Roger Letsch / 18.01.2017 / 06:20 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 10 / Seite ausdrucken

Mit Urkunde: Der Bürger-Journalist als Bürger 1. Klasse

Wer in der DDR ohne Studium der Klassik Musik machen wollte, durfte auf Veranstaltungen selbstverständlich nicht einfach so drauflosfiedeln! Alles musste seinen „sozialistischen Gang“ gehen, wie man das nannte. Denn es konnte und durfte nicht sein, dass man einfach von sich aus und ungeprüft musikalische – und womöglich textlich/politische Aussagen durch die Gassen trällerte. Man brauchte eine Einstufung, auch Pappe genannt, die von „verdienten Kunstbeurteilern des Volkes“, einer Kommission, in mehreren Stufen vergeben wurde. Es entbehrt zum Beispiel nicht einer unfreiwilligen Komik, wenn ein befreundeter begabter Soulsänger, der aus Sambia kam, dessen Muttersprache Englisch war und dessen Deutsch in Momenten der Aufregung nur aus Schimpfworten bestand, von solchen „Kommissionen“ gefragt wurde, welche „Deutschen Lieder“ er im Repertoire habe. „Keins? Keine Einstufung!“ – „Fuck!“

An diese Neigung, jede noch so kleine individuelle künstlerische Regung unter staatliche Kontrolle zu bringen musste ich denken, als ich von einer neuen Kompanie in Merkeldeutschland erfuhr, die an die „Hate-News“ und „Fake-Speech“ Front geschickt werden soll. Im Moment besteht diese Kompanie noch aus Freiwilligen, die aber ihre Wimpel so Maasvoll schwenken, dass es mich sehr wundern würde, wenn der Justizminister oder Familienministerin Schwesig sie nicht baldigst an ihr harmonieheimelndes Gutsprecherherz drücken werden. Jungs und Mädels von der Reporter-Fabrik, die Minister werden euch lieben!

„Nie vorher war die veröffentlichte Meinung vielfältiger. Nie vorher war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Wir möchten den Weg in eine redaktionelle Gesellschaft begleiten durch die Qualifizierung von Nicht-Journalisten und Journalisten. Durch die gezielte Verbreitung von Fake-News hat die Desinformation dramatisch zugenommen. Jede demokratische Gesellschaft braucht eine funktionierende Öffentlichkeit, sonst ist die freie Meinungsbildung nicht mehr gewährleistet.“

Journalisten in die Produktion!

Hinter dieser Aussage stehen ausgerechnet Giovanni di Lorenzo („Die Zeit“), Klaus Brinkbäumer („Der Spiegel“), Claus Kleber (ZDF), Wolfgang Krach („Süddeutsche Zeitung“) und andere Meister der verdrehten Schlagzeile und vergessenen Fakten, die nun in die Erziehungsoffensive bei den Amateuren gehen wollen. Unfreiwillig euphemistisch ist in dem Zusammenhang, dass auch Journalisten in der „Fabrik“ lernen sollen, wie man Fake-News erkennt und meidet.

„Neben der vierten Gewalt hat sich die fünfte Gewalt des Bürgerjournalismus etabliert.“

In diesem Satz steckt ein Universum! Früher gab es Bürger, das war im Zweifelsfall einfach jeder. Dann gab es den „informierten Bürger“, dem man Verständnis attestierte. Der Bürgerjournalist ist nun eine neue Klasse, die zwischen den „Machern“ aus Politik und Medien und den „Bürgern“ etabliert werden soll. Man hebt die „Bürgerjournalisten“ über ihr Umfeld, trennt sie vom „Bürger“, attestiert ihnen ein Klassenmerkmal und verordnet ihr verantwortungsvollen Umgang mit dem, was früher Meinungs- und Pressefreiheit genannt wurde. Das Schöne daran: Sobald der Bürgerjournalist im Sattel sitzt, kann der Bürger wieder die Klappe halten, er ist für Lautsprech einfach nicht qualifiziert genug. Ohne „Einstufung“ geht dann bald gar nichts mehr.

Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie die „möglichen Sponsoren“ (Medien-Stiftungen, Landesmedienanstalten, Medienhäuser, Gründungsförderungen, Einzelpersonen) ihr neues Heer von Hilfs-Journalisten mit Presseausweisen versehen, die zukünftig in Rosarot von den Plätzen der Bundespressekonferenz strahlen und brav wie die Schülerzeitungsreporter „kritische Fragen“ an die Ministerdarsteller in Merkels viertem Kabinett richten. Glattgebürstet und mit dem Erwartungshorizont der Bundesregierung kompatibel.

Was auf dem Lehrplan steht, kann man bereits in der Praxis des „gemeinnützigen Recherchezentrums correctiv“ bewundern, dass die Reporter-Fabrik in Zukunft organisatorisch leiten wird. Dort schraub sich nämlich der Relativismus in Titeln wie „Schlampige Hygiene im Krankenhaus führt zu mehr Toten als im Straßenverkehr“ bereits in ungeahnte Höhen und beweist schon mal, dass man selbst unter Profis keine Ahnung haben muss, was „Zusammenhang“ und „Korrelation“ voneinander unterscheidet, solange die evozierte Empörung nur imaginiert ist und ins belanglose tendiert.

Schöne neue Welt des Fabrik-Journalismus!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Karla Kuhn / 19.01.2017

Herrlich, Herr Lupus.

Immo Sennewald / 18.01.2017

Nichts Neues. In der DäDäÄrr gab’s die “Volkskorrespondenten”, die in “Organen der SED” - so hießen die auf Linie agierenden Zeitungen - Basisnähe suggerieren sollten. Sie haben so wenig wie alle anderen Propaganda-Instrumente verhindert, dass Blockflöten und Honeckers Schalmeienorchester im Ansehen des Volkes auf dem letzten Loch bliesen.

Werner Kirchhoff / 18.01.2017

Was bedeuten denn die großen grauen Flächen in dem PDF der Reporterfabrik? Will man hier schon mal andeuten, was in Zukunft mit falschen Meinungen passiert, nämlich dass sie geschwärzt und ihre Autoren angeschwärzt werden? Hier bietet sich zwangsläufig eine Zusammenarbeit mit der Stasi-Kahane-Stiftung an, die ja gern eine Anzeige zuviel als zuwenig erstattet sehen will. Und sollte sich Correctiv vielleicht nicht besser in PolitischesCorrectiv umbenennen, um besser auf die tatsächlich beabsichtigen Tätigkeiten hinzuweisen?

Wolfgang Kaufmann / 18.01.2017

Es ist dem Bürger untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Volkstribunen anzulegen. Oder mit anderen Worten: Wir wollen euch zu freien und kritischen Menschen erziehen. Aber tut gefälligst das, was wir für gut halten, und zweifelt an den anderen, nicht an uns.

Bernd Bauer / 18.01.2017

Hundertprozentig treffend.

stefan lanz / 18.01.2017

Ich frage mich, was da für ein Aufwand betrieben wird, ich frage mich, wieviel Millionen an Steuergeldern in diese Thematik versenkt werden, wieviele Personen dieser Wirtschaftszweig inzwischen beschäftigt. Es wäre mal interessant, dazu Zahlen zu sehen. Wieviele FakeNews gibt es in Deutschland denn täglich/jährlich? Eine neue Wirtschaftsidee ist erfunden worden, die ähnlich den Mechanismen der geschürten Angst vor der Erderwärmung betrieben wird. Ein Geschäft mit der Angst, null produktiv, aber mit positivem Effekt für die politische Ebene. Insofern - sehr sehr clever, die lachen sich sicher alle täglich ins Fäustchen und die breite Öffntlichkeit spielt (immer noch) bereitwillig mit - Hauptsache 2 geleaste Autos und 2 Urlaube im Jahr…    

Georg Siegert / 18.01.2017

“Die vierte Gewalt”. Statt den Journalismus als das zu begreifen, was er in 95% der Fälle ist, nämlich ein schlichter und meist profaner Broterwerb für Menschen mit Schreib- und/oder Sprechtalent, wird hier eine Überhöhung in himmlische Sphären vorgenommen, die ihresgleichen sucht. Diese Hybris bildet dann das Schwert und Schild, die man gegen jede Form von Kritik am Journalismus in Stellung bringt, egal wie berechtigt sie sein mag: “diese Kritik ist ein direkter Angriff auf die Demokratie!”. Man könnte es auch die Demokratiekeule nennen. Von daher wundert es mich kein bisschen, dass die Demokratiekeule nun auch gegen die unliebsame Konkurrenz der sozialen Medien eingesetzt wird, indem unterstellt wird, Facebook und Co würden die Demokratie gefährden und daher entsprechende “Correctiv-Maas-nahmen” erforderlich.

Wilfried Cremer / 18.01.2017

Die nochhalbetablierten Infojongleure sehen ihre Felle davonschwimmen. Ein letztes Strampeln in der Flut - blub blub, weg waren sie.

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