Jörg Schneidereit, Gastautor / 16.09.2024 / 16:00 / Foto: Imago / 36 / Seite ausdrucken

Der Erfolg von „Polaris Dawn“

Die Menschheit zeigt leider ihre traurige Unfähigkeit, sich anno 2024 noch für Fortschritt zu begeistern – trotz Elon Musks Genialität.

Vier Menschen im Hochvakuum des freien Weltraums, 730 Kilometer über der Erde. Kein schützendes Schiff, kein trennendes Glasfenster, keine Luftschleuse. Nur eine weit offene Luke – mit dem Blick in die Unendlichkeit und hinab auf unsere kleine, blaue, fragile Heimat. Als Jared Isaacman auf der kleinen Leiter außerhalb der zum All geöffneten Crew Dragon Kapsel steht und seine Arme in das kalte, lebensfeindliche Nichts ausstreckt, ruft er in sein Helmmikrofon: „Hello World – from Dragon!“ – und tausende Mitarbeiter von SpaceX, die von hier unten mit hochgefahrenem Puls diese Bilder live verfolgen, schicken einen Jubelschrei gen Orbit. Dieser Mann außerhalb der Luke, im Hintergrund die Wölbung der Erde – das ist ein Anblick, der mich unwillkürlich an den Film „The Martian“ erinnert, an Mark Watneys Blick aus der entkernten, rotierenden Kapsel im Mars-Orbit, hinaus ins Weltall. Spontane Gedanken, hier unter dem blauen Septemberhimmel, während die Vier dort oben sind, ich den Livestream verfolge und bereits die ersten Zeilen dazu tippe.

Ein perfekter Start am 10. September 2024. Die erste Stufe der Falcon 9 trennt sich problemfrei von der Oberstufe und fällt zurück zur Erde. Wer erneut die bilderbuchhafte Landung der wiederverwendbaren Falcon 9 Erststufe auf einer schwimmenden Plattform sah, der ist, allein aufgrund der makellosen Schönheit, mit der dies geradezu nonchalant vonstatten geht, fast schon gezwungen, zu begreifen, dass hier längst die Zukunft der Raumfahrt in vollem Gange ist. Erst vor gerade einmal acht Jahren gelang dieser noch vor zwei Jahrzehnten gänzlich für unmöglich gehaltene Akt erstmalig überhaupt. In den vergangenen 12 Jahren starteten bereits knapp 300 Falcon-Raketen zu erfolgreichen Flügen. Die gegenwärtige „Polaris Dawn“ Mission ist bereits der dritte Flug der wiederverwendbaren Crew Dragon Kapsel „Resilience“ – und dies sind nur drei von bereits 46 Flügen einer Dragon-Kapsel.

Ein genialer, verhasster Musk hat es wieder allen gezeigt

Während der über 100 Jahre alte Großkonzern Boeing mit seinem defekten „Starliner“ gerade erschreckend scheitert, erweist sich Elon Musks „Dragon“ nach nur sechs Jahren (Ersteinsatz der Dragon im August 2018) neben den russischen, inzwischen allerdings fast 60 Jahre alten „Sojus“ Kapseln als das zuverlässigste Zubringerschiff zur Raumstation ISS. Nun stecken vier Astronauten in einer geöffneten Raumkapsel in ihren vollständig neu entwickelten Raumanzügen – die damit für sie während dieser knapp zwei Stunden Vakuum im genauesten Sinn des Wortes vier separate Raumschiffe darstellen.

Die vier Privatpersonen – von abwertenden Zungen gern als „Weltraumtouristen“ bezeichnet – sind jedoch weit mehr als das: Neben Jared Isaacman, einem 41-jährigen, erfolgreichen US-Unternehmer, Kampfpilot und Wissenschaftsenthusiasten (der mit einem unbekannt hohen Teil seines geschätzten Vermögens von 1,8 Milliarden US-Dollar diese Polaris Dawn Mission finanziert hat) sind der pensionierte Air-Force-Colonel Scott Poteet sowie die SpaceX-Ingenieurinnen Anna Menon und Sarah Gillis mit im Team. Vielseitige Forschungsexperimente stehen auf dem Programm, etwa Tests des von Musk initiierten Satellitennetzwerks „Starlink“ als auch Auswirkungen der Strahlenbelastung auf Mensch und Technik innerhalb des Van-Allen-Gürtels. Dieser magnetosphärische Schutzschild aus hochenergetischen Protonen und Elektronen verhindert, dass der Hauptteil der lebensfeindlichen Teilchenstrahlung der Sonne die Erdoberfläche und damit organisches Leben erreicht. Er ist damit quasi unsere „Firewall“ zum Kosmos – der wir übrigens auch die Schönheit der Polarlichter verdanken.

So weit wie seit 52 Jahren nicht mehr

Der aktuelle Flug führt erstmalig seit dem Ende der Apollo-Ära im Jahr 1972 wieder in die Region dieses Gürtels. Im Apogäum einer elliptischen Bahn erreicht Dragon zeitweise eine Höhe von 1.400 Kilometern, was weit mehr als der dreifachen Flughöhe der Internationalen Raumstation ISS entspricht, sowie der doppelten Höhe, die ein Space Shuttle in 30 Jahren je erreichte.

Ebenfalls Fakt ist: Seit der letzten Mondlandung vor 52 Jahren war kein Mensch weiter von der Erde entfernt als die vier Astronauten auf dieser Reise. Anekdotisch wäre hierbei noch zu erwähnen, dass Sarah Gillis und Anna Menon die in der gesamten Menschheitsgeschichte am weitesten von der Erde entfernt reisenden Frauen sind.

Hier oben, weit außerhalb des geschützten, irdischen Nests, gilt es mittels Experimenten sicherzustellen, dass für zukünftige Flüge zu Mond und Mars ein hohes Maß an Strahlensicherheit für Mensch und Technik gewährleistet werden kann. „Wenn wir es eines Tages zum Mars schaffen, dann würden wir gerne zurückkommen und gesund genug sein, um den Menschen davon zu erzählen“, sagte Isaacman während eines Interviews, als es um die Gefahren der Strahlung im und jenseits des Van-Allen-Gürtels ging.

Eine Mission der Rekorde – und kaum jemand weiß davon

Als wichtigstes Missionsziel steht jedoch die Erprobung der neu entwickelten Raumanzüge auf der Agenda. Nicht nur in ihrer grazilen, futuristischen Eleganz, sondern vor allem aufgrund ihrer nie vorher dagewesenen Beweglichkeit und Flexibilität stellen diese High-Tech-Cocons ein völliges Novum dar. Sehr bald schon sollen sie die ersten Menschen auf der Oberfläche des Mondes und des Mars beschützen und am Leben erhalten. Wie sich ein Raumanzug bewährt, kann – trotz tausender Tests unter irdischen Laborbedingungen – abschließend nur während einer EVA, einer Extravehicular Activity, also einem Außenbordeinsatz, verlässlich ermittelt werden. Bisher haben in 60 Jahren mehr als 260 Raumfahrer diese EVA-Erfahrung gemacht.

Am 12. September 2024 befanden sich erstmals überhaupt vier Menschen gleichzeitig – nur von ihren Raumanzügen geschützt – im Vakuum des Weltalls. Zudem darf angemerkt werden, dass sich mit den vier Neuankömmlingen gegenwärtig insgesamt 19 Personen unseres Planeten in dessen Orbit befinden – mehr als jemals zuvor in der Raumfahrtgeschichte. Es ist eine Mission der Rekorde – und kaum jemand weiß davon. Elon Musks Ziel war es, Raumfahrttechnik wiederverwendbar – und damit bezahlbar, effizient und serienreif zu machen. Noch vor 20 Jahren wurde er dafür verlacht und als „Spinner“ geschmäht. Doch er hat das erreicht, was alle in der Branche für unmöglich hielten. Und er hat es mit einem privaten Unternehmen und fast gänzlich ohne die Hilfe der NASA oder der Regierung geschafft. Heute stellt er mit SpaceX und dessen innovativer und hoch zuverlässiger Weltraumtechnologie selbst Führungsnationen und deren steuerfinanzierte, immens teure Raumfahrtprogramme in den Schatten.

Erst vor wenigen Tagen gab Musk bekannt, dass in zwei Jahren der erste unbemannte Testflug zum Mars starten wird – mit dem „Starship“, der mit Abstand leistungsfähigsten Rakete aller Zeiten. Der erste bemannte Flug zum Mars soll in vier Jahren folgen, so Musk. Allen hysterisch lästernden Lach-Smiley-Kommentatoren in den Kommentarspalten der einschlägigen Social Media empfehle ich an dieser Stelle, falls verpasst, sich das Videomaterial der aktuellen Polaris Dawn Mission einzuverleiben. Wer danach noch immer nicht weiß, wie man Ambition, Erfolg und Zukunft buchstabiert, darf sich gern wieder auf seine Flacherde setzen und weiter Chemtrails zählen.

Prioritäten, Relevanz und Niveau

Apropos: Wie weit das allgemeine Bildungsniveau als auch die Fähigkeit, wissenschaftliche Sachverhalte nur in Ansätzen zu verstehen, in den letzten Jahrzehnten flächendeckend abhanden gekommen sind, wird anhand 80 Prozent der komplett sinnfreien Kommentare während des Live Feeds des obigen Ereignisses auf der Wissenschaftsplattform Space.com deutlich:

„Alles Hollywood-Fake!“; „Es gibt keinen Weltraum!“; „Lest die Bibel, da steht, die Erde ist flach!“; „Das ist alles Lüge!“; „Im Studio gedreht!“; „Alles schwarz – wo sind die Sterne?! Haha!“; „Glaubt an Jesus, nicht diesen Lügnern!“; „Niemand war je im Weltraum!“; „Raumschiff Enterprise sieht echter aus!“; „Musk ist Satanist – begreift das endlich!“; „Gähn… jeder Film ist besser.“; etc. Das ging über Stunden so. Ich weiß nicht, wie und wann aus schlichter Einfalt Verdummung und aus Verdummung schließlich geistige Umnachtung wurde. Es ist jedoch passiert. Eine einst prosperierende Welt wird zu einer Welt der geistig Verzwergten, ohne Befähigung zu Logik und Verstand. Verloren in esoterischer Fantasie aus infantilen Ammenmärchen und Verschwörungstheorien als Realitätsersatz. Stadium: pathologisch.

Während in 700 km Höhe über ihren Köpfen ein weiterer Meilenstein der modernen Raumfahrt gesetzt wurde, posten wieder andere, in völliger Unkenntnis dieses signifikanten Ereignisses, lieber den altbekannten Verschwörungsmüll zum 9/11 Terroranschlag vor 23 Jahren oder die neuesten „Chemtrail“-Bildchen aus ihrem Vorgarten. Im Staatsfunk ist es eine Meldung wert, wenn das Pop-Trällerpüppchen Schneider Flott die Plapperpuppe Harris wählt. Das Genie Musk wird dagegen zum Schmuddel-Faschisten, weil er Mr. Trump für die deutlich klügere Wahl hält. Swift: 283 Millionen Follower; SpaceX: 133 Millionen – weit weniger als die Hälfte. Die Astrophysiker und Professoren Neil deGrasse Tyson und Brian Cox sind, nach dem 1996 viel zu früh verstorbenen, brillanten Carl Sagan, gegenwärtig weltweit vermutlich die beeindruckendsten Koryphäen, um der Allgemeinheit die Faszination von Wissenschaft, Kosmos und Unendlichkeit medial zu vermitteln. Seien Sie ehrlich: Kennen Sie sie? Tyson hat 2 Millionen und Cox 230.000 Follower. Wenn etwas Bände spricht, dann das.

Wo ist unser Platz?

Als sich vor 500 Jahren die ersten zerbrechlichen Segelschiffe auf den Weg über den Ozean in die Neue Welt machten, standen die Leute winkend am Hafen. Die Menschheit brach zu neuen Ufern auf. Brechen wir heute zu neuen Gestaden auf, hier, von unserem irdischen Ufer des kosmischen Ozeans, dann sollte dies eigentlich etwas sein, sich daran mit Herz und Seele zu begeistern. Stattdessen wird diskreditiert, verächtlich gemacht, ins Lächerliche gezogen oder gar nicht berichtet. Und im sterbenden Deutschland der einstigen Erfinder, Visionäre und Raketenentwickler brechen derweil die Brücken ein.

In Christopher Nolans grandiosem cineastischen Schatz „Interstellar“ gibt es eine Dialogszene zwischen Cooper und Großvater Donald, auf der Veranda ihrer Farm: „Es ist, als hätten wir vergessen, wer wir sind: Forscher, Pioniere, nicht nur Verwalter. Früher haben wir in den Himmel gesehen und uns gefragt: Wo ist unser Platz zwischen den Sternen? Heute sehen wir nach unten und sorgen uns um unseren Platz im Dreck.“

Quo vadis, Welt des Westens. Ich habe keine Antwort darauf, aber ich wüsste sie gern.

Zuerst veröffentlicht auf der Facebookseite des Autors und auf ansage.org.

 

Jörg Schneidereitgeb. 1968 in Jena, ist seit rund 25 Jahren freiberuflich als Schmuckdesigner, Fotograf sowie Restaurator ehrwürdiger, historischer Gebäude in Irland und Deutschland tätig. Nach 15 Jahren auf der grünen Insel lebt er nun auf einem 600 Jahre alten, selbst restaurierten Hof nahe Jena.

Foto: Imago

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Julian Schneider / 16.09.2024

Als einer, der als Jugendlicher nachts aufgeblieben ist und die erste Mondlandung aufgeregt live verfolgt hat, freue ich mich natürlich über diesen Artikel. Leider sind wir von der Aufklärung derzeit so weit weg wie nie zuvor. Die Linksgrünen kennen keine Naturgesetze und lügen sich ihre eigene sozialistische Realität zurecht. Aber entsetzt musste ich feststellen, dass es auf der “rechten” Seite, z.B. in den AfD-Gruppen die ich kenne, keinen Deut besser ist. Von Chemtrail-Gläubigen über Flatearthler bis hin zu Leuten, die glauben, dass Erdöl unendlich vorhanden ist, habe ich alles gehört. Ich freue mich, dass Musk und Co. wirklich Forschung und Wissenschaft betreiben. Das gibt mir ein bisschen Hoffnung.

Wilfried Cremer / 16.09.2024

Lieber H@rr Johannes Schuster, das mit dem Jahr 0 stimmt, aber was das Jahr 1955 bedeutet, dürfen Sie mir erklären.

finn waidjuk / 16.09.2024

Dieser Artikel ist der Beweis! Es gibt tatsächlich intelligentes Leben. Selbst auf der Achse.

Roland Völlmer / 16.09.2024

Technikbegeisterung kommt nur wenn die Technik Probleme löst. Es entsteht aber der Eindruck des Gegenteils. Es scheint bei den Grünen so zu sein, dass man meint, wenn man alles ohne Technik, also natürlich lässt, dann ist alles gut. Ist aber nicht so. Dann werden hier keine 80 Millionen Menschen satt, wir verhungern, frieren und sterben an banalen Krankheiten wie Tetanus. Und da ist das Problem: Die letzte Generation kennt keinen Hunger. Also ist Technik für sie überflüssig. Not macht erfinderisch. Nicht Überfluss.

sybille eden / 16.09.2024

Herr SCHNEIDEREIT, - lesen sie AYN RAND, dann wissen sie es !

Wolfgang Richter / 16.09.2024

@ Thomas Szabo - “Donald Musk & Elon Trump for President!” - Wir sollten uns erst mal um unseren “Scheiß” kümmern - Wie wärs mit Prof. Dr. Stefan Homburg als Präsident. Immerhin hat er ein souveränes Auftreten und vorallem Ahnung von Zahlen und Verwaltungsvorgängen. Eine Ablösung des hiesigen Dilettantenstadls, angefangen an der Spitze.

Rainer Mrochen / 16.09.2024

Niemals zu vergessen Prof. Eugen Sänger. Seine These: “...das die Entwicklung der Luftfahrt zur Raumfahrt den Gesamtfortschritt der menschlichen Gesellschaft stärker beeinflussen wird, als selbst die Entdeckung Amerikas vor vierhundertfünfzig Jahren- (1963)- und der Anbruch des Maschinenzeitalters vor einhundertfünfzig Jahren -(1963)-. ” So geschrieben in seinem genialen Werk “Raumfahrt -Heute, Morgen, Übermorgen-” Wo sind die Visionäre Deutschlands geblieben?

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