:10 / Foto: Gazamp / 72 / Seite ausdrucken

Der ewig wabernde Wahnsinn

Robert Harris‘ neues Buch „Der zweite Schlaf“ liest sich zunächst wie einer der üblichen Mittelalterromane aus England. Die Geschichte spielt im Jahre des Herrn 1468, das Wetter ist mies, die Wege sind matschig und die Einheimischen irgendwie verschlagen. Die Kirche hält das Land fest in ihrem Griff, schreibt vor, was man sagen und denken darf. Wissensdurst ist gefährlich, weshalb Bücher auf dem Index stehen. Das erinnert an den „Namen der Rose“, natürlich, und ist ganz nach Geschmack von uns Autoren, denen am Kampf ums Buch liegen muss.

Und so entdeckt der junge Priester Christopher Fairfax in der Bibliothek des gewaltsam ums Leben gekommenen Pfarrers des Örtchens Addicott St. George neben geheimnisvollen Artefakten einen Schatz von Aufzeichnungen, die der alte Mann gesammelt hat. Unter den Artefakten befindet sich auch ein dünnes, handtellergroßes, glänzendes Rechteck, auf dessen Rücken das ultimative Symbol von Hybris und Blasphemie zu sehen ist: ein angebissener Apfel.

Der Roman spielt also nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft, Jahrhunderte nach dem großen Kladderadatsch. Wie und warum es zum Ende der alten Zivilisation gekommen ist, ist niemandem bekannt, doch in den Aufzeichnungen aus der Bibliothek entdeckt der junge Priester einen Text, der diverse Untergangsszenarien nennt: Klimawandel, an erster Stelle. Es folgen: Atomarer Schlagabtausch, ein gigantischer Vulkanausbruch, der Aufprall eines Asteroiden, eine umfassende Störung der digitalen Technologie aufgrund von Hackerangriffen, von unkontrollierbaren Viren oder von Sonnenaktivität. Die letzte Möglichkeit, die in der hinterlassenen Botschaft eines früheren Nobelpreisträgers genannt wird: eine Pandemie aufgrund von Antibiotikaresistenz. Wir haben die Wahl.

Woran die Welt der Alten dann wirklich untergegangen ist, enthüllt der Roman nicht. Doch viele Rezensenten von Robert Harris‘ Bestseller wissen, was der entscheidende Faktor dafür war: „unsere Gier, unser Ehrgeiz, unsere Arroganz. Wir sind alle verantwortlich“ (Guardian). Harris‘ Buch sei ein Warnruf – auch, wenn es den Brexit oder Trump nicht direkt thematisiere. Erfreulicherweise ist Harris Schriftsteller genug, um seine Leser nicht mit Offensichtlichem zu langweilen, doch er würde der Interpretation, es handele sich um einen „brandaktuellen Thriller“ (Zeit) sicher zustimmen.

Und ja, brandaktuell ist das schon und spannend obendrein. Denn das Buch erzählt vor allem von dem auf welche Katastrophe auch immer folgenden religiösen Wahn, der alles ächtet, was die Menschheit gelernt und vermocht hat. Die Herrschaft der Kirche ist getragen und durchdrungen von Technik- und Wissenschaftsfeindlichkeit, alle, die sich auf die Suche nach Spuren der Vergangenheit machen, sind geächtet.

Hat das mit dem Brexit oder mit Donald Trump zu tun? Oder trifft das nicht eher auf jene Gruppen zu, die als religiöse Erweckungsbewegung durch die Lande ziehen, „Haltet ein“ skandierend, und Kinder mit der Prophetie eines Weltuntergangs schon in wenigen Jahren auf den Tod erschrecken? Sehen die „Aktivisten“ von Extinction Rebellion nicht ein wenig aus wie fanatische Mönche und ihre Anhänger wie ekstatisch entfesselte Gläubige?

Auf die „Klimakatastrophe“ oder einen Meteoriteneinschlag müssen wir nicht warten, damit es wieder zurück ins Mittelalter geht. Darum bemühen sich ganz andere – nicht nur die FFF-Fans oder Extinction Rebellion. Wissenschafts- und Technikfeindlichkeit ist in Deutschland längst bei den politischen und medialen Eliten angelangt. Ganz ohne Naturkatastrophe geht Deutschland bereits jetzt dem nachindustriellen Zeitalter entgegen. Wenn man Robert Harris folgen mag: Leute, das wird ungemütlich.

Wahnsinn der Massen

Die passende Lektüre zu diesem Szenario bietet das neue Buch des britischen Schriftstellers Douglas Murray. „Wahnsinn der Massen“ zeichnet in erschreckender Detailfülle den Weg in den Abgrund der wahnhaften Unwissenheit nach, zur Begleitmusik von Hass und Rachsucht. In einer der besten Gesellschaften, die die Menschheit kennt, wächst die Unzufriedenheit proportional zu ihren Errungenschaften.

Murrays Auseinandersetzung mit der Schwulen- oder Schwarzenszene zeigt, wie wenig es im Kampf um „soziale Gerechtigkeit“ genau darum geht. Auch in der Frauenbewegung herrsche eine politische Agenda vor: Nicht Gleichberechtigung sei das Ziel, auch nicht Gleichheit, sondern Hegemonie. Und so behauptet jede Gruppe, als einzige das Gelbe vom Ei zu sein: Schwule sind die wahren Männer, Schwarze können keine Rassisten sein und Frauen sind die besseren Menschen. Murrays Frage, ob Schwule einfach nur normal und unangefeindet leben oder die Gesellschaft verändern wollen, gilt für all diese Bewegungen, in denen man sich als Opfer inszeniert und noch in Anerkennung und Zuwendung Aggression wittert.

Dabei agieren die selbsternannten Vertreter der „Opfer“ oder „Minderheiten“ selbst mit höchster Aggressivität und reproduzieren just das, was sie bekämpfen. Das wird von den Adressaten der Attacken – bevorzugt weiße Männer – gern freundlich beschwiegen, als ob es sich um Kinder handelte, die schon mal ein bisschen überziehen. Aber „Weiße sind Schweine“ oder „Männer sind Abfall“ sind auf die Dauer keine Aussagen, die ein friedvolles Zusammenleben befördern. Auch nicht die triumphierende Freude schwarzer Frauen, im Urlaub mal keine Weißen sehen zu müssen. Vor allem ist bemerkenswert, dass diese kämpferischen Posituren just in dem Moment eingenommen werden, in dem man davon ausgehen kann, dass die wichtigsten Schlachten geschlagen sind und alle gemeinsam die Früchte ernten könnten.

Warum beharren Frauen auf ihrer auch sprachlichen „Sichtbarkeit“ mit Sternchen und anderem Pipapo, wo sie längst nur schwer noch zu übersehen sind? Gibt es nur toxische Männlichkeit oder auch toxische Weiblichkeit? Darf ein schwuler Mann vom Schwulsein exkommuniziert werden, nur, weil er Trump mag? Warum verdrängen amerikanische Eliteuniversitäten in ihrem Bemühen um „Diversität“ die begabtesten aller Anwärter, nämlich asiatische Studenten? Und warum zeigt Google, wenn man auf die Suche nach weißen Paaren geht, vor allem Links zu schwarz-weißen Paaren? (Hier ein Beispiel) Sollen wir erzogen werden? Etwa zur Überzeugung, dass mindestens 50 Prozent aller Menschen schwarz oder schwul sind?

Fakten? Ich brauche keine Fakten

Es gibt im Kosmos dieser ideologischen Bewegungen weder Wahrheit noch Fakten. Erschreckend ist das Buch insgesamt, aber besonders unerfreulich ist das Kapitel über die Meinungsfreiheit an amerikanischen Universitäten. Wer es aushält, sollte sich das in den Fußnoten verlinkte Videomaterial dazu ansehen. Offener Streit und faire Auseinandersetzung zwischen Studenten und Professoren ist nicht möglich, die Studenten verweigern das Gespräch mit Beschimpfungen und Unterstellungen, insbesondere mit dem Vorwurf, der (weiße) Professor könne gar nicht wissen, was er (der schwarze) Student fühle. Den Höhepunkt der Szenen aus dem Kosmos der Wissenschaft bietet der Ausruf eines Studenten: „Don’t tell me about facts. I don’t need no facts.“ Der Begriff der Objektivität oder gar der „Wahrheit“ sei lediglich ein Mittel, um unterdrückte Menschen zum Schweigen zu bringen. Die Wahrheit sei überhaupt nur ein Konstrukt des europäischen Westens.

Das, darauf verweist Murray Douglas, haben die Studenten sich nicht selbst ausgedacht. Es wurde ihnen beigebracht.

Einzelfälle? Vielleicht. Doch aggressive Minderheiten mit starken Überzeugungen können, wie es Nassim Nicholas Taleb („Das Risiko und sein Preis") beschreibt, extrem mächtig sein. Es braucht nur ein paar aggressive „Aktivisten“, und schon gibt die gutwillige Mehrheit nach. Auf diese Weise kann man Speisepläne verändern, Bücher verbieten und Leute auf eine Schwarze Liste setzen.

Die Welt als Wille und Vorstellung

In der Debatte um Transsexualität kulminiert die Vorstellung, dass Biologie und „Normalität“ nichts bedeuten und der eigene Wille und die eigene Vorstellung von sich selbst entscheidend sind.

Murray lässt keinen Zweifel daran, dass den wenigen Menschen, die tatsächlich weder eindeutig männlich noch weiblich sind, Respekt und Hilfe zuteil werden muss. Aber er wundert sich zu recht über die beinahe explosionsartige Vermehrung insbesondere von Männern, die sich plötzlich im falschen Körper wähnen. Eine blühende medizinische Industrie findet nichts dabei, auch bereits Kindern vor der Pubertät geschlechtsumwandelnde Maßnahmen angedeihen zu lassen. Dabei zeigen, ganz nebenbei, die Folgen der Hormonbehandlung überdeutlich, dass Männer und Frauen sich unterscheiden.

Das ist mindestens so absurd, wenn auch weit gefährlicher, als die Begeisterung einer Grundschullehrerin in der Schweiz für eine dritte Toilette, wohlgemerkt: in der Grundschule, also für Sechs- bis Zwölfjährige, denn die Schüler sollen sich „stolz mit dem dritten Geschlecht identifizieren“ dürfen.

Murrays Auseinandersetzung mit der Transsexualität ist weit differenzierter, als ich es hier zusammenfassen kann. Bezeichnenderweise sind es oft Feministinnen, die sich dagegen wehren, dass Männer einfach behaupten dürfen, Frauen zu sein und damit nicht nur Zugang zu Frauentoiletten bekommen, sondern sich auch, wie jüngst aus Großbritannien berichtet, als verurteilter Vergewaltiger in den Frauenknast verlegen lassen dürfen. Und während man der für ihre sämtliche Grenzen überschreitende Flapsigkeit bekannten July Burchill das Geständnis durchgehen ließ, am liebsten bei der Bombardierung Dresdens dabei gewesen zu sein, hat sie ihre Attacke auf „Schwänze in Frauenklamotten“ die Karriere beim „Observer“ gekostet. Was die eine oder andere womöglich am meisten schmerzt: die umgearbeiteten Männer lassen sich einen perfekten Frauenkörper zurechtschneidern, wie unsereins ihn eher selten hat und bestärken damit Geschlechterklischees.

Die Welt als Wille und Vorstellung: Es ist der Abschied von Kriterien wie Normalität, biologischen und anderen Fakten, von „Wahrheit“ und Wissenschaft; es ist die Rückkehr zu magischem Denken und Aberglauben, die Murray in diesem Panoptikum des Zeitgeistes entdeckt. Womöglich tritt der Rückfall ins Dunkle auf diese Weise ganz ohne äußere Einflüsse ein.

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Frank Volkmar / 29.10.2019

Speziell die Vorgänge an amerikanischen Universitäten sind ja schon seit Jahren bekannt (s.a. Evergreen College ), wenn man denn zum Beispiel die Diskussionen und Beiträge auf youtube verfolgt (gleiches gilt zum Beispiel exemplarisch für Jordan Peterson in Canada). Das was mich nur wundert ist, das in Deutschland hierzu medial in den mainstream Medien nahezu absolute “Funkstille” herrscht. Wenn man sich dort das ansieht, was auf youtube an öffentlichen Diskussionen zu allen aktuell relevanten Themen veröffentlicht wird, dann wird einem erst so richtig klar, das wir hier im Tal der Ahnungslosen gehalten werden. Zufall kann das nicht sein, denn schon in der Diskussion um Donald Trump bemerkt man, das hierzulande kein bestreben da ist. mit Fakten, also echten Hintergrundinformationen “den Bürger” umfassend zu informieren. Man bekommt hier nur Folklore geboten, mehr nicht.

Dr. Joachim Lucas / 29.10.2019

All das erinnert mich an Monty Python und “Das Leben des Brian”: Der Glaube an die heilige Sandale oder die Kürbisflasche, an die Austragung von Kindern in der Zigarrenkiste und das einer der Protagonisten des Films lieber eine Frau wäre. Damals gelacht über die Verrücktheiten, haben die Produzenten und auch ich wohl das Visionäre des Films nicht gesehen.

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