Trumps Rundumschlag ist zwar verbal ziemlich ruppig, aber wer die amerikanischen Versuche, seine miserable Handelsbilanz zu verbessern, seit Jahren beobachtet, kennt die Rituale. In den 1980er Jahren, als Japan die US-Stahlindustrie, die US-Automobilkonzerne und die elektronische US-Unterhaltungsbranche regelrecht zerlegte, regierte der energische Republikaner Ronald Reagan in Washington. Und ähnlich wie jetzt Trump drohte er den Japanern, sie mit Strafzöllen und Importverboten zu überziehen, wenn sie nicht ihre Märkte öffnen würden. In Japan regierte der nicht minder durchsetzungsstarke Yasuhiro Nakasone.
Was Japan denn in den USA kaufen solle, war seine ironische Antwort: Minderwertige Autos? Überholte Werkzeugmaschinen? Rückständige Elektronik? Für Japaner untragbare Textilien? Gerne wies Nakasone darauf hin, dass der japanische Finanzminister einen BMW fahre, was beweise, dass Japan hochwertige Produkte gerne kaufe. Und dann fiel Nakasone noch ein, dass es sein könnte, dass der japanische Notenbankgouverneur bei der nächsten Versteigerung amerikanischer Staatsanleihen leider unpässlich sein könnte. Damit waren die direkten Beschränkungen japanischer Exporte in die USA erst einmal wieder vom Tisch.
Aber Japan war sich auch bewusst, dass seine Sicherheit von den Amerikanern abhing und das Bündnis die Grundlage seines Wohlstandes war und ist. Führend und unschlagbar auf dem Weltmarkt ist die US-Landwirtschaft. Aber es gibt keinen anderen Markt, der so mit Emotionen und Staatseingriffen durchseucht ist, wie der Agrarmarkt. Um den Druck aus Washington zu senken, gab Japan auf dem Agrarmarkt nach und senkte die Zölle auf Agrarprodukte gegen Null, vor allem für Rindfleisch und Reis.
Das kam schon einer Revolution gleich, denn damals kostete das Kilogramm japanischen Rindfleisches 400 DM (200 €). Durch geschicktes Marketing schafften es die Japaner allerdings, US-Fleisch im Vergleich zu Japans Edelrindern als minderwertig zu verkaufen. So gibt es mittlerweile tausende von Steakhäusern in Japan mit den niedrigen US-Fleischpreisen, aber gleichzeitig kostet japanisches Kobe- oder Wakyu-Rindfleisch in der ganzen Welt immer noch 200 Euro pro Kilogramm und mehr, und es entwickelte sich sogar zu einem Exportschlager.
Das TTIP Paradox
Ausgerechnet auf dem Agrarmarktsektor, in dem nationale Emotionen mit den Interessen wichtiger Wähler zusammenstoßen, sind die US-Amerikaner konkurrenzfähig. Aber erinnern Sie sich noch? Als das TTIP-Abkommen, das eine allumfassende nordatlantische Handelszone schaffen sollte, in die entscheidende Phase eintrat, entdeckten die deutschen Weltverbesserer das Chlor-Hähnchen. Es wurde zum Symbol amerikanischer Rücksichtslosigkeit und Weltbeherrschungsabsichten hochstilisiert. Millionen Deutscher sahen sich schon vergiftet. Dazu sollte auch noch das Fleisch von mit Genmais gefütterten und Hormonen gezüchteten Kühe die hohen Standards der Europäer ersetzen dürfen.
Jetzt ist das Gejaule über den drohenden Handelskrieg, der von Trump ausgelöst wurde, zu hören, und das grenzt schon an massenhafte Schizophrenie. Wir haben zu viel Stahl in der Welt, und alle Staaten mit Überkapazität kippen ihre Produktion mit Vorliebe in den USA ab, weil diese immer noch einen offeneren Welthandel in ihrem Land zulassen als die meisten ihrer Kritiker. Aber wer hat denn mit allen nur erdenklichen Argumenten gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA und selbst mit dem unverdächtigen Kanada (CETA) gekämpft, so als ob es um die Rettung der Welt ginge?
500 europäische Organisationen sammelten gegen TTIP Unterschriften. Allein die Liste der TTIP-Gegner in Deutschland ist ellenlang. Da finden sich alle Organisationen und Vereine, die irgendwie die Worte Ökologie, Bio, Landwirtschaft, genfrei, frackingfrei oder Ernährungsumerziehung – bis hin zur Slowfood-Vereinigung – in ihrer Zielsetzung führen. Welch eine lächerliche Arroganz verbirgt sich hinter der Vorstellung, die US-Regierung würde ihre Bevölkerung mit minderwertigen lebensgefährlichen Nahrungsmitteln abspeisen?
Seltsame Anti-TTIP Verbündete haben sich da zusammengefunden, deren Kompetenz eher fraglich ist. Auch die katholische Jugendorganisation BdkJ und die katholische Arbeiterbewegung KAB entdeckten den sündhaften Freihandel, aus welch auch immer fehlgesteuerten Gründen. Wenn dazu dann auch das „lebenswerte Korbach" sich als Gegner von TTIP outete, wird die Lächerlichkeit dieser gefühlsgesteuerten und wirtschaftlich ahnungslosen Kampagne sichtbar. Korbach könnte schneller als gedacht erfahren, was die Handelskonflikte für die Stadt in Nordhessen bedeuten. Das größte Werk Korbachs ist eine Reifenfabrik, die zum Automobilzulieferer Schaeffler gehört. Sollte es zu Exportbeschränkungen von deutschen Autos kommen, dann können sich ja die Initiatoren des „lebenswerten Korbach" für ihren Erfolg bei der Bekämpfung von TTIP feiern lassen. In Korbach werden dann höchstwahrscheinlich Arbeitsplätze wegfallen. Welch ein Sieg!
Das Verstörende an Donald Trump ist ja nicht sein Ziel, eine bessere, ausgeglichene Handelsbilanz für sein Land zu erreichen, sondern seine ungezielten Rundumschläge ohne Rücksicht auf Freund und Feind. China produziert zu viel Stahl in Anlagen, die mit staatlicher Unterstützung und undurchschaubaren Finanzen am Leben erhalten werden. Das ist ein Fall für die Welthandelsorganisation. Deutschland exportiert keinen Massenstahl in die USA, sondern Spezialqualitäten, die die US-Industrie braucht.
Für einen ARD-Film über die Bezahlung von Facharbeitern im Vergleich zwischen den USA, Japan und Deutschland drehten wir auch bei einem Schraubenfabrikanten in der Nähe von Chicago. Das Unternehmen war qualifizierter Zulieferer von Ford. Der Besitzer, ein ehemaliger Manager, erzählte, dass er selbstverständlich nur US-Stahl für seine Schrauben verwenden wollte. Dies musste er aber aufgeben. Die Qualität, die er ablieferte, wurde von Ford nicht akzeptiert. „Nur die Japaner und Deutschen können den Stahl liefern, den wir brauchen", stellte er mit Bedauern fest. Und so geht es vielen US-Unternehmen. Es gibt Länder, die in gewissen Bereichen einfach Spitze sind, und deren Produkte werden durch Zölle nur teurer. Das wird Trump wohl bei seinem Ausflug in die Stahl- und Aluminiumbranche noch lernen.
Der Agrarwahnsinn
Will er wirklich die Handelsbilanz verändern, dann sollte er der amerikanischen Stärke in der Landwirtschaft zum Durchbruch verhelfen. Die Verleumdungskampagne mit den Chlorhähnchen, die Hysterie vor genveränderten Lebensmitteln und die hohen Zölle auf Rindfleisch sind ein Skandal, der den deutschen und europäischen Verbrauchern viel Geld kostet. Was soll ökologisch sein, wenn wir Getreide (Soja) einführen, was hier das Gleichgewicht des natürlichen Düngerkreislaufs aus der Balance bringt? Mit diesem Soja füttern wir dann Kühe, die zu viel Milch geben, ziehen Rinder auf, die nur mit hohen Subventionen verkäuflich sind, und diese Überproduktion verkaufen wir mit noch höheren Subventionen ins Ausland. Die weltweiten Agrarsubventionen ziehen eine verheerende Spur der Verwüstung durch sämtliche Länder der Welt (Ausnahme Neuseeland). Wir Europäer sind da besonders aktiv und deswegen auch besonders verwundbar, denn wir treffen mit unserer widersprüchlichen Agrarpolitik besonders die unterentwickelten Staaten, für die dieser national begründete Schwachsinn oft lebensgefährlich ist.
Zur Erinnerung – etwa 40 Prozdent der bäuerlichen oder landwirtschaftlichen Konzerneinkommen in Deutschland sind Subventionen, also bezahlt von unseren Steuern. Wenn die Chinesen als Antwort auf Trumps Strafzölle die US-Landwirtschaft treffen wollen, dann wird es nicht lange dauern, und der Handelskrieg wird sich auf den Agrarmarkt verlagern. Für diese Auseinandersetzung hat Europa dann ganz schlechte Karten. Auf der anderen Seite des Atlantiks ist Trump nämlich auf die ländlich geprägten Bundesstaaten angewiesen. Das sind seine Wähler.
Es gibt noch einen zweiten Aspekt für Trumps Anklage wegen der unfairen Handelsbedingungen, so, wie er sie sieht. Immerhin verzeichnen die US-Amerikaner ein Defizit im Handel mit Gütern von 810 Milliarden Dollar und ein Plus bei Dienstleistungen von 244 Milliarden Dollar. Immerhin bleibt somit noch die gigantische Lücke von 566 Milliarden Dollar. Zwar sind darin allein im Handel mit China 375 Milliarden Dollar vorhanden, aber auch Deutschland hat ein Plus von 50,5 Milliarden Dollar (alle Zahlen von 2017). Auf der einen Seite haben wir Deutsche einen weltweiten Handelsbilanzüberschuss von 248,9 Milliarden Dollar, auf der anderen Seite geben wir nur 1,24 Prozent (37 Milliarden Euro 2018) unseres Bruttosozialproduktes für die Verteidigung aus. Die USA dagegen 3,57 Prozent, das sind rund 600 Milliarden Dollar, also mehr als unser gesamter Bundeshaushalt 2018 mit 341 Milliarden Euro.
Deutschlands Lebenslügen
Bei diesem Ungleichgewicht zwischen den beiden Staaten muss der amerikanische Präsident nicht unbedingt Donald Trump heißen, um den Deutschen ein paar unfreundliche Worte zu sagen. Die Erhöhung auf 2 Prozent unseres Bruttosozialproduktes für die Verteidigung ist auch keine Erfindung eines kriegslüsternen Amerikaners. Diese 2 Prozent hat unsere Kanzlerin auf einem Treffen der NATO-Mitglieder in Wales selbst zugesagt. Nun können vor allem linke und grüne Politiker der Auffassung sein, dass Deutschland keine funktionierende Bundeswehr braucht, wir die Auslandseinsätze alle beenden und die Militärausgaben nicht oder nur gering erhöhen. Dann gehört es sich, dass wir, also Deutschland, offiziell erklärt, dass es die Selbstverpflichtung der 2 Prozent kündigt und dass unser Gottvertrauen stark genug ist, dass wir auch keine anderen Schutzmächte brauchen.
Mit solch klaren Aussagen wüssten die Amerikaner dann wenigstens, wo sie dran sind mit ihrem ehemaligen Schützling. Sie könnten dann entscheiden, ob sie ihre Sicherheitsgarantie für Deutschland aufgeben, ihre Truppen samt der Atomwaffen zurück holen und damit viele Milliarden sparen. Sie könnten aber auch sagen: Egal, was die deutsche Regierung macht, wir bleiben aus Gründen der eigenen Sicherheit in Deutschland und bezahlen diese Sicherheit mit unseren Militärausgaben. In allen anderen Fragen, zum Beispiel des Handels, der Finanzen und des kulturellen Austauschs verliert Deutschland alle Privilegien. Vor allem über die Handelsbeziehungen werden wir uns dann schadlos halten.
Trump verknüpft den deutschen Handelsbilanzüberschuss mit der deutschen Zurückhaltung bei den Militärausgaben. Das haben zwar auch andere Washingtoner Regierungen gemacht, zum Beispiel, wenn es um die Stationierungskosten ging, oder noch brutaler, als Deutschland für den ersten Irakkrieg zahlen musste, weil es sich nicht am Militäreinsatz beteiligt hatte. Auch wenn das nicht offiziell zugegeben wird: Diese Summe war dafür verantwortlich, dass der Mehrwertsteuersatz um 3 Prozent angehoben wurde und nicht, was fälschlicherweise behauptet wird, die deutsche Einheit.
Deutschland sucht die Opferrolle
In der Berichterstattung, vor allem in den öffentlich-rechtlichen Taktgebern, klingt so eine weinerliche Tendenz durch, dass wir Deutschen doch zu Unrecht von Trump wegen unserer Überschüsse beschimpft werden. Und es klingt auch so eine Art Hochmut durch: Diese Erfolgsbilanz sei halt auch das Ergebnis deutscher Tüchtigkeit. Nein wir Deutsche sind nicht ein Opfer von Trump. Der bleibt für mich zwar ein Kotzbrocken, aber er spricht, wenn auch erratisch vorgetragen, an, was andere in Hinterzimmern aushandeln oder verdrängen wollen.
Wie heißt es so schön: Man muss sich ehrlich machen, um ehrliche Ergebnisse zu erzielen. Zur deutschen Ehrlichkeit gehört: Unser Handelsbilanzüberschuss ist auch möglich, weil wie es schon in den 1960er Jahren mit einem völlig falschen Wechselkurs leicht hatten, Konkurrenten auszustechen und dass wir schon wieder Erfolge mit einem unterbewerteten Währung feiern. Zu Ehrlichkeit gehört, dass die EU, die in diesem Fall federführend ist, höhere Zölle verlangt als die US-Amerikaner. Es gehört zur Ehrlichkeit, dass wir die absoluten Maurer sind, wenn es um den Agrarmarkt geht und es gehört dazu, dass die Interessen der europäischen Staaten untereinander es fast unmöglich machen, noch gemeinsame Handelsverträge mit Substanz zu beschließen.
Jenseits des Handels müssen wir Deutsche uns auch zugestehen, dass wir international zwar Maulhelden sind, eine hohe moralische Aura verstrahlen, aber keinerlei Kompetenz haben, ernsthaft die militärischen Auseinandersetzungen zu beeinflussen – weder mit Waffen, noch mit anderen Mitteln. Wir müssen akzeptieren, dass die Kämpfe gegen TTIP und CETA von einer tief neurotischen Gesellschaft geführt werden.
Oder wie soll einem logisch denkenden Erdenbürger erklärt werden, dass das Land mit dem höchsten Handelsüberschuss pro Kopf in der Welt, dessen Wohlstand auf diesen Handelsmöglichkeiten beruht, dass sich in diesem Land von Bauern bis Arbeitern, von Pfarrern bis Professoren so ziemlich alles gegen ein allumfassendes Handelsabkommen wehrt? Und völlig verrückt wird es, wenn sich jetzt dasselbe Volk von einem amerikanischen Präsidenten bedroht fühlt, weil dieser seinerseits das Handelsabkommen aufgegeben hat, was sie alle so nicht haben wollten. Wenn es sich nicht um ein Massenphänomen handeln würde, würde ich als Resümee feststellen: Wer sich so benimmt, muss schnell auf die Couch zur Therapie.
Den ersten Teil dieser Beitragsfolge lesen Sie hier.