Was ist vom britischen Empire, in dem die Sonne nie unterging, geblieben? Der Palast. Nicht nur, dass die zweite Elizabeth immer noch Staatsoberhaupt von 15 ehemaligen Kolonien ist. Spürbarer noch: Wenn der Palast bebt, bebt die Welt mit. Mediale Schockwellen breiten sich über den Globus aus. Während aber die Palastbewohner ernsthaft erschüttert sind, ist das Beben, das um die Welt geht, ein lustvolles Beben. Unter wohligen Schauern erlebt man mit, dass es hinter den Palastmauern, in der Welt der Überprivilegierten, offenbar genauso viel Müll gibt wie bei Hempels unterm Sofa.
Diese globale Wirkung hat nur das englische Königshaus. Nichts gegen Holland, Belgien, Norwegen und Schweden – wen juckt es schon, wenn dort bei Königs etwas nicht stimmt? Selbst Juan Carlos, der Retter der spanischen Demokratie, hat sich nach Korruptionsvorwürfen vergleichsweise still aus seinem Land in die Vereinigten Arabischen Emirate davonmachen können.
Und dann die bürgerlichen Staatsoberhäupter. Wen interessiert es außerhalb von Paris, dass Ex-Präsident Nicolas Sarkozy jetzt ein verurteilter Straftäter ist? Und was ist mit unserem Präsidenten? Ja, wo ist er denn? Er führt ein weithin unbemerktes Dasein. Selbst ein saftiger Skandal würde daran nichts ändern.
Aber die englische Königsfamilie! Als seinerzeit der achte Eduard abdankte, um seine Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten, steckte hinter dem weltweiten Aufsehen noch die Wucht eines Weltreichs. Als Diana sich von Charles trennte, endete die globale Enttäuschung in einer tödlichen Tragödie mit der entsprechenden globalen Trauer. Und jetzt also Harry und Meghan. Die Geschichte der britischen Palastskandale wiederholt sich, um Karl Marx zu zitieren, diesmal als Farce.
Ist es ein Abgrund an Rassismus?
Was hat die Armen aus dem Palast vertrieben? In früheren Zeiten, als der Sexismus-Vorwurf noch nicht so locker vom Hocker geschleudert wurde, hätte man die Frage so stellen können: War es womöglich Stutenbissigkeit? Könnte es sein, dass Kate und Meghan, die sich ja bemerkenswert ähnlich sehen, nicht in Schwägerinnen-Liebe zueinander entbrannt sind? Könnte es sein, dass es im Palast auch männliche „Stuten“ gibt, die mit bissiger Eifersucht ihren Status verteidigen? Könnte es andere Intrigen am Hof gegeben haben? Intrigen an einem Königshof? Wer hätte das gedacht!
Und dann die Rassenfrage, die Meghan im Interview mit Oprah Winfrey in den Raum gestellt hat. Das ist der Totschlag-Vorwurf dieser Tage. Könnte es sein, dass es im Palast, diesem überexklusiven, von pinkfarbenen Menschen gefüllten Gebäude, hier und da rassistische Anwandlungen gibt? Wen würde das wundern. Auch wenn es noch gar nicht so lange her ist, dass die Hochzeit der beiden in England als wunderbar bunt gefeiert wurde.
Ist es nett, wenn ein Palastbewohner (die Queen und Prinz Philip sollen es nicht gewesen sein) die Thekenfrage stellt: „Mal sehen, wie dunkel die Hautfarbe des Kindes wird“? Nein, nett ist das nicht. Ist es ein Abgrund an Rassismus? Naja, da heute jede blöde Bemerkung gleich ein Abgrund an Rassismus ist, kommt er beim interessierten Publikum wohl so an. Man hat inzwischen ja verlernt, die Kirche im Dorf zu lassen.
Aber die rassistischen Leiden der Afroamerikanerin Meghan (weißer Vater, schwarze Mutter) halten sich in Grenzen. In ähnlichen Grenzen wie die rassistischen Leiden der Talkshow-Königin Oprah. Die eine erfreut sich immerhin des schönen Titels Herzogin von Sussex, die andere ist Amerikas First Lady der Medien. Wer hat schon die Möglichkeit, sich als missverstandene Duchess einer Show-Königin zu präsentieren? Es ist nicht ganz leicht, daraus ein Bild der Unterdrückung und des Teint-Leidens zu basteln. Nur der arme Harry kann einem ein bisschen leid tun. Seine Versetzung aus dem Zentrum britischen Traditionslebens in das absurde Kalifornien ist ein Wechselbad, das man erst mal verkraften muss.
Wen juckt das eigentlich?
Kommen wir zur Gretchenfrage: Wen juckt das eigentlich? Zugegeben: Es juckt einen schon. Nennen wir es Voyeurismus, nennen wir es Neugier, nennen wir es zutiefst menschliches Interesse. Der Unterhaltungswert der Royals ist nun mal global. Aber das ist es auch schon. Die Wellen, die da geschlagen werden, haben keine tiefere Bedeutung. So groß die weltweite Faszination mit dem britischen Königshaus ist, so gleichgültig ist es, ob der Palast wackelt oder ob im Palast ein paar Knie schlottern. Wenn man genau hinschaut, ist die Queen auch nur eine Art Frank-Walter Steinmeier. Das Sagen haben Boris Johnson und Angela Merkel.
Hier tut sich allerdings eine interessante Parallele auf. So wie die Queen interessanter ist als unser schlichter Präsident, so hat auch Boris Johnson einen vielfach höheren Unterhaltungswert als Angela Merkel. Wen würde Oprah Winfrey als Interview-Partner einladen? Boris, den Spannenden, oder Angela, die Mächtige? Vielleicht beide.
Bis dahin werden sich Harry und Meghan in ihrem kalifornischen Palast von den Wunden zu erholen versuchen, die ihnen im Londoner Palast zugefügt wurden. Ist eine Retourkutsche aus dem Königshaus zu erwarten? Wird ein Tsunami aus London in Richtung Kalifornien rollen? Wenn ja, wann? Die Welt hält gespannt den Atem an, auch wenn absolut nichts Weltbewegendes geschieht.