Der Deutsche – Fortpflanzung, Herdenleben, Revierverhalten

Von Deborah Ryszka.

Mit „Der Deutsche“ ist Jens Jessen ein glänzender Essay über das Wesen des Deutschen gelungen. Hierbei verbindet er gekonnt Intellektuelles mit Unterhaltsamem.

In der heutigen Blütezeit zweitrangiger Schriftsteller und Journalisten gleicht es einem Glücksfall, ein intellektuell anspruchsvolleres Werk zu finden. Umso mehr freut es, wenn man einen solchen Glücksgriff landet, wie etwa mit dem neuen Essay von Jens Jessen.

Mit seinem glänzenden Essay „Der Deutsche – Fortpflanzung, Herdenleben, Revierverhalten“ entkräftet Jessen nicht nur die Mär über seine Altersgenossen, also vom „alten, weißen Mann“, wie in bestimmten Kreise gerne Männer älteren Jahrgangs despektierlich tituliert werden, sondern er sendet auch das Lebenszeichen einer Spezies, die viel zu selten öffentlich Gehör erhält. Die Rede ist vom Intellektuellen.

Daher verwundert es nicht, dass „Der Deutsche“ eine brillante Zeitdiagnose darstellt. Man meint, die Gesellschaftsdiagnose eines gestandenen Soziologen in Händen zu halten – abzüglich der drögen, gekünstelten und verrenkten Sprachakrobatik, die doch allzu oft mit der soziologischen Profession einhergeht. Der Essay erhält durch seine teilweise bissige und unterhaltsame Art eine intellektuelle Würze, die selten anzutreffen ist. Scharf in der Aussage, kultiviert in der Form.

Verehrung des Banalen

So beschönigt und bagatellisiert Jessen nichts. Sachlich und distanziert fällt er das Urteil über seine Landsleute, wiewohl er mit ihnen oft hart ins Gericht geht. Dabei bedient er sich alltäglicher Phänomene – von den modischen Sneakers über gewisse Spracheigenheiten bis hin zur starren Partnerwahl. Damit verdeutlicht er, wie stets die Natur und das Natürliche eine wichtige Rolle im Leben der Deutschen spielten und weiterhin spielen, welche Rolle die Heuchelei einnehme und dass das gelobte Ideal der Gleichheit nur scheinbar existiere.

Hierbei vernachlässigt er nicht die eigene Zunft – Schriftsteller und Journalisten, Kulturschaffende und Redakteure – wie auch Intellektuelle. Ganz klar beobachtet er dort einen „Proletenkult“, eine Adoration für das Banale, für das Obszöne, allgemeiner gesprochen: für das Anti-Intellektuelle. Das befördere die Nicht-Sichtbarmachung von Klassenunterschieden. Gleichzeitig akzeptieren jene das Mittel „Geld“ als einzigen Unterschied.

Welch ein Glück, dass es noch besonnene und nachdenkliche Autoren wie Jessen gibt. Sein Essay liest sich nicht nur intellektuell anregend, sondern auch intellektuell unterhaltsam, egal, ob man seinen Ausführungen zustimmt oder nicht. Jessen hebt sich eindeutig von der Masse ab. Er kann es sich auch leisten. Aber für jene, die mitlaufen müssen, weil sie weder intellektuell noch künstlerisch oder sonstwie brillieren, gilt wohl Jessens Schlusswort: „Nur der Reichtum des Landes verdeckt die Dummheit“.

Jens Jessen (2020) „Der Deutsche – Fortpflanzung, Herdenleben, Revierverhalten“. Springe: zu Klampen.

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Werner Arning / 21.10.2020

Es kommt darauf an, was man unter Dummheit versteht. Die Deutschen sind vielleicht eher Opfer ihrer selbst. Sie sind schlau, fleißig, ehrgeizig. Jedoch gleichzeitig in fast liebenswürdiger Weise naiv. „Die Deutschen“ sind gutmütig. Und in ihrer Gutmütigkeit gehen sie allen möglichen Verführern auf den Leim. Nach außen wirken sie hart und verschlossen, doch warten sie in Wirklichkeit sehnsüchtigst auf jemanden, der ihre „harte Schale“ aufweicht. Und dann können sie so etwas von weich sein…. Nein, die Deutschen sind nicht böse. Und sie sind nicht dumm. Sie sind verführbar. Jeder Gewiefte macht mit ihnen das, was er will. Das Intellektuelle passt nicht zu den Deutschen. Er (der Deutsche) ist eher bodenständig. Wenn er dazu steht, ist er ein herzensguter Mensch.

Hermine Mut / 21.10.2020

Und wie lange läuft Herr J.Jessen schon beim ZEITgeist mit ? (bzw. gibt dort auch den Ton an ?)

Gerhard Schmidt / 21.10.2020

Wenn es einen Prototyp des “schrecklichen deutschen Spießers” gibt, dann sieht er wohl exakt so aus wie der hier so hoch Gelobte! Und der von J.J. so wortreich zelebrierte Selbsthass eines Nazienkels (bin ich auch, aber das kommt hierzulande schon mal vor) ist so gar nicht meine Sache.

Rainer Nicolaisen / 21.10.2020

Wer so oft das Wort intellektuell - vor allem im letzten Absatz - verwendet, hats offensichtlich nötig. So seien mir Jessens wie Ryszkas Ergüsse fürderhin entbehrlich.

Horst Kruse / 21.10.2020

Über den hier beklatschten Autor hat sich Henryk M . Broder am 19 . 1. 2008 im ” Spiegel ” lesenswert geäußert ; Überschrift : “Bildungsbürger als Bla - Bla - Blockwarte “

giesemann gerhard / 21.10.2020

Ich dachte immer, nur Intelligenz führt zu Reichtum. Gut, Intelligenz schützt vor Dummheit/en nicht - zumindest nicht zuverlässig.

Hans-Peter Dollhopf / 21.10.2020

Herr Lindner, Sie schreiben: “Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der Deutsche hinsichtlich der natürlichen Kategorien Fortpflanzung, Herdenleben, Revierverhalten signifikant anders verhält als andere Primaten.” Schauen Sie mal in den Achgut-Artikel “Kulturelle Vielfalt in Europa: Eine Wertschätzung” von Frau Baumstark vom 7.7.19. Dort finden Sie ein einen kleinen Zeichentrickfilm verlinkt “I luoghi comuni di Italia e Germania - L’erba dei vicini del 09/11/2015”

Wolfgang Kaufmann / 21.10.2020

Klassischer Fall von Ochlokratie. Mit den 68ern hat es angefangen, dann wurden Lehrpläne vereinfacht, Eliteschulen geschlossen, Nationalitäten gleichgemacht, und mittlerweile herrscht die kiffende Klasse, die nicht mal mehr die elementarsten Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften hat. – Die alten Griechen hatten ihre Theorie vom Kreislauf der Verfassungen, und das Rad wird sich unweigerlich weiterdrehen, wenn die Wähler die Pfeifen und Blockflöten nicht abservieren. Der Lockdown wird die anstehenden Wenden in Frankreich, Italien und Spanien nur verzögern, aber nicht verhindern können. – Ob die Deutschen dann noch dabei sind oder ob sie klimaverträglich frühableben, weil sie selbst für den Koitus zu dumm sind, wird sich zeigen. Andere Kulturen kennen nur zwei Geschlechter, das vereinfacht die Dinge schon ziemlich.

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