Nicht wenige Hochbetagte glauben, dass die Welt demnächst untergeht. Ebenso Teenager, bei denen die von den Medien täglich zitierten „Weltuntergangsexperten" mehr Schaden angerichtet haben als vermutet.
„Die (russische) Invasion könnte den Beginn eines Dritten Weltkriegs darstellen, den unsere Zivilisation nicht überlebt“, orakelte Investorenlegende George Soros, 91, beim diesjährigen World Economic Forum in Davos und warnte vor dem Missbrauch digitaler Technologien und der Bedrohung offener Gesellschaften, „unsere Zivilisation droht unterzugehen.“ Diverse Medien titelten: „Soros warnt vor Weltuntergang“.
Nicht wenige Hochbetagte glauben, dass die Welt demnächst untergeht. Aber sie sind es, die demnächst untergehen. Sie haben den Glauben an eine Zukunft verloren, weil sie selber keine mehr haben. Das ist durchaus verständlich, wenn man den fortschreitenden Abbau von Gehör, Sehkraft, Motorik und kognitiven Fähigkeiten realisiert und die meisten Illusionen bereits verloren hat. „Das Alter ist nichts für Schwächlinge“, scherzte Woody Allen. Alterspessimismus und -depressionen sind nicht ungewöhnlich, aber auch kein Trost für die Betroffenen. Im Angesicht des nahenden Lebensendes erleichtert man sich den ungewollten Abschied, indem man schlechtredet, was man verlieren wird. Es fällt leichter, eine Welt zu verlassen, die angeblich dem Untergang geweiht ist. Der Lebensabend verdunkelt manche Wahrnehmung.
Vor rund 71.000 Jahren soll der gewaltige Ausbruch des Vulkans Toba (Sumatra) die Population des Homo Sapiens auf wenige tausend Menschen reduziert haben. Trotz Kriegen, Seuchen und Hungersnöten bevölkerten gemäß UNO zu Beginn unserer Zeitrechnung bereits wieder 310 Millionen den Planeten. Pest, Pocken, Hitze- und Dürreperioden, häufige Missernten und jahrelange Kriege bremsten im Spätmittelalter das Bevölkerungswachstum erneut. Apokalyptiker und Propheten sahen das Ende der Zivilisation. Schließlich führten Industrialisierung, medizinische Fortschritte und bessere Ernährung im 18. Jahrhundert zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion.
38-mal sagte DER SPIEGEL den Weltuntergang voraus
Das Gefahrenpotenzial ist heute massiv höher und globaler, aber die Zivilisation endet weder in Gibraltar noch an der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Das Ende von etwas ist selten das Ende von allem, der Zeitgeist ein Chamäleon.
Nicht nur Hochbetagte verfallen manchmal dem von Soros geäußerten Pessimismus. Aus Primarschulen berichten Lehrerinnen und Lehrer, dass viele ihrer Schüler tatsächlich davon überzeugt sind, dass sie die „letzte Generation" sind, die letzte ihrer Art. Offenbar haben die von den Medien täglich zitierten „Weltuntergangsexperten" bei Teenagern mehr Schaden angerichtet als vermutet. Dass „Fridays For Future" mehrheitlich die eigene Klientel in Panik versetzt hat, ist nicht erstaunlich, können Jugendliche doch aufgrund der wenigen Lebensjahre, die sie bewusst erlebt haben, Gefahren der Gegenwart gar nicht richtig einschätzen.
Wer 1972 als Teenager eine Buchhandlung betrat, dem stockte der Atem. Auf allen Tischen türmte sich der Bestseller „Die Grenzen des Wachstums". Wann haben Sie zuletzt getankt? Wer damals 16 war, ist heute 66, und falls er ab 1981 das Hamburger Magazin „Der Spiegel" gelesen und aufbewahrt hat, findet er heute in seiner Sammlung 38 Cover-Storys, die mehr oder weniger das Ende der Welt voraussagen: „Wer rettet die Erde?“ (1989), „Vor uns die Sintflut“ (1995), „Achtung, Weltuntergang“ (2006), um nur einige zu nennen.
Zu viele Schocknachrichten stumpfen ab
Alles, was man zum ersten Mal erlebt, prägt sich ein wie ein Brandzeichen, egal, ob es das Sterben eines geliebten Menschen ist, der erste Sex oder die erste Reise in einen bisher unbekannten Kulturkreis. Das gilt auch für die erste Schocknachricht. Erwachsene hingegen reagieren mit der Zeit wie die Dorfbewohner in der antiken Fabel „Der Hirtenjunge und der Wolf“. Für den angekündigten Affenvirus haben deshalb viele nur noch ein müdes Lächeln übrig.
Um sich ein Bild von der Zukunft zu machen, sind Puzzleteile aus Gegenwart und Historie nicht ausreichend. 1899 behauptete Charles H. Duell, der Leiter des US-Patentamtes: „Alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden“. Fliegende Autos waren Phantasieprodukte von Science-Fiction-Autoren, aber zum Telefonieren suchten die Flügeltaxis immer noch die nächste Telefonzelle auf. Wer hätte gedacht, dass wir eines Tages per Videoschaltung mit den Verwandten in Australien telefonieren? Werden wir uns eines Tages dem Klima zuliebe von Vitaminpillen ernähren? Werden wir einen Planeten B und zahlreiche weitere feste Himmelskörper bewohnen?
Wie auch immer: In etwa 5 bis 7 Milliarden Jahren geht die Welt trotzdem unter. Wir werden Temperaturen um die 1.000 Grad haben. Aber bis dann werden wir gelebt haben.
Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog des Autors.
Claude Cueni (66) ist Autor historischer Romane, Drehbuchautor und Kolumnist. Er lebt in Basel. Ende August erscheint sein Thriller „Dirty Talking“. www.cueni.ch