Die Zeitgenossen ignorierten und verschmähten Jakob Böhme. So ließ der Ortspfarrer Böhmes erste Schrift, „Die Morgenröte im Aufgang“ verbieten, und verhängte sogar ein Schreibverbot über ihn.
Migrations-Krise, Ukraine-Krieg, Wohlstands-Krise. Die letzten Jahre werden wohl nicht als Leuchttürme in die Geschichte eingehen. Denn: sie sind vor allem das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen, oder besser gesagt, politischer „Nicht-Entscheidungen“. Jakob Böhme (1575–1624), der von Hegel "erster deutscher Philosoph" genannt wurde, würde es noch schärfer formulieren: alle Ereignisse und Entwicklungen exemplifizieren die Macht des „Bösen“.
Dieses, und noch viel mehr, kann jeder in der nicht einmal 100 Seiten langen Schrift „Jakob Böhme. Verkünder eines modernen menschlichen Weltbildes“ nachlesen. Dort beschäftigen sich nämlich Thomas Brunner und Ralf Gleide mit Leben und Denken Böhmes. Für Laien verständlich, auf die wichtigsten Gedanken Böhmes konzentriert und spannend zu lesen.
Genauer gesagt, handelt es sich um jeweils zwei Vorträge, die beide 2008 im Rahmen der Ostertagung „Jakob Böhmes Werk und dessen verborgene geistige Tiefe der Ankündigung eines modernen menschlichen Weltbildes“ gehalten haben. Brunner mit „Jakob Böhme – ein Osterereignis des Geisteslebens“, Gleide mit „Das Wesen der menschlichen Freiheit im Leben und Werk Jakob Böhmes“. Während Brunner seinen Schwerpunkt auf Leben und Wirkung Böhmes setzt, konzentriert sich Gleide mehr mit den Gedanken Böhmes.
Seine Zeitgenossen ignorierten und verschmähten ihn
So weist Gleide auf das große Verdienst Böhmes hin: Empirie und Vernunft seien nicht alles. „Die Vernunft [ist] nicht das Ende unseres Vermögens, sondern [...] im individuellen Mensch [lebt] der schöpferische göttliche Funken“. Das wiederum impliziere, dass es drei Sphären gäbe: „zwei sich eröffnende Welten und eine gemeinsame Welt, in der sie sich durchdringen“. Ein Novum, ja eine gedankliche Revolution für die damalige Zeit. Später honorierte das auch der große Hegel, der sich von Böhme zu seiner Dreiheit inspirieren ließ („Sein-Nichts-Werden“), indem er Böhme als „ersten deutschen Philosophen“ titulierte.
Doch was offensichtlich Hegel und die Nachwelt erkennen konnten, blieb für Böhmes Zeitgenossen unsichtbar. Ja, sie ignorierten und verschmähten ihn. So ließ der Ortspfarrer Böhmes erste Schrift, „Die Morgenröte im Aufgang“ verbieten, und verhängte sogar ein Schreibverbot über ihn. Böhmes Haus wurde mit Steinen beworfen, und als sei das alles schon nicht genug, so wurde auch noch sein Grab geschändet.
Trotz allem blieb sich Böhme selbst treu. Auch gegen Konvention und Norm. Doch das ist fast immer der Preis (nicht immer in diesem Ausmaß!), den jeder zahlen muss, der letztlich frei und unabhängig sein möchte. Denn wie Gleide in seinem Vortrag festhält: „Man muss in die Innere Gebärung gelangen und das geht nicht ohne Schmerzen“. Wie genau sich diese Entwicklung äußert, veranschaulicht Gleide, indem er auf Böhmes sieben Antriebskräfte des Menschen und die sieben „ewigen Gestalten“ in der Welt eingeht.
Das „Böse“ schlummert in jedem und allem
Kurz gesagt: nur wenn der Mensch in der Lage sei seinen eigenen, beschränkten Egozentrismus zu akzeptieren und zu überwinden, nur dann könne er „gut“ handeln. Weil der Mensch dann wisse, dass er in einen größeren Zusammenhang eingebettet sei. Weil der Mensch dann, grob gesagt, nach der Formel lebe: „Ich gleich Welt“ und „Welt gleich Ich“. Ein Beispiel: Ein Mann liebt seine Frau. Der Egozentriker „liebt“ sie, weil sie ihn zum Beispiel bewundert oder er sie als Statussymbol für sein „Image“ betrachtet (Egozentrismus). Der „reife“ Mann liebt seine Frau, weil sie „ist“ und er gleichzeitig auch sie „ist“. Das bedeutet auch: Ist sie glücklich, ist es sein „Ego“ auch („Ego“ gleich Frau).
Neben diesem Grundgedanken Böhmes schneidet Gleide noch Themen, wie das „Böse“ und die Freiheit an. Das „Böse“ schlummere dabei in jedem und allem. Die Oberhand gewinne es erst, sobald es aus dem Gesamtzusammenhang trete und sich in Dinge einmische, die nicht seiner Natur entsprächen. Daher sei es auch selbstzerstörerisch. Frei hingegen könne der Mensch nur werden, wenn er seinen eigenen Weg gehe - sei es auch gegen Gesellschaft, Konvention und Familie. Denn nur dann könne er sich entwickeln und neugeboren werden. Letztlich sei es ein schmerzlicher, dafür aber ein notwendiger Prozess, um frei zu werden. Und: er ist so notwendig, wie „Jakob Böhme“ zu lesen.
Denn Brunner und Gleide präsentieren eine rundum gelungene Lektüre. Auf den Punkt gebracht, verständlich und, trotz der nicht so einfachen Materie, simpel formuliert. „Jakob Böhme“ empfiehlt sich daher für jeden, der sein Böhm`sches Wissen auffrischen möchte. Umso mehr ist es eine Pflichtlektüre für denjenigen, der noch nicht so vertraut mit Böhmes Gedanken ist. Vielleicht initiiert die Lektüre, bei ein oder dem anderem, den „Feuerblitz“ zur „inneren Neugeburt“ und daher auch zum „Guten“. Es wäre jedenfalls ein wichtiger Schritt. Vor allem in diesen heutigen Zeiten.
Brunner, Thomas/ Gleide, Ralf (2024). „Jakob Böhme. Verkünder eines modernen menschlichen Weltbildes“. Berlin: Edition Immanente.
Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, Kind politischer Dissidenten aus Polen, interessierte sich zunächst für Philosophie und Soziologie, dann für Kunst und Literatur und studierte Psychologie. Später lehrte sie an verschiedenen Hochschulen und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem schreibt sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und bespricht Bücher.
Die in diesem Text enthaltenen Links zu Bezugsquellen für Bücher sind teilweise sogenannte Affiliate-Links. Das bedeutet: Sollten Sie über einen solchen Link ein Buch kaufen, erhält Achgut.com eine kleine Provision. Damit unterstützen Sie Achgut.com. Unsere Berichterstattung beeinflusst das nicht.