Erik Lommatzsch, Gastautor / 06.05.2019 / 11:00 / Foto: Pixabay / 17 / Seite ausdrucken

Der CDU-Kandidat und die Sakralisierung der Kanzlerin

Dem einen oder anderen imponiert der „Soft-Rocker der CDU“ mit dem fluffigen Quereinsteiger-Lebenslauf („Krawatten kennt er gar nicht“), der äußert respektable unternehmerische Erfolge vorzuweisen hat. Carsten Meyer-Heder, Spitzenkandidat der Union für die Bremer Bürgerschaftswahl am 26. Mai, ist jedoch zugleich ein typisches Symptom für das fortschreitende Ende der beiden großen, die gute alte Bundesrepublik dominierenden Parteien. Der Niedergang zeichnet sich gerade überdeutlich vor aller Augen ab.

Während die SPD sich entschlossen hat, sichtbar prozentual zu schrumpfen und es schon mal Umfragewerte gibt, die besagen, dass sie in einem Bundesland gerade noch bei sechs Prozent liegt, so hat sich die CDU, deren Werte im Vergleich zu den Vorjahren ebenfalls gesunken sind, wenn auch nicht so drastisch, eher zur inhaltlichen Entleerung/Wandlung entschlossen. Einige Mitglieder hielten Anfang 2017 innerhalb der eigenen Reihen die Schaffung der „Werte-Union“ für angezeigt – was die Aussage über die inhaltliche Entleerung/Wandlung unterstreicht. Deren wahrnehmbare Einflussnahme auf die Linie der Partei ist selbst dem geneigten Beobachter bislang auch eher verborgen geblieben. 

In Bremen besetzt seit Wilhelm Kaisen –  und der kam 1945 ins Amt – ununterbrochen ein Sozialdemokrat das Amt des Bürgermeisters. Dem nunmehrigen CDU-Kandidaten Meyer-Heder werden gute Chancen zugesprochen, diese Ära zu beenden. Die „Welt“ gab ihm via Interview eine Selbstpräsentationsplattform. An „welchem Typ Landesvater“ sich Meyer-Heder als eventueller Ministerpräsident, der er als Bremer Bürgermeister wäre, orientieren wolle?

Er nennt als Vorbild Daniel Günther, der in Schleswig-Holstein regiert. O-Ton Günther vor einigen Monaten: „Wir werden Angela Merkel noch vermissen, wenn sie aus der Politik ausscheidet.“ Das gelte „für die Deutschen insgesamt und erst recht für die CDU.“ Damit kein Zweifel aufkommt, orientiert sich Meyer-Heder schon heute an Günther. Auf die Frage nach der derzeitigen Kanzlerin hat er soeben geantwortet: „Für meine Begriffe sollten wir ihr jeden Tag dankbar sein, wie sie das Land in den vergangenen mehr als 13 Jahren geführt hat.“ Der erste Merkel-Altar hat offenbar gute Chancen, im deutschen Norden/Nordwesten errichtet zu werden.

Ein Rest-Anschein des Leistungsgedankens?

Andrea Nahles, die Meyer-Heder leid tut, ist samt ihrer Partei bereits abgeschrieben, sie ist dem Wahlkämpfer kaum einen wirklichen Angriff wert, denn der sieht „im Grunde die Grünen als die neue zweite Volkspartei neben der CDU.“ Dazu passt die aktuelle Meldung, dass die „Volkspartei“ Grüne einen Mitgliederrekord verzeichnen kann.

Meyer-Heders politisches Vorbild ist Gerhard Schröder. Nein, nicht der von der CDU, sondern der von der SPD. Traditionen sind Meyer-Heder unwichtig, da hat er „für beide Seiten Verständnis“. Für Bildung nimmt er gern Unterstützung vom Bund. Und für ein drittes verpflichtendes Kita-Jahr ist er, für „Chancengerechtigkeit“. Unterstellte Privatisierungsabsichten – „unseriöse Angstdebatte“ der SPD – weist er zurück.

Einen der (seit geraumer Zeit an der Bremer Regierung beteiligten) Wunschkoalitionspartner, die Grünen, greift er vorsichtshalber nur mäßig an. Tja, da sind nun mal „fünf Milliarden zusätzliche Schulden“ in zwölf Jahren, trotz Bundeszuschüssen von jährlich 300 Millionen. Nicht gut, aber irgendwie wird Finanzsenatorin Karoline Linnert schon wissen, was sie gemacht hat, schließlich will Meyer-Heder zusammen mit ihrer Partei regieren.

Die FDP soll dann auch dabei sein, Jamaika eben. Hier ist einmal mehr die Orientierung am Günther sichtbar, der macht das nämlich schon und kommt zudem „mit einer jugendlichen Frische daher“. Ganz so frisch ist Meyer-Heder noch nicht, als potenzieller Koalitionspartner wird die AfD ausgeschlossen, das versteht sich für einen CDU-Mann von selbst, aber auch die Linkspartei. Da ist Günther schon weiter, zumindest (oder zunächst?) „im Osten“ fände der nämlich CDU-Linke-Koalitionen gar nicht so schlecht

Die beginnende Sakralisierung der Kanzlerin lassen wir einmal außen vor, das sind nun wirklich schon andere Sphären. Das einzige, was bei Meyer-Heder irgendwie leise nach CDU klingt, ist das revolutionäre Vorhaben, man wolle den „Leistungsgedanken wieder an die Schulen bringen.“ Damit hat es sein Bewenden, zu sehr will man die „zweite Volkspartei“ schließlich nicht verprellen.

Als Bürgermeister würde Meyer-Heder in eines der schönsten Rathäuser Deutschlands einziehen. Als Repräsentant der CDU im Range eines Ministerpräsidenten würde er die weitere, wohl ohnehin unaufhaltsame Entfernung der Union von ihren ursprünglichen Ideen beschleunigen. Das Schlimme, oder, je nach Sichtweise, Gute: Einen Unterschied würde es wahrscheinlich ohnehin nicht mehr machen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Markus Hahn / 06.05.2019

Als wirklich unabhängiger Kopf würde man im Merkelsystem heutzutage selbst in der aller tiefsten Provinz nicht mal Ortsverbandsvorsitzender werden. Und dann reichen ein markanter Glatzkopf und ein lässiges Outfit aus, um aus einem durchgehend in Bremen sozialisierten erfolgreichen IT-Unternehmer einen Hoffnungsträger für die Erneuerung der CDU zu machen? Das erheiterte mich schon, seitdem ich das erste Mal den Namen gegooglet habe. Der Mann wäre auch gut bei den Grünen aufgehoben, abgesehen von seinem mild wirtschaftsliberalen Ansatz. Mein Lieblingssatz von ihm: “Nächstenliebe ist ein christlicher Wert, den ich aber für ganz wichtig halte.”

Rudolf George / 06.05.2019

Die Macht des Merkel-Netzwerks in der CDU muss noch gewaltig sein, und wird es sicher noch lange bleiben. Selbst wenn die bleierne Kanzlerin aus dem Amt geschieden ist, werden diese Günstlings-Seilschaften das ökosozialistische Aushöhlungsprojekt in der CDU fortsetzen. Am Ende haben wir dann den Einheitsblock der (angeblichen) Mitte aus CDU, Grünen und immer kleiner werdenden SPD, flankiert von den Steigbügelhaltern FDP und Linkspartei. Das einzig wirklich spannende wird sein, ob die AfD von ihrem rechten Flügel übernommen wird, was ihr Ende bedeuten würde, oder es schafft, die echte bürgerliche Mitte unter den Wählern zu erobern.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Erik Lommatzsch, Gastautor / 16.03.2024 / 10:00 / 41

Kurzer Ramadan-Lehrgang für Sachsen

Die Islamisierung ist ja bekanntlich eine rechte Verschwörungstheorie, aber die Ramadan-Bräuche und die genauen Gebetszeiten sollten auch sächsische Ureinwohner heutzutage bitteschön kennen. Deutsche Medien kümmern…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 14.02.2024 / 12:00 / 51

Sachsen-Belehrung in der Straßenbahn

Das Böse ist immer und überall. Im Dresdner ÖPNV werden Fahrgäste jetzt vor „Desinformation im Kontext von Wahlen“ gewarnt. Da fährt man mit der Straßenbahn…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 17.01.2024 / 14:00 / 8

„Habe Mut“

In einer Zeit, in der der Pessimist nur schwer vom Realisten zu unterscheiden ist und einen die Masse der deprimierenden Nachrichten fast erschlägt, suchen viele etwas…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 06.11.2023 / 16:01 / 39

Ist Tangerhütte ohne Anne Frank „offener als früher“?

Umbenennungen trafen in Deutschland bislang eigentlich Namenspatrone, bei denen man glaubt, eine fragwürdige Vergangenheit oder gar historische Schuld zu entdecken. Das ändert sich jetzt: Auch…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 26.08.2023 / 10:00 / 38

Finde den Untertan!

Zum Abschluss einer Ausstellung über den „Untertan“ von Heinrich Mann. Es wird dort alles gesagt und nichts verstanden. Am Sonntag kann man sich noch einmal…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 04.06.2023 / 16:00 / 15

Drag-Queens und steppende Bären im Bistum Mainz?

Ist dieses Video wirklich echt? Ist der Höhepunkt der katholischen Präsentation auf der Hessentag-Straße wirklich der „Queer Day“ mit „zwei Drag Queens" in der Kirche,…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 24.02.2023 / 14:00 / 27

Mit dem Zweiten bleibt die Frau am besten daheim

Das ZDF beantwortet die Frage: Wo beten die „Muslim*innen“? Außerdem sind die Kleiderordnungen für Frauen in Deutschland immer noch recht unübersichtlich. So richtig schick ist…/ mehr

Erik Lommatzsch, Gastautor / 23.10.2022 / 11:00 / 57

Kevin Kühnert und die 1b-Pressearbeit der „Bunten“

Die „Bunte“ hatte den "Star" Kevin Kühnert ganz privat porträtiert, was umgehend beifällige Weiterverbreitung fand. Eine 1a-SPD-Pressearbeit, oder? Auf den zweiten Blick verblasst diese Bestnote…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com